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Attac-Aktuell

Bremser statt Beweger

Erich Swoboda, Neue Internationale 86, Dezember 2003/Januar 2004

Nicht nur in Deutschland stellt sich die politische Situation hinsichtlich einer revolutionären Umgestaltung gelinde gesagt paradox dar: die massiven neoliberalen Angriffe und die Krisenhaftigkeit des Kapitalismus finden ihre Antwort in gelungenen Mobilisierungen wie der Demo am 1. 11. 03 in Berlin, den Anti-WTO-Aktionen im mexikanischen Cancun oder der Teilnahme von Zehntausenden am 2. Europäischen Sozialforum in Paris Mitte November.

Gleichzeitig bleibt die Bewegung aber meist auf der Ebene des Protestes stecken und droht, vom Reformismus wieder eingefangen und kontrolliert zu werden. Insofern sorgen sie auf Seiten des Kapitals zwar für Beunruhigung, aber noch nicht für Angst.

Der linke Flügel der Bewegung zeichnet sich oft durch eine Mischung aus Anpassung und Sektierertum aus, wogegen klare programmatische Vorstellungen, wie der Widerstand politisch und organisatorisch weiter gebracht werden kann, fehlen.

Was ist Attac?

Parallel dazu sind die ReformistInnen wie der brasilianische Präsident Lula bis zu den europäischen Gewerkschaftsbonzen nicht untätig. Sie produzieren lautstarke Phrasen über eine "bessere Welt", während sie zugleich alles tun, um die Bewegung, um den Widerstand zu bremsen und im Rahmen des Kapitalismus zu halten.

Eine wichtige Vermittlerrolle, eine Scharnierfunktion zwischen der "globalisierungskritischen" bzw. antikapitalistischen Bewegung und dem Widerstand gegen den Sozialabbau einerseits und dem "traditionellen" Reformismus andererseits fällt dabei dem internationalen Bündnis Attac zu.

Attac wurde 1998 auf Initiative der Zeitschrift Le Monde Diplomatic in Frankreich gegründet - als Bündnis zur Einführung einer internationalen Tobin-Steuer auf Finanzspekulationen, also mit originär reformerischer Zielsetzung! In den bürgerlichen Medien als "Ausdruck" der nach Seattle 1999 anwachsenden Anti-Globalisierungs-Bewegung wahrgenommen, breitete sich die "neuartige" Bewegung rasch aus und hat heute 90.000 Mitglieder in 50 Ländern. In Deutschland entstand Attac Anfang 2000, hat über zehntausend Mitglieder in einem Netz mit 160 Gruppen.

Einerseits sind sowohl politische Gruppierungen oder NGOs (Pax Christi, weed, blue 21, BUND, Linksruck, SAV, ver.di, GEW) an dieser Sammlungsbewegung irgendwie beteiligt. Andererseits ist Attac Selbstorganisationen vieler Einzelpersonen.

Die Gliederung ist regional wie nach inhaltlichen Arbeitsgruppen um die Probleme der kapitalistischen Globalisierung oder des Sozialabbaus gegliedert. Linksbürgerliches Expertentum wird hier groß geschrieben.

Über dem "demokratischen" Konsensprinzip der losen Vernetzung thront - nahezu unkontrolliert, ohne wirklich demokratisches Mandat und kaum rechenschaftspflichtig - ein informeller Club von grauen Eminenzen, meist Intellektuellen. Ein verbindliches Programm als System von Zielen und Methoden, auf dem die Politik beruhen und an dem sich die Praxis messen ließe, gibt es nicht. Insofern wurschteln alle AGs und Basisstrukturen mehr oder weniger separat vor sich hin. Allein schon deswegen ist Attac völlig ungeeignet, ein Werkzeug zu sein, dass systematisch gegen den Kapitalismus kämpfen kann.

Attac ist flexibel. Schnell werden Slogans der Globalisierungsbewegung aufgegriffen: "Eine andere Welt ist möglich" oder "Gegenmacht der Zivilgesellschaft". Daneben werden alte reformistische Konzepte wieder aufgewärmt und als etwas ganz Neues verkauft: "politischen Lenkung der Finanzströme" oder "Nord-Süd-Ausgleich".

Seinem Selbstverständnis nach sind Flexibilität, Offenheit, Pluralismus, Internationalismus, Dynamik und die "Balance" zwischen Förderung der sozialen Bewegungen und Beeinflussung bürgerlicher Politik Prinzipien von Attac - ein Gemischtwarenladen zwischen Phrase und Reform, für jedes (bürgerliche) Individuum etwas.

Auch der Keynesianismus alter Prägung in feiert in Gestalt des Mitgliedes Lafontaine fröhliche Urständ. Daneben entdeckt man auch die Zauberwirkungen staatlich gestützter Konsumentenkredite an die amerikanische "Mittelklasse" als einzig wahre Konjunkturlokomotive. Schließlich seien einforderbare soziale Rechte und die "Sozialisierung" des Staates a la Porto Alegre / Brasilien erforderlich - also eine staatlich-parlamentarische Kontrolle anstelle undemokratischer Privatisierung. Auf die konkrete Frage, wie denn die eigenen Ziele gegen den Widerstand des Kapitals durchgesetzt werden sollen - z.B. in der Frage der Tobin-Steuer - bleibt Attac jede Antwort schuldig. Nicht die Mobilisierung der Massen, nicht der Klassenkampf der Arbeiterklasse, sondern Appelle an den Staat, an "vernünftige" Teile der Bourgeoisie sollen die Welt "verbessern".

Rechtsruck

Taktisch soll dabei der Weg von der Expertise über die Aufklärung hin zur Aktion beschritten werden, wobei letztere nach den Auseinandersetzungen von Göteborg 2001 zu kurz kommt: Nach den Polizeischüssen während des EU-Gipfels bliesen schon damals die Attac-Eminenzen zum Rückzug von der Strasse. Statt gegen staatliche Repression Stellung zu nehmen und die eigenen Fähigkeiten zur Verteidigung gegen den Bullenterror zu verbessern, erging man sich in Posen "Wir werden demnächst brav sein" und "Wir setzen nicht auf Gewalt." Die Statements von Attac-Mitbegründerin Susan George dazu sind dafür berühmt geworden!

Die Konferenzen der Bonzen sollten hinfort auch nur noch politisch "begleitet" werden. Nicht erst in Genua wurde den Militanten das Auseinanderklaffen der Darstellung Attacs in den bürgerlichen Medien und ihrer schwachbrüstigen Teilnahme an den Protesten deutlich. Darüber konnten auch aufgeblasene Luftballons und Fähnchen mit dem Tobin-Prozent-Zeichen nicht hinwegtäuschen.

Im Jahr 2001 vollzog die informelle Führung einen Strategiewechsel nach rechts, der sich auch heute noch verheerend auf die Dynamik der Bewegung auswirkt. Nun wird, gemeinsam mit den Gewerkschaftsbürokratien, eine "neue", in Wirklichkeit alte reformistische Antwort auf die soziale Frage propagiert. International soll der Sozialabbau ins Zentrum der Bewegung gerückt werden, in Deutschland aktuell unter dem Motto "Genug für Alle".

So weit, so gut. Doch auf dem ESF in Paris waren es vor allem Attac und die reformistischen Gewerkschaftsbonzen, die als Bremser und Blockierer auftraten. So wurde der am ESF von der Basis diskutierte und geforderte internationale Aktionstag gegen Sozialabbau nicht beschlossen, sondern abgebogen.

Bei dieser Rechtswende spielt die Politik der Gewerkschaftsführungen eine wichtige Rolle, ihr angeschlagenes Image durch "Kooperation" mit dem ESF und Attac aufzubessern und sich ein kapitalismuskritisches Outfit zuzulegen. Aus den "alten Klassenkämpfern" Bsirske und Co. werden flugs Protagonisten der internationalen "Zivilgesellschaft" - und Mitglieder bei Attac.

Vergebene Chancen

Attac ist erst spät auf die Mobilisierung zum 1. November in Berlin aufgesprungen, um sie dann durch langweilige Endlosreden zu beglücken ohne der Bewegung irgendeine realistische Perspektive für die Weiterentwicklung zu bieten. Trotzdem halfen die bürgerlichen Medien wieder einmal, dass Attac die "Lorbeeren" der Mobilisierung einstreichen konnte. In Wahrheit ist Attac außerstande, der Bewegung gegen die Agenda irgend etwas außer Ängstlichkeit, Verwirrung und Phrasen hinzuzufügen.

Selbst der Niedergang der SPD und die selbst für Sozis ungewohnten Schweinereien ihres regierenden Chefs Schröder sind für Attac nicht etwa Anlass, mobil zu werden. Attac-Chef Sven Giegold bremste im Anschluss an das ESF bei den Protesten gegen den SPD-Parteitag in Bochum: "die Agenda 2010 steht" bereits. Allgemein gehe es jetzt darum, die Globalisierung "gerecht zu gestalten". Giegold tritt weiter - durchaus ähnlich dem offen bürgerlichen Lager - für eine solidarische Bürgerversicherung und Existenzgeld ein. Er nimmt mit seiner Rede den von der Basis in vierzig Städten eigentlich gut organisierten Protesten zum Agenda-Parteitag den Wind aus den Segeln, Hand in Hand mit Sommer, Huber und Bsirske. Wer solche Freunde hat, braucht keine Feinde mehr!

Der scheidende Attac-Präsident B. Cassen meinte, die Antikriegsbewegung habe "seine Bataillone zu sehr radikalisiert." Die Ausbreitung der Sozialforen wird in erster Linie als Konkurrenz wahrgenommen. So blockiert das Bündnis in Paris nicht nur eine klare Festlegung auf die Forderung nach dem Abzug der US-Truppen aus dem Irak und Afghanistan, sie lobhudelte auch über die "Frieden stiftende Rolle" der europäischen Bourgeoisie.

So funktioniert das "basisdemokratische" Attac: Die linkere Basis (Linksruck, SAV etc.) spielt den nützlichen Idioten und mobilisiert, die Rechten bremsen und blockieren. Dabei wäre es noch akzeptabel, wenn die Linken in Attac deren Politik als reformistisch entlarvten und eine revolutionären Alternative offen propagieren würden. Doch gerade das tun sie nicht! Statt dessen relativieren sie die Halbheiten von Attac und suggerieren, dass man Attac ja noch nach links drängen könne - Geschichte und Gegenwart von Attac beweisen dass das nichts anderes als eine Illusion ist.

Eine sozialistische Welt ist möglich!

Es ist an der Zeit, wirkliche Demokratie und die gesammelten revolutionären Erfahrungen des letzten Jahrhunderts ernst zu nehmen und für die Gegenwart aufzuarbeiten. Dazu bedarf es der Verknüpfung von internationaler Arbeiterbewegung und anti-kapitalistischer Bewegung, jedoch nicht von der reformistischen und kleinbürgerlichen Spitze her, sondern von unten.

Dazu bedarf es der Überwindung der losen Vernetzung zu Gunsten einer von der Basis kontrollierten und rechenschaftspflichtigen Struktur, die mobilisiert und die Kämpfe international ausweitet. Dazu bedarf es eines Programms des revolutionären Klassenkampfs und nicht reformistischer Wunschträume. Dazu bedarf es letztlich einer neuen Masseninternationale.

Für diese neue Fünfte Internationale kämpfen wir. Attac ist dabei nicht Teil der Lösung, sondern Teil des Problems!

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Nr. 86, Dez 2003/Jan 2004

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*  Uni-Streik: Arbeiter und Studenten, ein Kampf!
*  IG Metall: Oh Schreck - Tarifrunde!
*  Argentinien: Nein zur Repression!
*  Repression im Betrieb: Siemens - ohne Maske
*  Europäisches Sozialforum: Ein Schritt vorwärts, ein Schritt zurück
*  Attac-Aktuell: Bremser statt Beweger
*  Wahlen in Frankreich: Antikapitalismus mit Reformprogramm?
*  85 Jahre KPD-Gründung: Schwere Geburt
*  Slowakei: Free Mario!
*  Heile Welt
*  Irak: Besatzer vertreiben!