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Kernenergie

Atomkraft als Klimaretter?

Janosch Janglo, Neue Internationale 142, September 2009

Bürgerliche Atomkraftlobbyisten nutzen die Klimakatastrophe zu einer ideologischen  Gegenoffensive. Sie wollen der Atomkraft aufgrund ihrer angeblich CO2-neutralen Produktionsweise zu einer neuen gesellschaftlich akzeptierten Renaissance verhelfen. Bei der Feier zum 50jährigen Bestehen des „Deutschen Atomforums“ beklagte die schon ziemlich verblasste „Klimaqueen“ Merkel, dass es „jammerschade“ wäre, wenn Deutschland aus ihrer Nutzung aussteigen würde, um dann zu verkünden: „Was die Sicherheit der Kernkraftwerke anbelangt, so wird die Energieversorgung in Deutschland sehr gut gemeistert.“ Nur drei Tage später gab es beim Wiederanfahren des gerade reparierten AKWs Krümmel einen Kurzschluss mit einer folgenden automatischen Schnellabschaltung. Dieser Vorfall reiht sich in die lange Liste von insgesamt 314 meldepflichtigen Ereignissen in Krümmel ein. Sicherheit sieht anders aus!

Erfahrungen

Immer wieder werden die Gefahren der Kernkraft durch korrupte Parlamentarier und Journalisten verharmlost. Immer wieder wird versichert, dass es ein zweites Tschernobyl in Europa nicht mehr geben könne.

Damals kam es zu einer Kernschmelze, der Reaktor geriet in Brand. Etwa vier Prozent der Radioaktivität wurden freigesetzt, das 40fache der Atombombenexplosion von Hiroschima. Diese kleine Menge reichte schon aus, um die Hälfte der landwirtschaftlich nutzbaren Fläche der Ukraine und 1,2 Millionen Hektar Waldfläche zu verseuchen. Schätzungen gehen davon aus, dass diese Böden erst in 400 Jahren wieder landwirtschaftlich genutzt werden können. 35 Millionen Menschen wurden verstrahlt, 30 Millionen leiden unter verseuchtem Trinkwasser, in der Umgebung des Unglücksreaktors treten 30 Prozent mehr Krankheitsfälle auf als im Rest des Landes.

Im Juli 2006 stand Europa erneut kurz vor einen ähnlichen Katastrophe: Schwedens Reaktor Forsmark stand nur sieben Minuten vor dem Supergau. Nur zwei der vier Notstromaggregate erwiesen sich nach einem Kurzschluss als funktionsfähig. Mindestens Mecklenburg-Vorpommern hätte schwere Verstrahlungen abbekommen. Im Gegensatz zum Tschernobyl-Reaktor enthalten die westlichen Reaktoren wesentlich mehr Nuklidmaterial. Ein Super-GAU in Deutschland hätte die Evakuierung von 5 bis 6 Bundesländern zur Folge.

Die Schädigung von Mensch und Umwelt durch Radioaktivität erfolgt in der Regel nicht  ausschließlich über einen Super-GAU, schon im Normalbetrieb verseuchen sie die Umwelt. Im Umkreis deutscher AKW ist die Leukämierate bei Kindern siebenmal so hoch wie im Rest Deutschlands. Noch gefährlicher sind die Wiederaufbereitungsanlagen, wie z.B. La Hague in Frankreich. Sie gibt 40-mal mehr Radioaktivität an die Umwelt ab als alle 439 Atomkraftwerke weltweit zusammen.

Endlagerung am Ende

Nicht nur der Betrieb von AKWs birgt enorme Risiken, sondern auch das Problem der Endlagerung radioaktiven Mülls. Selbst wenn das von Rot/Grün als „Atomausstieg“ verklärte einfache Auslaufen der Meiler am Sankt-Nimmerleins-Tag bis 2020 noch anhält - dann soll das letzte Atomkraftwerk vom Netz gehen - würde noch bis 2040 ein radioaktiver Abfallberg durch bestrahlte Brennelemente, durch den Abriss der AKWs und strahlende Abfälle aus Forschung und Medizin von rund 300.000 Kubikmetern entstehen!

Die Endlagerung gestaltet sich dabei zu einem regelrechten Tanz auf dem radioaktiven Vulkan. Ein Teil der Bestandteile erreicht schon bereits nach wenigen Jahrzehnten ihre Halbwertzeit. Das heißt, die Hälfte der ursprünglich vorhandenen Atome des Stoffs ist dann zerfallen. Andere dagegen, wie zum Beispiel Plutonium 238, erreichen diesen Zustand erst nach 24.400 Jahren, Jod 129 braucht gar 17 Mill. Jahre und Uran 236 24 Mill. Jahre.

Endlagerung bedeutet demzufolge eine Sicherung der Abfälle über viele Millionen Jahre, praktisch also über geologische Zeiträume. Das dicke Ende des Ausstiegs kommt somit erst noch. Sichere Endlager gibt es somit praktisch nirgendwo auf der Welt. Stattdessen wird der Müll hin- und hergefahren, in die See geworfen, in Flüsse gepumpt, auf Deponien geschafft oder in diverse unsichere Zwischenlager gesteckt.

Profitabler Betrieb?

Tatsächlich ist der Betrieb alter Atomkraftwerke eine Lizenz zum Gelddrucken für die Stromkonzerne. Die Atommeiler wurden hochsubventioniert. Allein zwischen 1956 und 1980 betrugen die Subventionen für die Kernkraft rund 15 Milliarden Euro. So verdienen die Energiekonzerne Milliarden mit den Alt-AKW - auch dadurch, dass „externe“ Kosten wie Versicherungsrisiken, Endlageraufwand, atomare Forschungsförderung (rund 200 Mill. Euro pro Jahr) und Kosten für gesundheitliche Schädigungen über Steuern von den Lohnabhängigen gezahlt werden.

Ein derart lukratives Geschäft lässt sich das Kapital ungern streitig machen. Zudem war die Atomenergie von Anfang an auch bewußt gefördert worden, um parallel zur friedlichen auch die militärische Nutzung voran zu treiben.

So war der von Trittin und den Strommonopolisten 2001 ausgehandelte „Atomkonsens“ letztlich ein Zugeständnis an das Kapital. In Wirklichkeit hat dieser „Ausstieg“ gar nicht stattgefunden. Die Betriebsgenehmigungen gelten unbefristet, d.h. die AKWs werden erst nach Beendigung der betriebsüblichen Laufzeit abgeschaltet, zudem kann eine Laufzeit-Verlängerung beantragt werden durch Übertrag restlicher Laufzeiten von bereits stillgelegten Reaktoren oder Strommengen von jüngeren Kraftwerken.

Eigentlich hätten laut „Atomkonsens“ 2008/09 vier Reaktoren abgeschaltet werden müssen. Stattdessen wird derzeit mehr Atomstrom produziert als vor der „Rot-Grünen“ Regierung. Um den Betrieb der teils schrottreifen Meiler nicht zu gefährden, wurde hierfür jede, die Konzern-Profite gefährdende, Aktivität der staatlichen Aufsichtsbehörde zurückgefahren und den Stromkonzernen „ein politisch ungestörter Betrieb“ gesichert. Da es letztlich ziemlich egal ist, wer die Kapitalinteressen als Regierungspartei vertritt, knüppelten Bullen in Ahaus unter dem Befehl eines grünen Polizeipräsidenten dem Atommüll den Weg frei. Goldene Zeiten für die Stromkonzerne!

Atomenergie als Sackgasse

Die Notwendigkeit der Senkung von CO2-Emissionen hat der Zustimmung der Bevölkerung zur Atomenergie scheinbar wieder etwas Rückenwind beschert. Die Atomenergie produziert gegenwärtig 25-50 Gramm CO2 pro Kilowattstunde. Die Windenergie liegt mit produktionsbedingten Emissionen zwischen 11 bis 37 Gramm pro Kilowattstunde leicht unter den Werten der AKW (leider liegen in beiden Fällen keine von ArbeiterInnen und KonsumentInnen überprüften Werte vor - die hier verwendeten wurden einem Bericht des Freiburger Öko-Instituts entnommen). Die Emissionen von modernen Gaskraftwerken liegen im Vergleich dazu bei 385 Gramm.

Trotzdem kann die Atomkraft neben den immensen Umweltschäden und der völlig ungeklärten Endlagerung keine Brückentechnologie in eine „grüne“ Zukunft sein. Die Versorgung mit Uran hatte ihren Gipfel schon 1981 überschritten. Es gibt weltweit 440 AKWs, global wird aber nur etwas mehr als die Hälfte des Uranerzes, das diese Anlagen jährlich verbrauchen, produziert. Die Lücke wird zurzeit durch Verwendung von Plutoniumvorräten gefüllt, die aus zerlegten Kernwaffen stammen. Da diese Quelle in naher Zukunft nicht mehr zur Verfügung stehen wird, werden fieberhaft neue Uranminen erschlossen, die aber nur zur Hälfte die Lücke füllen können, noch nicht einberechnet der Bedarf von rund 60 AKWs, die bis 2020 hinzukommen sollen. Kapitalnahe Schätzungen gehen noch von einem Vorrat für 70 Jahre aus. Der Neubau dürfte diesen Zeitraum noch verkürzen.

Wege aus der ökologischen Krise

Trotzdem unterstützt auch die Gewerkschaftsführung in der Engeriewirtschaft die Nuklearindustrie. Unter dem Vorwand gefährdeter Jobs bläst sie zusammen mit dem Kapital ins Horn von Wettbewerbsverzerrung zu Lasten der deutschen Industrie durch niedrigere CO2-Emissionsgrenzen und fordert Planungssicherheit für neue Kraftwerke. Natürlich sind Grenzwerte, Bestimmungen und Gesetze hinderlich im Kampf mit Konkurrenten und würden Profite schmälern.

Die Position der Gewerkschaft unter dem Vorwand der Arbeitsplatzsicherung zeigt aber deutlich, für wen die Gewerkschaftsbürokratie vorrangig Politik macht und dabei die Interessen der ArbeiterInnen nach guten und sicheren Arbeitsplätzen verrät, v.a. aber jeden Gedanken an eine vernünftige und nachhaltige Technologie zur Sicherung der Energieversorgung beiseite schiebt.

Jahrzehntelang predigte die IG Bergbau das "Bündnis von Kohle und Atomkraft". Ergebnis: die meisten Arbeitsplätze der Kohle-Kumpel sind inzwischen verschwunden und  die Atomkraftwerke laufen immer noch. Hier müssen kämpferische GewerkschafterInnen für einen gemeinsamen Kampf der Gewerkschaften und AtomkraftgegnerInnen gegen die Energiekonzerne und für die entschädigungslose Enteignung der Stromkonzerne mit ihrem gesamten Vermögen unter ArbeiterInnenkontrolle eintreten!

Das ist der einzige Weg, um die Gefahren der Atomkraft abzuwehren. Diese ist angesichts der bereits entstandenen Umwelt- und Gesundheitsschäden und der immensen zukünftigen Kosten für die Risiken der Endlagerung auch gar nicht anders möglich, sollen die Lohnabhängigen nicht dafür die Rechnung bezahlen. Um die Risiken und Schäden genau abschätzen und bilanzieren zu können und um auch einen sofortigen Ausstieg vorzubereiten, müssen die Bücher, Forschungsberichte und Geheimprotokolle im vollen Umfange veröffentlicht werden!

Dieser Ausstieg kann natürlich nur unter der Kontrolle von VerbraucherInnen und Beschäftigten der Stromwirtschaft auf Basis eines nationalen und internationalen Energieplanes erfolgen. Nur die Beschäftigten udn VerbraucherInnen haben ein wirkliches Interesse an sinnvollen und sicheren Arbeitsplätzen und einer umweltschonenden Energieerzeugung.

Ein solcher Plan zur Umstrukturierung der Energiewirtschaft würde zugleich bedeuten, dass die gesamte Produktion und Konsumtion der Gesellschaft verändert werden müsste. Das heißt u.a.: massive Förderung von Energie sparenden und Umwelt schonenden Technologien, Eliminierung von unsinniger Produktionen und Verkehre, die nur aufgrund des Privateigentums und der Konkurrenz nötig sind. Das ist jedoch nur umsetzbar, wenn die gesamte kapitalistische Gesellschaftsstruktur umgewandelt wird.

Auf Dauer stellen regenerative Energieformen den einzigen Weg dar, die Energieversorgung der Menschheit zu sichern, hierzu muss auch die Forschung unter Arbeiterkontrolle gestellt werden, damit Ergebnisse und innovative nichtprofitträchtige Technologien nicht wie gegenwärtig einfach in der Schublade der kapitalen Auftraggeber verschwinden.

Letztendlich kann die ökologische Krise, in die der Kapitalismus die gesamte Menschheit gerissen hat, nur über dessen Sturz gelöst werden.

Die Verwüstung unseres Planeten und damit die Grundlage der menschlichen Reproduktion sind nur durch eine sozialistische Planwirtschaft möglich. Eine Lösung des Problems innerhalb der kapitalistischen Ökonomie ist nicht möglich, es steht einer gesunden Umwelt und einer lebenswerten Zukunft für alle Menschen im Weg.

Schnellstmöglicher geplanter Atomausstieg!

Offenlegung aller Geschäftsunterlagen der Konzerne!

Unabhängige Sicherheitskontrollen über alle Atomanlagen durch Beschäftigte, AnwohnerInnen und Spezialisten des Vertrauens!

Verstaatlichung aller Energieunternehmen unter Arbeiterkontrolle!

Erarbeitung eines Planes zur „Energiewende“ unter Regie der Arbeiterklasse und der VerbraucherInnen!

Keine Entlassungen! Umschulung und Ersatzarbeitsplätze ohne Verschlechterungen!

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Nr. 142, September 2009
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