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Frauen

Die unheilige Familie

Anne Moll, Neue Internationale 149, Mai 2010

Immer noch hält sich in Deutschland das Ideal der bürgerlichen Kleinfamilie mit dem Familienernährer. Der Mann soll von seinem Lohn Frau und Kinder ernähren, die Frau darf das Familieneinkommen durch Zuverdienst aufbessern. Ihre Hauptaufgabe ist und bleibt die Reproduktionsarbeit, die Hausarbeit und Versorgung von Mann, Kindern und pflegebedürftigen Angehörigen.

Im Jahr 1900 wurde im bürgerlichen Gesetzbuch das Ehe- und Familienrecht folgendermaßen erläutert: „Der Hauptberuf der Ehefrau bezieht sich auf das Innere des Hauses und wird in den wohlhabenden Klassen der Bevölkerung sich regelmäßig darauf beschränken.“

Das bedeutete konkret Abhängigkeit, Unterdrückung für Frauen und deren Ausschluss aus dem gesellschaftlichen Leben. Nur für Frauen aus Bürgertum und Mittelschichten gab es einen gewissen sozialen Spielraum. Für Frauen aus der Arbeiterklasse bedeutete Familie, sich zwischen Lohnarbeit, Kinderbetreuung und Hausarbeit aufzureiben.

Erst 1977 wurde das deutsche Familien-Gesetz in ein paritätisches Ehemodell reformiert. Dort heißt es: „Ehegatten regeln die Haushaltsführung in gegenseitigem Einvernehmen. Beide Ehegatten sind berechtigt, erwerbstätig zu sein.“

Ungleichheit bleibt

Das war ein später Fortschritt für die Unabhängigkeit von Frauen. Zusammen mit der Reform des Scheidungsrechts, konnten sich Frauen zumindest rechtlich aus der Unterdrückung in Ehe und Familie befreien. Materiell heißt das aber bis heute für viele Frauen der Arbeiterklasse, den Preis für diese Freiheit mit materieller Armut zu erkaufen. Gerade allein erziehende Frauen sind davon besonders betroffen.

Entgegen der bürgerlichen Familien-Ideologie ist die bürgerliche Familie in Form der Ehe allerdings ein Auslaufmodell. Immer mehr Menschen leben als Singles bzw. sind alleinerziehend. Die permanente Erosion des Systems sozialer Leistungen, die steigende Ausbeutung am Arbeitsplatz untergraben beständig die tradierte Familie - ökonomisch wie psychisch. Daran ändern auch alle „Bemühungen“ der bürgerlichen Familien- und Frauenpolitik nichts.

Mit der Reform des Familien- und Eherechts 1977 waren eigentlich auch die Gewerkschaften und die SPD gefordert, den Kampf für die Gleichberechtigung der Frauen in der Lohnarbeit, in den Sozialversicherungen, im Steuerrecht und beim Kindesunterhalt verstärkt zu führen. Dazu hätte auch das Eintreten für bessere Kinderbetreuung vom 1. Lebensjahr an, für die Verbesserung der Mutterschutzgesetze und Erziehungszeiten bei vollem Lohn für Männer und Frauen gehört.

Engagiert haben sich SPD und Gewerkschaften jedoch fast nicht. Was aus ihren „Bemühungen“ wurde, ist heute deutlicher denn je. Frauen verdienen immer noch etwa 23% weniger, die Kinderbetreuungsmöglichkeiten sind entweder unzureichend oder teuer. Frauen sind in Teilzeit- und Minijobs sowie prekären Beschäftigungen überproportional vertreten. Dadurch ist auch Altersarmut von Frauen vorprogrammiert. Beim Arbeitslosengesetz II werden Bedarfsgemeinschaften zur Berechnung heran gezogen.

Doch die Wirklichkeit hat auch eine andere Seite. Lt. dem Wirtschafts- und sozialwissenschaftlichen Institut der Hans-Böckler-Stiftung des DGB hat 2007 (noch vor der Krise) in jedem fünften Haushalt die Frau den Hauptteil des Einkommens erwirtschaftet. Zusätzlich bleiben sie aber für Erziehung, Pflege und Hausarbeit zuständig. Doch anders als hier angenommen werden könnte, hat diese zunehmende Zahl weiblicher Hauptverdiener nichts mit beruflichem Aufstieg und besserer Entlohnung zu tun. Im Gegenteil: ungeplant und ohne ausreichendes Einkommen werden sie häufig unfreiwillig zur Familienernährerin, z.B. wenn der Partner arbeitslos wird. Fast 40% dieser Familien leben am Rande der Armutsgrenze.

Wenn es stimmt, dass die Stellung der Frau viel darüber aussagt, wie eine Gesellschaft beschaffen ist, dann kommen wir zu einem eindeutigen Fazit: Kapitalismus und Frauenbefreiung schließen sich aus.

Proletarische Frauenbewegung

Deshalb kämpfen wir eine neue proletarische Frauenbewegung, die sich nicht mit Reformen abspeisen lässt, sondern für die Abschaffung des Kapitalismus kämpft, für eine sozialistische Gesellschaft. Wir dürfen uns nicht länger auf die Bürokraten in Gewerkschaft und Parteien verlassen, die sich mit kleinen Reförmchen für die Gleichberechtigung schmücken - bestenfalls.

Wir treten aus zwei Gründen für eine solche proletarische Frauenbewegung ein: Erstens kann die Befreiung der Frauen nicht einfach das Werk „aufgeklärter“ Männer sein. Nur, wenn sich Frauen selbst organisieren und engagieren, können sie ihre Erfahrungen und Interessen artikulieren. Nur so können sie dem auch in der Arbeiterklasse vorhandenen patriarchalischen und sexistischen Einstellungen entgegenwirken.

Zweitens ist es auch notwendig, dass die proletarischen Frauen, also die Mehrheit der Frauen, in den Kampf eingreift. Der Feminismus als stark bürgerlich geprägte Bewegung und Ideologie war und ist erheblich davon entfernt, die Stellung und die Interessen von Frauen aus der Arbeiterklasse zu verstehen und zu vertreten.

Eine proletarische Frauenbewegung aufzubauen fängt z.B. schon damit an, Frauen, die in prekären Sektoren arbeiten, gewerkschaftlich zu organisieren. Dazu ist es z.B. notwendig, die Gewerkschaften, ihre Strukturen und ihre Arbeitsweise den besonderen Bedingungen und Bedürfnissen von Frauen anzupassen. Es fängt z.B. damit an, bei betrieblichen Konflikten die Frage aufzuwerfen, wie Frauen in den Kampf einbezogen werden können und welche konkreten Probleme sie im Betrieb haben.

Sicher: Das ist nur ein Stück, doch es macht Appetit auf den ganzen Kuchen und weckt das Interesse, die ganze Bäckerei zu übernehmen.

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Nr. 149, Mai 2010
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