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Flüchtlingsfrage

Test für die EU

Jürgen Roth, Neue Internationale 207, März 2016

Immer deutlicher wird die Uneinigkeit unter den EU-Mitgliedsländern angesichts der nicht abreißenden Zuwanderung von Geflüchteten. Diese zeigt nicht, dass die Geflüchteten als neue antikapitalistische Vorhut agieren, sondern die Führungsschwäche Deutschlands und die wackelige Konstruktion dieses Staaten- und Wirtschaftsraums.

(Anti-)Asylpaket II

Am 25. Februar wurde es vom Bundestag verabschiedet. Es sieht Abschiebezentren und beschleunigte Verfahren (3 Wochen für Entscheidung, Einspruch und evtl. Verwaltungsgerichtsbescheid) für Geflüchtete aus „sicheren Herkunftsstaaten“ und jene, die „sich der Mitwirkung bei ihrem Verfahren entziehen“, vor (siehe „Merkel unter Druck“; Neue Internationale 206).

Ein Teil von ihnen verliert das Recht auf ein Asylverfahren gänzlich. Das Recht auf Familiennachzug wird für alle Flüchtlinge mit eingeschränktem Schutz für 2 Jahre ausgesetzt. Das gilt auch für minderjährige unbegleitete Flüchtende. Im Gegenzug sollen deren BetreuerInnen jetzt ein erweitertes Führungszeugnis nachweisen. Um eine Obergrenze für die Ablehnung des Familiennachzugs hatte die SPD im Vorfeld viel Wirbel gemacht. Geblieben ist davon die Aufnahme abweichender Einzelfallentscheidungen als Möglichkeit im Gesetz. Gesundheitliche Gründe gegen Abschiebung können jetzt weniger geltend gemacht werden. Am gleichen Tag wurde im Nachgang zu den Silvesterereignissen von Köln die Ausweisung straffällig gewordener AusländerInnen bei schweren Delikten jetzt auch beschlossen, wenn es sich um Bewährungsstrafen handelt.

Die Lister „sicherer Herkunftsländer“ wurde noch nicht um Algerien, Marokko und Tunesien erweitert, weil dafür die Mehrheit im Bundesrat nicht sicher schien.

(Anti-)Asylpaket III?

Grünen-Parteichef Özdemir zeigt sich verhandlungsbereit über die Einstufung neuer „sicherer Herkunftsländer“. Im Gegenzug verlangt er Lösungen für die vielen Geduldeten. Außerdem sollen Flüchtlinge gleichzeitig arbeiten und einen Sprachkurs machen können. Laut Innenministerium ist ein Asylpaket III geplant. Es soll Wohnortzuweisungen für anerkannte Asylsuchende enthalten. Das unterstützt auch Hannelore Kraft, Nordrhein-Westfalens Ministerpräsidentin (SPD). Ihre Parteikollegin und Bundesarbeitsministerin, Andrea Nahles, setzt ebenfalls auf Härte. Sie will die Verletzung der Teilnahmepflicht an Integrationskursen auch bei syrischen Flüchtenden mit Einschränkungen von Sozialleistungen bestrafen.

Die SPD-Innenminister begrüßen von Flüchtlingskoordinator Altmaier (CDU) ins Spiel gebrachte Pläne, straffällig gewordene Flüchtlinge in Drittländer (z.B. Türkei) abzuschieben, wenn eine Rückführung in die Herkunftsländer unmöglich ist. CDU-Vize Strobl fordert, Flüchtlingen frühestens nach 5 Jahren ein unbefristetes Aufenthaltsrecht zu gewähren und auch dann nur, wenn sie nicht straffällig geworden sind, „passabel“ Deutsch sprechen und mindestens 60 Monatsbeiträge zur Rentenversicherung entrichtet haben. Die Union drängt außerdem darauf, das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge bereits bei Ermittlungen der Staatsanwaltschaft gegen AsylbewerberInnen wegen schwerer Delikte einzuschalten.

Sonderwege in der EU

Während die EU keinen Schritt weitergekommen ist bei der Festlegung eines Verteilschlüssels für Geflüchtete auf ihre 28 Länder, hat Österreich praktisch im Zusammenwirken mit Slowenien, Mazedonien u.a. einen kleinen Balkanpakt geschlossen, der die Balkanroute praktisch undurchlässig macht. Das führt zu einem Rückstau in Griechenland, sehr zum Zorn der dortigen Regierung. Angesichts hoher Arbeitslosenzahlen in Österreich denkt man dort auch über Einschränkungen der „Arbeitnehmerfreizügigkeit“ wie eine Änderung des Entsendegesetzes nach (Arbeiterkammerpräsident Muhm, SPÖ).

Dänemark und Schweden möchten die Passunion aus den 1950er Jahren wieder einführen und die Kontrollen an der gemeinsamen Grenze wieder aufheben. Dazu sollen die Grenzen zu Drittstaaten (v.a Deutschland) scharf kontrolliert werden.

Merkels Kurs liegt im Einvernehmen mit der EU-Kommission auf einem geplanten Flüchtlingsgipfel mit der Türkei, der aufgrund der jüngsten Anschläge in Ankara verschoben worden ist. Ferner soll die NATO für die Kontrolle der Ägäis verantwortlich gemacht werden. Sie sieht vorläufig keine Möglichkeit, einen einheitlichen Aufnahmeschlüssel in der EU durchzusetzen. Sollten diese Maßnahmen und Beschlüsse den „Strom“ der Schutzsuchenden nicht wirksam eindämmen, werde man andere Maßnahmen ergreifen. Dies ist ein Eingeständnis, dass die BRD ihre Vormachtrolle in der EU, die sie noch in der Griechenlandkrise wirkungsvoll demonstrierte, in der Geflüchtetenfrage nicht den anderen Mitgliedsländern aufzwingen kann. Diese gehen auf Distanz zu ihr. Droht ein deutscher Sonderweg? Die EU ist hier jedenfalls völlig zerrissen.

Spitzen des Eisbergs

Frauke Petry (AfD) bekennt sich zum Schusswaffeneinsatz an der Grenze gegen Flüchtlinge. Seit Jahresbeginn wurden 17 Brandanschläge und 118 Straftaten gegen Asylheime registriert. In Sachsen, der Hochburg des rechten Mobs, rechtfertigt der Polizeipräsident das Vorgehen der Polizei gegen bedrohte Flüchtlinge bei deren gleichzeitiger Tatenlosigkeit gegenüber den Tätern (Clausnitz). Bundesinnenminister de Maizière verteidigt ebenfalls das Vorgehen der Polizei. Die Behörden registrieren für 2015 1,2 Millionen „illegale“ Grenzübertritte in der EU. Zu den Wolken über der Staatengemeinschaft addieren diese Vorfälle und Zahlen einen kräftigen Brandgeruch.

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Nr. 207, März 2016
*  Flüchtlingsfrage: Test für die EU
*  Drohender Rechtsruck: Antirassismus konkret
*  Internationaler Frauentag: Rassismus und Frauenunterdrückung
*  Tarifrundenritual: IG Metall will 5 Prozent
*  Internationalismustage der NaO: Durchgeführt trotz Repression
*  Landtagswahlen am 13. März: Referenden über Rassismus und Große Koalition?
*  Politisch-ökonomische Perspektiven: Deutsche Imperialismus, Klassenkampf und die "radikale" Linke
*  China: Krisenverschärfungen
*  Britannien: Die Labour Party und revolutionäre Taktik
*  Polen: Unaufhaltsam nach rechts?
*  Türkei: Hände weg von Kurdistan!
*  Syrien zwischen Waffenstillstand und Eskalation: Reaktionärer Vormarsch oder permanente Revolution?