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IG Metall

Tarifrunde in Zeiten des Lohnverzichts

Frederick Haber, Neue Internationale 107, Februar 2006

Die IG Metall fordert 5% - die Unternehmer drohen mit der Verlagerung und der Vernichtung weiterer zehntausender Arbeitsplätze. Das ist eine reale Drohung, sie hat nur nichts mit einer Tariferhöhung zu tun. Die Kette der platt gemachten Betriebe in der Metallindustrie wird immer länger: Infineon, AEG-Hausgeräte Nürnberg, Samsung Berlin, Kone ... Die nächsten sind schon angekündigt: Panasonic Esslingen ... Wo nicht verlagert wird, wird massiv rationalisiert.

Die Drohung der Unternehmer mit Arbeitsplatzabbau kann aber ihre Wirkung besonders gut entfalten, weil die IG Metall in den letzten zwei Jahren unter dieser Drohung elendiglich eingebrochen ist und in hunderten von Betrieben Lohnverzicht vereinbart hat, „um Arbeitsplätze zu sichern“.

Beispiel DC

Doch mit dieser Sicherheit ist es nicht weit her. Gerade ein Jahr, nachdem der Gesamt-Betriebsratschef von DaimlerChrysler, Klemm, stolz erklärt hat, man habe 160.000 Arbeitsplätze in Deutschland gesichert, verkündet der neue Boss des Konzerns, dass 8.500 davon sofort gestrichen werden sollen und dass dies nur der Anfang sei. Ähnliches spielt sich in vielen anderen Konzernen und Kleinbetrieben ab.

Jetzt heißt es aus der IG Metall mit Blick auf die Tarifrunde: „Lohnverzicht sichert keine Arbeitsplätze“. Was angesichts der bisherigen IGM-Politik nicht wirklich überzeugend klingt. Deshalb bemühen andere Stimmen den nötigen Kaufkraftschub oder fordern den „gerechten Anteil der Beschäftigten an den Gewinnen“ ein. Da wird es makaber. Geht es um den Anteil an den Gewinnen, die durch die Arbeitsplatzvernichtung der letzten Jahre erzeugt wurden? Oder etwa an jenen Gewinnen, die durch den Lohnverzicht ermöglicht wurden? Oder an jenen Gewinnen, die die Kapitalisten durch die Verlagerung in andere Länder erzielten? Durch eine Überausbeutung dort, ermöglicht durch niedrige Lebenskosten der ArbeiterInnen und massive Unterdrückung der gewerkschaftlichen Rechte?

Die Argumentation mit der Kaufkraft ist doppeldeutig.  Wenn sie von den TarifpolitikerInnen kommt, ist sie der Versuch, andere Teile des Kapitals, zum Beispiel den Handel, der mit sinkenden Umsätzen kämpft, oder Kapitalvertreter, die die gesamte Volkswirtschaft im Auge haben, auf ihre Seite zu ziehen. KollegInnen und Vertrauensleute aus den Betrieben verstehen darunter vor allem ihre eigene „Kaufkraft“, die sie bitter nötig haben. Hier wäre es die Aufgabe von linken GewerkschafterInnen, für Klarheit zu sorgen: Wir brauchen die Kohle, um zu leben - die Wirtschaft ist nicht unsere Veranstaltung!

Die Argumente der Gewerkschaftsspitzen sind also dürftig. Aber nach all den selbstverschuldeten Niederlagen der letzten Jahre und bei nur mäßig gebremstem Mitgliederverlust kann sich die IGM keine neue Pleite erlauben. Natürlich besteht immer die Möglichkeit, mit Rechenkunststücken und langer Laufzeit ein halbwegs verkaufbares Ergebnis herauszuholen. Der Vorsitzende Peters hat den Unternehmern bereits ein Angebot signalisiert. Das Weihnachtsgeld soll ertragsabhängig werden. Mit anderen Worten, es kann auf betrieblicher Ebene geopfert werden und die IGM kann weiter auf ihre tarifpolitisch weiße Weste verweisen und eine höhere Zahl beim Lohnabschluss auf ihrem Konto verbuchen.

Lehren

Aber die Belegschaften haben die Tricksereien satt - für sie zählt, was unterm Strich herauskommt.

Vielleicht hoffen einige in den Führungsetagen der Metallgewerkschaft, dass die Unternehmer bereit sind, der IG Metall mal wieder einen kleinen Erfolg zuzugestehen. Noch brauchen sie diese als Ordnungsfaktor in den Großbetrieben. Aber sie wollen eine gebrochene IG Metall. Das können sie nur erreichen, wenn sie die Gewerkschaft in einer offenen Schlacht schlagen. Sie würden sich die Gelegenheit nicht entgehen lassen, die IG Metall in einer Lohntarifrunde zu demütigen. Es führt kein Weg daran vorbei: die Gewerkschaft muss Kampffähigkeit entwickeln.

Wie kann trotz der Niederlagen der letzten Jahre, der Perspektivlosigkeit und der dürftigen Argumente eine Mobilisierung zustande kommen?

2004 trugen die Forderungen der Unternehmer nach Arbeitszeitverlängerung und die Unverschämtheiten der Agenda 2010 mehr zur Mobilisierung der Belegschaften bei als die Rhetorik der Tarifexperten. Möglicherweise reichen die Provokationen der Unternehmer, um eine ausreichende Mobilisierung in Gang zu setzen, und sie sparen nicht damit. In Nordwürttemberg/Nordbaden wurde so die Erholzeit für Akkordarbeiter gekündigt und zwar in dem Tarifvertrag, der die Überführung in das neue Bezahlungssystem ERA regeln soll, das wiederum in den meisten Betrieben noch gar nicht in Kraft ist.

Der Konsens, der um dieses heikle Thema aufgebaut worden ist, erhält schon im Vorfeld Risse. Auch Drohungen mit einem Abschluss unter 1% (Südwestmetall-Chef Zwiebelhofer) könnten bei der Mobilisierung der Belegschaften helfen.

Aber wenn die IG Metall den Teufelskreis durchbrechen will, in der Verzicht zum Verlust von Mobilisierungsfähigkeit führt und dieser zu neuem Verzicht führt, dann muss sie mit der Politik der derzeitigen Führung brechen. Sie darf den Weg nicht weitergehen, auf betrieblicher Ebene über tarifliche Standards zu verhandeln. Im Betrieb wird der Druck des Wettbewerbs durch den Unternehmer direkt vermittelt. Aufgabe der Gewerkschaft ist es, die Zersplitterung der Lohnabhängigen zu überwinden. Es müssen gemeinsame Forderungen und Standards erkämpft und verteidigt werden. Das ist nicht nur die Frage des Ortes, an dem verhandelt wird, sondern der Einstellung. Sind die Unternehmer der gemeinsame Gegner oder der „Kooperationspartner“, mit  dem man gemeinsam gegen die Konkurrenz, vor allem der aus anderen Ländern, kämpft. Im Kapitalismus wird die Konkurrenz unter den Werktätigen ständig neu erzeugt. Gewerkschaften müssen da permanent dagegen halten.

Die IG Metall hatte mit dem Flächentarif dafür gesorgt, dass die Konkurrenz bei den Löhnen im nationalen Rahmen begrenzt wurde. Sie meinte, das reicht. Der Rest der Welt war für sie Absatzmarkt, die ArbeiterInnen dort minderqualifiziert.

Deutsche BetriebsrätInnen sangen von „made in Germany“, TarifpolitikerInnen verwiesen auf den „Standortfaktor sozialer Friede“ und alle glaubten, das würde Vollbeschäftigung auf ewig sichern. Wer die ArbeiterInnen in anderen Ländern für unfähig hält und Streiks in diesen Ländern den Kapitalisten als Grund benennt, doch hier zu bleiben, wird mit den ArbeiterInnen in anderen Ländern keine gemeinsamen Kämpfe führen können. Aber gerade heute ist das nötig, da die Unternehmer die Arbeitenden in aller Welt gegeneinander ausspielen.

Neben einer konsequenten internationalen Ausrichtung muss die Gewerkschaftsbewegung lernen, sich wirksam gegen Arbeitsplatzvernichtung zu wehren. Die Belegschaften, die gegen Stilllegungen und Entlassungen kämpfen, dürfen nicht allein gelassen werden. Wenn ein Betrieb geschlossen wird, muss der ganze Konzern oder die ganze Branche stillstehen. Solche Betriebe dürfen letztlich nicht nur bestreikt, sondern müssen besetzt werden und unter Kontrolle der Belegschaft weitergeführt werden.

Von der Spitze der IGM ist kein Kurswechsel zu erwarten. Den kann nur eine kämpferische Basisbewegung durchsetzen. Alle KollegInnen, Vertrauensleute und Betriebsgruppen, die was ändern wollen, müssen zusammenfinden!

Es geht darum, mit den Belegschaften Kontakt aufzunehmen, die gegen Entlassungen kämpfen. Die Warnstreiks und Aktionen in der Tarifrunde sind eine gute Gelegenheit, für eine klassenkämpferische Perspektive zu werben.

Verteidigung der Löhne und der Arbeitsplätze!

Verteidigung der Akkordpausen in Nordwürttemberg und Ausdehnung auf alle Tarifgebiete!

Für eine klassenkämpferische Basisbewegung gegen die Bürokraten!

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Nr. 107, Februar 2006

*  Bolkestein, Port Package: Wider die Freiheit des Kapitals!
*  Berlin: Charité ade?
*  AEG-Streik: Solidarität!
*  IG Metall: Tarifrunde in Zeiten des Lohnverzichts
*  Heile Welt
*  WASG/PDS: WASG-Linke muss sich organisieren!
*  Bolivien: Morales - Präsident der Massen?
*  Klimawandel: Der Katastrofe entgegen
*  EU-Imperialismus: Globale Ambitionen
*  NATO-Sicherheitskonferenz: Stoppt die Kriegstreiber!