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Die Grünen

Bald stärkste Opposition?

Theo Tiger, Neue Internationale 154, November 2010

Aktuell übertreffen sich die Umfrageinstitute in Erfolgsmeldungen für die Grünen. Lt. letzter Forsa-Umfrage vom 20.10. liegen sie mit 24% sogar vor der SPD (23%). Für die Landtagswahl in Baden-Württemberg sind die Grünen der SPD schon enteilt (27% gegenüber 20), für die Senatswahl in Berlin kämpfen die Grünen möglicherweise mit der SPD um die Spitzenposition.

Blicken wir kurz zurück, im September 09 waren die Grünen die „kleinste“ der drei kleinen Parteien im Bundestag: 10% gegenüber 12 der Linkspartei und 14,9 der FDP. Damals war es der FDP gelungen, die kleinbürgerlichen Schichten gegen die Große Koalition zu mobilisieren, mit dem Motto „Mehr Brutto vom Netto“ versprach die FDP den „Leistungsträgern“ Steuererleichterungen. Trotz der Steuererleichterungen für Hoteliers wurden aber nicht alle Hoffnungen des Kleinbürgertums erfüllt, so dass die FDP heute bei 5% liegt und die schwarz/gelbe Traumregierung des Kapitals heute fast keine Wahlen mehr gewinnen kann.

Neue Machtoptionen

Die Grünen, als „linksliberaler“ Flügel des Kleinbürgertums und der lohnabhängigen Mittelschichten orientierte sich während der Großen Koalition auf Bundesebene zunehmend auf Koalitionen mit der CDU. Zum einen war damals Rot/Grün praktisch unmöglich und die Grünen waren nach der Wahlniederlage 2005 nicht mehr in Regierungsverantwortung. So kam es 2008 in Hamburg zur ersten schwarz/grünen Landesregierung und 2009 im Saarland gar zu einer schwarz/gelb/grünen „Jamaica“- Landesregierung.

Diese Entwicklung war aber nicht neu. Schon lange hatte der traditionell „Realo“-geprägte baden- württembergische Landesverband der CDU Avancen gemacht, Spitzenpolitiker wie Rezzo Schlauch, Fritz Kuhn oder aktuell Kretschmann boten sich immer wieder für Verhandlungen an. Nach der Landtagswahl 2006 gab es auch direkte Verhandlungen zwischen beiden Parteien.

Diese Ausrichtung auf die CDU war zwar an der Basis umstritten, aber in der Bundesführung gab es keine offene Opposition dagegen; hier gab es sogar eher Befürworter oder - wie Trittin und Roth - Leute, für die die Zeit für Schwarz/Grün noch nich reif war.

So wurde den Landesverbänden die Entscheidung überlassen, d.h. mindestens die Duldung von Koalitionen mit der CDU war durchgesetzt. Besonders auffällig war in diesem Zusammenhang die Regierungsbildung im Saarland. Die dortigen Grünen (5,6%) lehnten eine Regierung mit SPD und Linkspartei ab, um mit CDU und FDP zu koalieren. Offiziell wurde dies mit der Ablehnung des Linkspartei-Spitzenkandidaten Lafontaine begründet, machtpolitisch war es natürlich ein klares Signal gegen Rot/Rot/Grün.

Während der Großen Koalition auf Bundesebene betrieben die Grünen einen Strategiewechsel, offen bürgerliche Koalition sollten die Machtoptionen der Grünen ausbauen. Nicht überraschend war und ist, daß die Grünen - speziell in Hamburg - offen Politik gegen ihre Wahlziele betreiben. Dies taten sie schon mit der SPD, in Hamburg aber setzen sie die Profitinteressen dortiger Energiekonzerne (neues Braunkohlekraftwerk) sogar mit Polizeigewalt gegen DemonstrantInnen durch.

Schon seit ihrer Gründung begleitet die Grünen der Begriff „Regierungsfähigkeit“. Zunächst bewiesen sie diese in Landesregierungen mit der SPD und 1998 auch auf Bundesebene. Dort stimmten sie für den Jugoslawien Krieg, für die Agenda 2010 etc - sie bewiesen als ihre Regierungsfähigkeit im Dienste des deutschen Imperialismus. So ist es nur logisch, dass die Grünen jetzt auch mit CDU und FDP gemeinsame Regierungen bilden können.

Grüne profitieren

Von der desaströsen Regierungspolitik der Bundesregierung profitieren die Grünen derzeit am stärksten. Die SPD konnte sich stabilisieren, die Linkspartei hat keinen Zugewinn mehr. Die Grünen ihrerseits erreichten in NRW ein Rekordergebnis und stehen bundesweit im historischen Umfragehoch. Lange hatten die Grünen das Problem, dass Umwelt -und Verbraucherschutz, also „grüne“ Kerninhalte von fast allen Parteien in den letzten 20 Jahren übernommen wurden.

Mit der Laufzeitverlängerung bis 2040 hat die Bundesregierung den Grünen wieder die Möglichkeit gegeben, sich als AKW-Gegner zu profilieren. Die Steuergeschenke für die Atomlobby, die direkten Weisungen von EON, ENBW, Vattenfall und RWE in Richtung Merkel und Röttgen waren Steilvorlagen für die Grünen.

In Vergessenheit gerät dabei, das auch der „Atomausstieg“ unter Rot/Grün nur eine Mogelpackung mit der Atomindustrie war, der den Multis Riesenprofite sicherte und den Weiterbetrieb bis zum normalen technischen Ende der AKW zusicherte. Zugleich wurden der Wind- und Solarbranche Subventionsmilliarden zugeschanzt. Die Grünen haben in sieben (!) Jahren Bundesregierung nichts gegen die Endlager unternommen, haben sich gegen den Castor-Widerstand gestellt und waren mit Steuersenkungen und der Agenda 2010 treue Handlanger des deutschen Kapitals.

Die Politik von Merkel und Röttgen nutzen die Grünen nun, um sich wieder als „Bewegung“ darzustellen, als Öko-Bürger auf der Straße, als „demokratisches Gewissen“ gegen Schwarz/Gelb. Dabei können sie auf die parlamentarischen Illusionen des Kleinbürgertums bauen, dabei verschleiern und beschönigen ihre eigene Regierungstätigkeit und setzen allein auf einen Wechsel in den parlamentarischen Schaltzentralen.

In ihren Anfangstagen gab es durchaus Strömungen innerhalb der Grünen, die den Kapitalismus abschaffen wollten. Dieser ehemalige „Fundi“-Flügel wies allerdings der Industriegesellschaft an sich die Schuld zu, ein Verständnis von Klassengesellschaft und Klassenwiderspruch war auch bei ihm nicht vorhanden.

Neue Illusionen in die Grünen

Heute kommt dieses Politikverständnis bestens im „New Green Deal“-Konzept zum Tragen, an dem auch der ehemalige attac-Vordenker Sven Giegold (heute grüner EU-Parlamentarier) kräftig mitgearbeitet hat. Darin wird die Illusion verbreitet, dass es einen Kapitalismus ohne Ausbeutung, eine kapitalistische Industrie ohne Umweltverschmutzung und sogar einen „grünen Finanzmarkt“ geben könne.

Die Weltwirtschaftskrise, die anstehende Klimakatastrophe, die AKW-Verlängerung - all das sind für die Grünen die „schlechten“ Seiten des Kapitalismus. In ihrem Bundestagswahlprogramm von 2009 heißt es: „Es ist etwas aus dem Lot geraten, wenn Wohlstand immer ungerechter verteilt wird und Geiz und Gier die Märkte dominieren“. Damit wird aber nur gesagt, dass im Kapitalismus der Reichtum ungerecht verteilt ist, ja es wird sogar suggeriert, dass alles funktionieren könnte, wenn „alles im Lot“ ist. Gleichzeitig liegt es im Kapitalismus wohl nur daran, welche ideologische Ausprägung gerade „hegemonial“ ist; derzeit halt leider Gier und Geiz, aber wenn eine soziale und grüne Ideologie vorherrschend wäre, dann könnte alles gerecht verteilt werden. Das unterstellt auch, dass es einen solchen Kapitalismus schon einmal gab. Auf jeden Fall lässt sich nicht behaupten, dass während Rot/Grün mehr Gerechtigkeit geherrscht hätte.

Mit ihren Versprechungen setzen die Grünen bei der ältesten Illusion des Kleinbürgertums und des Reformismus an: der Kapitalismus ließe sich durch Parlamente kontrollieren und nach eigenen „Bedürfnissen“ neu gestalten. So steht zwar im Programm der Grünen, dass sie „ein neues Fundament für den Kapitalismus“ bauen wollen, doch dabei wird mit keinem Wort erwähnt, was das Fundament real ist - der Besitz an Produktionsmitteln und die Aneignung von Profit. Daran wollen die Grünen auch gar nichts ändern, nur möchten sie mit dem neuen Fundament grünes Wachstum und grüne Profite erreichen.

Doch selbst diese Reform-Utopien scheitern an der Frage, wie denn solche „tiefgreifenden strukturellen Veränderungen“ umgesetzt werden sollen. Sollen sie gegen das Kapital durchgesetzt werden, von dem im Programm nichts steht? Wenn ja, wie würden die Grünen den Widerstand des Kapitals denn brechen wollen: reichen Gesetze, hoffen sie auf die Einkehr der Vernunft oder versprechen sie dem Kapital mehr Profite, um es für einen grünen Kapitalismus zu begeistern - all das bleibt offen.

Die Grünen können mit ihren Illusionen derzeit breite Kreise der Mittelschichten, inklusive Teile der Arbeiteraristokratie begeistern. Sie sind derzeit auch wichtig zur Stabilisierung des Parlamentarismus und Kapitalismus in Deutschland. Dem „aus dem Lot geratenen“ Finanzmarktkapitalismus stellen sie den sozial-ökologischen Superkapitalismus entgegen, ein Kapitalismus, der alle lieb hat.

Dies ist eine alte Hoffnung der Mittelschichten, sie hoffen auf einen Staat, der sie vor der Krise, dem Großkapital und dessen Konkurrenz schützt, einen Staat, mit dem sie ihre sozialen Errungenschaften verteidigen können.

Durch diese Funktion können die Grünen derzeit stärker als die SPD profitieren. Die Grünen integrieren die soziale Wut der Mittelschichten, ähnlich der FDP vor einem Jahr versprechen sie den Mittelschichten Schutz und wollen den Kapitalismus wieder ins „Lot“ bringen. Zugleich nutzt ihnen, dass die Linkspartei mit ihrer inkonsequenten, an Koalitionen mit der SPD orientierten und fast nur parlamentarisch ausgerichteten Politik nicht besonders attraktiv ist. Noch mehr kommt den Grünen zugute, dass die Arbeiterbewegung - insbesondere die Gewerkschaften - im Kampf gegen die Krise sehr passiv sind.

Anti-AKW-Bewegung und S21-Proteste

Die Grünen sind die führende Kraft in den Atomprotesten, aber auch im Widerstand gegen S21. In beiden Fällen ziehen die Grünen im Hintergrund die Fäden, setzen auf symbolische Proteste und verschieben die Lösung auf die nächsten Wahlen und andere bürgerliche Regierungen. Für uns als RevolutionärInnen ist es daher wichtig, wie wir in diese Bewegungen intervenieren und die politische Vorherrschaft der Grünen brechen können.

Mancher Linker hat seine Probleme mit kleinbürgerlichen Protesten, die Stalinisten ordnen - sich treu dem „Volksfrontkonzept“ - jeder kleinbürgerlichen Führung unter und linksradikale Strömungen verzichten schon mal auf Unterstützung, wenn die „Zielgruppe“  eine andere ist. So überlassen diese Gruppen den Grünen u.a. kleinbürgerlichen Kräften die politische Führung, fordern diese nicht heraus und versuchen schon gar nicht, die Mittelschichten für eine revolutionäre Politik zu gewinnen.

Die Anti-AKW-Bewegung und die Proteste gegen S21 zeugen von einer Radikalisierung der Mittelschichten, wie sie in jeder Wirtschaftskrise auftritt. Die Mittelschichten fürchten den Verlust ihrer sozialen Stellung, sehen sich stärkerer Konkurrenz ausgesetzt - und entwickeln mehr Empörung und Wut.

SozialistInnen müssen versuchen, auch die Mittelschichten für den Kampf gegen das Kapital zu mobilisieren, für den gemeinsamen Kampf mit dem Proletariat. Bürgerliche Politik wird immer versuchen, die Mittelschichten im Sinne des Kapitals zu mobilisieren - siehe die rassistische Integrationsdebatte, die soziale Hetze gegen Hartz IV und die Wahlerfolge verschiedener rechtspopulistischer Parteien in Europa.

In Zeiten der Krise sind die Organisationen des Proletariats aufgefordert, Strategien in Richtung des Kleinbürgertums zu entwickeln und zwar nicht im Sinne der Anpassung a la Reformismus und Stalinismus, sondern um das Kleinbürgertum auf die Seite des Proletariats zu ziehen. Dafür muss vor allem klargemacht werden, dass die Ziele der Bewegungen nur gemeinsam mit der ArbeiterInnenklasse und gegen das System durchgesetzt werden können.

Derzeit ist ganz offensichtlich, dass Demos oder eine Verfassungsbeschwerde eben nicht die Atomlobby bekämpfen oder ein Klimagipfel keine globale Klimapolitik beschließen kann.

Die Kampfmittel des Proletariats sind Streik, Besetzung, Widerstand. Revolutionäre Politik will nicht auf die nächsten Wahlen warten, es will perspektivisch die Herrschaft des Kapitals brechen.

Insofern ist es wichtig, in progressive Massenbewegungen trotz - oder gerade wegen - der Begrenztheit ihrer Ziele und Methoden zu intervenieren. Nur so ist es möglich, die Grünen u.a. kleinbürgerliche oder reformistische Führungen zu testen und die Untauglichkeit ihrer Politik zu entlarven.

Wenn es nicht gelingt, eine klassenkämpferische, revolutionär-sozialitische Alternative auch in Teilen der (lohnabhängigen) Mittelschichten zu verankern, dann könnten diese sich von den Grünen wieder ab- und erneut der FDP oder gar rechtsradikaleren Gruppierungen zuwenden.

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Nr. 154, Nov. 2010
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*  Massenbewegung am Scheideweg: Verhandeln oder Besetzen?
*  Stuttgart 21: Wie kann die Bewegung siegen?
*  Stuttgart 21: Bullen knüppeln, Regierung lügt
*  Gewerkschaftliche Aktionswochen: Kühler Herbst
*  Behr Werk 8: Der Kampf geht weiter
*  Aktionstag Esslingen: Weg mit der Agenda!
*  Autoindustrie: Kapitalistische Wunder?
*  Die Grünen: Bald stärkste Opposition?
*  Integrationsdebatte: Christdemokratische Hassprediger
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*  Venezuela: Opposition gewinnt an Boden
*  Pakistan: Widerstand gegen Privatisierung
*  Anti-Atom-Bewegung: Castor blockieren, Regierung atomisieren!