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Missbrauchsskandal von Amstetten

Gefängnis Familie

Michael Pröbsting/Rex Rotmann, Neue Internationale 130, Juni 2008

Der Vorfall ist erschütternd und abstoßend. Ein 73jähriger Familienvater aus Amstetten (Österreich) hielt seine heute 42jährige Tochter 24 Jahre lang im Keller gefangen, vergewaltigte sie regelmäßig und zeugte mit ihr insgesamt sieben Kinder.

Das Martyrium der Elisabeth F. ist ein Einzelfall. Aber körperliche und sexuelle Gewalt gegen Frauen und Kinder sind alles andere als Einzelfälle. Das Drama von Amstetten ist nur die Spitze des Eisbergs, ein abscheuliches Extrembeispiel für körperliche und sexuelle Gewalt gegen Frauen und Kinder in der Familie.

Die bürgerliche Familie ist eine Grundstruktur des Kapitalismus, die ist dessen “kleinste Zelle”. Betreuung von Kindern und Hausarbeit sind nicht Sache der Gesellschaft, sondern werden in den privaten Verantwortungsbereich der Familie abgeschoben und zum größten Teil den Frauen aufgehalst. Das ist für die Kapitalisten billiger, weil sie die häusliche Reproduktion der Arbeitskraft bzw. der Arbeiterklasse nichts kostet. Zugleich werden die Menschen dadurch vereinzelt, voneinander isoliert und so wichtige Fragen wie die Erziehung und der Umgang miteinander werden der Verantwortung der Gesellschaft entzogen. Diese Atomisierung ist für das Funktionieren des Kapitalismus genauso wichtig wie die Familie als private Möglichkeit, seinen Frust über die Entfremdung, die Ausbeutung und Unterdrückung zu Hause “abzubauen” - meist auf Kosten der Frau oder der Kinder.

In einer auf Ausbeutung und Unterdrückung beruhenden Klassengesellschaft müssen sich unterdrückerische Strukturen notwendigerweise auch in den sozialen Beziehungen widerspiegeln. Dazu zählt auch die Vorherrschaft der Männer gegenüber den Frauen. Dies drückt sich in der Schlechterstellung der Frauen in der Arbeitswelt ebenso aus wie in ihrer vorrangigen Verantwortung für die unbezahlte Hausarbeit oder ihrer Degradierung zum sexuellen Lustobjekt.

Abschottung und Isolation

Warum wenden sich so wenige Frauen und Kinder an Verwandte, Freunde, öffentliche Stellen, wenn sie von körperlicher oder sexueller Gewalt betroffen sind? Weil die Familie im Kapitalismus eben eine eigene, abgeschottete Welt ist. Wenn private Hausarbeit, Kindererziehung und Betreuung keine Aufgaben der Gesellschaft, sondern von jeder und jedem Einzelnen sind, kümmert sich die Gesellschaft auch nicht um die damit verbundenen Probleme. Jeder muß damit selbst fertig werden.

Solange der Kapitalismus existiert, solange wird es Ausbeutung, Frauenunterdrückung und damit auch Gewalt in der Familie geben. Deswegen kämpfen wir für die Zerschlagung der bürgerlichen Herrschaftsordnung durch eine sozialistische Revolution. Erst in einer sozialistischen Gesellschaft werden die Klassen und wird auch die bürgerliche Familie absterben. Erst in einer solch klassenlosen Gesellschaft werden die Menschen frei sein, werden Frauen ohne Abhängigkeit und Unterdrückung vom Mann leben, kann die Hausarbeit vergesellschaftet werden.

Das bedeutet jedoch keineswegs, dass die Arbeiterbewegung bis dahin die Hände in den Schoß legen soll. Wir treten dafür ein, dass die ArbeiterInnenklasse, die ImmigrantInnen, die Jugendlichen für eine breite Kampagne gegen häusliche Gewalt und für die Befreiung der Frau mobilisiert werden. Vor allem in den Gewerkschaften und Parteien der Arbeiterbewegung müssen wir u.a. für folgende Forderungen eintreten und diese Organisationen auffordern, dafür zu kämpfen:

Ausbau von qualitativ hochwertigen Frauen- und Kinderasylen, die den Opfern nicht nur eine Notunterkunft, sondern eine tatsächliche Lebensgrundlage auf Dauer bieten;

der Staat muss Frauen besondere Ausbildungs- und Berufsmöglichkeiten sowie Kinderbetreuungsprogramme anbieten, die ihnen eine eigenständige Existenz ermöglichen;

das Geld dafür muss über eine massive Besteuerung von Reichtum und Kapital geholt werden.

Doch das Problem der häuslichen Gewalt lässt sich letztlich nicht mit staatlichen Maßnahmen lösen. Der Staat benutzt Vorfälle wie den von Amstetten oder Fälle von Kindstötungen eher dazu, Hetzkampagnen gegen die “Unterschicht” zu starten und mehr Repression und Überwachung durch den Staat durchzusetzen.

Unsere Vorschläge sind andere. Wir plädieren für die Bildung von Nachbarschaftskomitees, die öffentlich gewählt und kontrolliert werden. Sie sollen sich mit Fragen der häuslichen Gewalt und den dafür Verantwortlichen auseinandersetzen und entsprechende Maßnahmen zum Schutz der Frauen und Jugendlichen ergreifen.

Gleichzeitig muss es regelmäßige reine Frauenversammlungen wie auch Jugendlichen-Treffen geben, in denen gemeinsame Projekte und Aktivitäten angegangen werden. Nur durch die Zusammenarbeit innerhalb der Klasse, kann das Klischee der “heilen Welt der Familie” durchbrochen werden. Die Arbeiterklasse muss selbst in ihren Reihen gegen brutale Familien-Patriarchen vorgehen!

Eine solche Kampagne darf jedoch nicht mit kleinbürgerlich-humanistischen Argumenten geführt werden („Gewalt ist immer schlecht“), wie uns die offizielle Propaganda einzureden versucht. Auch religiös motivierte Erklärungsmuster (“der Mensch ist schlecht und sündigt” usw.) oder biologistische Theorien (“der Mensch ist aggressiv”) führen nicht nur in die Irre, sondern sind gänzlich untauglich, wenn es um konkrete Hilfe geht.

Der Marxismus begreift den Menschen als gesellschaftliches Wesen, der wesentlich von den gesellschaftlichen Umständen bestimmt wird. So kann also die Verbesserung des Zusammenlebens von Menschen letztlich nur durch die Veränderung der Verhältnisse, in denen er lebt, erreicht werden.

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Nr. 130, Juni 2008
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*  Gysi und Israel: Strammstehn vor der Staatsräson
*  Sri Lanka: Solidarität mit internationalistischen Gewerkschaften
*  Gewerkschaftslinke: Welche Perspektive?
*  Arbeitskämpfe in Berlin: Für eine organisierte Opposition
*  Heile Welt
*  Missbrauchskandal in Amstetten: Gefängnis Familie
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