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Afghanistan

Wahlfarce im Bombenhagel

Martin Suchanek, Neue Internationale 142, September 2009

Die Wahlen in Afghanistan haben sich als totale Farce entpuppt. Eigentlich sollte die Marionettenregierung Karsai stabilisiert werden. Beim „Aufbauprojekt Demokratie“, das zugegebenermaßen „nicht perfekt“ wäre, sollten immerhin Fortschritte vermeldet werden.

Zum Zeitpunkt des Verfassens des Artikels - Ende August 2009 - nur rund zwei Wochen nach den Wahlen, gibt es zwar noch kein „endgültiges“ Ergebnis, wohl aber Klarheit darüber, dass die ganze Übung äußerst zweifelhaft war. Vor allem ist klar, dass die mit der Wahl verbunden Ziele, die Lage etwas zu stabilisieren und der Marionettenregierung in Kabul mehr Legitimität nach außen und innen zu verschaffen, verfehlt wurden.

Pflichtgemäß erledigt es US-Präsident Obama - wie schon sein Vorgänger Bush - die Sache schön zu reden: „Das war ein wichtiger Schritt vorwärts für das afghanische Volk, um die Kontrolle über seine Zukunft zu übernehmen, obwohl sich gewalttätige Extremisten ihnen in den Weg stellten. Ich möchte dem afghanischen Volk dazu gratulieren, dass es diese historische Wahl durchgeführt hat.“

In Wirklichkeit war diese Botschaft eine jener üblichen Gratulationen, die Vassallen-Regimen überbracht werden.

Dass die Wahlen auf ganzer Linie selbst bürgerlich-demokratischen Standards nicht entsprechen würden, war natürlich immer schon klar. Das haben auch die Vertreter der Besatzungsmächte nicht anders erwartet.

Unstimmigkeiten

Mitunter gab es zusätzliche „Unstimmigkeiten“, z.B. als der US-Sonderbotschafter Holbrooke von Karsai die Abhaltung einer Stichwahl verlangt haben soll. Hier war Karsai aus verständlichen Gründen dagegen, hat er sich doch gleich nach Abschluss des Urnengangs ähnlich wie sein wichtigster Opponent Ex-Außenminister Abdullah zum „Wahlsieger“ erklärt.

Doch nicht nur Karsai betrachtet einen zweiten Wahlgang mit Skepsis. Auch die deutschen „Experten“ aus verschiedenen bürgerlichen Stiftungen können einer zweiten Wahl wenig abgewinnen. Das wäre schließlich auch nur eine zweite Farce, legitimer würde es nicht. Man müsse - so z.B. die Vertreter der Heinrich-Böll-Stiftung - dafür sorgen, dass „das Ergebnis irgendwie von den Afghanen akzeptiert werde“.

Im Grunde legen sowohl diese Haltung, wie auch Holbrookes Forderung die Hand auf die Wunde. Dass bei den Wahlen gefälscht wurde, war immer klar.

Die Wahlen haben aber gezeigt, dass das Marionettenregime, sein „Herausforderer“ und die imperialistischen Besatzer, die natürlich die wahren Machthaber im Land sind, keine Verankerung in der Bevölkerung haben.

So soll die Wahlbeteiligung nur rund 30-35 Prozent betragen haben. In den südlichen, von den Paschtunen bevölkerten Gebieten - den „Bastionen“ Karsais - soll sie gar nur bei 5 Prozent gelegen haben. Entgegen der Absichten des Regimes und der US-amerikanischen und europäischen Imperialisten haben die Wahlen so nur die Illegitimität der Regierung erneut deutlich gemacht.

Alle linken, revolutionären oder auch ernsthaften bürgerlich-demokratischen Kräfte in Afghanistan haben von Beginn an zum Boykott der Wahlfarce aufgerufen. Die Taliban, die Führung des bewaffneten Widerstandes gegen die Besatzer, haben ebenfalls zum Boykott aufgerufen.

Ohne Zweifel haben diese dazu beigetragen, dass die Wahlbeteiligung trotz gezielter Wahlfälschung und gedrückter „zusätzlicher“ Teilnehmer so gering war. Es ist ein Schlag ins Gesicht nicht nur der Regierung, sondern auch der Imperialisten und ein deutliches Zeichen dafür, dass sie im Krieg und bei der Erreichung ihrer Kriegsziele immer weiter an Boden verlieren.

Gute Ziele, schlechte Marionetten?

Dabei stellt es der Westen so hin, als hätten die Imperialisten hehre Werte und Ziele, die sie verfolgten - von Frauenbefreiung, Demokratie, Schulbildung bis zum „Wiederaufbau“ (der durch sie oder ihre Verbündeten zerstörten Einrichtungen). Aber „leider“ gebe es keine richtige Zivilgesellschaft, keine verlässlichen, demokratischen und politisch korrekten Verbündeten. Diese müssten selbst noch zur Demokratie erzogen werden, während sie hauptsächlich ihren Geschäften als Drogenbarone, Warlords oder Clan-Chefs nachgingen.

So ist es um die Demokratie, vor allem aber um die Befriedung des Landes schlecht bestellt. Der Widerstand nimmt zu. Er kontrolliert heute lt. Neuer Züricher Zeitung vom 4. August rund zwei Drittel des Landes!

Dementsprechend nimmt auch die Zahl der getöteten Besatzungssoldaten und Soldaten der afghanischen Armee zu. Allein die Anschläge der Taliban hätten lt. CIA 2008 um 55 Prozent und in der ersten Jahreshälfte 2009 um weitere 60 Prozent zugenommen.

Dieser für die Besatzer ungünstige Kriegsverlauf führt nicht nur zur wachsenden Unzufriedenheit mit den eigenen Bütteln vor Ort. Er führt auch zu inneren Konflikten um die richtige Vorgehensweise.

Die Obama-Administration distanziert sich von Bushs Kriegführung. Zu wenig hätte er für Afghanistan getan, weshalb jetzt mehr Soldaten aus dem Irak dorthin müssten bzw. weitere afghanische Militärs und Polizisten ausgebildet werden müssten.

Zweifellos gehört zur US/NATO-Befriedungsstrategie auch, dass mit „moderaten Taliban“ geredet, sprich diese in eine Besatzerordnung eingebaut werden.

Aber insgesamt geht das einher mit einer weiteren drastischen Aufstockung des kriegführenden Personals und einer weiteren Ausweitung des Krieges nach Pakistan.

So erwägt die USA-Adminstration, die afghanischen Sicherheitskräfte in den kommenden Jahren auf insgesamt 400.000 Mann auszubauen. Heute hätten diese angeblich rd. 200.000, eine Zahl, die allerdings bisher nur auf dem Papier steht. Hinzu kommt eine weitere Aufstockung der Besatzungs-Truppen, darunter „natürlich“ auch der Bundeswehr. Auch diese soll nach den Wahlen noch einmal verstärkt werden.

Die Gründe für dieses „Engagement“ sind klar. In Afghanistan (und zunehmend in Pakistan) wird um die Kontrolle und Neuordnung Zentralasiens gekämpft, um entscheidende geostrategische Positionen und den Zugriff auf Rohstoffe und deren Transportwege.

Daher darf in Afghanistan keine Macht der Welt, die einen Anspruch erhebt, beim Kampf um deren Neuaufteilung fehlen. Daher spielen dort auch alle mit - gegen den Widerstand und das Selbstbestimmungsrecht der AfghanInnen.

Der Westen will den Krieg intensivieren. Die Wahlen sind nur Mittel zum Zweck, seinen Statthaltern Legitimität zu verschaffen. Aber es ist auch klar, dass die USA, die NATO, die BRD usw. keinen Abzug planen, keinen Rückzug, sondern vielmehr einen langjährigen Krieg, der noch 10-15 Jahre dauern könne und der für diese Zeit in jedem Fall eine imperiale Präsenz in Zentralasien sichert.

Für die AfghanInnen und die Bevölkerung in den anderen Staaten ist das eine Katastrophe, ein menschlicher, sozialer, gesellschaftlicher Alptraum. Seit der Besatzung sind schon rund 300.000 AfghanInnen getötet worden. Die soziale Lage ist katastrophal. Rund acht Millionen leiden Hunger. Die Kinder- und Müttersterblichkeitsrate gehört zu den höchsten der Welt. Die durchschnittliche Lebenserwartung liegt bei 46 Jahren, 20 Jahre weniger als in den Nachbarstaaten!

Die Besatzung durch die Imperialisten ist die wichtigste Ursache für die Fortsetzung, ja Verschlechterung dieser Situation. Jeder Tag weiterer Besatzung bedeutet Hunger, Terror und die Tötung von Unschuldigen im Zuge der „Terrorbekämpfung“. Jeder Tag weiterer Besatzung bedeutet eine Intensivierung und Eskalation des Besatzungsregimes und seines Kriegs - sei er auch gelegentlich mit „Wahlen“ samt Wahlsecurity garniert.

Gegen diesen Krieg von USA, BRD, NATO wehrt sich ein immer größerer Teil der afghanischen Bevölkerung. Auch das haben die Wahlen gezeigt. Dieser Widerstand, auch wo er von reaktionären Kräften wie den Taliban geführt wird, ist legitim und verdient die Unterstützung der Anti-Kriegsbewegung hier. Kämpfen wir gemeinsam für den sofortigen Abzug der Bundeswehr, der US- und NATO-Truppen sowie aller anderen Besatzer!

Aber im afghanischen Widerstand geht es auch darum, welche Kraft im Kampf um die Befreiung von den Besatzern die politische Führung erringt. Im Moment sind es die Islamisten.

Gemeinsam mit unseren GenossInnen in Pakistan und mit SozialistInnen in Afghanistan kämpfen wir für den Aufbau einer revolutionären, proletarischen Alternative zu den Islamisten - einer Alternative, die den Kampf gegen imperialistische Unterdrückung mit dem Kampf gegen islamistische Reaktion und für die Schaffung einer Arbeiter- und Bauernregierung und dem Kampf für die sozialistische Revolution in Zentralasien verbindet.

Zur weiteren Lektüre

Widerstand und revolutionäre Arbeiterpolitik

Gemeinsame Erklärung der Liga für die Fünfte Internationale und einer Gruppe von Afghanischen Sozialisten, Juni 2009

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Nr. 142, September 2009
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