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Geschichte und Untergang der DDR, Teil 1

Aufbruch und Erstarrung

Hannes Hohn, Neue Internationale 144, November 2009

Am 7. Oktober 1949 wurde die DDR gegründet. Im Oktober 1989, vierzig Jahre danach, läuteten die Demonstrationen gegen das Honecker-Regime das schnelle Ende der DDR ein.

Es sind jedoch weniger die Jahrestage, welche die DDR erneut in den Mittelpunkt des öffentlichen Interesses rücken. Vielmehr ist es die Krise - der Wirtschaft wie der Gesellschaft insgesamt - ,welche den Blick wieder auf die DDR als Alternative zum westdeutschen Kapitalismus lenkt. Das wird schon an den Warnungen bürgerlicher Politiker deutlich, die angesichts einiger Verstaatlichungsforderungen schon den „Ausbruch des Sozialismus“ fürchten, um dann fast gebetsmühlenartig zu betonen, dass Planwirtschaft und Staatseigentum sowieso nicht funktionieren würden, wie das Schicksal der DDR zeige.

Bestenfalls wird auf einige positive Seiten der DDR, etwa im Gesundheits-, Bildungs- und Sozialbereich verwiesen und großzügig eingeräumt, dass die DDR ja nicht nur auf die Stasi reduziert werden dürfe.

Mit einer historisch ernst zu nehmenden Betrachtung hat all das wenig zu tun. In der hier beginnenden Artikelserie wollen wir das Wesen der DDR, ihre Anfänge, ihre Errungenschaften und Probleme sowie die „Wende“ und damit verbundene Fragen beleuchten.

Der Klassencharakter der DDR

Für MarxistInnen ist nicht dieser oder jener einzelne Aspekt für die Charakterisierung einer Gesellschaft wesentlich, sondern die Frage, welche Klasse herrscht und der Gesellschaft ihren Stempel aufdrückt. Kurioserweise bezeichneten - obzwar sie sich sonst selten einig waren - sowohl die „offizielle“ BRD als auch die SED die DDR als „sozialistisch“. Beide haben Unrecht. Während es der SED-Bürokratie darum ging, ihrem System eine Qualität zuzuschreiben, die es nicht hatte, ging es dem Westen darum, die offensichtlichen Mängel oder Verbrechen in der DDR als für den „Sozialismus“ typisch darzustellen.

In Wahrheit verkörperte die DDR eine Übergangsgesellschaft zwischen Kapitalismus und Sozialismus, in der Elemente beider Ordnungen (Ökonomie, Kultur, Traditionen usw.) miteinander ringen. Allerdings waren in der DDR wesentliche Grundlagen des Kapitalismus wie die Existenz der Bourgeoisie als Klasse, das Privateigentum an Produktionsmitteln beseitigt. Das kapitalistische Wertgesetz (Produktion von Profit, Marktkonkurrenz) war der - bürokratischen - Planung untergeordnet. Mit der Einführung des ersten Fünfjahrplans 1951 waren die alten ökonomischen Regularien fast durchgängig durch eine Wirtschaftsplanung ersetzt. Zugleich gab es aber noch „Reste“ des Kapitalismus wie Lohnarbeit oder Geldbeziehungen.

Die DDR war also, was deren ökonomische Basis anbelangt, keine kapitalistische Gesellschaft mehr, sondern ein Land, in dem grundlegende sozial-ökonomische Errungenschaften der Arbeiterklasse die Basis der Gesellschaft bildeten. Diese antikapitalistische Umwälzung, die Etablierung der Planwirtschaft ist auch die Ursache dafür, dass - trotzdem die DDR ökonomisch der BRD immer unterlegen war - sie in etlichen Bereichen relativ oder sogar absolut besser war: es gab keine Arbeitslosigkeit, keine Sozialangst, Gesundheits-, Bildungs- und Sozialwesen waren gut entwickelt, v.a. die Kinderbetreuung war weit besser als im Westen.

Diese sozialen Errungenschaften und die nichtkapitalistischen Strukturen, auf denen sie beruhten, verweisen darauf, dass die DDR trotz Stasi und bürokratischer Herrschaft in Ansätzen, in Keimform gegenüber dem Kapitalismus einen Fortschritt repräsentierte.

Doch das ist nur eine Seite der DDR. Die andere, dunkle Seite bestand darin, dass die DDR von Anfang an eine Gesellschaft war, in der eine abgehobene, fast unkontrollierbare bürokratische Kaste die politische Macht inne hatte und an allen Schaltstellen der Gesellschaft thronte. Das historische Subjekt des Kapitalismus, die Bourgeoisie, war enteignet, doch deren Stelle nahm nicht etwa die Arbeiterklasse ein, sondern die Bürokratie. Indem aber die Arbeiterklasse, indem die ProduzentInnen und KonsumentInnen überhaupt nicht oder zumindest nicht direkt darüber bestimmen konnten, wie die Entwicklung der Gesellschaft verläuft, was und wie produziert wird, wie verteilt, wofür investiert wird usw. waren sie als die entscheidenden Triebkräfte der neuen Gesellschaft gefesselt.

Dieser Ausschluss des Proletariats von der politischen Macht war doppelt fatal: erstens, weil eine Bürokratie denkbar ungeeignet ist, um eine komplexe Gesellschaft zum Kommunismus zu führen; zweitens, weil die Kenntnisse, die Bedürfnisse, die Erfahrungen der Massen nicht oder nur ungenügend in der gesellschaftlichen Entwicklung zum Tragen kamen.

Nein, die DDR war nicht sozialistisch. Das - schon von Marx postulierte - gegenüber der bürgerlichen Gesellschaft höhere Niveau von Arbeitsproduktivität und Lebensweise war in der DDR (wie im gesamten Ostblock) nie erreicht worden - aufgrund der Herrschaft der Bürokratie. Gescheitert ist mit der DDR insofern auch nicht der Sozialismus, sondern dessen stalinistisches Zerrbild.

Die DDR war - in Trotzkis Begriff - ein degenerierter Arbeiterstaat. Also ein widersprüchliches Staatsgebilde, das eine nichtkapitalistische ökonomische Basis aufwies, dessen Struktur, dessen Entwicklung aber durch die Herrschaft der Bürokratie beschädigt und beeinträchtigt war.

Das Ende der DDR markiert das endgültige historische Desaster des Stalinismus, seiner Strategie und seines Gesellschaftsmodells; es ist aber zugleich auch eine schwere, strategische Niederlage - nicht nur der DDR-ArbeiterInnen, sondern auch der westdeutschen Arbeiterklasse.

Die Entstehung der DDR

Alle wesentlichen Mängel der DDR rühren schon aus ihrer Entstehung her. Selbst die Gründung der DDR und die Abschaffung des Kapitalismus waren keineswegs gewollte oder gar geplante Elemente der stalinistischen Strategie.

Spätestens 1943 war klar, dass Hitler-Deutschland den Krieg verliert und im Gefolge dessen auch die kapitalistische Ordnung insgesamt erschüttert wird. Doch anstatt diese potentiell revolutionären Möglichkeiten zum Sturz des Kapitalismus zu nutzen und sich darauf vorzubereiten, hatte die Strategie Moskaus ganz andere Prämissen, die in der politischen Praxis wie auch in den Abkommen von Jalta, Teheran und Potsdam zum Ausdruck kommen. Stalin ging es einerseits um die Vergrößerung der Sowjetunion durch Annexion (Baltikum, Ostpolen u.a.), andererseits um einen strategischen Kompromiss mit dem Imperialismus, der die Welt in Einflusssphären teilte. Zwischen diesen sollte eine osteuropäische Pufferzone liegen, zum der auch (Gesamt)Deutschland gehören sollte.

Zwar sollte Deutschland vom Faschismus gesäubert und demokratisiert werden, doch die Bourgeoisie und das Privateigentum sollten erhalten bleiben. Entmilitarisiert und teilweise deindustrialisiert sollte Deutschland als potentielle Bedrohung ausgeschaltet werden.

Das Beispiel Österreich, dessen Ostteil ebenfalls von der Roten Armee besetzt war, zeigt die politische Macht der Sowjetbürokratie keineswegs unvermeidlich die Abschaffung des Kapitalismus bedeutete, sondern dass diese - wo sie stattfand - vielmehr ein bürokratische Gegenreaktion auf die Offensive des Westens bedeutete.

Denn die Vorstellungen Stalins waren nicht nur antisozialistisch und reaktionär, sie waren auch illusorisch. Sehr schnell zeigte sich, dass die Staaten in Stalins Einflussgebiet entweder unter dem Druck und aufgrund der ökonomischen Möglichkeiten des Imperialismus (v.a. der USA mittels des Marshall-Plans und Beginn des Kalten Krieges) wieder unter die Fuchtel des kapitalistischen Westens geraten und Stalin seine kaum errungenen Positionen wieder einbüßen könnte oder aber gezwungen ist, dort die Reste des Kapitalismus abzuschaffen und die Bourgeoisie als Klasse zu enteignen.

Als der Moskauer Bürokratie dann - später als den Westalliierten - dieses Dilemma klar wurde, erfolgte ein Schwenk nach „links“: nachdem dem Kapitalismus das Überleben gesichert und alle revolutionären Chancen ignoriert, ja boykottiert worden waren (Frankreich, Italien, Griechenland), wurde nun plötzlich „der Sozialismus“ eingeführt.

Bürokratischer Umsturz

Nach der Zerschlagung des Faschismus übernahm die Rote Armee in Ostdeutschland faktisch die Staatsmacht. Doch zugleich reorganisierte sich die Arbeiterklasse. KPD, SPD und Gewerkschaften waren schon wenige Monate nach Kriegsende wiedererstanden und z.T. sogar größer als zuvor.

Der Wiederaufbau der zerstörten Betriebe bzw. die Leitung der Produktion übernahmen vielerorts betriebliche Arbeiterkomitees, da Besitzer und Manager oft als Nazis verhaftet worden oder in den Westen geflohen waren.

Es gab zehntausende Antifakomitees (darunter viele, die nur aus Frauen bestanden), die sich um die Entnazifizierung, aber auch um die Organisation des Alltagslebens kümmerten.

Diese Organe waren keine Räte, sie waren keine proletarischen Machtorgane im strengen Sinn, doch sie waren Ansätze dazu, die von einer politischen Partei bewusst zu solchen hätten ausgebaut werden können und müssen. Doch dazu waren - in West- wie in Ostdeutschland - die SPD und die Gewerkschaften, aber auch die KPD nicht willens. Sie alle verfolgten eine bürgerlich-demokratische Strategie und richteten sich mehr oder weniger offen dagegen, dass die Massen den Kapitalismus stürzen und die Macht übernehmen.

Wie reif die Situation dazu war, ja dass die Massen in diese Richtung drängten, zeigen u.a. die Volksabstimmungen in mehren Ländern über die Frage der Vergesellschaftung der Wirtschaft: alle diese Abstimmungen forderten, teils mit sehr großer Mehrheit, diese Maßnahme. Doch die Besatzungsmächte, auch die UdSSR, wandten sich dagegen.

Die dann in der Ostzone bis 1949 nach und nach erfolgenden Verstaatlichungen des größten Teils der Wirtschaft erfolgten von oben (oft als Übernahme von Unternehmen als „Sowjetische Aktiengesellschaften“). Die erwähnten Organe der Selbstorganisation der (Arbeiter)Massen wurden aufgelöst oder in bürokratisch bestimmte Strukturen umgewandelt.

Die Änderung der Eigentumsverhältnisse erfolgte also unter Ausschluss der aktiven Mitwirkung der Arbeiterklasse, ja im Grunde gegen jede eigenständige Regung der Klasse. Nachdem die Stalinisten - u.a. in Gestalt der „Gruppe Ulbricht“, die als KPD-Führung aus Moskau „eingeflogen“ worden war - alles versucht hatten, zu vermitteln, dass der „Sozialismus, dass eine Sowjetordnung nicht auf der Tagesordnung steht“ (Ulbricht), gingen sie, als ihnen die Felle wegzuschwimmen drohten, dazu über, quasi über Nacht zu Vorkämpfern des Sozialismus zu werden.

Dieser politische Zickzack, die bürokratische Gängelung und z.T. offene Gewalt waren natürlich ungeeignet, das Bewusstsein der Arbeiterklasse zu entwickeln und sie für den Sozialismus zu gewinnen.

Ein bürgerlicher Staatsapparat

Eine zentrale Erkenntnis des Marxismus besteht darin, dass der bürgerliche Staatsapparat, d.h. die abgehobene, unkontrollierbare und un(ab)wählbare bürokratische Unterdrückungsmaschine zerschlagen und durch einen proletarischen Rätestaat ersetzt werden muss, der dann im Laufe der Entwicklung zum Kommunismus „absterben“ kann.

Alle proletarischen Revolutionen und jeder größere, zugespitzte Klassenkampf bringt Organe der Massen hervor wie Räte, Milizen, Fabrik- und Stadtteilkomitees. Sie - und (neben der Partei) nur sie - können sicherstellen, dass die Arbeiterklasse und die Massen ihre Bedürfnissen unverfälscht Ausdruck verleihen, dass sie direkt ihre Macht ausüben und politisch diskutieren können.

Wie wir sahen, haben die Stalinisten in Ostdeutschland bzw. der DDR alles getan, um die Etablierung solcher Organe zu verhindern.

Doch wie war der Staatsapparat, deren sich die Stalinisten bedienten, beschaffen?

Der Form nach war der DDR-Staatsapparat bürgerlich. Es gab eine Bürokratie, die quasi über der Gesellschaft stand, deren Wirken nicht oder kaum der Kontrolle oder Einflussnahme unterlag. Das Kriterium dafür, wer zur Nomenklatura gehörte, war die „Treue“ zur Partei. Allerdings waren Posten weder vererbbar noch war mit einer Funktion etwa ein juristischer oder faktischer Eigentumstitel verbunden, u.a. deshalb war die Bürokratie auch eine Kaste und nicht etwa eine „Klasse neuer Staatskapitalisten“.

Die politische Struktur der DDR war entsprechend. Zwar ging man rigide gegen jede Form von Selbstorganisation der Klasse vor, doch die Etablierung von SED-hörigen Parteien z.B. für ehemalige Offiziere (NDPD), Bauern (DBD) oder Selbstständige (LDPD) sowie der CDU wurde gefördert, finanziert oder sogar selbst initiiert. Bis zum Schluss bildeten diese Parteien den „Demokratischen Block“, der bei den „Wahlen“ eine Einheitsliste aufstellten, die bezeichnender Weise unter dem Namen „Nationale Front“ firmierte.

Dem entsprach auch die Volkskammer, das DDR-„Parlament“. Dort waren neben Parteien auch Gewerkschaften, der Kulturbund, die FDJ u.a. vertreten, was der SED immer eine klare Mehrheit sicherte. Diese „demokratische“ Staffage hatte trotzdem mehr mit dem bürgerlichen Parlamentarismus gemein als mit lebendiger, direkter Rätedemokratie.

Die Grundlage dieses pseudo-demokratischen Theaters bildeten jedoch handfeste Gesetze, die z.B. das Streikrecht, die Organisations-, Versammlungs- und Meinungsfreiheit einschränkten. Und es gab die Stasi ...

Die Stalinisten hatten den bürgerlichen Staatsapparat von Nazis gesäubert; sie hatten die „besonderen“ faschistischen Strukturen (NSDAP, Gestapo, SA, SS usw.) beseitigt - doch der von ihnen installierte neue Staatsapparat war der Form nach - ein alter, bürgerlicher.

Ein zentraler Widerspruch der DDR - und des Stalinismus insgesamt - bestand so darin, dass dieser alte Apparat dazu dienen sollte, eine neue, nichtkapitalistische Ordnung zu „verwalten“. Dabei kollidierte beständig der „neue“ Zweck mit der alten Form, kurz: mit einem solchen Staatsapparat war ein gesunder Arbeiterstaat nicht zu machen.

Solange es galt, eine zerstörte Ökonomie wieder auf die Beine zu bringen und ein extensives Wachstum der Wirtschaft voranzutreiben, funktionierte dieser Staatsapparat einigermaßen effektiv. Als es aber ab den 1970/80er Jahren darum ging, qualitative Entwicklungen, neue Technologien usw. zu entwickeln, erwies sich immer mehr die Unbrauchbarkeit und Starrheit dieses Apparats.

Anfangsdynamik und Erstarrung

Zweifellos war der Anfang der DDR auch von großen Erfolgen geprägt. Trotz der Teilung, d.h. der „Halbierung“ der vormals einheitlichen deutschen Wirtschaft, und der enormen Reparationsleistungen gelang es, eine starke und insgesamt durchaus funktionierende Wirtschaft aufzubauen, die anfangs sogar höhere Wachstumsraten aufwies als Westdeutschland. Auch der Lebensstandard stieg.

Ein Fortschritt von tatsächlich historischer Dimension - der regelmäßig von allen Kritikern der DDR und der Planwirtschaft „vergessen“ wird, ist z.B. der Umstand, dass es auf Basis der Abschaffung des Privateigentums gelungen war, innerhalb weniger Jahre riesige unproduktive Bereiche (Juristerei, Zwischenhandel, Werbung, Finanzbereich u.v.a.) zu minimieren. Das ist im Kapitalismus strukturell unmöglich. Hier zeigt sich, welche enormen Vorzüge, welche riesigen Potentiale eine Planwirtschaft hat.

Doch die Effekte dieser gesellschaftlichen Umwälzungen waren Ende der 1960er Jahre ausgereizt. Nicht zuletzt deshalb wurde Ulbricht dann von Honnecker „abgelöst“.

Bei allen Problemen der DDR-Ökomomie wie dem Mangel an bestimmten Gütern, ist es doch völlig falsch, wenn behauptet wird, die Planwirtschaft habe nicht funktioniert. Sie hat, was die Planung von Ressourcen, Investitionen oder Verteilung anbelangt, „technisch“ insgesamt durchaus funktioniert - entsprechend den Vorgaben und Zielen der Bürokratie. Doch sie hat - gerade wegen der Herrschaft der Bürokratie - nicht gut genug funktioniert, um (v.a. ab den 1970ern) mit der technologischen Entwicklung der (kapitalistischen) Welt mitzuhalten; sie hat v.a. nicht gut genug funktioniert, um zum Sozialismus oder gar zum Kommunismus zu gelangen.

Die Probleme der DDR-Wirtschaft waren so - neben dem Grundproblem der Herrschaft der Bürokratie über die Arbeiterklasse - überwiegend auch „externen“ Faktoren geschuldet. Dazu gehörte z.B. das mangelhafte Niveau der Arbeitsteilung und Kooperation im Ostblock. Der „Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe“ (RGW) blieb immer ein Kompromiss zwischen den Interessen der nationalen Bürokratien, wirkliche internationale Wirtschaftsplanung gab es nie.

Diese ist ein ganz handfestes Beispiel für die verheerenden Konsequenzen der reaktionären und utopischen Doktrin vom „Aufbau des Sozialismus in einem Land“. Der RGW blieb hinsichtlich internationaler Arbeitsteilung hinter dem Kapitalismus zurück!

In der DDR zeigte sich das in einer desaströsen ökonomischen Autarkiepolitik. Als kleines Land stellte sie fast dieselbe Produktpalette her wie die „große“ BRD, was u.a. zu unrentablen Kleinserien führte und immer mehr darunter litt, dass es für eine solche Breite nicht genug Forschungs- und Entwicklungspotential gab, um internationales Spitzenniveau zu halten.

Unter dem gut gemeinten, aber illusorischen Versuch der SED-Führung, in der Weltspitze mitzumischen, litten zunehmend auch die Ersatzinvestitionen - es wurde einfach auf Verschleiß gefahren.

Die fehlende Kooperation im Ostblock bedeutete auch, dass die DDR nur im Westen an Spitzentechnologie herankam. Für die dafür nötigen Devisen wurde alles Mögliche zu Dumpingpreisen in den Westen verhökert - sehr zur „Freude“ der DDR-BürgerInnen, welche die im Osten fehlenden Konsumgüter dann im Neckermann-Katalog entdeckten ...

Überraschende Wende?

Rosa Luxemburg meinte einmal, die Revolution erscheint völlig unrealistisch - bis zu dem Tag, an dem sie da ist. Dann ist sie das Selbstverständlichste der Welt.

Obwohl die „Wende“ 1989 für die meisten Menschen total überraschend kam, war sie letztlich nur die Konsequenz aus den über Jahrzehnte angehäuften Problemen und Fehlentwicklungen unter dem Stalinismus.

Im Rückblick waren es v.a. folgende Faktoren, die zur „Wende“ führten:

die offensichtlicher werdende Krise im Ostblock (z.B. Solidarnosc) und die ausbleibenden Erfolge des „welthistorischen Prozesses“, sprich der Volksfrontpolitik des Stalinismus (z.B. Chile 1973);

das immer deutlicher werdende Zurückbleiben gegenüber dem Westen und der immer krassere Widerspruch zwischen „sozialistischer Verheißung“ und trister Wirklichkeit des „realen Sozialismus“;

ab 1985 war der Amtsantritt Gorbatschows sowohl Ausdruck der Krise des Systems als auch Ausdruck des Versuchs, „den Sozialismus zu reformieren“.

Was Trotzki Jahrzehnte zuvor als Schlussfolgerung seiner Analyse des Stalinismus vorausgesagt hatte, trat 1989/90 ein: Entweder die Arbeiterklasse stürzt die herrschende Bürokratie in einer politischen Revolution oder aber die degenerierten Arbeiterstaaten werden vom Weltkapitalismus wieder „eingefangen“, wozu die Bürokratie teils ungewollt, teils ganz absichtlich beigetragen hat.

Weder die totale Usurpation der Macht, die Niederschlagung des Arbeiteraufstand von 1953 noch die Errichtung der Mauer konnten das Ende der Herrschaft der Bürokratie mit ihrem halben Sozialismus in einem halben Land verhindern.

In der nächsten Ausgabe der Neuen Internationale beschäftigen wir uns mit dem Herbst 1989.

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Nr. 144, November 2009
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