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Montagsdemos

Weg mit Hartz!

Hannes Hohn, Neue Internationale 93, September 2004

Tausende, Zehntausende gehen auf die Straße. Montag für Montag. Unüberhörbar fordern sie: Kippt die Agenda! Weg mit Hartz IV!

Die Leute haben die Schnauze voll. Jahrelang wurde ihnen ein Sparprogramm nach dem anderen aufgedrückt. Monatelang wurde ihnen eingehämmert, dass die Agenda 2010 Arbeitsplätze schaffen würde. All das erweist sich als Lüge. Nun werden hunderttausenden Arbeitslosen durch Hartz IV noch mehr Leistungen gekürzt; ihr gesamtes Leben wird der Willkür der „Sozialstaatsbürokratie“ unterworfen. Mehr noch: sie werden gezwungen, für einen (!) Euro pro Stunde zu arbeiten.

Verelendungspolitik

Damit wird der „Umbau“ des Arbeitsmarktes ergänzt. Es wird ein riesiger Billigstlohnsektor geschaffen, der einen ungeheuren Druck auf das Lohnniveau der (noch) Beschäftigten ausübt. Hunderttausende, die ihren Job verlieren, rutschen schnurstracks ins soziale Elend und sind zugleich gezwungen, jeden Sklavenjob anzunehmen.

Kein Wunder, dass sich auch viele lohnabhängig Beschäftigte an den Montagsdemos beteiligen. Sie artikulieren ihre Angst und ihre Verzweiflung über die systematische Verelendungspolitik durch Rot/Grün - aber auch zunehmende Radikalität von Hunderttausenden. Vor allem im Osten ist eine Massenbewegung im Entstehen. Für viele geht es längst nicht mehr nur um Hartz, ihr Protest richtet sich gegen die gesamte Regierungspolitik, gegen "das System", wenn auch mit einer politisch diffusen Ausrichtung. Die Schärfe des Unmuts erklärt auch, warum die Gewerkschaften, aber selbst die PDS nur verspätet und zögerlich auf den Montagsdemo-Zug aufgesprungen sind.

Die quantitative Häufung der Angriffe von Kapital und Regierung (Riester, Agenda, Hartz, Kürzungen, Arbeitszeitverlängerung, Lohnraub usw.) hat ein Ausmaß erreicht, welches nun in die neue Qualität massenhaften spontanen Protestes umschlägt. Die regelmäßig stattfindenden Aktionen ermöglichen es, dass sich ihnen immer mehr Menschen anschließen können.

Hinzu kommt, dass Hunderttausende nach der Großdemonstration gegen die Agenda am 1. November 2003 und den Massenprotesten vom 3. April 2004 erwarteten, dass der DGB die Aktionen ausweitet. Diese Hoffnung drückte sich in zahllosen Forderungen nach Streiks und sogar einem Generalstreik aus. Doch was tat der DGB nach dem 3. April? Nichts! Die IG Metall z.B. sammelt Unterschriften. Welch kreuzgefährliche Bedrohung fürs Kapital!

Die Untätigkeit des DGB - aber auch die kritische, aber zugleich zögerliche Rolle der PDS - zwang die Betroffenen quasi zur „Selbsthilfe“. So waren die InitiatorInnen der ersten Montagsdemos oft Unorganisierte und nicht etwa immer Linke oder PDSler, wie bürgerliche Politiker behaupten.

Die Rolle des DGB

Trotzdem Rot/Grün auch die Basis der Gewerkschaften massiv angreift, beteiligen sich deren Spitzen Sommer, Peters und Bsirske nicht aktiv an der Organisation der Montagsdemos. Im Gegenteil: die Spitzen der Gewerkschaften versagten den Montagsdemos bisher jede Unterstützung. Ihr Argument? Die Bewegung würde von „Radikalen und Extremisten“ dominiert. Immerhin aber stelle man es seinen Mitgliedern frei, sich an den Demos zu beteiligen. Wie gnädig!

Diese zwiespältige Haltung der DGB-Fürsten resultiert aus ihrer Strategie und ihrer sozialen Stellung. Ihre Politik bewegt sich im Rahmen der bürgerlichen Gesellschaft - sie ist reformistisch. Der Gewerkschaftsapparat, der sich sonst immer gern „überparteilich“ gibt, agiert so, dass er die SPD-Regierung, mit der er mit tausend Fäden verbunden ist, nicht in Gefahr bringt. Diesen „Kadavergehorsam“ gegenüber der SPD, dieses Stillhalten müssen Millionen von ArbeiterInnen und Arbeitslosen durch immer neue Niederlagen büßen.

Die Gewerkschaftsbürokratie agiert als Unterhändler, als Mittler mit dem Kapital. Doch in Zeiten der Krise und vor dem Hintergrund der globalen Ambitionen des deutschen Imperialismus funktionieren die gewohnten Kompromisse nicht mehr. Kapital und Regierung haben das verstanden - die reformistischen Gewerkschaftsbosse nicht.

Doch in krassem Widerspruch zu ihrer Ausverkaufspolitik beteiligen sich zehntausende GewerkschafterInnen und viele Gewerkschaftsgliederungen aktiv an den Protesten.

Probleme

Trotz ihrer Dynamik zeigen sich nun erste Brüche in der Montags-Bewegung. Sie ist zunehmend darüber uneins, wer die Demos führt, ob Organisationen beteiligt sein können, ob PolitikerInnen wie Lafontaine auftreten dürfen. In einigen Städten kam es darüber bereits zur Spaltung der Bewegung.

Diese Probleme spiegeln die Schwächen und Illusionen, aber auch die politischen Differenzen wider, die es in der Bewegung gibt. Trotz der Enttäuschung über die SPD und die Abwendung von ihr - die Illusionen in den Reformismus sind damit noch nicht überwunden. Viele glauben, „linke“ reformistische Populisten wie Lafontaine oder Gysi wären eine Alternative zu Schröder.

Viele sind von der Untätigkeit der Gewerkschaftsführung enttäuscht und wollen deshalb mit den Gewerkschaften insgesamt nichts zu tun haben. Nicht wenige InitiatorInnen der Montagsdemos, z.B. der Leipziger Pfarrer Führer, sehen die Proteste nur als Druckmittel, als „Mahnung an die Politik“, um deren Kurs etwas zu ändern. Eine Ausweitung des Widerstands und jede antikapitalistische Perspektive aber lehnen sie ab.

Trotz der massiven Proteste in den letzten Monaten hat sich gezeigt, dass Kapital und Regierung allein durch Demonstrationen nicht von ihrem Crashkurs abzubringen sind. Die Krise im Nacken und die globalen Ambitionen vor Augen ist der deutsche Imperialismus fest entschlossen, seine Ziele umzusetzen.

Wenn die Bewegung von Kräften dominiert wird (oder bleibt), die in einem „gemäßigteren“ Kurs a la Gysi oder Lafontaine eine Alternative sehen, dann sitzt sie nicht nur einer Illusion auf. Sie ist auch umso leichter mit kleineren „Korrekturen“ an der Agenda oder an Hartz IV zufrieden zu stellen. Doch Rot/ Grün gab schon klar zu verstehen, dass der „Spielraum für Änderungen“ ausgeschöpft sei.

Wie weiter?

Die Geschichte zeigt, dass auch 100.000e auf den Strassen nicht ausreichten, Kapital und Regierung zu hindern, strategische Projekte wie die „Raketennachrüstung“ in den 1980ern durchzuziehen. Agenda und Hartz-Reformen sind für die deutsche Bourgeoisie aber noch wichtiger! Wie können wir trotzdem erfolgreich sein?

Zunächst ist wichtig, die Bewegung bundesweit auszudehnen und zu einer Massenbewegung zu formen. Dazu braucht sie ein lohnendes Ziel: Weg mit Agenda und Hartz! Jede Losung, die nur auf einige „Verbesserungen“ oder Retuschen abzielt, demotiviert die Bewegung und macht sie anfällig für betrügerische Minimal-Korrekturen, die den Kern der Angriffe unangetastet lassen.

Um die Bewegung auszuweiten, müssen Strukturen gebildet werden, die alle AktivistInnen umfassen und neue Kräfte - z.B. SchülerInnen, StudentInnen, ImmigrantInnen - einbeziehen. Nach Möglichkeit sollten sie auf Delegiertenbasis bestehen, um Organisationen - insbesondere betrieblich/gewerkschaftliche Gliederungen - integrieren zu können.

Solche Komitees auf örtlicher oder Stadtteilebene müssen sich mit bereits bestehenden Strukturen (Anti-Hartz-Komitees, Sozialforen) verbinden und sich regional und bundesweit vernetzen sowie weiterführende Kampfschritte festlegen.

Ende August ging die Entwicklung aber in eine andere Richtung. Die Spaltung der Bewegung vertiefte sich. Nach einer unnötigen und politisch unausgewiesenen Spaltung in Berlin ging dieser Riss auch bundesweit weiter. In Berlin und Leipzig tagen am 28. August zwei miteinander konkurrierende "nationale Koordinationen".

Beide - die Leipziger ist von der MLPD, die Berliner von linker Gewerkschaftsbürokratie, attac, Linksruck und isl dominiert - versuchen, ihre jeweiligen politischen Ambitionen durchzusetzen.

Hinsichtlich der Ziele steht jedoch einer Koordination zu gemeinsamen Demos, zur bundesweiten Vernetzung bei gleichzeitiger Wahrung der vollen Freiheit der Propaganda und Kritik für alle Beteiligten eigentlich nichts im Wege.

Wir treten deshalb dafür ein, überall gemeinsame Demos durchzuführen und bundesweit die Spaltung zu überwinden. Das bundesweite Aktionstreffen in Frankfurt/M. am 17./18. 11. bietet dazu eine erste Gelegenheit.

Zentral ist, ob die Arbeiterbewegung ihr soziales Gewicht in die Waagschale wirft. Wer glaubt, die Montags-Demos könnten allein, ohne die Gewerkschaften erfolgreich sein, erliegt einer gefährlichen Illusion. Dabei geht es nicht nur darum, dass die im DGB organisierten rund 7 Millionen ArbeiterInnen den Aktionen die erforderliche „Masse“ geben.

Entscheidend ist, dass nur mittels Streiks realer ökonomischer Druck ausgeübt werden kann. Die letzten Monate haben gezeigt, dass die ArbeiterInnen auch bereit sind zu kämpfen: so zuletzt bei Daimler oder beim Streik für die 35-Stunden-Woche im Osten. Diese Kampfbereitschaft kam nur deshalb nicht zum Tragen oder zum Erfolg, weil die Gewerkschaftsspitzen und besonders kapitalfreundliche Betriebsratsfürsten den ArbeiterInnen in den Rücken gefallen sind.

Auch, um die Bremser in den Gewerkschaftsführungen unter Druck zu setzen, ist es deshalb nötig, die Montagsproteste mit betrieblichen Aktionen zu verbinden. Das schließt einen politischen Kampf gegen die herrschende Bürokratie im DGB ein.

Streik!

Die Führungen der Gewerkschaften - aber auch die Sozialverbände und die PDS - müssen aufgefordert werden, die Mobilisierungen nicht nur zu unterstützen, sondern sie selbst aktiv zu organisieren. So können auch Illusionen in sie in der Praxis getestet werden.

Das bedeutet freilich auch, eventuelle Vereinnahmungsversuche und undemokratische „Spielchen“ dieser reformistischen Führungen zu verhindern.

Dazu muss sich die aktive Basis in den Betrieben und Gewerkschaften jedoch auch selbst organisieren, um den Druck auf die Bürokratie zu erhöhen und, wo nötig, selbständig mobilisieren zu können.

Auf die strategische Attacke der Bourgeoisie und deren Regierung muss es eine genauso grundsätzliche Antwort geben: Proteste und Massenstreiks bis hin zum Generalstreik.

Nur wenn Montagebänder und Straßenverkehr still stehen, können wir die Herrschenden zum Rückzug zwingen und aus dem aktuellen Abwehrkampf selbst in die Offensive kommen.

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Nr. 93, September 2004

*  Montagsdemos: Weg mit Hartz!
*  Hartz IV: Minilohn und Maxizwang
*  Hartz IV und Frauen: Zwischen Herd und Billigjobs
*  Neues Fiasko der IG Metall: Daimlers Sumpfkopeke
*  PDS aktuell: Reformistischer Phönix?
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*  Venezuela: Chavez siegt - für wen?
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