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Bolkestein, Port Package ...

Wider die Freiheit des Kapitals

Martin Suchanek, Neue Internationale 107, Februar 2006

Die Dienstleistungsrichtlinie zur Regulierung des europäischen Binnenmarkts, auch als „Bolkestein“-Richtlinie bekannt, geht in die nächste Runde.

2005 wurde sie knapp vom europäischen Parlament abgelehnt. Jetzt soll sie erneut durchgepeitscht werden. Der Entwurf geht am 14. Februar in die erste Lesung.

Manche Vorhaben sind zwar raus – so sollen Gesundheitsdienste und audiovisuelle Dienstleistungen vom Geltungsbereich der Richtlinie ausgeschlossen werden. Der Grundtenor bleibt jedoch.

Herkunftslandprinzip

Grundsätzlich sollen die rechtlichen Anforderungen an Unternehmen beim Eröffnen einer Niederlassung in einem anderen EU-Staat abgesenkt werden. Der Kern der Richtlinie ist dabei das „Herkunftslandprinzip“.

Es bedeutet, dass Unternehmen in anderen EU-Staaten unter den Bedingungen aktiv werden, die im Staat ihres Firmensitzes gelten. Die Folge davon wäre, dass mehr Unternehmen ihren Sitz in Staaten mit niedrigeren Standards verlegen, und der Wettlauf um die niedrigsten Löhne, Steuern und sozialen Absicherungen zwischen den Mitgliedstaaten weiter angeheizt würde.

"Die geplante Richtlinie sieht ein Herkunftslandprinzip vor, nach dem Firmen, die in Deutschland z.B. Baudienstleistungen anbieten, nicht mehr nach deutschem, sondern nach dem Recht des Landes behandelt würden, in dem der Firmensitz ist. Das hieße, dass weder das hiesige Tarifrecht noch das Steuer- oder das Sozialversicherungsrecht, sondern immer das Recht des jeweiligen Herkunftslandes gilt. Viele Dinge, die wir eingeführt haben, um einen Dumpinglohnwettbewerb zu verhindern, würden nicht mehr gelten. Selbst ältere EU-Richtlinien würden ausgehebelt." (Rainer Knerler, Geschäftsführer des Bezirksverbandes Berlin der IG BAU, in der jw).

Besonders makaber ist die Absicht der Liberalisierer, auch Leiharbeit einzubeziehen. Damit werden die Leute, die sowieso schon am untersten Rand des Einkommens stehen, in die Hände von Firmen gezwungen, die ihren Sitz tausende Kilometer entfernt haben. Auch dann sollen die Löhne und Arbeitsbedingungen von dort Maßstab sein.

Gegenüber dem ersten Entwurf gab es hinsichtlich des Herkunftslandprinzips nur wenig Veränderung. Einzig die rechtliche Kontrolle der Unternehmen soll nun im Land stattfinden, in dem sie aktiv sind. Ursprünglich hätten auch dafür die Behörden des Herkunftslandes zuständig sein sollen, so dass z.B. rumänische Behörden die Einhaltung des Arbeitsrechts in Deutschland oder Frankreich hätten kontrollieren sollen.

In jedem Fall soll mit Bolkestein und anderen Gesetzen wie z.B. dem Port Package (siehe unten) der Prozess der weitgehenden Liberalisierung im Dienstleistungsbereich vorangetrieben werden.

Die Bedeutung der Richtlinie kann dennoch nur schwer überschätzt werden. Immerhin zählen in einigen EU-Staaten bis zu 70 Prozent aller Beschäftigungsverhältnisse zu den „Dienstleistungen“.

Port Package II gefallen: Gegenwehr lohnt sich

Dass Widerstand möglich und erfolgreich sein kann, zeigten die europäischen Docker im Januar dieses Jahres.

Mit einem europaweit koordinierten Streik konnten sie auch den zweiten Anlauf zur weiteren Deregulierung der Häfen abwehren. Schon 2003 war Port Package I am Widerstand der ArbeiterInnen in den großen europäischen Frachthäfen in Spanien, Frankreich, den Niederlanden, Belgien und Deutschland gescheitert.

Auch gegen Port Package II legten rund 30.000 Docker die Arbeiter nieder, darunter etwa tausend in Hamburg und anderen deutschen Häfen.

Es ist dies eines der ersten Beispiele, wie eine politische Offensive der EU-Kommission durch gemeinsamen Kampf - Streiks und Protestdemos - abgewehrt werden konnte.

Der krönende Höhepunkt des Kampfes war zweifellos die Demonstration von rund 15.000 Hafenarbeitern in Straßburg, die an einzelnen Stellen die Polizeiabsperrungen vor dem europäischen Parlament durchbrechen konnten und den EU-Parlamentariern Feuer unterm Arsch machten.

Der Druck zeigte Wirkung. Mit 532 von 677 Stimmen hatte das EU-Parlament zuvor Port Package II abgelehnt.

Neoliberale Lobbyisten, wie der aus Hamburg stammende CDU-EU-Parlamentarier Georg Jarzembowski sahen gar finstere Kräfte am Werk: „eine unheilige Allianz der Besitzstandswahrer und der Steinewerfer.“

Das Scheitern von Port Package II zeigt zweierlei: Erstens ist ein europaweiter Streik ist möglich und zahlt sich aus. Zweitens werden die Kapitalisten damit noch lange nicht klein bei geben, dann Port Package III soll jetzt auf den Weg gebracht werden.

Die Bedeutung der Angriffe

Die Angriffe auf den „Dienstleistungssektor“, der im übrigen so unterschiedliche „Dienste“ wie Gesundheitswesen, Bauwirtschaft oder Transport umfasst, sind in mehrfacher Hinsicht Resultat und Erfordernis verschärfter globaler Konkurrenz und der Schaffung eines ökonomisch vereinheitlichen europäischen Kapitalismus.

Es geht dabei um mehrerer Ziele:

Vereinheitlichung des europäischen Marktes, so dass sich grenzüberschreitend neue Monopole in bestimmten Sektoren herausbilden können;

Privatisierung bislang staatlich organisierter Bereiche, um neue, lukrative Sphären, für Anlage suchendes Kapital zu schaffen, Anziehen möglichst großer Kapitalmengen auf den internationalen Finanzmarkt;

Reduktion von Kosten für große Kapitale - z.B. von Transportkosten im Zuge der Einführung des Port Package.

Dieser letzte Punkt lässt sich leicht verdeutlichen, wenn wir näher auf den Inhalt von Port Package eingehen. In den letzten Jahrzehnten hat sich die Bedeutung des Schiffsverkehrs für den Warentransport enorm erhöht. Das ist selbst eine Funktion des rasanten Wachstums des Warenverkehrs im Zuge der Globalisierung. So hat sich z.B. das Gesamtvolumen des Schiffsverkehrs von 1975 bis 2003 verdoppelt. Rund 90% des EU-Außenhandels (und immerhin rund 40 Prozent des Innenhandels) werden über den Schiffsverkehr abgewickelt. Die „nord range“ (Häfen von Le Havre, über Antwerpen und Rotterdam bis Hamburg) ist dabei die Hauptschlagader des europäischen Exportes.

Bei Port Package geht es darum, dass bislang von den Häfen unter relativ starker gewerkschaftlicher Kontrolle durchgeführte Arbeiten (Lotsen, Löschen der Schiffe) zukünftig auch ohne tarifliche Bindungen sowie durch die immer mächtiger werdenden Großreedereien angeboten werden können (die schon jetzt rund die Hälfte des weltweiten Containerhandels kontrollieren).

Ein Durchsetzen des Port Package liegt also ganz direkt im Interesse wichtiger Fraktionen des Großkapitals - nicht nur der großen Reedereien, sondern auch der großen Exporteure.

Bolkestein und Port Package bedeuten:

Massive Reduktion der Lohnkosten, Verschlechterung der Arbeitsbedingungen, kurz: Erhöhung der Ausbeutungsrate großer Teile der Arbeiterklasse und Verschärfung der Konkurrenz unter den Lohnabhängigen;

Zerstörung vorhandener Rechte der Arbeiterklasse und ihrer Organisationen (z.B. der Gewerkschaften in den Häfen).

Welche Demo?

Die beiden international organisierten Streiks der Hafenarbeiter 2003 und 2006 zeigen, welche Aktionen möglich und nötig sind, um gegen die Angriffe des europäischen Kapitals und der EU-Kommission siegen zu können.

Die Demonstrationen gegen Bolkestein im Februar müssten genutzt werden, um die Mobilisierung weiter voran zu bringen.

Wir dürfen aber bei aller Freude über den Erfolg der Docker die Fallstricke der bisherigen Mobilisierung nicht übersehen, wenn wir beim Aufbau einer internationalen Abwehrfront gegen die Angriffe weiter kommen wollen.

Vor allem der Europäische Gewerkschaftsbund (EGB) und die angeschlossenen Gewerkschaften treiben hier ein zynisches Spiel auf dem Rücken von Millionen, die sich zunehmend der Gefahren der Angriffe bewusst werden und die auch bereit sind, sich zu wehren.

Schon seit längerer Zeit haben die „sozialen Bewegungen“, darunter radikalere Gewerkschaftsgruppierungen wie die italienischen COBAS, attac und Sozialforen für den 11. Februar eine Demonstration gegen die Richtlinie geplant und organisiert.

In dieser Situation schickten die EGB-Gewerkschaften die CGT vor, die durchaus mit Recht auf eine Demo am 14. Februar, den Tag der Lesung der Vorlage im EU-Parlament, gedrängt hatte.

Der EGB will jedoch keine konfrontativere Demo im Anschluss an die Aktionen der Docker im Januar. Es geht vielmehr darum, auf der Demonstration nicht mit „zu radikalen“ Forderungen der sozialen Bewegung konfrontiert zu sein.

Hinzu kommt, dass der EGB keine Verständigung mit den Organisatoren der Demonstration am 11. Februar gesucht hatte - z.B., um gemeinsam für den 14. zu mobilisieren.

Im Gegenteil! Im Süden Deutschlands haben z.B. lokale Sekretäre der IG Metall auf Geheiß der Frankfurter Gewerkschaftszentrale schon zugesagte Unterstützung für Busse zur Demo am 11. Februar wieder zurückgezogen und versucht, auch jede Werbung für den 11. Februar durch Gewerkschafter und Vertrauensleute zu untersagen. Gleichzeitig versuchen sie, die Mobilisierung für den 14. Februar auf eine Funktionärsaktion zu beschränken.

Dafür hat der DGB - sonst kein Vorbild spontaner Mobilisierungsbereitschaft - eine Demo gegen Bolkestein am 11. Februar in Berlin aus dem Hut gezaubert.

Sicherlich spiegelt das den Druck des deutschen und des EU-Kapitals auf die Bürokratie ebenso wie den Druck von unten durch mehr betriebliche Aktionen wider.

Man muss die Demo des DGB v.a. aber auch im Kontext der für den 25. März geplanten bundesweiten Großdemonstration gegen die Große Koalition sehen. Die Gewerkschaftsführungen lehnen bislang jede Unterstützung dafür ab, weil sie eine enge Kooperation mit der Regierung und der SPD anstreben, um diese „in ein sozialere Richtung zu drängen.“ Sie wollen also, dass eine Demo gegen die Regierung möglichst klein wird. Der 11. Februar soll dazu eine mehrfache Funktion erfüllen - einerseits können die Bürokraten dann darauf verweisen, dass sie etwas tun, andererseits richtet sie sich nicht gegen die Regierung, sondern in erste Linie gegen „Brüssel“.

Die Bürokraten werden die Demo am 11. Februar im Falle geringer Teilnehmerzahlen noch zusätzlich als „Argument“ missbrauchen, dass eine Großdemo gegen die Regierung nicht möglich wäre und damit zu demobilisieren versuchen.

Notwendig wäre folgendes gewesen: Gemeinsam für die Rücknahme der Bolkestein-Richtlinie ohne Wenn und Aber zu demonstrieren.

In diesem Fall hätte man eindeutig den Vorschlag der CGT unterstützen müssen, um die Demonstration am 14. Februar - dem Tag der ersten Lesung - mit einem europaweiten Streiktag zu verbinden und die Demonstration in Strassburg möglichst militant durchzuführen. Das Beispiel der Hafenarbeiter zeigt, dass die konfrontative Demo-Taktik Wirkung hat.

Nein zur Standortborniertheit!

Ein zweiter Fallstrick zeigte sich auch im Kampf gegen das Port Package (und in vielen Argumentationen gegen die Bolkestein-Direktive).

So begrüßte auch der Verband deutscher Seehäfenbetreiber die Proteste, weil er sich so lästige Konkurrenz durch die Großreedereien vom Hals halten und von der eigenen verschärften Ausbeutung ablenken will. Genau aus diesem Grund heuchelte auch Verkehrsminister Tiefensee (SPD) Verständnis, weil es natürlich zu seinen Obliegenheiten gehört, speziell deutsche Ausbeutungsinteressen zu schützen.

Die Gewerkschaftschefs Sommer und Bsirske faselten etwas von der bewiesenen Leistungsbereitschaft und Wettbewerbsfähigkeit deutscher Arbeiter und Häfen. Deswegen sei die Einführung der Richtlinie nicht nötig.

Solche „Argumente“ steigern keine Kampfbereitschaft - sie spalten. Sie leisten sozialchauvinistischer Standortlogik Vorschub, statt den Kampf gegen den Kapitalangriff international zusammenzubringen und z.B. die überausgebeuteten ArbeiterInnen auf den Containerschiffen mit in den Kampf einzubeziehen.

Wie weiter?

Die Kämpfe der letzten Monate zeigen, dass es wachsende Unzufriedenheit, aber auch Kampfbereitschaft und Aussicht auf Erfolg gibt. Die Vereinheitlichung, Koordinierung und politische Ausrichtung dieser Kämpfe ist und bleibt die Schlüsselfrage in der gegenwärtigen Situation.

Während die in den einzelnen Ländern gut organisierten Hafenarbeiter (deren gewerkschaftlicher Organisationsgrad z.B. in Deutschland über 90 % beträgt) aufgrund ihrer besseren internationalen Verbindung, aber auch ihrer großen ökonomischen Druckmöglichkeiten recht gute Chancen gegen die Angriffe des Kapitals haben, sind andere Branchen und Sektoren auf gemeinsame Aktionen noch viel mehr angewiesen.

So z.B. die Beschäftigten in den von Schließung bedrohten Betrieben wie AEG in Nürnberg, Samsung, CNH oder JVC in Berlin.

Das betrifft aber auch aus anderem Grund die Beschäftigten in von Angriffen bedrohten Klinika und Krankenhäusern, bei denen der Streik natürlich ein weniger scharfes ökonomisches Mittel darstellt als z.B. die Lahmlegung der größten Häfen Europas.

Die Vereinheitlichung und Koordinierung der Kämpfe ist jedoch keineswegs bloß ein „organisatorisches“ oder „Vernetzungs“problem. Es ist vor allem ein politisches.

Erstens, weil der Angriff auf verschiedene Bereiche - sei es die Dienstleistungsrichtlinie, Port Package, aber auch die Schließung industrieller Unternehmen alle Teil einer umfassenden Offensive von Kapital und Regierungen auf die Lohnabhängigen sind. Diese Angriffe können letztlich auch nur erfolgreich abgewehrt werden, wenn der Widerstand selbst über einzelne Betriebe oder Branchen hinausgeht, einen gesellschaftlichen, politischen und internationalen Charakter annimmt.

Zweitens, weil er nur erfolgreich abgewehrt werden kann, wenn die Proteste über symbolischen Charakter oder gelegentliche Großdemos oder Warnstreiks hinausgehen. Kurz: es bedarf europaweit koordinierter Streiks, politischer Massenstreiks bis hin zum Generalstreik!

Politische Ausrichtung

Zweifellos ist das heute noch ein langer Weg. Es ist vor allem ein langer Weg, weil die in der Bewegung dominierenden gewerkschaftlichen und politischen Kräfte - vom linken Flügel der Sozialdemokratie, über die Gewerkschaftsbürokratie bis hin zur europäischen Linkspartei, der WASG-Führung oder attac einer solchen politischen Orientierung entgegenstehen.

Sie wollen die Bewegung letztlich immer auf ein Mittel für einen „vernünftigen“ Kompromiss mit der herrschenden Klasse, für eine „andere“ bürgerliche Politik zurechtstutzen.

Zweifellos führt in der aktuellen Situation und angesichts ihrer Dominanz über die Bewegung und Aktionen kein Weg daran vorbei, in den Mobilisierungen, auf Aktionskonferenzen, in der WASG usw. Forderungen an diese Führungen zu stellen und, wo sie sich dafür aussprechen oder real mobilisieren, mit ihnen zusammenzuarbeiten.

Aber diese Zusammenarbeit muss immer auf die gemeinsame Aktion und die Mobilisierung für gemeinsame Ziele (z.B. Bolkestein zu Fall zu bringen) beschränkt sein. Die Kritik an diesen Führungen, ihrer reformistischen Politik darf nicht verschwiegen werden.

Vor allem aber geht es auch darum, eigene Kampfstrukturen zu propagieren, bei Aktionen und Demos dafür zu agitieren und, wo möglich, diese auszubauen:

eine Basisbewegung gegen die Bürokratie in den Gewerkschaften und Betrieben;

Aktionskomitees in den Stadtteilen;

eine bundesweite und internationale Koordinierung des Kampfes;

eine neue Arbeiterpartei, die gegen Kapitalismus und Imperialismus kämpft!

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