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Nordrhein-Westfalen

Die Landtagswahl und das Projekt Rot-Rot-Grün

Eugen Hardt, Neue Internationale 144, November 2009

Nach der Bundestagswahl erklärte Linksparteichef Lafontaine eine rot-rot-grüne Bundesratsmehrheit zum strategischen Ziel. Damals sah es noch so aus, als käme es in Thüringen und im Saarland zu rot-rot-grünen Koalitionen. Nachdem sich in Thüringen die SPD für die Fortsetzung neoliberaler Politik zusammen mit der CDU ausgesprochen hatte und im Saarland die Grünen eine Jamaikakoalition installierten, richtet sich nun die volle Aufmerksamkeit der Strategen der Linkspartei auf die Landtagswahl in NRW im kommenden Mai. Gelänge es, Rüttgers zu stürzen, wäre die schwarz-gelbe Bundesratsmehrheit geknackt und die wichtigsten marktradikalen Angriffe auf die Arbeiterklasse könnten blockiert werden, so der Traum der Linksparteistrategen.

„Arbeiterführer“ Rüttgers

Die schwarz-gelben Koalitionsverhandlungen standen ganz im Schatten der NRW-Wahl. Die Drohung des Verlustes nicht nur des größtes Bundeslandes sondern damit verbunden auch der für die geplante Politik des Angriffs auf die Arbeiterklasse vorteilhafte Bundesratsmehrheit, führte auch dazu, dass Schwarz-Gelb bis zur NRW-Wahl Kreide gefressen hat. Ausgerechnet ein Westerwelle erklärte, man habe alle diejenigen Lügen gestraft, die umfassende Umverteilungen von unten nach oben vorhergesagt hätten. Seehofer beteuerte, man wolle ganz auf soziale Kürzungen verzichten und „Arbeiterführer“ Rüttgers pries die Verbesserungen des Schonvermögens für 0,5% der BezieherInnen von Hartz IV.

Gleichwohl beschloss man weit reichende Steuergeschenke in Höhe von jährlich 24 Milliarden Euro ab 2011. Geschenke, die insbesondere dem Klientel der FDP zu Gute kommen. Angesichts von bereits getätigter Krisenhilfe ans Großkapital in dreistelliger Milliardenhöhe, Geld für Kurzarbeit zwecks Gewinns der Wahl (allein 17 Mrd. in 2010) sowie krisenbedingten Steuermindereinnahmen tut sich ein gigantisches Haushaltsdefizit auf, welches ohne die eigentlich vorgesehenen massiven Kürzungen der Ausgaben für Gesundheit und Soziales  nur durch eine gigantische Neuverschuldung finanziert werden kann.

Regierungsfähigkeit herstellen

Um die SPD-Führung zu einer Aufgabe ihres Ausgrenzungskurses zu bewegen, ließen Lafontaine und Gysi gleich nach der Wahl keinen Zweifel daran, dass sie kein Problem damit haben, ihre Regierungsfähigkeit zu beweisen. Entsprechend erklärte Gysi, dass die Linkspartei selbstverständlich den Lissabonvertrag akzeptieren wolle.Schließlich sei man ja für Europa, und die Forderung nach einem „sofortigen“ Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan und anderen Kriegsschauplätzen sei durchaus im Sinne Steinmeiers zu verstehen, dass man über ein Rückzugsszenario bis 2013 nachdenken müsse  - natürlich in voller Abstimmung und Zustimmung „unserer Verbündeten“, die man schließlich nicht im Stich lassen könne. Ihre sozialpolitische Zuverlässigkeit hat die Linkspartei bereits durch ihre neoliberale Politik in der Berliner Landesregierung beeindruckend unter Beweis gestellt.

Verantwortungsvolle Oppositionspolitik

Solche Anbiederungsversuche durch offenes Überbordwerfen weiterer Versprechungen ließ die SPD-Führung gleichwohl kalt. Schon den Bundestagswahlkampf hatte sie ohne erkennbare Machtperspektive geführt. Nachdem sie jedes Zusammengehen mit der Linkspartei auf Bundesebene kategorisch ausgeschlossen hatte, gab es für sie keine denkbare Koalitionsmöglichkeit mehr als eine große Koalition. Wer also SPD wählte, wählte eine Neuauflage der großen Koalition und ihrer Politik. Die Quittung folgte in Form eines desaströsen Wahlergebnisses. Aber auch das ließ die SPD-Spitze unbeeindruckt. Lieber geht man unter, als dass man bereit wäre, Schröders Agenda- und Steinmeiers Kriegspolitik zu ändern.

Steinmeier erklärte, die SPD-Bundestagsfraktion werde eine „verantwortungsbewusste“ Oppositionsarbeit durchführen. Damit meint er, dass er keinesfalls vorhat, die von ihm selbst befürwortete und durchgeführten neoliberalen Privatisierungen und Kürzungspolitik der Agenda 2010 zu ändern. Er sieht es als seine Aufgabe an, der verlängerte Arm der schwarz-gelben Regierung in der Opposition zu sein. Er wird alles daransetzen, dass es nicht zu einem rot-rot-grünen Oppositionsprojekt kommt.

Hinterzimmerrochade

Angesichts des historisch desaströsen Wahlergebnisses musste die SPD einen Teil ihres Führungspersonals austauschen - wollte sie doch eine offene Rebellion verhindern. Nachdem Steinbrück freiwillig ausschied, musste hauptsächlich Müntefering über die Klinge springen. Gabriel, der sich bereits im Wahlkampf ein grünes Profil zugelegt hatte, wurde im Verbund mit der „linken“ Nahles als neue Spitze installiert, obwohl er immer voll engagierter Befürworter Schröderscher Umverteilungspolitik war.

Die „Wahl“ dieser neuen Führung auf dem Parteitag im November ist sicher, nachdem Hinterzimmerkungelrunden ihren Beschluss von oben nach unten mit den jeweiligen „Entscheidungsträgern“ abgestimmt haben. Der Parteitag wird allein als Medienevent inszeniert, dessen Ergebnisse von Vornherein feststehen.

Die „linke“ Opposition, die sich aktuell auf einem „Ratschlag“ sammelt, ist chancenlos, fordert aber immerhin offen einen Bruch mit der Schröderschen Agendapolitik. Sie allein spricht jetzt offen aus, dass sie bereit ist, zusammen mit der Linkspartei einen rot-rot-grünen Oppositionsblock zu bilden. Sie steht den politischen Grundpositionen der Linkspartei weit näher als ihren neoliberalen Parteifreunden.

Aber selbst wenn es dem linken Flügel der SPD gelänge, sich in der Gesamtpartei durchzusetzen, könnte  jederzeit ein offener Verrat von Vertretern des rechten Flügels stattfinden nach dem Beispiel des hessischen Landesverbandes. Dort hatte mit Ypsilanti an der Spitze der linke Flügel die Mehrheit und setzte auf Rot-Rot-Grün um das verhasste Kochregime zu stürzen. Doch 4 rechte „Abweichler“ inszenierten einen offenen Verrat, stürzten Ypsilanti und verhalfen lieber Koch zur Macht als ein Bündnis mit der Linkspartei zu akzeptieren.

Lieber untergehen, als Sozialdemokrat sein

Als sich nach der Bundestagswahl die mediale Aufmerksamkeit auf die kommende NRW-Landtagswahl mitsamt einer möglichen Machtoption von Rot-Rot-Grün richtete, erklärte NRW-SPD-Chefin Kraft, sie könne nicht der Politik abschwören, für die sie 10 Jahre lang vehement eingetreten sei, auch wenn die Verluste der SPD wegen dieser Politik massiv seien. Außerdem würde man ihr einen solchen Schwenk gar nicht abnehmen. Damit erteilte sie einem Bündnis mit der Linkspartei eine klare Absage; es sei denn, diese würde sich der Agendapolitik anschließen.

Ihre Haltung ist kennzeichnend gerade für die SPD in ihrem Kernland. Nachdem die ökonomischen und politischen Spielräume für traditionelle Sozialpolitik im Interesse der Arbeiterklasse nicht mehr da waren, konzentrierte sich die SPD auf die so genannte neue Mitte, also auf besser verdienende Arbeiter der Großindustrie sowie kleinbürgerliche Schichten. Dadurch verlor sie in schnellem Tempo nicht nur die Unterstützung des in prekären Bedingungen lebenden Teils der Arbeiterklasse, sondern auch immer größerer Teile der „Normalverdiener“, die ihre Politik als das empfanden was sie ist: einen Angriff auf ihre soziale Lage.

Bereits bei der Kommunalwahl in diesem Jahr blieb insbesondere die ehemalige Stammwählerschaft der SPD zu Hause, ohne dass die Linkspartei davon nennenswert profitieren konnte. Zwar verlor die CDU am stärksten, doch auch die SPD büßte ein.

Bei der Bundestagswahl sank erneut die Wahlbeteiligung um 6,9% auf 71,4%. Sie war umso niedriger, je proletarischer ein Bezirk war. So betrug sie in Duisburg II 60,1% (-11,3%), in Essen II 63% (-9,7%), -15,2 in Dortmund II, -15,1% in Recklinghausen I oder -14,5% in Oberhausen.

Je katholischer und je ländlicher ein Bezirk war, umso höher die Wahlbeteiligung, bzw. desto geringer ihr Rückgang. Allerdings waren und sind das ohnehin Bastionen der CDU in NRW. Bundesweit verlor die SPD 2 Millionen Stimmen an Nichtwähler.

Obwohl die Linkspartei von der Schwäche der SPD profitieren konnte, blieben ihre größten Zugewinne in proletarischen Gebieten deutlich unter den SPD-Verlusten: 5,8% in Duisburg II, 5,3% in Recklinghausen I oder 5,1% in Herne.

Hoffnungsträger Linkspartei?

Die Zurückhaltung der SPD-Stammwähler bei der Wahl der Linkspartei erklärt sich zum einen aus einer gewissen Nibelungentreue der SPD gegenüber. Unterschwellig hofft man, dass sich vielleicht doch eine Besserung zum Guten ergeben wird, dass vielleicht am Ende die SPD Einsicht zeigt und zurückfindet zu einer Politik, die die Interessen der Arbeiterklasse im Auge hat.

Zum anderen versucht die Linkspartei nicht nur die alte SPD zu kopieren und an ihre Stelle zu treten; sie ist auch tatsächlich fast ebenso bürokratisch, ebenso abgehoben und ebenso parlamentarisch ausgerichtet. Sie tritt den Menschen fast nur bei Wahlen ins Blickfeld, bietet sich als bessere Stellvertreterpartei an. Gleichzeitig demonstriert sie allenthalben, dass sie „genauso ist wie alle anderen Parteien“ ist, dass man ihren Parolen und ihrem Programm nicht trauen kann, weil sie jederzeit ist, sich zu verbiegen und ihre Inhalte aufzugeben.

Überall dort, wo es Ansätze für Widerstand gibt, bei Privatisierungen, Betriebsschließungen oder bei lokalen Bündnissen gegen Sozialabbau, sieht man nur wenige ihrer AktivistInnen. Eigene Kampagnen oder Mobilisierungen ihrer Mitgliedschaft finden nicht statt, weil man befürchtet, in der „Öffentlichkeit“ als zu radikal zu erscheinen. Ihre gesamte Politik ist darauf ausgerichtet, alle paar Jahre einen zentral organisierten Wahlkampf zu führen und sich der SPD zu einem rot-rot-grünen Bündnis anzubieten.

Doch diese steht zur Schröderschen Agendapolitik und ist selbst bei Aussicht auf Machtübernahme oder angesichts des Absinkens in die Bedeutungslosigkeit bislang nicht an einer „anderen“ Politik interessiert.

Gleichzeitig ist der NRW-Landesverband der Linkspartei ideologisch relativ links aufgestellt und dem Parteitag im November liegt ein Landeswahlprogramm zur Beschlussfassung vor, welches laut Ansage der Linksparteiführung „überarbeitet“ werden muss. Gysi persönlich soll sich auf dem Parteitag darum kümmern. Immerhin fordert der Entwurf die Enteignung von E-On und RWE, Forderungen, die laut Rüttgers „die freiheitlich-demokratische Grundordnung bedrohen“.

Zu befürchten ist, dass die Linkspartei viele linke Forderungen ihres Programms aufgeben wird zugunsten der Vorgabe, nichts zu beschließen, was die SPD dazu bringen könnte, die Linkspartei für „nicht regierungsfähig“ zu halten und so das strategische Ziel „Rot-rot-grün“ zu gefährden. Ein möglicher Weg für die Linkspartei, dieses eigene Dilemma zu „lösen“ könnte auch darin bestehen, vergleichsweise radikale bundespolitische Forderungen zu erheben, die eine Landesregierung ohnehin nicht umsetzen könnte (z.B. Abzug der Truppen aus Afghanistan), während man für NRW die Differenzen möglichst gering hält. Wem aber nutzt ein solches Projekt, wenn sein Inhalt Agenda 2010 light ist?

Doch selbst wenn die LINKE auf ihrem Landesparteitag gegenüber Gysi „hart“ bleiben sollte, so darf das nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie gerade das nicht tut, was für eine angeblich „sozialistische“ oder linke Partei des Widerstands und des Protests notwendig wäre: Ihre WählerInnen, ihre AnhängerInner, aber auch die von der SPD enttäuschten Nicht-WählerInnen im Kampf gegen die Angriffe des Kapitals und der Regierungen auf der Straße, in den Betrieben, vor den Arbeitsagenturen oder im Stadtteil zu mobilisieren. Sie müsste gegenüber der NRW-SPD und den Gewerkschaften eine mobilisierende Politik fahren und diese zur gemeinsamen Aktion zu zwingen - und nicht auf wenig, meist überhaupt nicht „linke“ parlamentarische Kombinationen schielen.

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Nr. 144, November 2009
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