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Griechenland

Aufstand gegen die Krise

Martin Suchanek, Neue Internationale 135, Dezember 2008/Januar 2009

Athen, 6. Dezember. In den frühen Nachtstunden wird ein 15jähriger Schüler von Streifenpolizisten erschossen. Ein Bericht auf Indymedia schildert den Tathergang, der mittlerweile auch von der Polizei bestätigt wurde, so:

„ Ohne die Spezialkräfte zu informieren kehren die Streifenpolizisten zu Fuß zu den Jugendlichen zurück und provozieren diese. Einer der Polizisten gibt bei der späteren Vernehmung an, er wollte die 30 Jugendlichen zusammen mit seinem Kollegen wegen der Beleidigungen verhaften. Die Jugendlichen gehen auf die Polizisten zu. Daraufhin wirft einer der Polizisten eine Leuchthandgranate in die Menge. Der andere, der Fahrer des Streifenwagens, gibt drei Schüsse ab. Ein 15jähriger - aus "gutem Hause", wie es später heißt - sackt getroffen zusammen. Ein Freund ruft um Hilfe, kann keinen Puls mehr spüren. Der Junge ist tot. Die Polizisten reagieren nicht. Sie gehen ihres Wegs, als ob nichts geschehen wäre. Hilfe leisten sie nicht.” (W. Aswestopoulos, Athen, indymedia vom 8. Dezember)

Selbst der rechte Regierungschef der konservativen Neo Democracia sieht sich bemüßigt, eine Untersuchung gegen die Polizisten einzuleiten, die von „Notwehr“ sprechen. Um welche Typen es sich dabei handeln dürfte, ist wohl schon daraus ersichtlich, dass ein Anwalt des Todesschützen sein Mandat niederlegte, weil er die Verteidigung eines „solchen Mandaten“ mit seinem Gewissen nicht vereinbaren könne. (Tagesschau-Homepage, 8.12.)

Das spiegelt zweifellos die traditionelle Durchsetzung der griechischen Polizei mit Faschisten und Rechtsradikalen wider.

Die Todesschüsse waren der berühmte Funke, der das Pulverfass entzündet hat. Am 7. und 8. Dezember kommt es zu Gewalt und Protestdemonstrationen in allen großen Städten, zu Zusammenstößen mit der Staatsgewalt, die massiv Tränengas einsetzt und gegen die Jugendlichen vorgeht.

Die meisten Organisationen der griechischen radikalen Linken, das griechische Sozialforum und auch die im Parlament vertretene reformistische Koalition SYRIZA riefen zur Mobilisierung gegen die Repression und zur Solidarisierung mit den Jugendliche auf.

Aus Protest blieben am Montag alle Schulen geschlossen. "Viele Schüler haben die Gebäude besetzt. Wir Lehrer streiken für drei Tage", sagte der Präsident der Lehrergewerkschaft, Dimitris Bratis. Wut und Solidarität der Jugendlichen äußern sich selbst auf den entlegendsten Inseln Griechenlands.

Für Mittwoch, den 11. Dezember, ist ein Generalstreik angekündigt. Die Regierung versucht „natürlich“, die Jugend zu diffamieren. Diese sei „nur auf Krawall und Zerstörung“ aus, versucht sie die Repression zu rechtfertigen. Aus Athen werden Bilder geliefert, die beweisen sollen, dass „die Autonomen“ die Stadt kontrollieren und ganz und gar hilflosen, fast schon unbewaffneten Repressionsorganen gegenüberstehen - und das in einem Land, dessen Bullen eine lange Tradition blutiger und gezielter Unterdrückung haben. In Wirklichkeit soll dies nur dazu dienen, die Ausrufung eines Ausnahmezustandes vorzubereiten.

Zum anderen bemüht sie sich, die Situation zu befrieden und die Bevölkerung von Straße zu bringen, indem sie für den 10.12. einen „Tag der Trauer“ ausruft. Ob ihr das gelingt, ist zweifelhaft.

In jedem Fall hofft die angeschlagene Regierung wenige Tage nach dem Ausbruch der Mobilisierung durch solche Taktiken, die parlamentarische Opposition, allen voran die PASOK, und die Gewerkschaftsführungen an den Tisch zu bekommen, um gemeinsam die Kastanien aus dem Feuer zu holen, sprich Regierung und „Ordnung“ zu retten.

Pulverfass

Die Erschießung eines 15jährigen hat ein Pulverfass zum Explodieren gebracht. Kaum ein anderes Land ist von der aktuellen Wirtschaftskrise so betroffen wie Griechenland. Seit Monaten steigen die Lebensmittelpreise dramatisch. Aufgrund der Finanzkrise wurden die Banken mit 28 Milliarden gestützt, während die Zinsen für Privatkunden steigen. Um den Staatshaushalt einigermaßen im Lot zu halten, wurden die Steuern erhöht. Für die Jugend - und das heißt auch für viele Studierende, also Kinder aus der Arbeiteraristokratie oder den Mittelschichten - gibt es keine Perspektive, warten Arbeitslosigkeit oder präkere Beschäftiungsverhältnisse nach dem Studiem. Ein Ende der Verarmung und Verelendung ist nicht in Sicht.

Die Regierung hat auch schon in den vergangenen Jahren ihren Unwillen oder ihre Unfähigkeit bewiesen, irgendein wichtiges Problem zu lösen. Die bei den großen Waldbränden 2007 Geschädigten wie auch die Angehörigen der Todesopfer warten bis heute auf staatliche Hilfe.

Die neo-konservative Regierung ist außerdem in eine schier endlose Zahl von Korruptionsskandalen verwickelt, bei denen sich Günstlinge und Angehörige von Regierungsvertretern massiv bereicherten.

Die Bewegung in Griechenland verdient unsere Solidarität wie sie in Besetzungen von Botschaften und Konsulaten und Solidaritätsdemonstrationen zum Ausdruck kommen. Die Reaktion der Jugend, der Linken, ja großer Teile der Arbeiterbewegung in Griechenland ist uns allen Vorbild und Ermutigung. Sie zeigt, dass entschiedene Gegenwehr, dass Solidarität gegen Polizeigewalt und Repression möglich sind.

Der Kampf ist aber noch nicht entschieden. Die griechische Jugend und die Arbeiterbewegung können gewinnen, wenn die Verteidigung gegen die  Staatsgewalt verbunden wird mit einem Generalstreik, dem Kampf für ein Sofortprogramm gegen die Krise und gegen die reaktionäre Regierung! Sie können gewinnen, wenn es gelingt, aus den Demonstrationen eine organisierte Massenbewegung und revolutionären Führung zu formen, die sich auf demokratische Kampforgane der ArbeiterInnen und Jugend stützt und eine Streikbewegung sowie die Selbstverteidigung gegen den Staatsapparat organisiert.

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Nr. 135, Dez.Jan 2008/09
*  Klassenkampf 2009: Ein Jahr der Krise
*  31. Januar: Vorbereitungstreffen für bundesweite Demo
*  Metallabschluss: Schlappe im Kampf gegen die Krise
*  Heile Welt
*  Öffentlicher Dienst Berlin: Schlechter geht's (n)immer
*  Perspektiven des Bildungsstreiks: Für eine anti-kapitalistische Jugendbewegung!
*  Frankreich: Neue Kämpfe, neue Partei
*  Indien: Nach dem Anschlag - vor dem Krieg?
*  Griechenland: Aufstand gegen die Krise
*  Theorie: Luxemburgs Beitrag zum Marxismus