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Britannien

Die Labour Party und revolutionäre Taktik

Jürgen Roth, Neue Internationale 207, März 2016

Jeremy Corbyn gewann die Wahl zum Labour-Vorsitzenden, weil seine Kampagne Hunderttausende mobilisierte, die seine Aufforderung unterstützten, die Partei solle mit ihrem Einverständnis zu Sozialkürzungen brechen und eine Opposition gegen Sparpakete, Privatisierung und Krieg innerhalb wie außerhalb des Parlaments anführen. Das Ausmaß seines Sieges und sein Appell an alle SozialistInnen und ehemalige Mitglieder zum (Wieder-)Eintritt schaffen eine günstige Gelegenheit für revolutionäre SozialistInnen, sich zu einer bedeutenden politischen Wende unter einer breiten Schicht von AktivistInnen aus der Labour Party (LP) und fortschrittlichen Bewegungen zu verhalten.

Chancen

Eine solche Entwicklung einer „tradierten“ reformistischen Partei, die seit über einem Jahrhundert konsequent auf der Seite des kapitalistischen Systems und der imperialistischen Ordnung steht, ist - gerade nach Jahren der „Neuen Mitte“, also des weiteren Rechtsschwenks unter Tony Blair - ungewöhnlich. In Zeiten tiefer Krisenperioden ist das aber, historisch betrachtet, durchaus nicht einzigartig.

Trotzki sah 1934 unter Bedingungen einer ernsthaften Linkswende der Massen eine revolutionäre Gärung aufkommen, die Spannungen zwischen Basis und Führung heraufbeschwören würde. Er schlug vor, die Bolschewki-LeninistInnen (TrotzkistInnen) sollten in einer solchen Situation den völligen Eintritt (Entrismus) in reformistische und zentristische Massenparteien wagen. Das traf insbesondere auf Frankreich zu. Trotzki verstand diese Taktik jedoch anders als seine „Nachfolger“ nicht als langfristig, geschweige denn einen strategischen Versuch zur Umwandlung dieser Parteien in revolutionäre Instrumente. Die GenossInnen von Workers Power, der britischen Sektion der Liga für die 5. Internationale, traten in diesem Sinn in die LP ein und gruppieren sich dort um die Zeitung Red Flag.

Ihre Hauptziele dabei sind: erstens die Transformation der LP in eine politische Kraft, die massenhaften ArbeiterInnenwiderstand gegen Austeritätskonzepte vorantreibt. Dazu bedarf es des Aufbaus einer auf lokalen Aktionsräten fußenden Einheitsfront mit DelegiertInnen aus Gewerkschaften, Stadtteilen und Kommunen, ArbeiterInnenorganisationen und Kampagnen gegen asoziale Kürzungsmaßnahmen.

Zweitens die Organisierung der Corbyn-AnhängerInnen in eine Einheitsfront innerhalb der LP, die für Demokratisierung der Partei und für eine sozialistische Krisenlösung eintritt mit dem Ziel des Bruchs mit der Bourgeoisie, für Enteignung und Sozialisierung des Eigentums an Produktionsmitteln unter ArbeiterInnenkontrolle. Drittens der Kampf gegen die Gewerkschaftsbürokratie: für eine branchenübergreifende klassenkämpferische Basisbewegung und Parteizellen in den Gewerkschaften, Rekrutierung der jungen Corbyn-SympathisantInnen als Gewerkschaftsmitglieder.

Viertens der Aufbau einer bewusst revolutionären Strömung, die nicht vor Kritik an Zögern und Ausverkauf linker FührerInnen in Partei und Gewerkschaft zurückschreckt, auch wenn sie sie gegen die Rechten verteidigt: mit ihnen, wo möglich, gegen sie, wo nötig! Die britische ArbeiterInnenbewegung kann nicht revolutioniert werden ohne eine bedeutend größere Zahl RevolutionärInnen.

Hindernisse

Die Rechte behielt jedoch bislang ihre Kontrolle über den Parteiapparat. Hunderttausende neue Corbyn-UnterstützerInnen strömen zwar in Scharen zur Labour Party, indes nicht in Scharen in die Parteistrukturen hinein. Dies wird nicht zuletzt durch die vorherrschenden lokalen Bürokratien und FunktionärInnen behindert, die z.B. neue Mitglieder erst gar nicht über die Treffen von Ortsgruppen informieren. Die linkesten und aktivistischsten unter den Neuen sammeln sich in der Strömung „Momentum“, während die Labour-Rechte die Gemeindeabgeordneten, die Parlamentsfraktion und das Schattenkabinett dominiert. Das „Schattenkabinett“ ist ein alternatives „Kabinett“, das im britischen Parlamentarismus von der größten Oppositionspartei ernannt wird und dessen einzelne „Schattenminister“ praktisch als Hauptredner der Opposition zu den jeweiligen Politikbereichen auftreten.

Corbyn lehnt die Neuwahl der AbgeordnetenkandidatInnen ab, was der Unterhausfraktion die Möglichkeit einräumt, ihn zu schwächen, weil sie keine zukünftige Neuwahl befürchten muss. Corbyn, McDonnell und Trickett haben in einem Brief vom 17. Dezember die Stadträte ermahnt, keine „illegalen“, defizitären Etats zu beschließen. Das neue Jahr sah zwar 3 Rechte aus dem Schattenkabinett ausscheiden, doch Hilary Benn behielt seinen Posten als „Außenminister“ des Schattenkabinetts trotz seiner Befürwortung eines Bombardements in Syrien. In der Frage der Erneuerung der atomaren Trident-Unterseebootflotte stimmte das Schattenkabinett zu, allerdings nur für eine mit konventionellen Sprengköpfen ausgerüstete.

Die Mehrheit der KandidatInnen für die Gemeindewahlen am 5. Mai 2016 ist rechts und wird bei schlechtem Abschneiden Corbyn die Schuld in die Schuhe schieben. Die SNP kann sich deshalb in Westminster links von Labour aufführen, obwohl sie in Schottland ein Austeritätsprogramm fährt. Die großen Gewerkschaften machen keine Anstalten, den Kampf gegen Sozialabbau am Leben zu erhalten geschweige ihn auszuweiten. Der Protest junger ÄrztInnen ist ein wichtiger Testfall, ob das Pendel in die andere Richtung schwingen kann.

Die Aufgaben von SozialistInnen

Die neue linke Labourorganisation „Momentum“, an vielen Orten präsent, verfügt über eine heterogene, gespaltene und alles andere als transparente Leitung. Die örtlichen „Momentum“-Gruppen müssen sich gegen ungewählte SprecherInnen wehren. Die Absicht, eine nationale Leitung zu ernennen statt zu wählen, traf auf Widerstand.

Innerhalb der Partei muss die Linke für Einheitsfronten in den Betrieben und auf den Straßen auftreten und sich um folgende Forderungen zusammenschließen:

Im Abwehrkampf gegen Austeritätsprogramme dürfen Labour-Gemeindeverwaltungen keine Sparhaushalte verabschieden. Eine einheitliche Bewegung gegen Sozialkürzungen muss aufgebaut werden, bestehend aus örtlichen Gewerkschaften, Gruppen und Kampagnen. Die Unterhausabgeordneten müssen gegen Sparmaßnahmen und Kriegspolitik stimmen. Mitglieder des Schattenkabinetts müssen sich an die Linie der Parteipolitik halten, dürfen die Partei bzw. ihren Vorsitzenden nicht in den Kapitalistenmedien verunglimpfen.

Demokratisierung der Parteistrukturen muss heißen: alle registrierten SympathisantInnen und Mitglieder aus der LP angeschlossenen Gewerkschaften sollen Vollmitglieder und LP-Gruppen an den Arbeitsstätten gebildet werden. Gegen alle Ausschlüsse, Sanktionen und Aufnahmeverbote für SozialistInnen in die Partei! Obligatorische Wahl von WahlkreiskandidatInnen vor jedem allgemeinen Urnengang, Aufstellung von linken KandidatInnen bei Nachwahlen, Entfernung aller Abgeordneten aus der Parlamentsfraktion, die die Parteilinie missachten oder sich öffentlich gegen Partei und Vorsitzenden stellen! Das National Policy Forum gehört abgeschafft. Stattdessen sollen Ortsgruppen, angeschlossene Gewerkschaften und sog. Sozialistische Gesellschaften Dokumente und Abänderungen für die Parteikonferenz verabschieden und die Parteiwahlkreisstrukturen ihre Delegierten dazu wählen dürfen. Bürokratische Hemmnisse gegen Wahlen zu Ämtern in den Wahlkreis- und Ortsgruppengremien müssen beseitigt, regionale LPen mit Delegierten direkt aus den Grundeinheiten wiederaufgebaut werden.

In der Auseinandersetzung ums Aufgreifen sozialistischer Politik muss Jeremy Corbyns Wahlprogramm zur minimalen Ausgangsbasis werden. Der Paragraph IV muss durch die alte Fassung von 1918 (Verstaatlichung der großen Produktionsmittel) oder eine neue Formulierung ersetzt, das Statut in den Abschnitten „Ziele und Werte“ neu verfasst werden. Revolutionäre müssen für ihr vollständiges Programm, dafür erforderliche geeignete Strategien und Taktiken innerhalb der Linken und Gesamtpartei eintreten, Wahlsiege für Mandate auf allen Ebenen zu erringen trachten. Sie müssen „Momentum“ als Einheitsfrontorganisation der linken Mitglieder und Corbyn-AnhängerInnen aufbauen, v.a. aber einen starken revolutionären Pol, der Mitgliederbeschlüsse loyal befolgt, aber vor Kritik an Reformismus und Zentrismus nicht zurückscheut. Organisationen wie SP und SWP, die KandidatInnen gegen die LP aufstellen, sollen allerdings nicht dazugehören, schon um der Rechten keinen Vorwand zum Ausschluss zu liefern (§ V), aber auch weil es unvereinbar ist, wenn man zur gleichen Zeit für die Umwandlung der Partei eintritt.

Transformation der Labour Party?

Wir müssen New Labour-Politik im Stil Tony Blairs -  loswerden, ohne das Image des Labourismus von 1945 zu beschönigen. Der Versuch des Aufbaues einer neuen ArbeiterInnenmassenpartei war deshalb nicht falsch oder steht im Widerspruch zur jetzigen Politik von Red Flag. Diese reale Möglichkeit des Aufbaus einer solchen Partei und des gleichzeitigen Kampfes, sie von Anfang an für ein revolutionäres Programm zu gewinnen, wurde großenteils durch verpasste Chancen und wiederholtes Versagen der extrem linken Gruppierungen (Socialist Alliance/Respect/SWP/SP/TUSC) und der linken Gewerkschaftsbürokratie vertan.

Labour hat nie aufgehört, eine bürgerliche ArbeiterInnenpartei zu sein. Also solche stand und steht sie politisch fest auf dem Boden der bürgerlichen Gesellschaft. Daher ist sie ihrem Klassencharakter nach eindeutig eine bürgerliche Partei (wie auch die SPD oder die Linkspartei in Deutschland). Anders als die Konservativen oder Liberalen stützt sie sich jedoch sozial auf die ArbeiterInnenklasse, ist über Gewerkschaften und andere, weniger wichtige Organisationen und die historische Genese der britischen ArbeiterInnenbewegung organisch mit der ArbeiterInnenklasse verbunden.

Aufgrund dieses inneren Widerspruchs bestand immer die Möglichkeit, dass sich ihr wieder massenhaft ArbeiterInnen zuwenden oder sie zu ändern versuchen. Im Gefolge des Wahlsieges der Tories und des Gerangels um den Vorsitz ist diese Möglichkeit wieder offen. Der Weg zu einer neuen ArbeiterInnenpartei führt deshalb wenigstens zeitweilig durch die LP! Die Tatsache, dass die beiden größten „revolutionären“ Gruppen (Socialist Party und Socialist Workers Party, Schwesterorganisationen der SAV bzw. von marx21) abseits stehen und sogar diese Bemühungen torpedieren, ist eine äußerst negative Erscheinung.

Die Verwandlung einer bürgerlichen ArbeiterInnenpartei in eine revolutionäre ist nahezu ausgeschlossen. Sie könnte erst eine greifbare Möglichkeit werden im Falle einer Abspaltung oder der Niederlage der Repräsentantinnen des konterrevolutionären Apparates. Beispiele in der Geschichte gibt es dafür: USPD in Deutschland (1918 - 1921), ILP in Britannien (1931 - 1935), SFIO in Frankreich (1933 - 1935).

Doch wir dürfen dies nicht in ein Schema verwandeln wie dies die TheoretikerInnen des Integrationsentrismus der 4. Internationale(n) nach 1948 - Pablo, Grant, Healy oder Lambert - taten. Der Weg zu einer revolutionären Massenpartei verläuft eben nicht über die allmähliche Transformation einer konterrevolutionär-reformistischen bürgerlichen ArbeiterInnenpartei sozialdemokratischer oder stalinistischer Couleur. Ausschluss durch die Rechten, Kapitulation der Linken und ZentristInnen, Parteispaltungen sind viel wahrscheinlicher.

Im Entrismus ist allerdings der Kampf um die Transformation der Partei, die Aufforderung an die Führung, mit den UnternehmerInnen und ihrem Staat zu brechen, notwendig generelle Taktik, um Scharen von Parteimitgliedern im gemeinsamen Kampf um die richtige Parteipolitik die Augen über den Charakter ihrer Führung zu öffnen, damit sie den Unterschied zwischen Reformismus und Revolution in der Hitze des Gefechts handfest nachvollziehen zu können. In jedem Fall ist ein politischer Bruch mit dem Reformismus und der Vorherrschaft des Apparates notwendig - und genau darauf müssen SozialistInnen hinarbeiten. Die richtige Politik und der Einfluss von RevolutionärInnen spielen also eine entscheidende Rolle, um möglichst großen Teilen der Avantgarde der ArbeiterInnenklasse zu helfen, sich selbst im politischen Kampf um die Zukunft der Labour Party von reformistischen Ideen, Programmen und Illusionen zu befreien und möglichst große Teile für den revolutionären Kommunismus zu gewinnen.

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Nr. 207, März 2016
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*  Britannien: Die Labour Party und revolutionäre Taktik
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