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Wahlen in Belgien, Ungarn und Den Niederlanden

Stoppt den Vormarsch der Rechten in Europa!

Theo Tiger, Neue Internationale 151, Juli/August 2010

Anfang April gewann die rechtskonservative FIDESZ (Bund junger Demokraten) deutlich mit über 52 % die Parlamentswahlen in Ungarn, auch die Abspaltung der FIDESZ, die rechtsextreme Jobbik konnte mit 16 % ein Rekordergebnis einfahren. Dieser Wahlerfolg ging vor allem auf Kosten der ehemaligen Regierungspartei, der sozialdemokratischen MSZP, die mit ihrem Ergebnis von 19% mehr als die Hälfte ihrer Stimmen verlor.

Dieses Erstarken der rechtspopulistischen und rechtsextremen Parteien setzte sich dann im Juni in Belgien und den Niederlanden fort. In Belgien gewann in Flandern die rechtpopulistische und separatistische Allianz N-VA über 30% und ist damit stärkste Partei im belgischen Parlament, obwohl sie im französischsprachigen Wallonien über keine Schwesterpartei verfügt. In Flandern trat auch der rechtsextreme Vlaams Belang an (ehemalig Vlaams Blok), welcher zwar durch den Antritt der N-VA Stimmenverluste ein fuhr, aber immer noch 12% der Stimmen bekam.

Niederlande

In den Niederlanden wurde dann die dortige große Koalition aus Christdemokraten (CDA) und den Sozialdemokraten (PvdA) abgewählt - Gewinner der Wahlen waren die Rechtsliberalen VVD, die neue stärkste Partei im Parlament sind und die rechtspopulistische PVV des Rassisten Wilders, die jetzt drittstärkste Kraft sind (hinter der PvdA).

Seit Beginn der Weltwirtschaftskrise gewinnen allzu offen rechtsliberale (oder neo-liberale) Kräfte bei den Wahlen. Die Wahlergebnisse in Ungarn, Belgien und den Niederlanden zeigen zudem den Anstieg rechtpopulistischer und rassistischer Kräfte auf.

Wie ist das zu erklären? Die Krise polarisiert die Gesellschaft. So lässt sich erklären, warum Parteien wie die VVD (oder bei den Bundestagswahlen die FDP) massiv Zulauf erhalten können, obwohl sie besonders radikal eine Wirtschaftsdoktrin vertreten, die die Krisentendenzen des Kapitalismus verschärft hat. Ihnen ist bewusst, dass die gesellschaftlichen Problem für die herrschenden Klassen gelöst werden können, wenn die Lohnabhängigen noch mehr zum Zahlen gezwungen werden.

In der Wirtschaftskrise hat in vielen europäischen Ländern zudem ein Rechtsruck stattgefunden. Neben rassistischer Hetze gegen den Islam, welche seit 2001 unter dem Vorzeichen der imperialistischen Kriege stattfindet, wird auch die soziale Hetze weiter verstärkt. Dabei gibt es verschiedene Abstufungen in der Hetze, von offen rassistischer und antisemitischer Hetze in Ungarn und der Slowakei bspw. bis zur Hetze gegen die Hartz4 Empfänger in Deutschland vom Vizekanzler Westerwelle.

Die Wahlerfolge der rechtsliberalen, rechtspopulistischen und rechtsextremen Parteien müssen im Kontext der verschärfenden ökonomischen Krise und Konkurrenz gesehen werden, wie auch im Versagen der reformistischen Bürokratien der Parteien und Gewerkschaften der Arbeiterbewegung. Die politische Schwäche der organisierten Arbeiterbewegung ist ein entscheidender Grund für das Erstarken der Rechten in Europa.

Den Rechten Tür und Tor geöffnet

Für MarxistInnen ist es entscheidend, welche Klassenkräfte hinter den Rechten stehen und welche politischen und ökonomischen Verhältnisse und Zwänge auf die Klassen wirken.

Wenn wir obige Phänomene - Erfolge aggressiver, anti-proletarischer, liberaler oder neo-liberaler Parteien und das Erstarken von rechten Populisten, Rassistischen und auch Faschisten - analysieren, so haben wir es mit zwei, wenn auch miteinander verbunden Phänomen zu tun.

Die neo-liberalen Parteien wie VVD oder FDP bringen den wachsenden Druck von Teilen der herrschenden Klasse aus, die Arbeiterklasse „frontal“ anzugreifen und mehr und mehr auf das alte System der Sozialpartnerschaft zu verzichten. Ihr Mittel ist eine aggressiver Politik von Staat und Unternehmerverbänden.

Die rechten Kräfte in ihrer ganzen Spannbreite (vom Populismus bis zum Faschismus) ziehen ihre politische Basis aus dem Kleinbürgertum, den Mittelschichten und politische rückständigeren Teilen der Arbeiterklasse. Diese Klassen bzw. Schichten sind von der Krise besonders hart betroffen. Sie sind gewissermaßen eingekeilt zwischen den Hauptklassen der Gesellschaft. Ihnen droht der Ruin oder der massive Abstieg in der kapitalistischen Konkurrenz. Andererseits vermag es in den meisten Ländern die organisierte, von den reformistischen Parteien und Gewerkschaften dominierte Arbeiterbewegung nicht, diesen Schichten eine Perspektive zu weisen.

In sich sind das Kleinbürgertum und die Mittelschichten stark heterogen, während höhere Schichten den Anschluss an die Bourgeoisie erheischen wollen, stehen die unteren und mehrheitlichen Schichten dem Proletariat und seinen Interessen nahe. Durch diese Heterogenität ist das Kleinbürgertum nicht in der Lage eine eigenständige Klassenpolitik zu entwickeln.

Die extremen Rechten verbinden daher eine aggressive und imperialistische politische Doktrin mit Rassismus und nationalistischer Hetze nach innen. Vor allem aber setzen sie - anders als die „respektablen, etablierten bürgerlichen liberalen Kräfte - auch auf die Mobilisierung auf der Straße. Mit rassistischen Kampagnen oder - im Fall der Faschisten mit direkten Attacken auf Flüchtlingen, nationale und ethnische Minderheiten wie die Roma, auf Anti-Semitismus und auch auf Angriffe auf Gewerkschaften und andere Arbeiterorganisationen. In Ungarn etwa richtet sich der Jobbik-Mob auch gegen die „sozialistische“ MSZP.

Die Rolle der Reformisten

Das in vielen Ländern dramatische Anwachsen dieser Kräfte wäre aber unerklärlich ohne die verheerende Politik der offiziellen Arbeiterbewegung, der reformistischen Gewerkschaften und Parteien. Besonders die Politik der reformistischen, bürgerlichen Arbeiterparteien hat im letzten Jahrzehnt breite Teile, die unteren Teile des Kleinbürgertums verstoßen - die Politik einer MSZP, einer Labour Party, der SPD oder SPÖ waren an den Interessen des Großkapitals ausgerichtet, damit verstießen sie nicht nur Millionen Wähler aus dem Proletariat, sondern auch große Teile des Kleinbürgertums.  Gleichzeitig betrieben auch die bürgerlichen Arbeiterparteien eine nationalistische Standortpolitik, waren Teil der rassistischen antiislamischen Hetze und forcierten durch verschiedenste Sozialkürzungen die soziale Hetze und Spaltung - diese Politik hat den Rechten Tür und Tor geöffnet.

Hinzu kommt, dass sich die großen Gewerkschaften nicht nur eng an die Politik „ihrer“ sozialdemokratischen Parteien anpassten. Sie haben zudem auch in vielen Fällen bewusst eine Politik vertreten, die sich an immer kleineren, arbeiteraristokratischen „Kern“schichten der Klasse ausrichtet und auf ernsthafte Organisierungsversuche, politische oder auch gewerkschaftliche Vertretung der Arbeitslosen, aber auch großer Teile der ZeitarbeiterInnen, der befristet beschäftigten usw. wenn schon nicht in Worten, so doch in der täglichen Praxis verzichtet.

Eine solche Politik führt unwillkürlich zu einer immer größeren Entfremdung dieser Schichten der Arbeiterklasse von der organisierten Arbeiterbewegung - und damit auch dazu, dass diese klein-bürgerlichen rassistischen oder nationalistischen Ideologen auf den Leim gehen.

Die verschiedenen neuen und alten rechten Formationen haben zwei Hauptthemen, zum einen die Stärkung der nationalen Wirtschaft (gern „Leistungsträger“ genannt) und zum anderen rassistische und soziale Hetze gegen MigrantInnen und Arbeitslose. In der Wirtschaftspolitik greifen sie, nach klassisch liberalen Mustern den Staat an, wollen den Staatshaushalt auf ein Minimum beschränken und den Unternehmen weitere Steuererleichterungen zuschanzen, getreu der deutschen FDP-“Leistung muss sich wieder lohnen“.

Die „Krisenlösung“ der Rechten

So ist die niederländische VVD ein Musterbeispiel in der Verfolgung der Interessen des Großkapitals, schon in vorherigen Koalitionen mit den Christdemokraten hat die VVD massive Sozialkürzungen und Stellenabbau im öffentlichen Dienst durchgesetzt, auch in Fragen der Hetze gegen MigrantInnen stehen sie der PVV wenig nach.

In dem diese Parteien das Kleinbürgertum auf eine nationalistische kapitalistische Politik einschwören, bieten sie dem Großkapital die Basis für einen Angriff auf die sozialen Errungenschaften und Rechte der Arbeiterbewegung. Nur so können die oberen Teile des Kleinbürgertums ihre Interessen durchsetzen, an der Seite des Großkapitals.

So wie das Großkapital selbst nun gezwungen ist zum verstärkten Angriff auf die Arbeiterklasse überzugehen, so brauchen sie auch die Verbündeten im Kleinbürgertum, brauchen eine radikalisierte Basis für den Angriff auf die Arbeiterklasse.

Wie das in fortgeschrittener Form aussieht zeigen die ungarischen und slowakischen Faschisten. In Ungarn hat die Jobbik die Magyar Garda, die ungarische Garde gegründet (wenn auch im letzten Jahr wieder aufgelöst). Diese Garde erinnerte nicht nur in ihrem Erscheinungsbild der NS Organisation „Pfeilkreuzer“ während des 2.WK, sie übernahm auch die Aufgaben einer faschistischen Miliz. Anschläge und Pogrome gegen die Minderheit der Roma in Ungarn und Hetze und Gewalt gegen jede Art von „Sozialisten“ oder Linken. Aber auch diese Entwicklung ist nicht auf Osteuropa beschränkt, in Italien dürfen schon lange rechtsextreme und faschistische Parteien unter Berlusconi mit regieren, diese riefen dann auch 2009 zur Gründung von sog. „Bürgerwehren“ auf, welche gegen „kriminelle“ und „illegale“ MigrantInnen vorgehen sollte.

Was tun?

Diese Entwicklung ist bekannt in der europäischen Geschichte. Das Großkapital baut kleinbürgerliche faschistische Parteien und Bewegungen auf, um die Arbeiterbewegung und ihre Organisationen zu zerschlagen, dadurch kann das nationale Großkapital seine Stellung in der imperialistischen Konkurrenz stärken. In diesem Stadium sind wir in Europa zwar noch lange nicht. Noch verfügt die Arbeiterbewegung über starke Organisationen, noch sind Millionen in der Lage sich dieser nationalistischen Entwicklung entgegen zustellen.

Doch dazu brauchen wir mehr als kleinbürgerlichen Antifaschismus und reformistischen Pazifismus, dazu brauchen wir die antifaschistische Einheitsfront aller Organisationen der Klasse.

Eine „Einheitsfront“ aufzubauen bedeutet mehr als gemeinsame Demonstrationen oder Aufrufe gegen Nazi Demos oder Veranstaltungen, eine antifaschistische Einheitsfront hat zum Ziel die Interessen der Arbeiterbewegung gegen die Interessen des Kapitals, des Staates und gegen deren faschistische Handlanger zu verteidigen - nicht nur in Worten, sondern praktisch!

Das bedeutet Massenmobilisierungen und Blockaden zur Verhinderung von rechten und nazistischen Ausmärschen. Dies bedeutet den Aufbau von Selbstverteidigungsorganen der Klasse zum Schutz von linken und gewerkschaftlichen Gruppen und Veranstaltungen. Gerade in Deutschland sahen wir die letzten Jahre verstärkte Angriffe von Faschisten auf die Arbeiterbewegung, dagegen helfen keine isolierten „Antifa“ Aktionen, sondern nur ein breites militantes Bündnis der Klasse und der Jugend!

In den europäischen Staaten ist es nun entscheidend, dass die politischen und gewerkschaftlichen Organisationen der Arbeiterklasse gemeinsame Bündnisse aufbauen, den Schulterschluss mit MigrantInnen Organisationen suchen und mit der standortnationalistischen und rassistischen Politik der reformistischen Bürokratie brechen.

Das darf jedoch nicht bedeuten, den antifaschistischen Kampf ohne die reformistischen Massen und ihre Organisationen zu führen - im Gegenteil. Die Fehler einer verfehlten, sektiererischen Einheitsfrontpolitik haben die Völker Europas, ja der Welt und speziell die deutsche und italienische Arbeiterbewegung in den 20 & 30iger Jahren teuer bezahlen müssen. Eine Einheitsfront muss alle Organisationen und Teile der Klasse integrieren, muss dafür auch die reformistischen und bürokratischen Führungen unter Druck setzen und ein Bündnis auf Grundlage von Aktionen gegen Kapital, Staat und Faschisten aufbauen.

Antifaschismus und Einheitsfront sind kein Selbstzweck klandestiner oder bürokratischer Organisationen - die Einheitsfront ist das Mittel zur gemeinsamen Mobilisierung gegen den Gegner der Arbeiterklasse - seien es Unternehmer, Staat oder Nazis. Sie ist ein Mittel, um Organisiertheit, Kampfkraft, Selbstvertrauen und Bewusstsein der Massen in der Aktion weiter zu entwickeln. Und so ist auch ein Mittel, wie die große Masse der Arbeiterklasse im Kampf selbst von der Untauglichkeit der reformistischen und gewerkschaftlichen Führung zunehmend überzeugt werden kann.

Gerade in der aktuellen Weltwirtschaftskrise und den aufkommenden rechten Organisationen ist die Theorie und Praxis der Einheitsfront wichtig für die internationale Arbeiterklasse. Bei den anstehenden Angriffen von Kapital und Staat muss die Klasse gemeinsamen Widerstand aufbauen, muss in diesen Kämpfen die politische Führung von Reformisten und Bürokraten abschütteln und für eine revolutionäre Perspektive kämpfen!

Trotzki schrieb zu der grundsätzlichen Rolle der Einheitsfront (in 5 Jahre Komintern, zitiert in “Was nun“) : „Das Problem der Einheitsfront ergibt sich aus der Notwendigkeit, ungeachtet der aktuell unvermeidlichen Spaltung der politischen Organisationen, die sich auf die Arbeiterklasse stützen, dieser die Möglichkeit der Einheitsfront im Kampfe gegen die Kapitalisten zu sichern. Wer diese Aufgabe nicht begreift, für den ist die Partei eine Propagandagesellschaft und nicht eine Organisation der Massenaktionen.“

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Nr. 151, Juli/Aug. 2010
*  Politische Lage: Regieren in der Krise
*  Heile Welt
*  Krisenfolgen: Kommunaler Kollaps
*  Alternative: Gewerkschaftsbürokratie fordert Ausschluss
*  Protest gegen Stuttgart 21: Oben bleiben!
*  6.-8. August: Bildungsstreikkonferenz
*  NRW und die Politik der Linkspartei: Bock oder Gärtner?
*  Frauenunterdrückung und Hausarbeit: Aschenputtels Arbeit
*  Kolonialpolitik: Weisse Herrinnen
*  China: Ein neuer Imperialismus
*  Europäisches Sozialforum: Verwesung oder Genesung?
*  Wahlen in Belgien, Ungarn und den Niederlanden: Stoppt den Vormarsch der Rechten in Europa!