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Wahlen zum Europa-Parlament

Europa polarisiert sich

Hannes Hohn, Neue Internationale 190, Juni 2014

Die Wahlen zum Europäischen Parlament waren v.a. mit der Frage verbunden, wie viele Stimmen die Rechten und die Linken erhalten. In den vergangenen Monaten und Jahren hatten die Krise der EU und der EURO-Zone, die massiven sozialen Angriffe und die Massenproteste dagegen für eine stärkere politische Polarisierung gesorgt.

Weil das Europa-Parlament noch weniger Einfluss auf die reale Politik hat als jede nationale Legislative, war die Wahlbeteiligung mit 43% europaweit erwartungsgemäß niedrig, auch wenn sie in Deutschland mit 48% um 5% höher als bei den letzten Europawahlen 2009 ausfiel.

Insgesamt konnte sich die bürgerliche Mehrheit aus den Fraktionen der Europäischen Volkspartei (Christdemokraten), die 28,4% erhielten, und der Sozialdemokratie (25,4%) trotz geringer Verluste halten - was beide sogleich als „Bestätigung“ ihres Europakurses werten.

Die Rechten

Die früheren Ergebnisse und aktuelle Umfragen der Rechten - von konservativ/nationalistisch (AfD, Wilders in Holland, „Wahre Finnen“) bis zu offen rassistisch/faschistischen  Formationen (NPD, Jobbik in Ungarn, Goldene Morgenröte in Griechenland) - ließen befürchten, dass diese Demagogen die Krise der EU und der Euro-Zone dazu nutzen könnten, ihren Einfluss zu stärken.

Die Wahlergebnisse zeigen nun tatsächlich, dass sich die radikale/konservative Rechte insgesamt gestärkt hat. Die deutsche AfD mit 7% aus dem Stand, die Goldene Morgenröte mit 10%, die ungarische Jobbik mit 15% und v.a. die „Front Nationale“ in Frankreich, die sich von 6,3 (2009) auf 25% steigerte und damit sogar stärkste Partei wurde.

Die Aufwärtsentwicklung der rechten „Euro-Skeptiker“ zeigt sich auch in Britannien, wo die UKIP bemerkenswerte 28% errang und ihr Ergebnis verdoppelte. Allerdings ist dieser Trend nicht durchgängig zu beobachten, z.B. nicht in Italien oder Spanien, die ja ebenfalls von der Krise durchgeschüttelt werden. Auch die „Wahren Finnen“ (12,9%) hatten sich deutlich mehr ausgerechnet und in den Niederlanden mussten Wilders Rechtspopulisten sogar deutliche Einbußen hinnehmen.

Auch in Deutschland ist das Abschneiden der NPD mit nur 1% einfach nur schlecht für diese  Faschobande, v.a. angesichts dessen, dass die Bedingungen für sie in mehrfacher Hinsicht eigentlich gut waren: die Prozenthürde war weg, die Krise der EU hält an, es gab kaum rechtsextremen Konkurrenzparteien (nur die REPs), es wurde massiv plakatiert und es gab ein erneutes Hochkochen des Rassismus gegen MigrantInnen.

Die Linke

Viele hatten die Hoffnung, dass die Proteste gegen die Krise, v.a. in Südeuropa, ihren Ausdruck auch darin finden würden, dass Parteien wie Syriza in Griechenland deutlich zulegen. Sicher ist die Politik von Syriza und anderen Parteien der Europäischen Linken (ELP), zu der auch die hiesige Linkspartei gehört, weit davon entfernt, den Widerstand konsequent voran zu treiben und international zu koordinieren, geschweige denn, eine antikapitalistische Perspektive zu weisen. Doch eine Stimme für diese Parteien ist eben auch eine Stimme der Unzufriedenheit und des Protestes gegen die Politik der EU, der Troika, des IWF und der jeweiligen nationalen Regierung. Zudem ist eine Stimme für die Linken auch Ausdruck dessen, dass die rechten Populisten nicht von allen als Alternative zur Politik von Berlin und Brüssel angesehen werden.

In etlichen Ländern gab es einen deutlichen Stimmenzuwachs für Parteien links von der Sozialdemokratie. Am prägnantesten ist dabei der Erfolg von Syriza in Griechenland, das 26% erreichte und damit stärkste Partei wurde. Zusammen mit der KKE erreichte die Linke 35%, was auch angesichts des Absturzes von Pasok als ein klarer Linksruck bewertet werden muss.

In Spanien erhielt die dortige Linkspartei 10% und konnte ihr Ergebnis gegenüber 2009  verdreifachen. Dazu erhielt das eher noch linker positionierte Bündnis „Podemos“, das eng mit der Protestbewegungen verbunden ist, aus dem Stand 8%. Ein bemerkenswerter Erfolg, der nun auch - und vor allem - dazu genutzt werden müsste, kämpferische und antikapitalistische Kräfte für den Aufbau einer neuen revolutionären Partei zu gewinnen. In Katalonien sind die linken und bürgerlichen Unabhängigkeitsbefürworter die eindeutigen Sieger der Wahl, was das bestehende politische System in Spanien weiter erschüttert. Mit den Linksnationalisten im Baskenland und Katalonien kommt damit das Lager links von den Sozialdemokraten auf über 25% der Stimmen.

In Portugal ist die kommunistische Partei neben den Sozialisten die Gewinnerin der Wahl (13%), während der Linksblock stagniert (5%). Insgesamt ist also auch dort ein Abstrafen der offen bürgerlichen Regierungsparteien (zusammen unter 30%) zu beobachten.

In Irland schnitt die links-nationalistische Sinn-Fein-Partei (die im Europaparlament zur Linksfraktion gehört) mit 17% erstaunlich gut ab.

In Deutschland konnte die LINKE mit 7,5% ihre Position behaupten - allerdings auch nicht ausbauen. Dazu hätte es mehr Mobilisierung bedurft und einer klaren, antikapitalistischen Alternative zur imperialistischen EU. Stattdessen orientiert sie auf ein illusionäres „soziales Europa“ - auf kapitalistischer Grundlage. V.a. fehlte es auch an klaren Initiativen der Linkspartei, um eine strukturelle Vernetzung des Widerstands in Europa voran zu bringen und ein entsprechendes  Aktionsprogramm vorzuschlagen. In für die Europa-Politik potentiell relevanten Bewegungen in Deutschland wie z.B. Blockupy mischt die LINKE zwar irgendwie mit, von einer aktiven Rolle jedoch ist sie meilenweit entfernt.

Andere kleine linke Organisationen wie DKP, MLPD und PSG spielten auch diesmal wieder nur eine sehr marginale Rolle und konnten auch keine Zuwächse verzeichnen. Das bestätigt unsere Position, der LINKEN eine kritische Wahlunterstützung zu geben, da andere Linke einfach keine relevante Rolle spielen - nicht im Bewusstsein der Klasse, ja selbst kaum in deren Vorhut, noch im Klassenkampf.

Die allgemeine Schwäche der „extremen“ Linken in Europa erklärt auch, warum selbst in Ländern wie Italien, wo die soziale Lage sicher nicht gerade entspannt ist, die regierende „Demokratische Partei (PD) 41% holen konnte. Allerdings ist das angesichts der politischen „Substanz“ der „Opposition“ von Beppe Grillo, der mit nur 21% relativ enttäuschend abschnitt, nicht so sehr verwunderlich. In Italien ist die Bündnisfront von „Refundatione Comunista“ wieder aus der Versenkung aufgetaucht: das Wahlbündnis "Altra Europa - con Tsipras" erhielt 4,1% und damit 3 Mandate, was auf eine gewisse Erholung der italienischen Linken hindeutet.

Alles in allem kann also durchaus auch von einem Linkstrend in Teilen von Europa gesprochen werden, von dem tw. auch - wie Spanien zeigt - Formationen profitieren konnten, die links von der Europäischen Linkspartei stehen. Angesichts dessen können wir uns lebhaft vorstellen, was möglich gewesen  wäre, wenn solche Kräfte mehr Druck auf Parteien wie Syriza ausgeübt hätten und aktiver dabei gewesen wären, sich selbst untereinander und die verschiedenen Proteste europaweit zu vernetzen und ein klares politisches Signal dazu zu geben.

Deutschland

Die Union konnte - trotz leichter Verluste, welche die CSU verschuldete - mit 35,3% (2009: 37,9) erneut stärkste Kraft werden. Die Europawahl war eine Bestätigung der Großen Koalition. Das ist sicher nicht dem Zauber von Merkel zu verdanken, sondern zwei anderen, sehr realen Faktoren.

Erstens ist hierzulande die wirtschaftliche Lage - v.a. im Vergleich zu fast allen anderen europäischen Ländern - relativ günstig. Allerdings sollte das nicht damit verwechselt werden, dass das auch auf sozialem Gebiet allgemein gelten würde. Trotz Frohlocken über ein paar Zehntel Wachstum so nennen wollen und sprudelnder Steuereinnahmen kann nämlich keine Rede davon sein, dass etwa der durch die Hartz-Reformen in Gang gesetzte Abwärtstrend für Millionen Lohnabhängige gestoppt worden wäre.

Zweitens gab es kaum relevante Proteste oder gar größere Klassenkämpfe, die die Merkel-Regierung herausgefordert hätten. Hauptverantwortlich dafür ist das reformistische Bremser-Duo aus SPD und DGB. Anstatt z.B. einen Mindestlohn zu fordern - und durchzukämpfen (!) -, der dem Kapital wirklich etwas abgetrotzt hätte, begnügte man sich mit einem völlig ungenügenden Mindestlohn von 8,50 Euro, der zudem noch mit allerlei Ausnahmen durchlöchert wurde und mehr die Altersarmut sichert als ein vernünftiges Leben. Bei solchen „Gegnern“ könnte die Union die  Wahl auch gewinnen, wenn man eine Stehlampe als Kandidaten aufstellt ...

Zusammen mit AfD und FDP erhielt das konservativ-liberale Lager somit insgesamt ca. 44 Prozent. Die eigentliche Wahlsiegerin ist die AfD, die damit die Krise der FDP noch verschärft haben dürfte und sich zunächst einmal als zweite bürgerlich-konservative Kraft neben der Union etabliert hat.

Die SPD konnte zwar um 6,5% zulegen, doch angesichts ihres „historischen“ Desasters von 2009 mit nur 20,8%  ist das auch nicht gerade ein Husarenstück. Die Grünen bewegen sich mit 10,7% im grünen Bereich.

Unterm Strich muss also konstatiert werden, dass die „Kritik am Euro und an der EU“ hierzulande - anders als in Griechenland oder Spanien - nicht von linken bzw. linksreformistischen Kräften dominiert wird. Das aktuelle Bild einer sehr schwachen extremen Rechten und einer zwar gestärkten, aber derzeit nur als Junior-Partner geeignete „Euro-kritischen“ konservativen AfD könnte sich jedoch auch schnell ändern, wenn die Krise wieder stärker - und auch in Deutschland - durchschlägt.

Fazit

Insgesamt bestätigte die Europawahl den erwarteten Trend einer politischen Polarisierung. Allerdings profitierten davon die „extremen“ Kräfte etwas weniger als die „gemäßigten“. Auf der Rechten konnten v.a. die konservativ/nationalistischen Euroskeptiker zulegen, auf der Linken v.a. Kräfte des linken Flügels des Reformismus wie Syriza. Allerdings ist der in den hiesigen Medien oft dargestellte „Rechtsruck“ eine schiefe Sichtweise, die mit den Realitäten - v.a. in Südeuropa, wo es einen klaren Linkstrend gibt - wenig zu tun hat.

Besonders in Britannien und Frankreich drücken die Erfolge der Euro-Kritiker eine Krise des etablierten bürgerlichen (Regierungs)Lagers aus. V.a. in Frankreich ist das auch Ausdruck der realen Befürchtung, dass die „Grande Nation“ immer mehr an Boden gegenüber Deutschland verliert. Diese Entwicklung unterminiert auch die bisher für das EU-Projekt entscheidende Achse Paris-Berlin und könnte die Hollande-Regierung innenpolitisch in Bedrängnis bringen.

In Britannien reflektiert der Erfolg von UKIP auch Konflikte innerhalb der herrschenden Klasse über den weiteren „Europakurs“, die Wahlverlierer Cameron mit der Forderung nach weniger Brüssel und der Ablehnung Junckers als neuen Kommissionspräsidenten deckeln will – und riskiert dabei eine weitere Verschärfung der Krise des EU-Projekts.

Das „Gleichgewicht“ der führenden imperialistischen Staaten der EU ist gestört, in Frankreich und Großbritannien ist das bürgerlich/konservativ/rechte Spektrum gespalten. Dies bedeutet für die nächste Periode weitere Zuspitzungen der politischen Krise der EU, aber auch weitere Spaltungen und Segmentierungen des bürgerlich-konservativen Spektrums. In dieser Konstellation kann die ökonomische Spaltung Europas auch schnell zu einer Spaltung der politischen Kaste führen, im Gegensatz zu der „Einigkeit“, die bislang vorgespielt wurde.

Für die Linke in Europa kommt es in den nächsten Monaten dafür zu nutzen, Protest und Widerstand gegen die Krisenauswirkungen europaweit zu bündeln und ein klassenkämpferisches Programm zu erarbeiten, das den Widerstand über symbolische und begrenzte Aktionen wie Demos, Platzbesetzungen oder eintägige „Generalstreiks“ hinaus führen und so für die Mächtigen im eigenen Land wie auch in Brüssel zu einer wirklichen Herausforderung werden kann.

Dabei kann und muss auch die radikale Linke eine Rolle spielen, indem sie a) selbst Initiativen setzt wie z.B. in der Solidarität mit dem Widerstand gegen das Regime in Kiew oder beim Aufbau europaweiter Proteste wie Blockupy und b) die reformistischen Formationen wie DIE LINKE und Syriza, aber auch die Gewerkschaften unter Druck setzt, so dass diese deutlich aktiver und koordinierter handeln als bisher - wobei Koordinierung nicht einfach heißen kann, dass sich eine Handvoll FunktionärInnen treffen, um eine inhaltsleere und folgenlose Deklaration zu verabschieden; es geht vielmehr darum, handlungsfähige Koordinations-Strukturen zu schaffen, in denen BasisvertreterInnen und Delegierte von Initiativen, Gewerkschaftsgliederungen usw. konkrete Schritte und Konzepte erarbeiten, wie der Widerstand in Europa wirklich einen Schritt voran kommen kann.

Vor allem aber müssen dabei sich zwei Einsichten durchsetzen: einerseits, dass die Lohnabhängigen ein Europa in ihrem Sinne nicht per Europaparlament umsetzen können, sondern nur durch den Klassenkampf auf der Straße, in der Gewerkschaft und im Betrieb, an der Uni und in der Schule; andererseits geht es darum, die linken, kämpferischen und antikapitalistischen Kräfte neu zu formieren und so eine international koordinierte Kraft aufzubauen, die Europa wirklich eine realistische, ja eine realistische (!) Perspektive weisen kann: die Vereinigten sozialistischen Staaten von Europa.

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