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Neues Fiasko der IG Metall

Daimlers Sumpfkopeke

Frederik Haber/Martin Suchanek, Neue Internationale 93, Sep. 2004

In Brechts Stück "Die Mutter" lässt sich der Gewerkschaftsverhandler Karpow nach hartem, vierstündigen "Kampf" die von den ArbeiterInnen geforderte Kopeke Lohnerhöhung gegen das Zugeständnis abringen, dass mit diesem Geld der Sumpf vor dem Werktor trockengelegt und die Fabrik erweitert würde. Karpow sieht seinen Erfolg darin, dass das Geld nicht direkt in der Tasche des Kapitalisten landet, sondern im Betrieb bleibt.

Heute würde Brecht den Herrn Karpow „Standort“ sagen lassen. Nach 17 Stunden Kampf am grünen Tisch haben Daimler-Betriebsratschef Klemm und die IG Metallverhandler ungleich "mehr" erreicht als Karpow.

500 Mill. Euro pro Jahr bleiben "im Betrieb". Die "Standorte" und die Arbeitsplätze sind gesichert - vielleicht. Der Tarifvertrag auch - allerdings angekratzt durch zwei „Ergänzungstarifverträge“. Die IG Metall hat bewiesen, was die Unternehmerverbände in ihrer Sturheit nie glauben wollten: die Forderungen des Kapitals lassen sich auch dem Boden geltender Tarifverträge und Regulierungen erfüllen. Der Flächentarifvertrag ist wirklich "modern" und flexibel. Die IG Metall-Führung ist noch flexibler und feiert also dieses „Zukunftswerk“ als Sieg.

Kampbereite Belegschaft

Der Ausverkauf bei Daimler verdeutlicht vor allem eines: Die schäbige Rolle der Betriebsratsfürsten und der Gewerkschaftsspitze angesichts des Generalangriffs des Kapitals. So besteht die Niederlage nicht darin, dass die Belegschaft im Kampf besiegt wurde, sondern darin, dass die Bürokraten einen Ausverkauf organisiert haben, der die IG Metall in allen Betrieben im Land schwächt.

Bei Daimler konnten die Bosse einen weiteren Erfolg erringen. VW, Opel und weitere Konzerne haben schon angekündigt, mit ähnlichen Maßnahmen wie bei Siemens und Daimler, mit der Drohung von Verlagerungen und Schließungen, Löhne und Arbeitszeiten massiv anzugreifen.

Die Niederlage schmerzt vor allem deshalb, weil sie vermeidbar war. Während bei den Abschlüssen von Siemens noch auf die schlechte Organisierung und die geringe Kampferfahrung der Belegschaft verwiesen werden konnte, war es bei Daimler offensichtlich anders.

Die Belegschaften hatten an einem bundesweiten und international unterstützten Aktionstag ihre Bereitschaft gezeigt, gegen die Angriffe zu kämpfen. Am 15. Juli legten 10.000e Beschäftigte in der Region Stuttgart (Sindelfingen, Untertürkheim) die Arbeit nieder. Es gab Großdemos mit 10.000en ArbeiterInnen, die Schnellstrasse B 10 wurde spontan blockiert.

Auch in anderen Werken gingen die KollegInnen auf die Straße und legten die Arbeit nieder. Die 20.000köpfige Belegschaft in Bremen beteiligte sich geschlossen an der Solidaritätsaktion mit den Stuttgartern - obwohl sie (angeblich) von der Produktionsverlagerung profitieren sollte. Auch in den Werken in Südafrika und Brasilien wurde die Arbeit niedergelegt.

Kurzum: zehntausende ArbeiterInnen wollten sich nicht mehr gegeneinander ausspielen lassen und waren bereit, solidarisch gegen die Konzernspitze vorzugehen. Die Auseinandersetzung bei Daimler hätte zum Fanal werden können für einen von Kernsektoren der Arbeiterklasse geführten, erfolgreichen Abwehrkampf.

Die Kampfbereitschaft war so hoch wie noch nie. Die Unverschämtheit der Bosse, wenige Monate nach der Tarifrunde, die Lohnerhöhungen und die Arbeitszeit wieder in Frage zu stellen. Die gerade veröffentlichten Gewinnzahlen, die allseits bekannte Raffgier von Schrempp und Co. und der permanente Sozialabbau - all das sorgte für Wut.

Ein Streik hätte ermöglicht und erfordert, die Abwehr des Konzernangriffs mit dem Kampf gegen den Sozialraub zu verbinden.

Gerade, weil die Beschäftigten bei Daimler den Willen und auch die Macht hatten (und noch immer haben), aus der Defensive in die Offensive zu kommen, ist der Abschluss umso beschämender und markiert eine eindeutige, von der IG Metall und Betriebsräten wie Klemm verschuldete Niederlage.

Wie war der Ausverkauf möglich?

Die Beschäftigen haben den Abschluss völlig zurecht als Ausverkauf in einer Nacht- und Nebelaktion verstanden. Die Wut darüber ist in vielen Bereichen deutlich spürbar. Selbst der "Stern" berichtete vom Pfeifkonzert gegen die Spitzenbetriebsräte aus Untertürkheim.

Meist werden die Verhandlungen schon weit voran getrieben, bevor die Belegschaft darüber überhaupt informiert wird. Diese wird nur soweit mobilisiert, dass punktuell festgefahrene Verhandlungen wieder flott gemacht werden - und zum Dampf ablassen. Auch bei Daimler war der Rahmen des Verzichts schon klar. Noch bevor die Belegschaft wusste, worum es geht, hatte der Gesamtbetriebsrat unter Klemm dem Konzern 180 Mio. Euro Einsparungen pro Jahr angeboten. Kein Beschäftigter, kein gewerkschaftliches Gremium konnte darüber diskutieren, geschweige denn entscheiden!

Die vereinbarten Regelungen sind unglaublich kompliziert. Ab 2006 werden allen DC-Beschäftigten die Grundeinkommen um 2,79% gekürzt - für immer! Im selben Jahr wird das durch die Einmalzahlung aus dem ERA-Fonds ausgeglichen, praktisch vorenthaltenes Geld aus den vorangegangen Jahren. Neu eingestellte Arbeiter erhalten einen um 20% abgesenkten Lohn - Angestellte sind nicht betroffen. Nach 24 Monaten werden sie in eine Lohnlinie übernommen, die 8% unter der heutigen liegt. Für die Beschäftigten in Dienstleistungsbereichen werden die Löhne um 3% (statt 2,79%) abgesenkt, Neueingestellte erhalten 20% weniger, aber mindestens den nackten Metalltarif. Dann kommt ERA, mit dem das gekürzte Gesamtentgeltvolumen der Stamm-Belegschaft wieder um 1,5% angehoben werden soll - Neue bleiben unten.

Solche Regelungen sind von niemand leicht zu erfassen und in ihren Auswirkungen komplett zu beurteilen. Aber sie lassen sich leicht schön reden. Wenn Kritiker ein Detail nicht korrekt erfassen, werden sie als Hetzer oder Dummchen abgestempelt, während die „Experten“ der IGM-Bezirksleitung aber z.B. die 20%ige Absenkung in ihrem Jubelflugblatt unterschlägt.

Oft stützen sich Betriebsratsfürsten und Gewerkschafts-Unterhändler auf politische weniger bewusste oder verängstigte Teile der Belegschaft. So war es zum Beispiel bei Siemens.

Bei Daimler wäre es absurd, den KollegInnen mangelnden Kampfwillen vorzuwerfen. Mehr und mehr greift der Apparat dort zu Gewerkschaftsausschlüssen, Wahlmanipulationen und anderen undemokratischen Mitteln. Mit Disziplinierung der Vertrauensleute und Betriebsräte wollen die Fürsten sich ihre kleinen Reiche sichern. (she. dazu auch unter www.labournet.de).

Die IG-Metall-Chefs Peters, Huber und Hoffmann sind Träumer. Sie verkünden, dass die von ihnen unterschriebenen Opfer Einzelfälle wären und nicht übertragbar seien. Zwei Monate lagen zwischen ihrem Kniefall beim Einzelfall Siemens und ihrer Bauchlandung beim Einzelfall Daimler. Nun folgen die Einzelfälle Opel, VW, MAN usw. usf.

Sie träumen davon, so den Verfall des Flächentarifs aufhalten zu können, aber sie beschleunigen ihn. Sie träumen davon, dass sie der Belegschaft Sicherheit bis 2012 verschafft hätten - in einem kapitalistischen System, in dem von heute auf morgen eine Fabrik verkauft werden kann, und in dem die Kapitalisten zum Generalangriff geblasen haben. Hinter solchen Sprüchen zeigt sich der ganze beschränkte Horizont der Gewerkschaftsbürokratie.

Auch die "Erpressung" durch den Konzern, der man angeblich chancenlos gegenüberstehe, ist in mehrfacher Hinsicht ein Mythos der Bürokratie. Wahr daran ist nur, dass es in der Tat unmöglich ist, die althergebrachte „sozialpartnerschaftliche“ Politik der Gewerkschaftsführungen weiter zu führen. Solange diese der Kapitalistenideologie anhängen, dass die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen die Arbeitsplätze sichere, werden sie dafür die Errungenschaften der MetallerInnen opfern.

Zweifellos hat der Abschluss Teilen des Kapitals gezeigt, dass man mit Verhandlungen und "Partnerschaft" mit Arbeiterver- und zertretern viel für die Profite erreichen kann. Insofern kamen die lobenden Worte von Regierung, Opposition und Unternehmerbänden an die IG-Metall und an den Betriebsrat ganz zurecht. Vom Standpunkt des Kapitals ist der Verweis auf den Modellcharakter der Vereinbarungen bei Daimler vollauf berechtigt.

Ansonsten wäre die "Erpressung" natürlich abwehrbar gewesen - durch Streik und die politische Verallgemeinerung des Kampfes. Wahrscheinlich werden sich die Kampfbedingungen nirgendwo mehr so günstig darstellen wie im Juli bei Daimler. Dazu hätten sich die IG Metall-Führung und der Betriebsrat freilich mit der herrschenden Klasse anlegen müssen - aber genau das wollten sie nicht! Vielmehr hat die Bürokratie ihre Macht eingesetzt, um als Ordnungsfaktor im Sinne des Kapitals zu agieren.

Was nun?

Der entscheidende Grund dafür, dass die Bürokratie mit ihrem Deal durchkommen konnte, liegt im Fehlen einer in den Betrieben, Büros und Niederlassungen verankerten klassenkämpferischen Basisbewegung, die in der Lage wäre, solche Abschlüsse zu durchkreuzen und, wenn nötig, selbstständig den Kampf fortzuführen.

In den Auseinandersetzungen, in zahlreichen Interviews unzufriedener und kritischer GewerkschafterInnen, Vertrauensleute und aktiver ArbeiterInnen zeigt sich, dass das Potential für eine solche Bewegung vorhanden ist. Deshalb muss eine solche Bewegung jetzt aufgebaut werden, um für die nächsten Angriffe besser gerüstet zu sein.

Es reicht nicht mehr, nur Kampfbereitschaft zu zeigen und zu hoffen, dass „unsere“ Führer was daraus machen. Wir brauchen demokratische Entscheidungen über die Führung der Verhandlungen und des Kampfes und über Annahme oder Ablehnung der Ergebnisse. Wir wollen Transparenz der Verhandlungen! Die Verhandlungskommissionen müssen gewählt und rechenschaftspflichtig sein.

Es kann nicht sein, dass Gewerkschaftsbürokraten den ArbeiterInnen vorschreiben, wie sie für ihre Interessen zu kämpfen haben. Die Gewerkschaftssekretäre wie die Betriebsräte müssten das ausführen, was gewählte Vertrauensleute, Vollversammlungen und Aktionskomitees beschließen. Die IG Metall muss der Basis gehören!

Das Beispiel Daimler zeigt erneut, dass der Weg der Bürokraten nur in den Ausverkauf führt. Es zeigt, wie sie mit einer Niederlage zugleich die nächste vorbereiten: Oststreik - Tarifrunde - Siemens - Daimler … Ihre immer umfangreicheren Vertragswerke hindern die Kapitalisten in keiner Weise, diese zu brechen. Es zeigt, wie sie mit immer mehr Ergänzungstarifen und betrieblichen „Bündnissen für mehr Wettbewerbsfähigkeit“ die Belegschaften ausdifferenzieren und spalten.

Ihre Hoffnungen, dass die Opfer zu einem neuen Aufschwung führen, zu neuen Gewinnen und neuen Wohltaten sind nur komplette Narreteien!

Ein anderer Weg ist möglich - auch das hat Daimler und die unglaubliche Kampfbereitschaft der KollegInnen dort gezeigt. Schließlich sind Nachgeben und Ausverkauf keine Naturnotwendigkeit. Übrigens: In Brechts „Mutter“ haben die ArbeiterInnen die Sumpfkopeke abgelehnt und - gestreikt.

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Nr. 93, September 2004

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