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CDU-Mindestlohndebatte

Mogelpackung

Frederik Haber, Neue Internationale 165, Dezember 2011/Januar 2012

Die Schere geht auseinander. Die Kluft zwischen Löhnen und Profiten, die Kluft zwischen Arm und Reich und auch die Kluft zwischen Geringverdienern und besser bezahlten Lohn- und GehaltsempfängerInnen. Es wachsen die Gewinne wieder und die Einkünfte aus Mieten usw., es wachsen die Durchschnittseinkommen, während die Durchschnittsgehälter seit 10 Jahren stagnieren, aber in beiden Fällen wachsen die hohen, während die niedrigen stagnieren bzw. fallen. Die Arschkarte haben immer die NiedriglohnempfängerInnen, LeiharbeiterInnen und Teilzeitkräfte.

Reallohnverlust der GeringerverdienerInnen

Im Juli 2011 legte das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) eine Studie vor, die belegt, dass die Reallöhne seit 2000 nicht gestiegen sind. „Real“ heißt, dass die Inflation gegen die „nominale“ Erhöhung verrechnet wird. Wenn die Preise stärker steigen als die Zahlenwerte der Löhne steigen, können sich die Menschen von ihren Löhnen weniger kaufen - die Reallöhne sinken. Genau das geschah mit den GeringverdienerInnen, die weniger als 1.600 Euro netto im Monat erhalten. Sie haben bis zu 22% ihrer Kaufkraft verloren (Süddeutsche Zeitung 19.7.11).

Die Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) hat diesen Trend jetzt bestätigt. Die Einkommensungleichheit ist in Deutschland seit 1990 stärker als in anderen wohlhabenden Industriestaaten gewachsen. In den 80er und 90er Jahren zählte die OECD Deutschland noch zu den wirtschaftlich ausgeglichenen Gesellschaften; heute allerdings nicht mehr:

„Die Entwicklung der Einkommen in der Bevölkerung illustriert die Veränderung: Die Forscher haben festgestellt, dass die oberen zehn Prozent der Deutschen, die ein Einkommen beziehen, im Jahr 2008 durchschnittlich 57.300 Euro verdient haben - und damit achtmal so viel wie die unteren zehn Prozent, bei denen es nur 7.400 Euro waren. In den 90er Jahren war es noch das Sechsfache. Verantwortlich für das Auseinanderdriften von Arm und Reich ist vor allem die Entwicklung der Gehälter, die hierzulande rund 75 Prozent der Haushaltseinkommen ausmachen.“ (welt-online 5.12.11)

Wie viel Ungleichheit erträgt eine Gesellschaft? Wie viel Ungerechtigkeit ertragen die arbeitenden Menschen? Kanzlerin Merkel testet dies ja gerade in Griechenland. In Deutschland ist 2010 die Zahl der Minijobber, Teilzeitbeschäftigten, LeiharbeiterInnen und befristet Beschäftigten auf 7,8 Millionen gestiegen. Das wird mehr und mehr als Skandal empfunden. Bei Frau Merkel können wir ein „soziales Gewissen“ als Triebkraft dennoch ausschließen, es ist vermutlich ein Kalkül auf Machterhalt, dass sie das Thema „Mindestlohn“ ihrer Partei aufgezwungen und zum Thema des CDU-Parteitags gemacht hat.

Schlechte Kosmetik

Herausgekommen ist allerdings ein Beschluss, der nur schlechte Kosmetik ist. Eine „allgemein verbindliche Lohnuntergrenze“ soll nur dort eingeführt werden, wo es keine Tarifverträge gibt. Dann soll sie durch eine Kommission der Tarifpartner festgelegt werden. Das erste Hindernis sind also die unterirdischen Tarife, die von ver.di u.a. DGB-Gewerkschaften in schwach organisierten Dienstleistungsbereichen vereinbart wurden, selbst wenn diese inzwischen gekündigt worden sind, aber durch keine neuen Vereinbarungen ersetzt worden sind („Nachwirkung“).

Der Bock zum Gärtner gemacht wird dann mit dem Vorschlag, die Festlegung der „Lohnuntergrenzen“ den Kapitalisten mit ihren „Arbeitgeberverbänden“ zu überlassen, die Mindestlöhne dort einzuführen, wo sie selbst von deren Fehlen am meisten profitieren. Die Anwesenheit von GewerkschaftsvertreterInnen bei Verhandlungen für Branchen, in denen sie bisher zu schwach waren, überhaupt einen Tarif zu erreichen, ist ohnehin nur ein Fall für die Spesenabrechnung. Das Ganze nennt die CDU dann eine „marktwirtschaftlich organisierte Lohnuntergrenze“ statt eines „politischen Mindestlohns“.

Ein ähnliches Vorgehen hat der Parteitag für die Leiharbeit beschlossen. Zwar ist zum 1. Dezember das neue „Arbeitnehmerüberlassungsgesetz“ (AÜG) in Kraft getreten, das eine EU-Richtlinie umsetzen soll, die für LeiharbeiterInnen „Equal pay“, also gleiche Bezahlung wie für die Stammbelegschaft fordert. Offensichtlich weiß auch die CDU, dass es genau dies durch Ausnahmeregelungen nicht tut und die Klage z.B. der IG Metall beim Europäischen Gerichtshof Erfolg haben kann. Deshalb will die CDU auch hier die „Tarifpartner“ zu einer Vereinbarung auffordern, die eine „angemessene Einarbeitungszeit“ festlegt, kurz gesagt eine Zeit, in der Equal pay nicht gilt. Nach dieser „Einarbeitung“ kann der Leiharbeiter durch den nächsten „Einzuarbeitenden“ ersetzt werden, wie Arbeitgeberpräsident Hundt bereits angekündigt hat. Eine entsprechende Vereinbarung mit dem Segen der Gewerkschaften erhöht die Chancen für diese Trickserei vor dem Gerichtshof beträchtlich.

Den Spitzen von IGM, ver.di und DGB ist es zuzutrauen, dass sie bei dem erbärmlichen Spiel mitmachen. Sie haben Tarifverträge für Leiharbeit unterschrieben, die schon heute eine gleiche Bezahlung der LeiharbeiterInnen verhindern. Sie kündigen diese miesen Verträge nicht. Die IG Metall schafft es, die CDU dafür zu loben, dass „ sie jetzt anerkennt, dass es ein Mindestniveau geben muss und dass Menschen so viel verdienen müssen, dass sie davon leben können.“ (metall 12/2011)

Sogar ver.di versteht, dass die CDU genau das nicht tut, und verweist auf die eigenen schlechten Tarife (FR 16.11.). Während das von den Gewerkschaften finanzierte WSI darauf verweist, dass es einen Orientierungspunkt gebe: „Mindestlohn sollte ein auskömmliches Einkommen garantieren und sich deshalb an der Lohnhöhe orientieren, bei der ein alleinstehender Vollzeitbeschäftigter keinen Anspruch mehr auf ergänzende Alg-II-Leistungen hat. Dafür ist ein Bruttomonatslohn von 1.470 notwendig, bei einer 40-Stunden-Woche ist dafür ein Bruttostundenlohn von 8,50 Euro notwendig.“ Mehr also als die DGB-IGM-ver.di-Tarife für Leiharbeit, die ihrerseits die Kanzlerin in den Parteitagsdebatten als Orientierungsmarke ins Spiel gemacht hat.

Zielrichtung

Wie das WSI allerdings zur Annahme kommt, dass die Hartz IV-Sätze ein „auskömmliches Einkommen“ garantieren, bleibt das Geheimnis von SoziologInnen, die ein Mehrfaches davon verdienen. Selbst wenn man als Maßstab nimmt, welche Löhne einen Rentenbeitrag ermöglichen, der nach 45 Jahren eine Rente über Hartz IV ermöglicht, dann muss der Mindestlohn deutlich höher liegen. So forderte die 11. Konferenz der Gewerkschaftslinken im Oktober 2009 einen Stundenlohn von 10 Euro netto - was die Frage der „Auskömmlichkeit“ auch nicht beantwortet. Aus unserer Sicht muss ein Arbeitseinkommen noch höher liegen. Wir treten für einen steuerfreien Mindeststundenlohn von 11,- Euro netto (13,50 Euro brutto, ca. 1.600 Euro pro Monat) ein.

Das ganze gewerkschaftliche Gekuschel mit den Kapitalisten und Merkel muss sofort beendet werden. Es braucht keine Pseudo-Tarif-Verhandlungen über Branchen, in denen Gewerkschaften nicht organisiert sind. Vielmehr braucht es dort eine Organisierungskampagne und den Kampf für einen gesetzlichen Mindestlohn.

Ein Mindestlohn für alle Beschäftigten über alle Branchen hinweg liegt zutiefst im Interesse aller Lohnabhängigen. Diese Forderung muss mit den Tarifrunden der Metallindustrie und des Öffentlichen Dienstes flächendeckend zum Kampfthema gemacht werden!

Genauso muss die gleiche Bezahlung von LeiharbeiterInnen im Kampf durchgesetzt werden, Klagen vor dem Europäischen Gerichtshof ist nur Hilflosigkeit. Diese gleiche Bezahlung wäre ein entscheidender Schritt dafür, die Leiharbeit ganz abzuschaffen, da sie an Attraktivität für die Ausbeuter verlieren würde. Aber das muss natürlich damit verbunden werden, alle Arbeitssuchenden in die Betriebe und Verwaltungen einzugliedern und dazu entsprechend die Arbeitszeit soweit zu verkürzen, bis alle Arbeitssuchenden eine Stelle haben.

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Nr. 165, Dez. 2011/Jan. 2012
*  Italien und die Eurozone am Abgrund
*  Widerstand: Wohin geht Occupy?
*  CDU-Mindestlohndebatte: Mogelpackung
*  Bildungsstreikbewegung: Bildung in der Krise
*  DIE LINKE: Frauenbefreiung light
*  S21 nach der Volksabstimmung: Die Bewegung braucht eine neu Strategie
*  Berlin S-Bahn-Krise: Das nächste Desaster
*  Öl-Unfall in Brasilien: Tiefes Leck, hohe Profite
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*  Pakistan: Repression gegen ArbeiterInnen
*  Kriegsdrohungen: Hände weg vom Iran!
*  Rechter Terror, Staat und Gegenwehr