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Tarifabschluss im Öffentlichen Dienst Berlin

Schlechter geht’s (n)immer

Brigitte Falke, Neue Internationale 135, Dezember 2008/Januar 2009

Nach einem fast eineinhalbjährigen „Flexistreik“, der nichts Halbes und nichts Ganzes war, folgte am 12. November ganz „überraschend“ ein Tarifergebnis.

Ab dem 1.6.09 soll für jeden Tarifbeschäftigten des Landes Berlin ein Sockelbetrag von 65 Euro gezahlt werden. Eine schon geleistete Einmalzahlung von 300 Euro wird dabei angerechnet; die zweite, während der Verhandlungen „angedachte“, entfällt. Vorab schon wurde der Anwendungstarifvertrag ab 31.12.09 für beendet erklärt. Eine Nachwirkung ist ausgeschlossen. Damit wird die Arbeitszeit für den Osten auf 40 Stunden pro Woche und im Westen auf 39 erhöht - mit dem Lohnniveau des TVöD (der in Berlin aber nach wie vor nicht gilt). Vor allem aber entfällt damit auch der darin vereinbarte Kündigungsschutz. Während für die Westbeschäftigten, die länger als 15 Jahre im Öffentlichen Dienst beschäftigt sind, noch der alte BAT-West-Kündigungsschutz besteht, bedeutet dies, dass vor allem die Ostbeschäftigten ab dem 2. Januar 2010 gekündigt werden können.

Ab 2010 soll es verpflichtend „Gespräche“ zwischen den Tarifvertragsparteien geben, ob das Land Berlin wieder in den Arbeitgeberverband eintritt.

Dieses Desaster gibt die Gewerkschaftsbürokratie noch als „Erfolg“ aus! Trotzdem gab es scheinbar überraschend hohe Zustimmung. Bei ver.di sprachen sich 76,5 Prozent für das Ergebnis aus, bei der GEW 67,7 Prozent, bei der reaktionären Polizeigewerkschaft 70,1 Prozent.

Das darf allerdings nicht über die Unzufriedenheit der Basis hinwegtäuschen. Viele blieben der Abstimmung fern, andere stimmten demoralisiert zu, weil sie jede Hoffnung verloren hatten, dass die Berliner Gewerkschaften, besondere ver.di und GEW mit ihre zahnlosen Streiktaktik mehr herausholen könnten. Schließlich lief der „Streik“ rund eineinhalb Jahre lang so ab, dass auf einige Streiktage mehrere Wochen oder gar Monate Unterbrechung folgten. Kurz, die Taktik der Gewerkschaften war derart, dass praktisch kein Druck auf den Senat aufgebaut werden konnte.

Unabhängig davon, ob eine Tarifvereinbarung vorab die Nachwirkung eines anderen Tarifvertrages ausschließen darf (nur zum Vorteil der Beschäftigten ist dies eindeutig bestimmt), schauen jetzt viele Berliner Beschäftigte sogar neidisch auf das auch schon mickrige IG-Metallergebis.

Selbst wenn die ArbeiterInnen und Angestellten im unteren Lohn- und Gehaltsbereich froh über jeden Euro mehr in der Tasche sind, deckt dies doch gerade mal die Preissteigerungen von Grundbedarfsgütern ab. Die Beschäftigten im oberen und mittleren Entgeltbereich sind stattdessen sehr unzufrieden.

Das drückte sich u.a. in der geringen Wahlbeteiligung für die Beschäftigtenvertretung im Stellenpool aus: nicht mal 10 Prozent haben ihre Stimme abgegeben! Dieses schlechte Ergebnis, das neben einer kaum spürbaren Lohnerhöhung mit der Preisgabe des Kündigungsschutzes verknüpft ist, führt bei einem Großteil der Kollegen dazu, den Sinn von ver.di-geführten Streiks anzuzweifeln - vor allem nach eineinhalb Jahren „Streik“. Diese Untergrabung von Kampfmoral und Mobilisierung ist das Negativste dieses „Kampfes“ unter Führung der Bürokratie. Zudem spaltet sie damit die vor Kündigung geschützten Beamten bzw. Westbeschäftigten gegenüber den ungeschützten Ostbeschäftigten. Die längere Arbeitszeit ist sogar eine Steilvorlage für Entlassungen 2010.

Das alles wird jedoch von den FunktrionärInnen bei ver.di-Versammlungen heruntergespielt. Dazu werde es nicht kommen, weil in drei Jahren viele Arbeitsplätze wegen Verrentung und Pensionierung frei würden. Doch der Senat kürzt weiter Arbeitsplätze! Die etwa 100.000 Beschäftigten des Landes Berlin werden von den Gewerkschaften völlig desorientiert!

Gerade ein rot-roter Senat, der angeblich die Beschäftigteninteressen besser vertreten will, geht Hand in Hand mit der Gewerkschaftsbürokratie bei dieser Mauschelei zur Verarschung der Beschäftigten. Die „ostdeutsche Volkspartei“ DIE LINKE ist mitverantwortlich für eine Vereinbarung, die besonders zu Lasten der Ostbeschäftigten geht! Mehr als tausend Absichtserklärung der LINKEN zeigt der Tarifabschluss im Berliner Öffentlichen Dienst, wo sie im Ernstfall steht - auf Seiten des bürgerlichen Staates, gegen die Interessen der Beschäftigten!

Unsere politische Antwort kann nur heißen: Aufbau einer Gewerkschaftsopposition in ver.di und GEW! Aufbau einer politischen und sozialen Opposition gegen den „rot-roten“ Berliner Senat und seine arbeiterfeindliche Politik!

Für ver.di heißt das konkret, dass ihre Basismitglieder zunächst beginnen sollten, sich über den Fortfall des Kündigungsschutzes zu informieren und die Verhandlungsführer aufzufordern, diesen auf die Ostbeschäftigten auszudehnen. Dazu müssen Unterschriften gesammelt und Versammlungen organisiert werden!

Weg mit der Ost/West-Tarifmauer - Osttarife auf West-Niveau!

Unbefristeter Vollstreik für mehr Lohn und Gehalt beim Auslaufen des Anwendungstarifvertrages!

Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich zur Verteilung der Arbeit auf alle - statt Anhebung der Arbeitszeiten bei gleichzeitiger Aufhebung der Beschäftigungssicherung!

SPD und LINKE wüten in Berlin nicht nur bei „ihren“ Beschäftigten. Aufgrund der Sparpolitik stehen allein im Bezirk Pankow über 40 Jugendbildungs- und Freizeiteinrichtungen samt Beschäftigten vor dem Aus. Weitere Stadtteile werden folgen. Am 12. November streikten rund 10.000 SchülerInnen und Beschäftigte gegen die Misere im Berliner Bildungswesen. GEW und ver.di verhinderten eine gemeinsame Mobilisierung mit den SchülerInnen und unterstützten deren Kampf fast gar nicht.

Die Beschäftigten im Öffentlichen Dienst müssen sich daher nicht nur zu einer Opposition gegen „ihre“ Gewerkschaftsführung formieren - ein Teil einer solchen Oppositionsbildung muss die Solidarität, muss der gemeinsame Kampf mit allen anderen von den Kürzungen des Senats Betroffenen sein.

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Nr. 135, Dez.Jan 2008/09
*  Klassenkampf 2009: Ein Jahr der Krise
*  31. Januar: Vorbereitungstreffen für bundesweite Demo
*  Metallabschluss: Schlappe im Kampf gegen die Krise
*  Heile Welt
*  Öffentlicher Dienst Berlin: Schlechter geht's (n)immer
*  Perspektiven des Bildungsstreiks: Für eine anti-kapitalistische Jugendbewegung!
*  Frankreich: Neue Kämpfe, neue Partei
*  Indien: Nach dem Anschlag - vor dem Krieg?
*  Griechenland: Aufstand gegen die Krise
*  Theorie: Luxemburgs Beitrag zum Marxismus