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Drohender Rechtsruck

Antirassismus konkret

Jaqueline Katherina Singh, Neue Internationale 207, März 2016

Rassismus ist - entgegen dem Glauben vieler- nicht einfach so eine Idee in den Köpfen Rechter, die man durch Aufklärungskampagnen oder Gespräche mal eben so aus der Gesellschaft verbannen kann. Rassismus hat eine materielle Basis im Kapitalismus. Er ist untrennbar mit dem Nationalstaat und einer imperialistischen Ordnung verbunden. Er hat für die herrschende Klasse einen konkreten Nutzen: ArbeiterInnen unterschiedlicher Herkunft zu spalten, um letztlich alle besser ausbeuten und beherrschen zu können.

Was braucht es in der aktuellen Situation?

In ganz Deutschland erleben wir seit 2015 einen Anstieg von rechten Mobilisierungen durch AfD, Pegida. Fast jeden dritten Tag brennt eine Geflüchtetenunterkunft. Das Bundeskriminalamt zählte sogar insgesamt 924 Straftaten gegen Flüchtlingsunterkünfte - mehr als viermal so viele wie die 199 erfassten Straftaten in 2014. In einigen Bundesländern wie Sachsen oder Baden-Württemberg gab es auch Sachbeschädigungen von Gewerkschaftsbüros sowie von Parteibüros der SPD und der Linken. Zeitgleich lässt sich beobachten, wie die parlamentarischen Parteien sich dem rechten Kurs anpassen. Während man die Forderung, kriminelle AusländerInnen abzuschieben, früher in erster Linie von der NPD gehört hat oder von Teilen der CDU/CSU, wird sie jetzt von der SPD ausgesprochen und selbst Teile der Linkspartei bedienen sie. Aus Angst, die Wählerschaft zu verschrecken, passen sie sich in opportunistischer Manier dem aktuellen Kurs an, befeuern ihn damit und machen es auch leichter erklärbar, warum man ein Asylpaket nach dem anderen verabschiedet.

Was soll man dem aber entgegenstellen? Zentral ist es, zu verstehen, dass es zwar wichtig ist, sich in seiner Stadt Nazis in den Weg zu stellen. Aber wie man an den Gegenprotesten zu den Gidas sehen kann, die vielerorts nach kurzer Zeit eingebrochen sind, und der Verteilung der Angriffe und Mobilisierungen von Rechten, haben wir es nicht mit einem regional beschränkten Phänomen zu tun, sondern mit einer bundesweiten rassistischen Bewegung. Diese kann man nicht durch lokale Gegenproteste stoppen.

Sachsen ist hier ein besonders gutes Beispiel. Mit  Freital, Heidenau und Dresden, wo wöchentlich immer noch mehrere tausend RassistInnen, teilweise sogar FaschistInnen,  auf die Straße gehen, zählt Sachsen zu einem der Bundesländer mit den meisten rassistisch motivierten Straftaten und Aufmärschen. Durchschnittlich gehen nur 400 gegen Pegida auf die Straße. Forderungen nach Selbstverteidigung, breiten Bündnissen und Großmobilisierungen sind hier zu spät gekommen. Die Linke ist in eine defensive Situation geraten und findet nur schwer Rückhalt in der Bevölkerung.

Die Isolation vereinzelter, reaktiver Gegenproteste, die nur eine Reaktion auf die RassistInnen darstellen, demotiviert und kann der rassistischen Bewegung nichts Schlagkräftiges entgegenstellen. Vielmehr bedarf es einer antirassistischen Bewegung, die bundesweit vernetzt agiert und Geflüchtete nicht nur vor Angriffen schützt, sondern mit ihnen für ihre Grundrechte kämpfen und der Gesamtbevölkerung eine klare antirassistische Perspektive aufzeigen kann.

Die soziale Frage

Die Angst, den eigenen Job zu verlieren, schlechter bezahlt zu werden oder  generell im Sozialsystem benachteiligt zu werden, ist präsent in den breiten Schichten der Bevölkerung. Einige Linke werten diese als per se rassistisch ab. Das hilft jedoch erstens nicht weiter und ist zweitens auch Unfug.

Existenzangst ist gerade in einer Krisenperiode des Kapitalismus verständlich wie auch die Befürchtung von Lohnabhängigen, dass Regierung und Unternehmer die Kosten der Unterbringung auf sie abwälzen wollen. Zugleich verknüpft sich aber diese Befürchtung mit chauvinistischen Vorstellungen - nicht zuletzt, weil das vorherrschende Bewusstsein innerhalb der Klasse nicht von Fortschritt und revolutionärem Denken geprägt ist. Es ist ein bürgerliches, das auch Chauvinismus in seinen unterschiedlichsten Formen beinhaltet.

Die Aufgabe von RevolutionärInnen ist es an dieser Stelle, konkrete Antworten zu geben und eine Perspektive aufzuwerfen, um den Chauvinismus innerhalb der Klasse bekämpfen zu können. Wichtig hierbei ist zu betonen, dass der Sozialabbau schon bereits vor der Ankunft der Geflüchteten stattgefunden und nichts mit diesen zu tun hat. Ein Niedriglohnsektor wurde Anfang des Jahrhunderts mit der Agenda 2010 geschaffen und Sozialleistungen wurden dramatisch gekürzt.

Durch die „Schuldenbremse“ und Steuergeschenke für Kapital- und Vermögensbesitzer wurden den Kommunen jahrelang Mittel entzogen. Sozialer Wohnungsbau findet nur als Alibiveranstaltung statt. Für die Banken gab es in der Wirtschaftskrise Billionen, die jetzt durch vermehrte Ausbeutung der sog. „Dritten Welt“ und der ArbeiterInnen hier eingefahren werden sollen.

Die RechtspopulistInnen und RassistInnen versuchen, daran demagogisch anzuknüpfen, indem sie die Geflüchteten und MigrantInnen für die (drohende) Verschlechterung der sozialen Lage der Massen verantwortlich machen.

In Wirklichkeit spaltet die Trennung von In- und AusländerInnen nur die Lohnabhängigen - und zwar länderübergreifend. Daher läuft auch jede Forderung nach Einschränkung der Bewegungsfreiheit und Grenzkontrollen letztlich auf Selektion hinaus - und führt außerdem dazu, dass alle, die keine Einreiseerlaubnis erhalten, erst recht in die Illegalität getrieben werden und Ausbeutern schutzlos ausgeliefert sind.

Kampfprogramm

Dem müssen wir ein Programm des gemeinsamen Kampfes entgegenhalten:

Gleiche Rechte für alle, die in Deutschland leben! Volle StaatsbürgerInnenrechte! Aufhebung aller Verschlechterungen des Asylrechts! Offene Grenzen für alle Geflüchteten!

Für das Recht auf Arbeit, keine Einschnitte  bei Mindestlohn und Sozialleistungen! Mindestlohn für alle Beschäftigten!

Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich! Für ein Programm gesellschaftlich nützlicher öffentlicher Arbeiten unter ArbeiterInnenkontrolle!

Nein zur menschenunwürdigen Lagerindustrie! Enteignung leerstehenden Wohnraums und Nutzbarmachung öffentlicher Immobilien, für selbstverwaltete Unterbringung von Geflüchteten und massiven Ausbau des sozialen Wohnungsbaus!

Für freie Bildung, Anerkennung aller akademischen Qualifikationen und den vollwertigen Zugang zu Unis und FHs, Schulen und Ausbildungsbetrieben! Für kostenfreie Deutschkurse und das Recht auf kostenfreie Bildung in Erstprache für Geflüchtete!

Für die volle Ausfinanzierung des Bildungswesens und Einstellung von LehrerInnen gemäß den Bedürfnissen von Lehrenden und Lernenden!

Brecht die Macht der Banken und Konzerne! Lasst die zahlen, die für Krieg, Krise und Flucht verantwortlich sind!

Aufgabe der Gewerkschaften

Rassismus spaltet. In den aktuellen Diskussionen fordern Arbeit„geber“verbände wie die Industrie und Handelskammer eine Ausnahmeregelung für Geflüchtete vom Mindestlohn, um sie damit gegen andere benachteiligte Gruppen auf dem Arbeitsmarkt auszuspielen. Hinter dieser Forderung steht das Interesse, Arbeitskräfte anstellen zu können, die man unter dem Mindestlohn bezahlen kann. Denn unter den syrischen Flüchtlingen befinden sich qualifizierte FacharbeiterInnen, die für das deutsche Kapital profitabel sind.

So wird die Angst von Beschäftigen, ihren Job zu verlieren oder schlechter bezahlt zu werden, auf die Flüchtlinge geschoben. Dem muss man sich konkret entgegenstellen und zwar im Betrieb.  Auf Betriebsversammlungen oder in Betriebsgruppen muss man die Ursachen und Auswirkungen von Rassismus thematisieren.

Dazu müssen die Gewerkschaften anfangen sich zu positionieren und konkret zu antirassistischen Aktionen mobilisieren bzw. zur Solidarität aufrufen. Entscheidend ist, dass die Beschäftigten in den Betrieben und Büros die soziale Kraft sind, die mit Massendemonstrationen, betrieblichen Aktionen und politischen Streiks das Kapital und die Regierung wirklich treffen kann.

Aufnahme von Geflüchteten in die Gewerkschaften; Recht auf gesonderte Treffen von MigrantInnen und Geflüchteten!

Politisches Streikrecht für ArbeiterInnen, Geflüchtete, SchülerInnen und StudentInnen!

Für den Aufbau von Aktionskomitees in den Betrieben, die konkret Antirassismus thematisieren und gemeinsam mit MigrantInnen und Geflüchteten für ihre Rechte kämpfen!

Bundesweite antirassistische Massenmobilisierung aller Gewerkschaften, aller Parteien, die sich auf die ArbeiterInnenklasse stützen, der politischen Linken, von MigrantInnenorganisationen, Refugees und Flüchtlingsinitiativen!

Der Hauptfeind steht im eigenen Land

Wer Rassismus bekämpfen will, muss sich auch gegen den Staat stellen und offen gegen das kämpfen, was Rassismus manifestiert - Nationalstaatsgrenzen und Imperialismus. Im Kapitalismus dienen diese dazu,  einen Teil der globalen ArbeiterInnenklasse ausbeuten zu können. Sämtlichen ArbeiterInnen aus Schwellen- und Entwicklungsländern ist es erschwert, in die imperialistischen Länder zu kommen.

Deswegen ist auch die Forderung nach StaatsbürgerInnenrechten ein zentraler Teil unseres Programms. Solange es Unterschiede zwischen ArbeiterInnen verschiedener Herkunft gibt, können diese immer dazu instrumentalisiert werden, Löhne zu drücken und sie gegeneinander auszuspielen. Aber nicht nur die Forderung nach offenen Grenzen und StaatsbürgerInnenrechten sind wichtige Punkte im Kampf gegen den Rassismus. Wer aktiv gegen den Rassismus kämpft, muss auch gegen den Imperialismus als Ganzes kämpfen - und zuerst gegen die deutsche Regierung, die deutschen Konzerne und die deutschen Banken. Schließlich treiben diese mit Lebensmittelspekulationen, Waffenexporten oder Wirtschaftsembargos andere Nationen in ihre Abhängigkeit  oder finanzieren aufgrund ihrer Interessen Kriege und sind somit für Flucht überhaupt erst verantwortlich. Beispielhaft hierfür ist die Unterstützung Erdogans mit Waffenexporten bei seinem Krieg gegen die KurdInnen.

l Nieder mit der Festung Europa! Keine Bundeswehr- und NATO-Einsätze gegen Flüchtlinge! Offene Grenzen für alle!

l Sofortige Beendigung aller Kriegseinsätze wie in Mali, Syrien, Afghanistan, Irak, Kosovo, dem Mittelmeer und vor dem Horn von Afrika! Schluss mit den deutschen Rüstungsexporten und der deutschen Aufrüstung! Kein Cent, kein Mensch für die Kriegsinteressen der deutschen Regierung!

Unterstützung des Befreiungskampfs gegen nationale Unterdrückung und Imperialismus, der Kämpfe gegen Ausbeutung und Vorenthalt demokratischer Rechte! Freilassung aller politischen Gefangenen von der Türkei bis Tunesien!

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Nr. 207, März 2016
*  Flüchtlingsfrage: Test für die EU
*  Drohender Rechtsruck: Antirassismus konkret
*  Internationaler Frauentag: Rassismus und Frauenunterdrückung
*  Tarifrundenritual: IG Metall will 5 Prozent
*  Internationalismustage der NaO: Durchgeführt trotz Repression
*  Landtagswahlen am 13. März: Referenden über Rassismus und Große Koalition?
*  Politisch-ökonomische Perspektiven: Deutsche Imperialismus, Klassenkampf und die "radikale" Linke
*  China: Krisenverschärfungen
*  Britannien: Die Labour Party und revolutionäre Taktik
*  Polen: Unaufhaltsam nach rechts?
*  Türkei: Hände weg von Kurdistan!
*  Syrien zwischen Waffenstillstand und Eskalation: Reaktionärer Vormarsch oder permanente Revolution?