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Bilanz 28. März

Wie weiter im Kampf gegen die Krise?

Martin Suchanek, Neue Internationale 138, April 2009

Die Demonstrationen in Berlin, Frankfurt/M., London und in vielen anderen Städten auf der ganzen Welt waren - zusammen mit den Aktionen gegen die G20 oder den NATO-Gipfel - eine erste wichtige internationale Manifestation gegen die Abwälzung der Krisenkosten auf die Unterdrückten.

Sie waren zwar nicht die radikalsten oder am weitesten gehenden Aktionen, die wir bisher in Europa gesehen haben. So haben in Griechenland die Aufstände der Jugend und die Massenstreiks die Machtfrage aufgeworfen, in Frankreich brachten zwei Generalstreiks und der Streik samt Volksaufstand in Guadeloupe die Regierung Sarkozy in die Defensive, in Island wurde die Regierung zum Rücktritt gezwungen.

Bilanz des 28. März

Aber die Bedeutung der Aktionen am 28. März und auch in der Folgewoche liegt darin, dass sie international koordiniert erfolgten.

Die Tatsache, dass allein in Berlin und Frankfurt mehr als 50.000 Menschen entgegen der Haltung der Gewerkschaftsspitzen auf die Straße gingen, zeigt, dass es links von der Sozialdemokratie und von den DGB-Apparaten ein größeres Potential gibt, das nicht nur empört ist, sondern diese Wut auch in Aktion umsetzen will.

Allerdings demonstrierte (noch) nicht die Masse der Arbeiterklasse und der Jugend, der MigrantInnen und aller Unterdrückten, sondern deren fortgeschrittenste Teile, deren Avantgarde.

Die Hauptverantwortung dafür tragen die reformistischen, v.a. die reformistischen Spitzen der Gewerkschaften, in den Konzernbetriebsräten und ihre Verbündeten in der SPD. Sie suchen ihr Heil in der Klassenzusammenarbeit, im Betteln um Brosamen aus den Konjunkturpaketen der Regierungen, im Co-Management zur Rettung „unserer“ Betriebe, also im nationalistischen Wettbewerb darum, welcher Teil der Arbeiterklasse am wenigsten bluten muss.

Dominanz des Linksreformismus

Diese Bewegung wird politisch dominiert vom Linksreformismus, der sich in verschiedenen Facetten zeigt und verschiedene Klassenkräfte bestimmt.

Erstens die linken GewerkschafterInnen und Teile der Belegschaften. Etliche von diesen FührerInnen stehen der Partei DIE LINKE nahe.

Zweitens die Linkspartei. Deutlich ist, dass diese im Westen nach wie vor viel schwächer als im Osten ist, dort als Partei weniger in Erscheinung tritt. Dass Lafontaine in Frankfurt ausgepfiffen wurde und keinen Applaus erhielt, während der linke Gewerkschafter Tom Adler bejubelt wurde, ist kein Zufall, sondern spiegelt auch Vorbehalte gegen DIE LINKE in der Vorhut der Bewegung wider.

Die dritte große Abteilung des Linksreformismus stellen attac und ähnliche, „vorgelagerte“ NGOs und Kampagnen. Auf den Demos waren sie der größte und sichtbarste Flügel dieses Spektrums, der in den letzten Monaten offensichtlich Zuwachs erhalten hat.

Die Erklärung für diese aktuelle Verschiebung im reformistischen Lager hat trotz der strategischen Übereinstimmung - dem Eintreten für ein Rettungs- und Konjunkturpaket zur Abmilderung der Krise folgenden Grund: Die Linkspartei sucht aktiv ein Bündnis mit den sozialdemokratischen Gewerkschaftsspitzen und bereitet sich darauf vor, gegebenenfalls eine rot-grüne Regierung zu unterstützen (sofern diese einen „Reformkurs“ fährt). Das heißt, dass ihre Kritik an der Gewerkschaftsbürokratie - sofern sei eine hat - nicht vernehmbar ist, ihre Kritik an der SPD immer milder wird. Hinzu kommt, dass die SPD (und in gewisser Weise die gesamte Bundesregierung) selbst auf ein keynesianisches Programm, wie es von der Linkspartei vertreten wird, umschwenkt. Dann fragt sich natürlich so mancher sozialdemokratische Wähler, warum er nicht doch wieder SPD wählen soll, wenn DIE LINKE im Grunde ohnedies dasselbe Programm vertritt. Dieses mag zwar „sozialer“ ausgestaltet sein. Doch DIE LINKE kann es im Parlament ohnedies nur „einfordern“, während Steinmeier und Co. tatsächlich ein Konjunkturprogramm real umsetzen können. Das sind auch die zentralen Gründe, warum die Linkspartei in den Umfragen stagniert und nicht profitiert.

Attac gibt sich demgegenüber „bewegungsorientiert“, als „Reformismus von unten“. Hier werden die Apparate auch kritisiert, mehr Aktion, mehr Kreativität, mehr Mut eingefordert. Kein Wunder, dass die attac-Blöcke relativ groß waren und v.a. Jugendliche in kleineren Städten davon angezogen werden.

Die Attac-Funktionäre haben ein feines Gespür dafür, dass es eine Radikalisierung nach links gibt, die mit der traditionellen reformistischen Masche der Linkspartei nur schlecht angesprochen werden kann. Das scheint im übrigen auch das Kalkül anderer Links-Reformisten wie der DKP zu sein, die ihre Reformprogramme mit mehr und mehr roter Tünche an Mann und Frau zu bringen trachten.

Auch wenn wir in der Bewegung eine politische Dominanz des Linksreformismus konstatieren, zeigte sich am 28. März auch eine klar wachsender, subjektiv anti-kapitalistische Flügel. In Berlin war der anti-kapitalistische Block, den Arbeitermacht und REVOLUTION mitorganisiert hatten, mit 6-7.000 mit Abstand der größte und lebendigste Block auf der Demonstration.

Diese Entwicklung ist keineswegs nur auf Deutschland beschränkt, sondern findet auch in anderen Ländern statt. Insbesondere in Frankreich hat sie mit der Gründung der „Neuen Antikapitalistischen Partei“ auch einen politischen Ausdruck bekommen, der eine deutliche Linksentwicklung der Avantgarde signalisiert mit der Formierung einer links-zentristischen Partei.

Klarheit über Programm, Strategie und Taktik!

Dieser Flügel braucht aber auch Klarheit darüber, wie er als wirksame Kraft in einer gemeinsamen Bewegung agieren, gleichzeitig den Einfluss des linken Reformismus zurückdrängen und den Platz für eine revolutionäre, internationalistische Kraft ebnen kann.

An einer solchen Klarheit, an einem Programm, einer Strategie und Taktik mangelt es diesem Flügel.

Ein Teil aus dem autonomen und anarchistischen Milieu bewegt sich überhaupt nur scheinradikal. Er fordert unspezifisch „alles“ und lehnt den Kampf für politische Forderungen (Verstaatlichung, staatlicher Mindestlohn) mit dem Hinweis ab, dass das nur den „Staat“ legitimieren würde.

Schon Friedrich Engels hat sich über solche anarchistischen Einwände lustig gemacht - als ob der Staat unsere „Anerkennung“ brauchen würde, um seine reale Wirkung entfalten zu können. Umkehrt wirken vielmehr die ökonomischen und politischen Formen und Herrschaftsmechanismen der kapitalistischen Gesellschaft - ganz unabhängig davon, ob der einzelne Lohnarbeiter ihnen „zustimmt“ oder nicht. Der Zwang, die eigene Arbeitskraft als Ware zu verkaufen, besteht für jeden Lohnabhängigen - egal, was er sich dabei denkt, weil er keine anderen Mittel hat, seine Existenz zu sichern.

Die ArbeiterInnen müssen hier und jetzt für die Verteidigung ihrer unmittelbaren Interessen kämpfen - für ein „Sofortprogramm“ gegen die Abwälzung der Krisenkosten.  RevolutionärInnen müssen ein solches Programm verallgemeinern, das sowohl Minimalforderungen wie jene nach einem Mindestlohn, nach Mindesteinkommen, nach Arbeitszeitverkürzung enthält, wie auch Übergangsforderung wie jene nach Arbeiterkontrolle, die also die Verfügungsgewalt des Kapitals in Frage stellen und Maximalforderungen inkludieren - also ein System, das eine Brücke darstellt vom Kampf für die Verteidigung unserer unmittelbaren Interessen bis zur sozialistischen Revolution.

Der Kampf für ein solches Programm steht überhaupt nicht im Gegensatz zur gemeinsamen Aktion mit reformistischen, kleinbürgerlich-linksradikalen oder nur-gewerkschaftlichen Kräften. Im Gegenteil, er erfordert eine systematische Politik der gemeinsamen Aktion, der Einheitsfront gegen das Kapital, weil die Klasse nur durch den gemeinsamen Kampf, durch die größtmögliche Einheit in der Aktion überhaupt ihre bisherige Position verteidigen, geschweige denn neue erringen kann.

Revolutionäre Perspektive

Wenn die Bewegung gegen die Krise nicht wie in den letzten Jahren erneut bei Protesten stehenbleiben und ihre Ziele verfehlen will, so muss sie die Schwächen der vergangenen Jahre überwinden. Was heißt das?

Wir dürfen uns nicht auf die reformistischen Spitzen und deren Versprechen verlassen. Wir brauchen eigene, von der Basis demokratisch bestimmte und kontrollierte Kampfführungen, die in einer klassenkämpferischen Basisbewegung koordiniert sind. Diese muss in Gewerkschaften, in Betrieben und Stadtteilen, bei Beschäftigten, Arbeitslosen, ImmigrantInnen und in der Jugend verankert sein.

Die Bewegung muss ihre Ziele und Methoden offen diskutieren und ein Aktionsprogramm erarbeiten.

Mit Protest allein können Kapital und Regierung zu nichts gezwungen und ihre Angriffe nicht gestoppt werden! Daher muss die Bewegung auch zu Mitteln wie Blockaden, Besetzungen und Streiks greifen! Letzten Endes können nur politische Massenstreiks, ein Generalstreik verhindern, dass die Massen für die Krise des Kapitals bluten. Letztlich braucht es auf die Krise eine politische Antwort der gesamten Klasse und aller Unterdrückten.

Als grundlegende Forderungen für die Anti-Krisen-Bewegung schlagen wir vor:

Nein zu allen Entlassungen! Sofortige Einführung der 30-Stunden-Woche bei vollem Lohn- und Personalausgleich! Aufteilung der Arbeit auf alle Hände unter Arbeiterkontrolle!

Für eine gleitende Skala der Löhne und Sozialeinkommen gegen die Inflation!

Für einen Mindestlohn von 11 Euro/Stunde netto! Weg mit den Hartz-Gesetzen! Arbeitslosengeld und Mindesteinkommen für RentnerInnen und Auszubildende von 1.600/Monat, finanziert aus Progressivsteuern auf Reichtum und Kapital!

Nein zu den Rettungspaketen und Konjunkturprogrammen für die Kapitalisten! Offenlegung aller Geschäftsunterlagen, der Konten und Finanzpläne, kontrolliert durch Arbeiterinspektionen!

Enteignung von Banken, Fonds und Börsen sowie deren Zusammenlegung zu einer einheitlichen Staatsbank unter Arbeiterkontrolle!

Enteignung der Konzerne unter Arbeiterkontrolle - beginnend mit allen Unternehmen, die drohen, Löhne zu kürzen und ArbeiterInnen zu entlassen!

Diese Forderungen können nicht durch Wahlen bzw. vom Parlament umgesetzt werden. Sie können nur Resultat von Mobilisierungen, von Klassenkampf sein. Es ist klar, dass jede Errungenschaft im Kampf nur gegen den Widerstand von Staat und Kapital erreicht werden kann und dass der Klassengegner desto rabiater agieren wird, je energischer und offensiver die Arbeiterklasse handelt.

Perspektive

Gerade die jetzige dramatische Krise wirft nicht nur „abstrakt“ die Systemfrage auf; wenn die Grundfesten des Kapitalismus erschüttert sind, kann sich diese Frage sehr rasch ganz praktisch stellen: Welche Klasse diktiert, was geschieht? Wer hat die Staatsmacht? Schon ein Generalstreik wirft diese Frage auf - ohne sie jedoch zu beantworten.

Ein Sofortprogramm für die Arbeiterklasse kann von keiner bürgerlichen Regierung, kann nicht von den Parlamentsparteien durch Reformen umgesetzt werden. Dazu ist eine Arbeiterregierung notwendig, die sich auf räteähnliche Organe der Massenmobilisierung und von Massenstreiks stützt. Nur eine solche Regierung ist in der Lage, die Kapitalisten zu enteignen, die krisengeschüttelte Wirtschaft auf planwirtschaftlicher Grundlage zu reorganisieren und den Widerstand der herrschenden Klasse zu brechen, die ArbeiterInnen in Selbstverteidigungsorganen wie Milizen zu bewaffnen und den bürokratischen Staatsapparat durch einen Rätestaat zu ersetzen.

Es ist die Aufgabe von MarxistInnen, auf diese Konsequenzen des Klassenkampfes hinzuweisen, die Bewegung, die Klasse darauf vorzubereiten und Antworten zu geben.

Die Zuspitzung des Klassenkampfes kann auch in Deutschland o.a. europäischen Ländern zu einer (vor)revolutionären Krise führen, wo die Machtfrage - wie z.B. im letzten Dezember in Griechenland - direkt steht.

Es ist unsere Aufgabe, uns und die Klasse darauf vorzubereiten, also auch das politische Instrument zu schaffen, das die ArbeiterInnen und alle Unterdrückten in diesem Kampf führen kann: eine revolutionäre Arbeiterpartei.

Die kommenden Kämpfe sind Kämpfe, die in ganz Europa, auf der ganzen Welt stattfinden, ebenso wie die Krise und ihre Ursachen keine „nationalen Fragen“ sind. Unser Abwehrkampf muss daher von Beginn an ein europaweiter und internationaler sein. Dazu brauchen wir nicht nur international koordinierte Aktionen, sondern auch einen politischen Generalstab: eine neue, revolutionäre Fünfte Internationale!

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Nr. 138, April 2009
*  Gegen NATO, Imperialismus und Kapitalismus: Für die sozialistische Revolution!
*  Bilanz 28. März: Wie weiter im Kampf gegen die Krise?
*  Arbeitermacht-Rede auf dem anti-kapitalistischen Block
*  London: Put people first
*  Wien: ... und jetzt zum Schulstreik!
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*  Pakistan: Regierung muss Massenbewegung nachgeben
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