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Tarifeinheit und Streikrecht

Was will der DGB?

Peter Lenz, Neue Internationale 190, Juni 2014

Nach dem DGB-Bundeskongress im Mai in Berlin gab es viel Verwirrung und unterschiedliche Interpretationen, was auf der Konferenz bezüglich der Tarifeinheit wirklich beschlossen wurde. Viele Zeitungen, darunter auch die „Junge Welt“, berichteten von einem „Kurswechsel“ des DGB.

Demgegenüber wies aber z.B. der Arbeitsrechtler Rolf Geffken darauf hin, dass der Bundeskongress gerade jenen Anträgen, die jede Einschränkung des Streikrechts ablehnen, nicht zugestimmt hat.

Eine Kollegin von der IG Metall brachte in die Debatte ein, man könne doch nicht gegen eine Regelung des Streikrechts sein, wenn die Regierung anbiete, zu regeln, „dass das politische Streikrecht (…) zum Koalitionsrecht gehöre“. Das ist eine, gelinde gesagt, „merkwürdige“ Argumentation. Als ob von den Herrschenden angedacht sei, freiwillig der Arbeiterbewegung ein politisches Streikrecht zu gewähren!

Alexander Kirchner von der EVG wies darauf hin, dass auch auf europäischer Ebene ein neuer Angriff auf das Streikrecht gestartet wurde. Im „Eisenbahnpaket 4“ sollte festgeschrieben werden, dass 50 Prozent der Transportleistungen auch bei Streik sichergestellt sind. Dieses Gesetzesvorhaben scheiterte im Europaparlament allerdings. Kirchner beklagte sich auch über die mangelnde Unterstützung der GdL beim Kampf gegen das „Eisenbahnpaket“. Diese Kritik muss sich die GdL auch gefallen lassen, aber an ihrer allgemein korrekten Stellung zu Streikrecht und Tarifeinheit ändert das nichts.

Die Unklarheit bezüglich der Haltung des DGB zur Frage der Tarifeinheit und der Einschränkung des Streikrechts sagt an sich schon genug über den Charakter der DGB-Spitze aus. Anstatt ganz klar jeden Angriff auf das Streikrecht - und damit indirekt auch auf das Koalitionsrecht - zurück zu weisen, führt man einen Eiertanz auf. Statt klarer Beschlüsse und konkreter Maßnahmen gibt es Wortklaubereien und Interpretationen.

Vor der DGB-Konferenz gab es einige sehr kleine Proteste von GewerkschafterInnen, was zeigt, dass der Widerstand gegen die Tarifeinheits-Pläne leider noch nicht so stark ist, wie er sein sollte.

Was tut die Regierung?

Inzwischen sollen sich fünf Ministerien mit Planungen zum Tarifeinheitsgesetz befassen. Von Seiten der Unternehmerverbände wird Druck gemacht. Die SPD will eine befriedete Gewerkschaftslandschaft als ihre Trumpfkarte für künftige Regierungsbildungen. Der DGB schielt auf vermeintliche Vorteile und auf eine Vormachtstellung im Verhandlungssektor.

Für das Kapital wäre die Tarifeinheits-Regelung natürlich sehr von Vorteil, denn so hätte sie die in der Vergangenheit öfter durch sehr effektive Streiks aufgefallenen Spartengewerkschaften wie GdL, Cockpit oder Marburger Bund vom Hals und könnte in Ruhe mit den zuverlässigen „sozialpartnerschaftlichen“ DGB-Spitzen verhandeln.

Die Auseinandersetzung um die Tarifeinheit hält also weiter an. Umso wichtiger ist es deshalb, den Widerstand dagegen zu verstärken.

Bedrohung des Streikrechts durch das TTIP

In den letzten Monaten hat sich zunehmend Widerstand gegen das „Transatlantic Trade and Investment Partnership“ (TTIP), meist als „Freihandelsabkommen“ zwischen der EU und den USA bezeichnet, entwickelt. Dabei geht es u.a. darum, dass dieses Abkommen sehr negative Auswirkungen auf Arbeiter- und Gewerkschaftsrechte haben würde. Da die Verhandlungen für das TTIP weitgehend geheim geführt werden, sind Details noch nicht bekannt. Klar ist aber dennoch, dass die in den USA geltenden Standards in punkto Arbeitsrecht und Gewerkschaftsrecht schlechter sind als in Europa und die Übernahme der oder die Angleichung an die in den USA geltenden Regeln eine klare Verschlechterung für die Lohnabhängigen und die Gewerkschaften bedeuten würde.

Eine wichtige Frage ist z.B. der „Investorenschutz“. Dabei sollen Firmen und Konzernen vor nicht dem Justizsystem unterstellten Kammergerichten Klagemöglichkeiten in Bezug auf vermutete Gewinne zugestanden werden. Schon heute gibt es ähnliche „Kammern“, wie die Klage des Energiekonzerns Vattenfall gegen die Bundesrepublik zeigt. Dabei geht es um „entgangene Gewinne“ aus dem Betrieb einiger AKWs in Norddeutschland.

Konkret würde der „Investorenschutz“ bedeuten, dass Konzerne auch gegen Streiks oder Tarifverträge klagen könnten, da diese ja per se „gewinneinschränkend“ sind.

Das Ausschalten von Streik- und Gewerkschaftsrechten auf diese Art ist in den USA längst Realität. Am 12. April brachte die Gießener Zeitung zum Thema ein Interview mit Daraka Larimore-Hall. Er ist Sekretär der Demokratischen Partei Kaliforniens, war Fachgruppenleiter der United Auto Workers und ist Vorsitzender des Arbeit“nehmer“flügels der kalifornischen Demokraten.

Im Interview heißt es: „Wir kämpfen ums Überleben! Fundamentale Gewerkschaftsrechte wurden beschnitten. Sogenannte ‚right to work'-Gesetze erschweren die Tarifkämpfe in vielen Bundesstaaten. In Wisconsin wurde es den Kollegen des öffentlichen Dienstes regelrecht verboten Tarifverhandlungen und Arbeitskämpfe zu führen. Man kann ohne Übertreibung sagen, dass ein organisierter Feldzug gegen die Gewerkschaften stattfindet. Das ist nicht nur ökonomisch motiviert. Die Gewerkschaften sind eine der wenigen Institutionen, die progressive Argumente in die Mittelschicht tragen. Konservative Republikaner hassen das! Wir haben im Volkswagenwerk Chattanooga die Abstimmung über die Einführung eines Betriebsrates verloren, weil unsere Gegner aus der Politik behauptet haben, dass man mit einem Betriebsrat die progressiven Kräfte stärke und damit die Homo-Ehe gleich noch mit wähle. Was müssen wir tun, wenn unsere Gegner aus innerbetrieblichen Konflikten plötzlich Kampagnen über solche Fragen machen?“

An solchen Entwicklungen haben natürlich auch deutsche und europäische Konzerne lebhaftes Interesse. Gerade deutsche Konzerne siedeln sich gern in US-Bundesstaaten an, wo die „right to work"-Gesetze schon wirksam sind. Zum anderen lässt sich durch entsprechende Gestaltung von Konzernstrukturen im Hinblick auf Gewerkschafts- und Arbeitsrechte auch in der EU bzw. in Deutschland einiges „gestalten“.

Widerstand

Die nächste konkrete Aktivität ist die Konferenz „Hände Weg vom Streikrecht“ - Verhinderung des Gesetzesvorhabens „Tarifeinheit“ am 15. Juni 14 in Frankfurt/M.

Neben einer Bestandsaufnahme (v.a. was die Aussagen des DGB und die Pläne der Regierung betrifft) soll beraten werden, wie der Kampf weitergehen soll. Ein Referent ist der Arbeitsrechtler Rolf Geffken. Er wird sich mit der Analyse der Positionen des DGB und der Einzelgewerkschaften befassen. Weiteres siehe unter www.streikrecht-verteidigen.org

Teilnehmen werden außer der „Initiative zur Vernetzung der Gewerkschaftslinken“ (IVG) auch die FAU, der IWW, der Marburger Bund u.a. Ziel muss es sein, konkrete Verabredungen zu treffen für weitere Öffentlichkeitsarbeit, v.a. unter den KollegInnen in ganz Deutschland.

Wir müssen weiterhin die Forderung „Hände Weg vom Streikrecht - für volle gewerkschaftliche Aktionsfreiheit“ in die gewerkschaftlichen Gremien und in jede Basiseinheit tragen. Dazu braucht es in jeder Stadt Gruppen und Komitees als örtliche Strukturen, die dies vor Ort vorantreiben.

Inhaltlich müssen wir die Verteidigung und Ausweitung des Streikrechts weiterhin in den Mittelpunkt stellen. Wir müssen zudem Vorschläge und Initiativen entwickeln, wie wir der realen Zersplitterung der Tarifeinheit durch das Kapital (unter gütiger Mithilfe durch die DGB-Gewerkschaften) begegnen können. Denn in der Realität gibt es in den Betrieben eine Vielfalt von Tarifen und auch Gewerkschaften, was überhaupt nicht durch das Auftauchen der Spartengewerkschaften verursacht wurde.

Zum anderen muss überlegt werden, wie die DGB-Gewerkschaften auch für die Mitglieder der Spartengewerkschaften attraktiver werden können. Dabei muss vor allen Dingen die Argumentation von Tisch, die Mitglieder der kleinen Gewerkschaften wollten sich auf Kosten der „Schwachen“ bereichern.

Dazu gehört auch, dass die Mitglieder eine größere Rolle in der Aufstellung der Tarifforderungen und bei deren  Durchsetzung spielen - damit das Streikrecht auch entschlossen wahrgenommen wird und nicht auf der Stufe von Warnstreik-Ritualen  stehenbleibt. Den Warnstreiks sollten Durchsetzungsstreiks folgen, sonst bleibt das Ganze nur ein Motivierungs- und Mitgliederwerbe-Programm. Im Moment sieht es aber eher so aus, als gehe der Prozess genau in die andere Richtung, siehe auch die neuesten Entwicklungen im Einzelhandel. Da wird eher versucht, alle basisnahen und basisgebundenen Gremien auszuschalten.

Als Fazit könnte gelten: Das Streikrecht wird am besten verteidigt, indem es angewandt wird.

Konferenz zur Abwehr des Gesetzesvorhabens „Tarifeinheit“

Sonntag, 15. Juni, 11-17.00 Uhr, DGB-Haus, Wilhelm-Leuschner-Str. 69-77, Frankfurt/M.

Anmeldungen werden erbeten unter: peter.gerstmann@gmx.de

Weitere Informationen unter www.streikrecht-verteidigen.org

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Nr. 190, Juni 2014
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