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Kolonialpolitik

Weisse Herrinnen

Ninjana Berger, Neue Internationale 151, Juli/August 2010

Deutschland schaute wochenlang nach Afrika - zur WM. Doch kaum ein Gedanke oder ein Medienbeitrag war darauf gerichtet, dass die südliche Hemisphäre, dass die ehemaligen Kolonien Europas noch heute von Hunger, Kriegen, Analphabetismus, Arbeitslosigkeit, Umweltzerstörung und Ressourcenplünderung geplagt sind.

Die Folgen jahrhundertlanger kolonialer Unterdrückung gelten den Ideologen des Westens nicht als Resultat ihrer Herrschaft und der Krisen des Kapitalismus. Vielmehr werden diese bis heute als Beleg „natürlicher“ Überlegenheit des Westens herangezogen, als Resultat der „rassischen“ Minderwertigkeit der Schwarzen oder wenigstens als Mangel an Zivilisiertheit hingestellt, die es unter wohltägig-strenger Kontrolle der westlichen Wertegemeinschaft zu erreichen gelte.

Warum dieses Thema?

Kolonisation war Männersache, sagen die Geschichtsbücher. Die Deutsche Kolonisation kommt im Allgemeinen als vernachlässigter Punkt bei der Geschichtsschreibung vor. Es gab nur wenige Kolonien und diese wurden ab 1884 „in Besitz genommen“. Ein weiterer Aspekt, die deutsche Kolonialgeschichte im Geschichtsunterricht mit zwei Sätzen zu behandeln, ist die Verharmlosung der Herrschaft der deutschen „Herrenmenschen“ in „ihren“ Kolonien gegenüber der Schreckensherrschaft des Faschismus als vermeintlich kleineres Übel. So kommt z.B. der Völkermord an den Hereros, wenn überhaupt, in den Geschichtsbüchern nur am Rande vor.

Geschlechtsneutrale Kolonisation?

Frauen in den ehemaligen Kolonien haben geringere Bildungschancen, eine höhere Analphabetenquote, bekommen geringere Löhne. V.a. Frauen gehören zum am stärksten ausgebeuteten Teil der Lohnabhängigen für die Konzerne. Frauen wurden im Zuge der Kolonisation aus der Landwirtschaft, ihrer ureigenen Domäne, verdrängt. Und Landlosigkeit bedeutet Armut.

Bei der Zerschlagung der alten sozialen Systeme wurden ihnen weiterhin ihre Verfügung über ihre Gebärfähigkeit und ihre Sexualität geraubt. Ohne Zugang zu Verhütungsmitteln und ohne Kenntnis der traditionellen Methoden der Geburtenkontrolle wurden sie zu Sklavinnen und Gebärmaschinen degradiert.

Frauen arbeiten länger als Männer, neben bezahlter Lohnarbeit vermehrt im Subsistenzsektor. Sie verrichten den größten Teil der nicht bezahlten Haus- und Familienarbeit, die in „Entwicklungsländern“ besonders schwer, zeitraubend und kräftezehrend ist. Weiterhin leiden diese Frauen unter einer verglichen mit den Männern schlechteren Ernährung und - durch doppelte Arbeitsbelastung und hohe Kinderzahl - einem schlechterem Gesundheitszustand, der sich auch in der Vernachlässigung von Töchtern in Bezug auf deren Ernährung und Gesundheitssituation widerspiegelt. Die kapitalistischen Krise verschärft diese Auswirkungen noch.

Frauen als Kolonistinnen

Auch Frauen waren an der Kolonisation beteiligt. Sie waren nicht weniger gierig, brutal und rassistisch als die Männer. Die Bedeutung von Isabella von Spanien für die spanische Konquista oder von Elisabeth I. für den Sklavenhandel sind bekannt. 10 Millionen Menschen wurden dabei unter grauenvollsten Bedingungen verschleppt, davon ein Drittel Frauen. Diese „Beschaffung“ von Arbeitskräften war eine wichtige Grundlage für den Aufschwung des Kapitalismus in Europa und Amerika.

Wenig bekannt ist, dass bereits auf Columbus´ dritter Reise 30 Frauen mit dabei waren. Auch unter den Sklavenhändlern gab es Frauen, die sich skrupellos am blutigen Geschäft bereicherten. Sklavinnen wurden gebraucht, zu sexuellen Diensten bei der Überfahrt, als Gesellschaft für die Männer, als Arbeitskraft und zur sexuellen Ausbeutung auf den Plantagen. Nachdem es anfangs günstiger schien, „neue“ Sklavinnen zu kaufen, kam man schnell darauf, den Faktor „Zucht“ zu kalkulieren, d.h. die Frauen wurden nun als Gebärmaschinen anderen Sklaven zugeteilt, um ihre BesitzerInnen kontinuierlich mit Arbeitskräften zu versorgen.

Auch wenn nur wenige Sklavenbesitzerinnen namentlich Eingang in die Geschichte gefunden haben, so ist ihr Ruf, der ihnen nachhallt, oft grausamer und herzloser als ihre Ehemänner gewesen zu sein. Ob als Ehefrau, selber Plantagenbesitzerin oder -erbin, ob als Helferin, bei der Kranken- oder Verwundetenpflege, ob im sich etablierenden Bordellwesen oder selbst in kriegerischen Auseinandersetzungen - europäische Frauen waren überall mit von der Partie.

Ein Grund, der diese Entwicklung zweifellos begünstigte, war die Tatsache, dass die weißen Frauen in den Kolonien meist weit mehr Ansehen, Rechte und Besitz hatten als in der alten Heimat.

In der Rolle der Frauen in der Kolonialpolitik zeigt sich ein allgemeines Wesen der imperialistischen Epoche: die systematische und bewusste Einbindung auch der unterdrückten Klassen und Schichten der „Herrennation“ in eine weltumspannende imperialistische Ausbeutungsordnung. Das beinhaltet z.B. auch Zugeständnisse an die Arbeiteraristokratie in den imperialistischen Zentren.

Die „Deutsche Familie“

Wenn die kolonialisierten Völker dauerhaft von Macht, Herrschaft, Reichtum und Einfluss ausgeschlossen werden sollten, bedurfte es einer Ausschlussideologie. Dazu eignete sich nichts besser als das Konstrukt der „Rasse“.

Es reichte allerdings nicht, einfach nur „weiß“ zu sein. Die Voraussetzung für Teilhabe an der herrschenden Gesellschaft war, „weiß und deutsch“ zu sein. Darauf wurde Wert gelegt, gab es doch durch das Anwachsen der „Mischlingsbevölkerung“ für ehelich geborene Kinder von deutschen Männern und Frauen aus Kolonialvölkern automatisch die deutsche Staatsbürgerschaft mit bürgerlichen Rechten.

Diese Vorstellung ging zu weit und so wurde das „Mischehenverbot“ erlassen. Weiter sollte die tatsächlich so benannte „Verkafferung“ durch ein ausreichendes Angebot an weißen deutschen Frauen verhindert werden.

Die ersten unverheirateten weißen deutschen Frauen, die über das Fraueneinwanderungsprogramm der „Deutschen Kolonialgesellschaft“ 1898 nach „Deutsch-Südwestafrika“ kamen, waren innerhalb kürzester Zeit verheiratet. Voraussetzung zur Teilhabe an der Kolonialherrschaft war die „ebenblütige“ Verbindung.

Die Attraktivität des Aufenthaltes in den Kolonien machte für die Kolonialfrauen eine erhebliche Aufwertung ihres bisherigen Status´ aus. Frauen, die so vermittelt wurden, waren meist Dienstmädchen oder Mädchen aus ländlichen Gebieten, aber auch Arbeiterinnen im Alter zwischen 20 und 35. Durch die Heirat stiegen sie zur Farmersgattin auf. In Berichten deutscher Frauen findet sich ihr Selbstverständnis, „...hier hat die deutsche Frau Gelegenheit, auf ihrem eigensten Gebiet, auf dem der Hausfrau und Mutter, mitzuarbeiten. Nirgends spielt die Hauswirtschaft eine größere Rolle als in einem solchem neuen Siedlungsland.“ Und „wohl nirgends sonst in der Welt wird uns deutschen Frauen von den Herren der Schöpfung soviel Verehrung entgegengebracht wie gerade in unseren Kolonien“. (zit. nach Mamozai AfricAvenir Dialogforum Berlin, 2006)

Worin sich die „Teilhabe“ manifestierte, sei dahingestellt. Kolonialpolitische Entscheidungen waren es jedenfalls nicht. Leitende Farmwirtschaftsfrauen hatten nur bei Nicht(-mehr)vorhandensein eines Mannes ein Stimmrecht. Also keine reale Macht, stattdessen künstliche Aufwertung im eigenen Selbstverständnis und diese in Abgrenzung gegenüber der kolonialisierten Bevölkerung.

Das Leitbild und Ideal der guten deutschen christlichen Hausfrau, der Status als Hüterin der Kultur waren schlicht und ergreifend der angedachte Ausgleich für Unterwürfigkeit dem Manne gegenüber. Doch gerade diese nie gekannte Pseudoaufwertung und die bis dato ungewohnte gesellschaftliche Anerkennung brachte bei den Frauen glühenden Nationalismus und äußerste Loyalität zum Vorschein.

Im Allgemeinem blieb es bei einem spezifisch weiblichen Rassismus, der sich aus der Internalisierung patriarchaler Strukturen, den Werten der männerdominierten christlichen abendländischen Kultur und der fraglosen Übernahme des zum Zwecke der Legitimation von Ausbeutung und Unterdrückung entwickelten Rassismsu speiste.

Die „Überlegenheit der eigenen Kultur“ war seit den Tagen der Konquista das gängige Argument für Eroberung, Ausbeutung und Unterdrückung. Dazu gesellte sich noch eine spezifisch weibliche Variante dieser rassistischen Überlegenheitsphilosophie. Ihr Bessersein manifestiert sich in der rigorosen Entwertung ihres Gegenübers, besonders in Bezug auf die „anderen“ Frauen.

Als tragende Legitimation diente die Haushaltsführung der deutschen Hausfrau. Alles, was diesem Idealbild nicht entsprach, wurde grundsätzlich entwertet. Weiter wurden die kolonialisierten Frauen aufgrund von stigmatisierenden Zuschreibungen entwürdigt. Sie wurden als stinkend und schmutzig diffamiert und obendrein ihrer schwarzen Haut wegen beschimpft. Diese rassistischen Attribute transportierten sich quer über die Kontinente und fielen in der angestammten Heimat auf fruchtbaren Boden. So galten schwarze Frauen per se als hässlich.

Verglichen mit den pedantischen hauswirtschaftlichen Fähigkeiten der deutschen Frau, die ihre Kenntnisse als allgemeingültig betrachtete, waren die Fähigkeiten der Afrikanerinnen komplett andere. Dieser Unterschied wurde als Mangel, als Intelligenzdefizit der schwarzen Frau gewertet.

Weitere Attribute wie Heimtücke, Verlogenheit oder Affinität zum Diebstahl waren Ergebnis der Scheinmoral der Kolonialgesellschaft in Verkennung und Verleugnung der Realität. Die EuropäerInnen waren in fremde Länder eingedrungen, hatten Menschen, Land, Vieh und Bodenschätze geraubt, hatten versklavt und gemordet.

Rassismus

Die Grundhaltung der guten weißen deutschen Hausfrau konnte sich widerspruchslos in Nazideutschland fortsetzen und ist auch heute nicht vergessen. Die rassistischen Muster waren erfolgreich erprobt und brauchten nur um einige Kategorien erweitert zu werden: neben „Herren“- und „Untermenschen“, „Kanaken“, „Hottentotten“ und „Kaffern“ gab es dann auch Juden, Sinti, Roma, Slawen usw.

Auch aktuell stellen uns die Herrschenden ein breit gefächertes „Reservoir“ an „ausgrenzungswürdigen“ Gruppen zur Verfügung: die „Nichtleistungsträger“ der kapitalistischen Ordnung, alle, die anders denken, reden, beten, leben, als es der christlich-abendländischen Kultur verpflichtend ist. Wenn „alternativlos“ Kürzungen und Einschnitte ins soziale Gefüge vermittelt werden, braucht es mehr denn je rassistische Rechtfertigungs- und Spaltungsideologien.

Natürlich soll auch für Frauen wieder ein Plätzchen dabei sein. Das sieht etwas anders aus als noch vor 70 oder 100 Jahren, dennoch schreibt es Rollenbilder fest und zwingt Frauen in ideologische Korsette.

Die nationalistische und rassistische Durchdringung der Bevölkerung ist kein Zwangsgesetz. Die kapitalistische Krise greift auch die Integration aller Schichten der Lohnabhängigen, aller Ausgebeuteten und Unterdrückten an. Sie liefert damit auch eine Grundlage für einen gemeinsamen Kampf über ethnische und nationale Grenzen hinweg.

Aber die Geschichte der Kolonisation wie auch die Rolle, die deutsche Frauen im Kolonialsystem spielten, zeigt deutlich, dass die ideologische Einbindung von der Teilen der unterdrückten Klassen nicht spontan durchbrochen wird. Es bedarf vielmehr eines bewussten Kampf gegen den Rassismus auch in der Arbeiterklasse, gerade auch der „Herrennation“.

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Nr. 151, Juli/Aug. 2010
*  Politische Lage: Regieren in der Krise
*  Heile Welt
*  Krisenfolgen: Kommunaler Kollaps
*  Alternative: Gewerkschaftsbürokratie fordert Ausschluss
*  Protest gegen Stuttgart 21: Oben bleiben!
*  6.-8. August: Bildungsstreikkonferenz
*  NRW und die Politik der Linkspartei: Bock oder Gärtner?
*  Frauenunterdrückung und Hausarbeit: Aschenputtels Arbeit
*  Kolonialpolitik: Weisse Herrinnen
*  China: Ein neuer Imperialismus
*  Europäisches Sozialforum: Verwesung oder Genesung?
*  Wahlen in Belgien, Ungarn und den Niederlanden: Stoppt den Vormarsch der Rechten in Europa!