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Ukraine

Bürgerkrieg und imperialistische Konfrontation

Franz Ickstatt, Neue Internationale 192, September 2014

Die Lage in der Ukraine ist nicht leicht zu beurteilen. Das liegt zum einen daran, dass selbst Medien, die sich gerne als objektive Informationsquelle präsentieren („Spiegelleser wissen mehr“), billigste Propagandahetze abliefern („Stoppt Putin jetzt“). Zum anderen daran, dass sich ein politischer und sozialer Konflikt im Lande selbst mit einem Kampf zwischen den imperialistischen Großmächten überlagert. Das ist nichts Neues, das gibt es auch in Libyen und Syrien. Die weltweite Krise des Kapitalismus heizt zusätzlich die Rivalität unter den Imperialisten an, sowie ihre Entschlossenheit, soziale Bewegungen zu ersticken, unterdrücken oder politisch zu enthaupten.

Als revolutionäre MarxistInnen stehen wir dem russischen Imperialismus nicht näher als dem deutschen oder dem US-amerikanischen. Aber im Klassenkampf in der Ukraine stehen wir auf der Seite der Arbeiterklasse. Diese ist nicht leicht zu bestimmen. Aber die Geschichte ist die Geschichte von Klassenkämpfen, wie Marx erklärte, auch wenn diese Kämpfe „bald versteckt, bald offen“ geführt werden. In der Ukraine scheint der Klassenkampf in der Tat sehr versteckt unter nationalen Parolen, erstaunlichen Koalitionen und den Intrigen und dem Trommeln der Imperialisten.

Deutsche Propagandamaschine

Die deutsche Propagandamaschine präsentiert die Kämpfe im Süden und Osten als das Werk „prorussischer Separatisten“, die hintenherum von Putin gelenkt werden. Die Bevölkerung dort gilt bestenfalls als Opfer dieser. Erstaunlich nur, dass diese Bevölkerung keineswegs von den Kiewer Truppen, ihren faschistischen Freischärlern und amerikanischen Söldnern befreit werden wollen. Die UN redet zwar von rund 180.000 Binnenflüchtlingen im Land, darunter sicher auch einige, die aus der Ostukraine in den Westen des Landes flüchten, rund das Fünffache dieser Zahl ist aber nach Russland geflohen, wo eine mittlere Großstadt wie Tjumen in Sibirien rund dreimal so viel Flüchtlinge aufgenommen hat wie die gesamte Bundesrepublik.

Die Furcht dieser Menschen ist berechtigt. Über 2.000 wurden bereits von der ukrainischen Armee und ihren Helfern getötet. Ein Sieg dieser Truppen würde Schreckliches für die Menschen im Donbass bedeuten. Auch viele, die anfangs eher für mehr Autonomie des Südens und Ostens innerhalb der Ukraine eingetreten sind, werden durch dieses Vorgehen zu der Überzeugung getrieben, dass nur eine Lostrennung von der Ukraine ihnen eine Chance gibt.

Es ist aber nicht nur die nationale Unterdrückung, die Verweigerung des Rechts, die eigene Sprache zu benutzen, welch die Menschen bewegt. Hinter dem Hass, den die Oligarchin Timoschenko ausdrückt, wenn sie sagt, sie wolle am liebsten alle „Russen eigenhändig erschießen“ - was im Sprachgebrauch der „Kiewer“ alle OstukrainerInnen einschließt - steht auch Klassenhass.

Während unter Janukowitsch noch ein Teil der Oligarchen auf die russische Karte setzte, hat jetzt die ukrainische Bourgeoisie ihre Einheit auf der Basis gefunden, als Handlanger des US- und EU-Imperialismus zu handeln. Firmen und Bodenschätze werden verscherbelt, die Oligarchen sind bereit zukünftig nur noch als Juniorpartner an der Ausbeutung des Landes beteiligt zu sein.

Die Industrie und der Bergbau im Osten des Landes werden dem geopfert. Die Arbeiterklasse, die sich im Osten und Süden konzentriert und schon durch die Privatisierung seit 1990 dezimiert und degradiert worden ist, hat keinen Platz mehr in diesem Projekt. Kein Wunder, dass sich auf den Demonstrationen im Süden und Osten nach dem Februar-Putsch die Parole: „Gegen den Faschismus - gegen die Oligarchen!“ schnell ausbreitete. Auch wenn die politische Orientierung dennoch bei vielen der TeilnehmerInnen - fast ausschließlich ArbeiterInnen, Arbeitslose, RenterInnen und Jugendliche - sehr heterogen war, war diese Bewegung nie von bürgerlichen Parteien beherrscht wie es der Maidan von Beginn an war.

Diese anti-oligarchische Ausrichtung drückt sich auch in verschiedenen Dokumenten der neuen Volksrepubliken aus, die sich für gemeinnützige Wirtschaft, demokratische Kontrolle und ähnliche Vorstellungen aussprechen. Sie bezeugen, dass es sich dort nicht um marxistische Revolutionäre handelt, die sie verfasst haben, die aber durchaus die Suche nach einer Alternative zu kapitalistischer Überausbeutung und Perspektivlosigkeit weisen.

Klare Worte spricht auch der Vorsitzende der Unabhängigen Bergarbeitergewerkschaft von Donezk:

“Liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Freunde! Brüder Bergarbeiter!

Zunächst müssen wir Euch den wahren Stand der Dinge im Donbass nahebringen. In fast allen EU- Massenmedien wird das tatsächliche Bild dessen, was dort vor sich geht, entstellt oder verschwiegen. Wir verstehen, dass es für Euch schwierig ist, die richtigen Schlussfolgerungen zu ziehen und erklären deshalb: Wir, die Werktätigen des Donbass sind gezwungen, mit der Waffe in der Hand für das Leben selbst - im Sinne des Überlebens - zu kämpfen!

Unser Interesse ist nur ein einziges: das Blutvergießen zu beenden! Zu einem Kriegsende wird es nur durch eine Verurteilung der Kriegsverbrecher kommen, die ihn entfesselt haben. Wir können nicht aufgeben und den Kampf niederlegen, denn das würde in der Tat unsere völlige moralische und physische Vernichtung bedeuten! Der „Euro-Maidan“ befand sich von Anfang an unter Kontrolle der Großbourgeoisie, sogenannter „Oligarchen“ und ihrer ausländischen Herren. Im Februar wurde ein Staatsstreich mit der aktiven Teilnahme verschiedenster Neonazi-Organisationen in der Ukraine vollzogen.

Die als Antwort darauf entstandene Protestbewegung im Südosten verbreitete dagegen vom ersten Tag an vergleichsweise „harmlose“ Ziele wie die Föderalisierung und die Erhaltung des Russischen als zweiter Amtssprache.Ihr wurde mit Terror begegnet.

Im Donbass ist ein richtiger Krieg im Gange, in dem friedfertige Menschen aus den Gebieten von Donezk und Lugansk sterben: alte Menschen, Frauen und viele unschuldige Kinder.

Man belügt Euch, indem man Euch glauben macht, das sei ein Krieg der Ukraine gegen Russland. Das ist nicht wahr!

In diesem Krieg steht auf der einen Seite die Bevölkerung, das Volk, und auf der anderen eine Handvoll „Oligarchen“, an der Macht gehalten von der EU und den USA.

Die Tragödie der Ukraine besteht darin, dass es dem Abschaum, der an der Macht war, gelungen ist, mit seinen nationalistisch- faschistischen Ideen weite Teile der Bevölkerung zu vergiften, insbesondere in den drei westlichen Landesteilen.

Wir, die Werktätigen des Donbass kämpfen gegen jegliches Aufkeimen von Nationalismus und Faschismus. Wir kämpfen mit der Waffe in der Hand um unser Leben und das unserer Angehörigen und Freunde. Wir können nicht irgendwohin außer Landes gehen - das ist unsere Erde, auf der wir leben und arbeiten!

Wir wenden uns an Euch, Werktätige europäischer Länder, mit der Bitte um solidarische Unterstützung: Helft uns, das nationalistisch-faschistische Bollwerk in der Ukraine zu zerschlagen! Das wird unser gemeinsamer Sieg!

Michail Aleksejewitsch Krylov

Vorsitzender der unabhängigen Gewerkschaft der Bergarbeiter in Donezk”

In der Tat mischen auch viele Akteure im Osten mit, die panslawistische, großrussische oder andere nationalistische oder reaktionäre Vorstellungen haben. Aber auch mit diesen falschen Ideen stehen sie auf der richtigen Seite der Barrikade. Im Unterschied zu vielen angeblichen Linken, die sich Kiew unterstützen oder glauben, sich neutral verhalten zu können mit der Formel, „Die linken Kräfte in der Ukraine unterstützen.“

Diesen schrieb Trotzki schon vor Jahrzehnten ins Stammbuch: „Der Sektierer ignoriert einfach, dass der nationale Kampf, als eine der verworrensten und unübersichtlichsten, aber zugleich äußerst wichtigen Formen des Klassenkampfes, nicht allein durch den Verweis auf die künftige Weltrevolution entschieden werden kann.“

Andererseits gibt es linke Kräfte, die eine Lostrennung der neuen Volksrepubliken und einen Anschluss an Russland befürworten. In der Tat hat die Bevölkerung des Ostens dazu jedes Recht und jeder Angriff der Kiewer bestärkt dieses Recht.

Die Hoffnung Vieler auf staatliche russische Unterstützung hat sich trügerisch erwiesen. Sie bestand bislang vorrangig in der Duldung privater Aktivitäten, anders als die westliche Propaganda behauptet. Der Grund ist die anti-oligarchischen Ausrichtung der Bewegung. Das ist das Letzte, was Putin und seine Oligarchen-Clique in Russland haben will.

Eine Anbindung an Russland würde nicht zur Befreiung der Ostukraine, sondern zur Versklavung unter dem Regime Putins führen und der Kiewer Regierung erlauben, sich als Kämpfer gegen den großrussischen Chauvinismus hinzustellen und die Ängste der westukrainischen Bevölkerung zur Stärkung ihre eigenen Herrschaft nutzen.

Ein Wegbrechen der Ostukraine würde die Bevölkerung im Westen umso mehr der Willkür der Regierung und ihrer faschistischen Kettenhunde ausliefern. Das Massaker von Odessa, aber auch die völlig straflose Zerschlagung einer Konferenz des Ukrainischen Gewerkschaftsverbandes durch Faschisten am 26. Juni zeigt, wo es lang geht.

Deshalb schlagen wir vor, dass alle Kräfte in der Ukraine, die sich auf die Arbeiterbewegung berufen, gemeinsam für ein Programm von sozialen und demokratischen Forderungen eintreten. Das geht nicht ohne die Forderung nach einem sofortigen Stopp der Kampfhandlungen durch das Kiewer Regime und seine Handlanger und ausländischen Unterstützer!

Gegen die Unterstützung des rechten Regimes in der Ukraine durch die westlichen Regierungen!

Gegen die geplanten NATO-Manöver in der Ukraine!

Keine Illusionen in Putin und den russischen Imperialismus!

Bringt die Mörder des Massakers in Odessa am 2. Mai vor Gericht!

Gegen die Angriffe auf die demokratischen Rechte und gegen die Unterdrückung linker Organisationen!

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Nr. 192, September 2014
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