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Faschismus

Ausweg in die Hölle

Rex Rotmann, Neue Internationale 127, März 2008

Die braunen Jahre waren die schwärzeste Zeit der jüngeren deutschen Geschichte. Die Mehrheit der bürgerlichen Kommentatoren stellt Hitlers Regime als Ergebnis des Scheiterns der Demokratie dar. Die Weimarer Republik sei eine „Demokratie ohne Demokraten“ gewesen. Daraus folgern sie, dass eine stärkere Demokratie bzw. „die Demokraten“ Hitler hätten verhindern können.

Doch für MarxistInnen ist der Faschismus nicht nur eine besondere Herrschaftsform, einmal an der Macht ist er vor allem Ausdruck der Herrschaft einer Klasse, er ist ein Machtinstrument zur Durchsetzung der Interessen des Kapitals.

Krise und Klassenkampf

Die faschistische Diktatur kann nur im Kontext gesellschaftlicher und historischer Entwicklungen verstanden werden. Durch die Niederlage im Ersten Weltkrieg war dem deutschen Imperialismus der Weg zur Weltmacht versperrt. Im Gefolge der Niederlage brach die Novemberrevolution aus. Doch durch die Politik der SPD blieb die Revolution eine halbe; das Kaiserreich war erledigt, der Kapitalismus jedoch war gerettet.

Doch durch Reparationen und die Inflation stand das demokratische Gebäude der Weimarer Republik von Anfang an auf einem porösen sozialen Untergrund. Heftige, teils bewaffnete  Klassenkämpfe erschütterten die Republik. Der kurze Wirtschaftsaufschwung ab Mitte der 1920er - entgegen der sozialen Lage der Massen oft als „Goldene Zwanziger“ bezeichnet - wurde schon 1929 vom „Schwarzen Freitag“ und der folgenden Weltwirtschaftskrise jäh unterbrochen. Millionen Arbeitslose und bittere Armut immer größerer Teile der Gesellschaft prägten das Bild. Mit Notverordnungen und Sozialabbau versuchten die schnell wechselnden Koalitionen (in denen die SPD eine zentrale Rolle spielte), die Krise auf Kosten der Massen zu lösen und das System am Laufen zu halten.

Die Novemberrevolution hatte die grundsätzlichen sozial-ökonomischen Strukturen des Kapitalismus als Quellen für Krisen, Not und Konflikte nicht überwunden. Die ohnedies schwachen Erwartungen in die Weimarer Demokratie zerbröselten zusehends. Das politische Spektrum polarisierte und radikalisierte sich. Nur eine grundsätzliche und schnelle Umwälzung der Verhältnisse konnte die unerträgliche Lage verbessern.

Inflation und Krise hatten die Gesellschaft durchgeschüttelt. Trotzki beschrieb die Situation so: „Das Nachkriegschaos traf die Handwerker, Krämer und Angestellten nicht weniger heftig als die Arbeiter. Die Landwirtschaftskrise richtete die Bauern zugrunde. Der Verfall der Mittelschichten konnte nicht ihre Proletarisierung bedeuten, da ja im Proletariat selbst ein riesiges Heer chronisch Arbeitsloser entstand. Die Pauperisierung (Verelendung, d. A.) der Mittelschichten (…) fraß allen offiziellen Glauben und vor allem die Lehren vom demokratischen Parlamentarismus.“ (Porträt des Nationalsozialismus)

Zugleich war auch von Beginn der Weimarer Republik an klar, dass die Nachkriegsordnung für das Gesamtinteresse des deutschen Kapitals untragbar war, nach Revision, Wiederaufteilung der Welt geradezu schrie.

Die Zerschlagung aller inneren Hindernisse - sprich der Drohung einer organisierten Arbeiterbewegung und der proletarischen Revolution - war eine Voraussetzung für die imperialistische Expansionspolitik, letztlich für den Weltkrieg zur Neuaufteilung der Welt.

Diese Entwicklung verweist auf die angestaute soziale Sprengkraft, die mit den Mechanismen der Demokratie nicht mehr gebändigt werden konnte - und zwar nicht,  weil es an „Demokraten“ fehlte, sondern weil das demokratische Regime eine bürgerliche Herrschaftsform ist, welche die Interessen keiner Klasse mehr befriedigen konnte. Die Alternative stand zwischen sozialistischer Revolution - oder Abschluss der Konterrevolution durch den Faschismus.

Radikalisierung

Diese sozialen Entwicklungen veränderten auch das politische Spektrum gründlich. Die bürgerliche Mitte stagnierte in den Wahlen (Zentrum, BVP) oder verlor (DNVP, DVP, DDP). Die SPD sank zwischen Mai 1928 und November 1932 von 30 auf 20 Prozent, während die KPD in diesem Zeitraum von 10 auf 17 Prozent kletterte.

Doch all das wurde vom rasanten Aufstieg der NSDAP überschattet, die im selben Zeitraum von 2,6 (Mai 1928)  auf 37,4 Prozent im Juli 1932 anwuchs.

Mehr noch als bei Wahlen wurde die Radikalisierung auf der Straße deutlich: Aufmärsche, Massenveranstaltungen, radikale Parolen und der Terror der Nazis gegen Linke prägten die Szenerie. Beide standen gegen das Weimarer System: die NSDAP gab sich demagogisch „antikapitalistisch,“ die KPD war tatsächlich antikapitalistisch und wollte ein „Sowjetdeutschland.“

Der Charakter des Faschismus

In den offiziellen bürgerlichen Darstellungen in den Medien oder in den Schulen wird der Faschismus richtig als antidemokratisch, rassistisch, terroristisch usw. dargestellt. Doch sein Klassencharakter wird meist ausgeblendet oder komplett falsch dargestellt.

Der Faschismus ist in Entstehung, Führungspersonal, Programm, ja in seinem ganzen Habitus eine Bewegung des radikalisierten Kleinbürgertums oder, wie es Trotzki treffend formulierte, des „wild gewordenen Kleinbürgers“. Deren sich verschlechternde soziale Lage drängte sie nach einer radikalen Lösung und radikalen Methoden.

Der verschwommene „Antikapitalismus“ der NSDAP versprach dem Kleinbürger Befreiung von Schulden, Zinslast und Konkurrenz durch das große Kapital. Er stellte aber keine einzige Grundlage des Kapitalismus in Frage.

Seine Ideologie ist ein Gemischtwarenladen aus radikalen, teils sozialistisch klingenden Phrasen, Religion, Okkultismus und ganz „normalen“ Elementen bürgerlichen Denkens wie Nationalismus, Rassismus, Paternalismus, Familie usw.

Die inhaltliche Schwäche seines Programms überdeckte der deutsche Faschismus v.a. mit dem Antisemitismus. In ihm fokussierte sich die faschistische Ideologie: Er appellierte an die als „germanische Rasse“ verbrämte Nation, lenkte vom Klassenwiderspruch ab, versprach die Ausschaltung unliebsamer jüdischer Konkurrenz, lieferte einen Sündenbock und stärkte zugleich das „Selbstwertgefühl“ der von Kriegsniederlage und Krise Gebeutelten.

Das Neue und Gefährliche am Faschismus war, dass er die Mittelschichten, aber auch deklassierte Teile des Proletariats (jedoch nie dessen Mehrheit) nicht nur zur Wahl mobilisierte, sondern sie für Aktionen und Terror organsierte.

Anfangs standen nur kleinere Teile des Kapitals hinter Hitler. Erst, als sich immer deutlicher abzeichnete, dass das bürgerliche Regime immer brüchiger und die Gefahr, dass die Arbeiterklasse (v.a. in Gestalt der KPD) den Kapitalismus stürzen könnte, immer drohender wurden, setzten die entscheidenden Teile des Kapitals (v.a. der Montanindustrie) auf die braune Karte.

Dabei wussten sie genau, dass das faschistische Programm imperialistisch und expansionistisch war und zugleich versprach, die Arbeiterklasse zu bändigen und die revolutionäre Gefahr abzuwenden. Sie waren sich bewusst, dass der Faschismus die Arbeiterklasse provoziert und eine revolutionäre Gegenreaktion des Proletariats hervorrufen könnte - doch es war keine andere bürgerliche Kraft in der Lage, die Arbeiterbewegung zu zermalmen und dem deutschen Kapital zu neuer Weltgeltung zu führen.

Trotzki kennzeichnet den Klassencharakter und die historische Funktion des Faschismus so: „Der deutsche wie der italienische Faschismus stiegen zur Macht über den Rücken des Kleinbürgertums, das sie zu einem Rammbock gegen die Arbeiterklasse und die Einrichtungen der Demokratie zusammenpressten. Aber der Faschismus, einmal an der Macht, ist alles andere als eine Regierung des Kleinbürgertums. (…) Die gewaltsame Zusammenfassung aller Kräfte und Mittel (…) im Interesse des Imperialismus duldet keinen Widerstand von innen“. (Trotzki, Portrait des Nationalsozialismus)

Hätte Hitler gestoppt werden können?

Die Art und Weise, wie die NSDAP letztlich an die Macht kam und die Nazis ihr Terrorregime errichteten, zeigt, wie hoffnungslos „die Demokratie“ war. Sie zeigt, dass Hitler über Koalitionen und die Nutzung demokratischer Institutionen zur Macht kam, um diese dann zu zerstören.

Die einzige soziale Kraft, die stark genug war, um Hitler zu stoppen - und ihn auch wirklich stoppen wollte! - war die Arbeiterklasse. Sie war die größte Klasse und verfügte mit SPD, KPD und Gewerkschaften über mächtige Organisationen.

Doch mangelte es der Arbeiterbewegung an Führungen und einer Politik, die geeignet gewesen wären, den Faschismus zu schlagen.

Die Politik von SPD und KPD

Die Politik der SPD als stärkster, aber durch und durch bürgerlicher Arbeiterpartei bewegte sich zwischen zwei Eckpunkten: einerseits versuchte man, die Demokratie mit den Mitteln der Demokratie zu verteidigen. Wie fatal das praktisch war, zeigte die Wahlunterstützung für den greisen Präsidenten Hindenburg, der wie ein Kleiderständer von Hitler beiseite geschoben wurde und statt eines Hindernisses für Hitler eher zum Steigbügelhalter wurde.

Der zweite Pol ihrer Politik war die Angst vor der KPD und einer Revolution. Die Verbundenheit der SPD-Führung mit dem kapitalistischen System war letztlich größer als ihre Angst vor Hitler. Die SPD-Spitze - und der von ihr dominierte Gewerkschaftsapparat - weigerte sich, ihre Basis gegen den braunen Mob zu mobilisieren; sie weigerte sich, die Angebote der KPD zum gemeinsamen Kampf gegen die Nazis anzunehmen. Der ADGB marschierte am 1. Mai 1933, nach der Machtergreifung Hitlers, unter Hakenkreuzfahnen - dann  wurde er verboten.

Dass die SPD-Führung ihre untaugliche Politik bis zur bitteren Neige umsetzen und ihren Einfluss in der Industriearbeiterschaft über weite Strecken halten konnte, lag wesentlich an den fatalen Fehlern der KPD. Inzwischen nach Stalins Doktrin ausgerichtet und gesäubert, verfolgte die KPD die ultralinke Politik der „Dritten Periode“. Nach dieser wurde die Sozialdemokratie als „Sozialfaschismus“ eingeschätzt, jede Zusammenarbeit mit SozialdemokratInnen im Kampf gegen die Nazis wurde so praktisch unmöglich. Anstatt die gesamte Klasse und alle ihre Organisationen gegen den Faschismus zu mobilisieren, blockierte die Thälmann-KPD das mit ihrer Politik.

Fatal war auch, dass die KPD - animiert durch die Komintern - den Charakter des Faschismus nicht verstand, genauer dessen Besonderheiten. Die Herrschaft des Faschismus war nicht nur eine radikalisierte Variante der bonapartistischen Regime Brünings, Schleichers, von Papens, sondern ein Regime, das auf dem Rücken einer Massenbewegung des Kleinbürgertums an Macht kam, die in der Lage war, die gesamte Arbeiterbewegung physisch zu vernichten, wie es der polizeiliche Apparat nicht vermocht hätte. So kam die KPD zu solchen fatalen Schlüssen wie dem, dass Hitler selbst „bald abgewirtschaftet habe“ und die KPD dann - animiert durch die Zuwächse bei den Wahlen - ans Ruder käme.

Als die Gefahr immer größer und auch der Druck auf alle ArbeiterInnen, sich gemeinsam gegen die Nazis zu wehren, immer drückender wurden, schwenkte die KPD um. Nun bot sie der SPD die „Einheitsfront von unten“ an. Doch diese Taktik bedeutete, dass sich die sozialdemokratischen ArbeiterInnen - also die Mehrheit der organisierten Arbeiterbewegung - sich zuerst von ihren Führern lossagen sollten. Diese „halbe“ Anwendung der Einheitsfronttaktik funktionierte natürlich nicht, erlaubte aber der SPD-Spitze, das KPD-Angebot als Betrug abzulehnen und ihre Basis zurückzuhalten.

Durch das Nichtzustandekommen einer antifaschistischen Einheitsfront der Arbeiterklasse, sahen auch die Mittelschichten und selbst Teile der Arbeiterklasse in der Arbeiterbewegung keine erfolgversprechende Kraft und wandten sich nach rechts.

Das Ergebnis ist bekannt: Die deutsche Arbeiterbewegung wurde kampflos geschlagen, viele ihrer Besten wurden ermordet. Der Terror in Deutschland wiederum war nur das Vorspiel zum millionenfachen Tod in den KZs, an den Fronten und in den zerbombten Städten.

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Nr. 127, März 2008
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