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Indien

Nach dem Anschlag - vor dem Krieg?

Markus Lehner, Neue Internationale 135, Dezember 2008/Januar 2009

Mit dem islamistischen Angriff auf Mumbai am 26.11. wurde auch die politische Lage in Indien und Pakistan erschüttert. Am Abend dieses Tages waren wahrscheinlich 12 schwerbewaffnete Aktivisten der LeT (Lashkar-e-Toiba) wohl von Pakistan über See kommend in Mumbai gelandet. Sie eröffneten das Feuer in einigen größeren Touristentreffs, in einem zentralen Bahnhof, einer Klinik, um später in zwei Hotels und einem jüdischen Gemeindezentrum Geiseln zu nehmen.

Das politische Ziel dieses wahllosen Mordens unter ZivilistInnen (fast 200 Tote und über 300 Verletzte) bleibt völlig im Dunkeln. Wer immer die Urheber waren, ob nun mit Verwicklung von Geheimdiensten oder nicht - der Anschlag hat eindeutig reaktionären Charakter. Als RevolutionärInnen lehnen wir solche Akte des individuellen Terrorismus ab und verurteilen sie. Politisch dienen sie sicher nicht der Sache der Befreiung oder dem Kampf gegen den Imperialismus oder die indische herrschende Klasse.

Bemerkenswert war jedoch, dass der schwer gerüstete indische Sicherheitsapparat zunächst völlig hilflos reagierte. Es dauerte mehrere Stunden, bis Spezialkräfte vor Ort waren, während die leichtbewaffnete Stadtpolizei zunächst eine leichte Zielscheibe abgab. Dazu kam noch, dass sich drei der ranghöchsten Sicherheitschefs ohne entsprechenden Schutz vor Ort ein Bild machen wollten, um sofort Opfer von Scharfschützen zu werden.

Trotz dieser dilletantischen Fehler und der Tatsache, dass hunderte Spezialkräfte mehr als 2 Tage brauchten, um mit 12 Gegnern fertig zu werden, wird in den indischen Medien seither eine ungeheure Heldenverehrung für die Militärs betrieben. Die aufgebahrten Soldaten und Offiziere werden stündlich gezeigt, mit entsprechender musikalischer Untermalung und der Aufforderung, „unsere Märtyrer“ nie zu vergessen.

Nun sind Anschläge in Indien nicht gerade selten. Der Vielvölkerstaat Indien ist durchzogen von ethnischen und sozialen Konflikten, die oft mit gewalttätigen Auseinandersetzungen verbunden sind. Zusammenstöße von Hindu-Nationalisten und islamistischen Kräften sind in vielen Provinzen Indiens an der Tagesordnung.

Die Konflikte um Kaschmir und um die Minderheit der Sikhs sind ebenso bekannt, wie diejenigen mit tamilischen Nationalisten im Süden. Anschläge auf Regierungschefs und das Parlament haben schon in der Vergangenheit zu schweren politischen Krisen geführt.

Diese Konflikte haben jedoch die Rolle Indiens als Outsourcing-Paradies und Boom-Ökonomie mit zweistelligen Wachstumsraten (ähnlich wie China) seit der neoliberalen Wende der 90er Jahre nicht in Frage gestellt.

Seit dem Ausbruch der Finanzkrise stottert jedoch auch der Motor des indischen „Wirtschaftswunders“. Viele IT-Outsourcings US-amerikanischer Banken mussten schließen, in den Sonderwirtschaftszonen herrscht Einstellungsstopp und das Wachstum fällt unter die 10-Prozent-Marke. Damit werden sowohl die auf höhere Wachstumsraten ausgerichteten Finanzierungspläne von Staat und Finanzinstitutionen gefährdet, als auch die Mehrheit der Verlierer der neoliberalen Politik der letzten Jahre in eine noch prekärere Situation geworfen.

Wachsende ethnische Spannungen und ökonomische Schwierigkeiten haben die gerade stattfindenden Wahlkämpfe für die Regierungen großer Provinzen extrem aufgeheizt (bis hin zum bewaffneten Wahlboykott in Kaschmir). Zudem sind sie nur der Vorlauf für die nächstes Jahr stattfindenden Unionswahlen.

Der Anschlag von Mumbai wirkt somit wie ein Funke im Pulverfass. Noch dazu wurde mit dem Anschlag die „Finanzmetropole“ Indiens getroffen. Bisher lebten die Organisatoren des indischen Outsourcing-Paradieses wie in einem goldenen Käfig - pendelnd zwischen schwerbewachten Luxushotels und ebenso hermetisch abgeriegelten Sonderwirtschaftszonen.

Dass „islamistische Terroristen“ direkt die Domizile westlicher Manager zur Zielscheibe machen, hat alle indischen Kapitalmogule in höchste Alarmbereitschaft versetzt. Fast täglich warnte daraufhin der Vorsitzende des Tata-Konzerns, des größten und einflussreichsten Multis des Landes, in allen Medien vor den verheerenden Folgen für den Wirtschaftstandort Indien, ebenso wie die Chefs der IT-Firmen die Bewaffnung ihrer Sicherheitsarmeen mit Maschinengewehren anordneten.

Dies verstärkte die ohnehin beträchtliche nationalistische Hysterie - in vielen Talkshows wurde von allen möglichen „Prominenten“ das sofortige Zurückschlagen durch die Regierung verlangt. Die Verbindungen der LeT mit dem pakistanischen Geheimdienst ISI wurden zum Vorwand für eine immer ungebremstere anti-pakistanische Kampagne, nicht nur durch die hindu-nationalistische BJP.

Die sowieso durch die Wahlkämpfe unter Druck stehende regierende Kongresspartei geriet immer mehr unter das Feuer des „Untätigkeitsvorwurfs“. Mitsamt der Heldenverehrung für die Militärs wuchs die Kampagne gegen die angeblich zu weichen und kompromisslerischen Kongresspolitiker, die die Soldaten in den Tod geschickt hätten. Einerseits musste die Partei daraufhin einige Führungsfiguren der zweiten Reihe opfern. Andererseits gab sie dem nationalistischen Druck nach, um eine immer aggressivere Rhetorik gegenüber Pakistan anzunehmen (speziell durch den Außenminister).

Dabei ist klar, dass der Anschlag aufs Engste mit dem starken indischen Engagement in Afghanistan verbunden ist. Indien ist einer der wesentlichen ökonomischen Player für das Regime in Kabul und hat dort auch eine wichtige militärische Rolle inne. Mit dem zunehmenden Problemen des afghanischen Widerstands, in Pakistan sichere Rückzugsgebiete zu behalten, wäre die Eröffnung einer „zweiten Front“ in Indien nur logisch.

Die Zuspitzung des indisch-pakistanischen Konflikts könnte zu einer Entlastung der afghanisch-pakistanischen Front führen. Nachdem Indien seine militärischen Drohungen gegen Pakistan verstärkt, führt dies auch tatsächlich zum Abzug pakistanischer Truppen aus dem Westen des Landes. Allerdings wird dies die USA sicher zu einer noch stärkeren Intervention in die pakistanische Krise nutzen. Dabei fürchtet Washington eine weitere Destabilisierung in Pakistan und Indien. Noch-Außenministerin Rice flog nach Indien, um die Regierung zur „Zurückhaltung“ zu mahnen.

Die nationalistische Zuspitzung der Situation in der Region, die wachsende Kriegsgefahr zwischen den beiden Atommächten und die reaktionäre Anheizung von ethnisch-religiösen Konflikten sind eine enorme Gefahr für die Arbeiterklassen des Subkontinents. Gerade angesichts der ökonomischen Krise ist es notwendig, den Kampf gegen den eigentlichen Gegner, das eigene wie das internationale Kapital und seine politischen Erfüllungsgehilfen zu richten.

Dabei kann der Kampf um die soziale Befreiung der Millionen ausgebeuteter ArbeiterInnen, TagelöhnerInnen, Prekären und Bauern in dieser Region nur gewonnen werden, wenn das volle Selbstbestimmungsrecht der unzähligen unterdrückten Ethnien und Minderheiten der Völkergefängnisse dieses Subkontinents anerkannt wird.

Außerdem verlangen die gewalttätigen Sicherheitsorgane, privaten Sicherheitstrupps und bewaffneten Islamisten/Separatisten einen organisierten, bewaffneten Selbstschutz auch der Organe der Arbeiterbewegung. All dies erfordert die Führung der Arbeiterklasse durch eine leninistische Partei, die ein klares Programm zum Kampf für eine Föderation sozialistischer Staaten auf dem indischen Subkontinent verfolgt.

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Nr. 135, Dez.Jan 2008/09
*  Klassenkampf 2009: Ein Jahr der Krise
*  31. Januar: Vorbereitungstreffen für bundesweite Demo
*  Metallabschluss: Schlappe im Kampf gegen die Krise
*  Heile Welt
*  Öffentlicher Dienst Berlin: Schlechter geht's (n)immer
*  Perspektiven des Bildungsstreiks: Für eine anti-kapitalistische Jugendbewegung!
*  Frankreich: Neue Kämpfe, neue Partei
*  Indien: Nach dem Anschlag - vor dem Krieg?
*  Griechenland: Aufstand gegen die Krise
*  Theorie: Luxemburgs Beitrag zum Marxismus