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Europäische Union

Merkels Durchbruch?

Theo Tiger, Neue Internationale 122, Juli/August 2007

Nach einem halben Jahr deutscher EU-Ratspräsidentschaft überschlagen sich die bürgerlichen Medien in der Lobpreisung der deutschen Repräsentanten, Kanzlerin Merkel und Außenminister Steinmeier. Diese hätten es geschafft, die Verfassungskrise zu überwinden und den „Stillstand“ der EU zu beenden.

Im Jahr 2005 hatten Frankreich und die Niederlande die EU-Verfassung per Referendum abgelehnt, das imperialistische Projekt EU erlitt eine Niederlage. Gerade die Ablehnung im imperialistischen Kernland Frankreich zwang den EU-Rat unter Führung Deutschlands und Frankreichs, den Verfassungsprozess offiziell auszusetzen. Die Kernziele der Verfassung wurden natürlich weiterhin betrieben, wie der Aufbau europäischer Angriffstruppen und die Konzentration der europäischen Rüstungsindustrie.

Auch die sozialen Angriffe wurden nicht ausgesetzt, das zuvor abgelehnte Dienstleistungsgesetz, die „Bolkestein-Richtlinie“, sowie „Port Package“, der Angriff auf die Tarife und Arbeiterrechte in den europäischen Häfen, wurden in kaum veränderter Form inzwischen durchgesetzt.

Die Abstimmungsniederlage war eine politische Niederlage der europäischen Bourgeoisie bei der Durchsetzung ihrer „Agenda von Lissabon“ - das hieß jedoch nicht, dass der EU-Apparat diese Ziele nicht weiter verfolgen würde.

Der neue und alte EU-Außenbeauftragte darf sich zwar weiterhin nicht Minister nennen, jedoch hat Javier Solana jetzt auch amtlich die Befugnisse, die er schon seit einiger Zeit ausübt - nämlich die gemeinsame außenpolitische Vertretung der EU. Gerade nach dem Irak- Krieg und der damals entstandenen Lager innerhalb der EU war die Bündelung der nationalen bourgeoisen Interessen das Hauptziel der vorherrschenden Mächte, Deutschland und Frankreich.

Konfliktlinien

Aus der Allianz der USA-Unterstützer von 2003 sind mit Italien und Spanien zwei entscheidende Kräfte wieder ins Lager des deutschen und französischen Imperialismus zurückgekehrt. Zwar hat Italien im Gegensatz zu Spanien seine Einheiten noch nicht aus dem Irak zurückgezogen, mit dem neuen Ministerpräsidenten Prodi aber einen ausgewiesenen Technokraten des europäischen Imperialismus an der Spitze.

2003 hatte sich eine Minderheit der EU-Staaten unter der Führung Großbritanniens der politischen „Achse“ Paris-Berlin-Moskau widersetzt. Der britische Imperialismus und seine Unterstützer wollen auch weiterhin die politische Führung des EU-Superstaates durch Deutschland und Frankreich verhindern. Diese wird mit dem „neuen“ Abstimmungsmodus zwar nun erst ab 2014 formell weiter gestärkt - ist aber schon heute in vielen Bereichen Realität in der EU.

Auch die kleineren EU-Staaten aus Ost- und Südeuropa und Skandinavien werden bei dem neuen Abstimmungsmodus benachteiligt, die Stimmen aus „Kerneuropa“ garantieren eine Mehrheit. Für solche Begrifflichkeiten ist besonders Juncker aus Luxemburg verantwortlich, dieser ist schon lange am Aufbau einer imperialistischen EU beteiligt, unter dem Motto „Europa der zwei Geschwindigkeiten.“

Die Einführung eines gemeinsamen Binnenmarktes, der Euro-Zone, des Vertrags von Maastricht, der Aufbau von europäischen Angriffstruppen und die Konzentration der Bourgeoisie - dies alles vollzieht sich seit Jahren mit „zwei Geschwindigkeiten“. Es sind die objektiven Notwendigkeiten speziell des deutschen Großkapitals, die diesen Prozess anleiten. Als „Exportweltmeister“ braucht die BRD einen EU-Binnenmarkt, eine gemeinsame Währung und einen stabilen Ausbeutungsrahmen. Dazu gehört auch die gemeinsame Ausrichtung in der Steuer- und Finanzpolitik, die Verpflichtung zu Privatisierung und Sozialabbau.

Das Ende der Blockkonfrontation bescherte den deutschen Kapitalisten die Übernahme eines ganzen Staates und der damaligen EG die Ausweitung bis an die Grenzen Russlands. In diesem Wettlauf traten die europäischen Kapitalisten teils als Konkurrenten, teils als gemeinsame Okkupanten auf. Mit dem Jugoslawienkrieg 1999 war die Eroberung erst mal abgeschlossen, auch wenn bis heute die Lage weder stabilisiert, noch der Kampf um die Kontrolle z.B. des Kosovo zwischen BRD/EU und USA vorbei ist.

Speziell das deutsche und das französische Großkapital trieben die Konzentration verschiedener Sektionen voran, wie in der Energiebranche oder in der Rüstungsindustrie. Nach 1990 wurde der Ruf nach einer gemeinsamen politischen Formierung, nach Außenministern und möglichen EU-Präsidenten laut, dies ging meist einher mit Forderungen nach einer EU-Armee oder einem ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat.

Der deutsch-französische Imperialismus will die EU zum politischen und imperialistischen Superstaat formieren, der ökonomischen Augenhöhe muss auch die militärische und weltpolitische Augenhöhe folgen. Dazu muss die EU unter deutsch-französischer Führung als „Global Player“ auch im Nahen und Mittleren Osten, in Asien, Lateinamerika und Afrika auftreten; dazu gehört neben einer gemeinsamen Handelspolitik der EU, auch die militärische Intervention.

Militarisierung

Nach dem unter US-Kommando stattfindenden Jugoslawienkrieg betreibt die EU seit Jahren eine strategische Neuordnung ihrer Außen- und Sicherheitspolitik. Ähnlich der NATO nach 1990 wurden neue „Bedrohungsanalysen“ zum Konzept einer aggressiven interventionistischen Militärpolitik. Die EU übernahm erste Protektoratskommandos in Bosnien und „Kerneuropa“ betrieb den Aufbau von gemeinsamen Kontingenten (BRD, FRA, B, NL, LUX), die als Vorlage der heutigen „Battle groups“ dienten. Auch die Formierung des Konzerns EADS unter französisch-deutscher Führung zeigte die „zwei Geschwindigkeiten“ innerhalb der EU. Gerade im Bereich der Spitzentechnologie von Luft-, Raumfahrt- und Rüstungsindustrie muss der europäische Imperialismus konkurrenzfähig sein, muss er die amerikanische Vorherrschaft angreifen können.

Dazu gehören europäische Verpflichtungen zur Erhöhung der Militäretats, gemeinsame Projekte wie der „Eurofighter“ und der Airbus 380M.  Gleichzeitig schützen die nationalen Regierungen „ihre“ Rüstungsindustrie, z.B. 2004, als US-Konzerne sich in die deutsche U-Boot-Industrie einkaufen wollten, und die Bundesregierung diesen Plan durchkreuzte.

Seitdem der amerikanische Imperialismus in Afghanistan und dem Irak der Niederlage ins Auge sieht, werden von der EU neue Protektoratsaufgaben übernommen, der Noch- „Hilfspolizist“ bekommt eigene Reviere wie den Kongo-Einsatz oder den Libanon. Dabei bestimmt besonders Verteidigungsminister Jung die europäische Debatte. Mit ihm hat sich ein Lautsprecher für europäische Einsätze gefunden. Gerade in Afrika will der EU-Imperialismus den zunehmenden Einfluss der USA und auch Chinas eindämmen, dieser europäische „Hinterhof“ muss daher auch militärisch dominiert werden. Zum einen geschieht das durch die, von Europa gesteuerte Politik der Afrikanischen Union unter südafrikanischer Führung, welche sowohl neoliberale Angriffe durchsetzt und eigene Truppen besitzt, wie auch durch die zunehmenden gemeinsamen europäischen Militärinterventionen. Diese gelten der Sicherung von Handelswegen und der Absicherung der ökonomischen Interessen Deutschlands und der EU.

Gerade in der Frage der gemeinsamen Militärpolitik zeigt sich der Hauptkonflikt beim europäischen Projekt. Großbritannien ist weiterhin ökonomisch und politisch an die USA gebunden, nur an der Seite des US-Imperialismus kann Großbritannien momentan Weltpolitik betreiben. Die USA und Großbritannien haben eigene Verbündete in der EU, forcieren die militärische Kooperation (Bsp. Polen, Ungarn, Rumänien, Baltikum) und sehen die EU höchstens als regionalen militärischen Akteur, der über die NATO die USA entlastet.

Auch diese „zwei Geschwindigkeiten“ in der Militärpolitik zeugen von den ökonomischen Notwendigkeiten der handelnden Akteure. Für das Projekt EU brauchen die BRD und Frankreich eine eigenständige globale Militärstrategie, sie treten in direkte Konkurrenz mit dem angelsächsischen und ostasiatischen Imperialismus.

Für die Koordinierung des europäischen Widerstands!

Mit dem Ergebnis des Gipfels von Brüssel haben Merkel und Steinmeier die nächste Phase des EU-Imperialismus eingeläutet. Die strategischen Ziele der EU-Verfassung werden umgesetzt, das Abstimmungsverfahren wird nur aufgeschoben und die „zwei Geschwindigkeiten“ werden die Konflikte innerhalb der EU weiter verschärfen, wie auch zum weiteren Aufbau des EU-Imperialismus unter deutsch-französischer Führung beitragen.

Neben der militärischen Intervention im Nahen und Mittleren Osten und in Afrika wird auch der Angriff auf die arbeitenden und arbeitslosen Massen in der EU weiter verschärft. Die „Agenda von Lissabon“ oder die deutsche Agenda 2010 sollen in allen Staaten Anwendung finden. Besonders der französischen Arbeiterklasse und der Jugend steht ein massiver Angriff bevor. Der neue Präsident Nicola Sarkozy wird seine Politik nach dem Vorbild Reagans und Thatchers in Frankreich durchführen. Als erstes sollen 20.000 LehrerInnen entlassen werden, dann rücken Renten und Gesundheitsvorsorge ins Visier. Begleitet werden diese neoliberalen Reformen von massiven Angriffen auf die Löhne.

Diesem sich formierenden imperialistischen EU-Staat müssen wir internationalen Widerstand der unterdrückten Klassen entgegen stellen. Die Zerschlagung der Sozialsysteme, die massiven Angriffe auf Arbeiter- und Grundrechte, die Ausweitung der kriegerischen Politik und der staatlich verordnete Rassismus gegenüber Muslimen, sowie der Ausbau der „Festung Europa“ gegen afrikanische Armutsflüchtlinge, müssen in ganz Europa auf antiimperialistischen und antikapitalistischen Protest und Widerstand treffen!

Wir müssen in Solidarität mit den von EU und USA Angegriffenen und unterdrückten Völkern den Widerstand internationalisieren und zusammen führen.

Gemeinsam müssen jene Gruppen und Organisationen, die z.B. im „antiimperialistischen Raum“ des ESF beteiligt sind, ihren Widerstand und ihre Politik gegen die reformistischen und zentristischen Führungen koordinieren. Die jetzigen Führungen der Arbeiterklasse Europas betreiben entweder bereits selbst imperialistische Politik wie Rifondazione Communista in Italien oder bieten sich täglich wie die deutsche Linkspartei dafür an. Diese Parteien wollen nur die Herausbildung des EU-Imperialismus mit sanften Worten wie „Völkerrecht“ oder „Sozialcharta“ der Klasse näher bringen - als Sozialchauvinisten des EU-Imperialismus, während die bürgerliche degenerierte Sozialdemokratie heute sogar eine tragende Rolle beim Aufbau des EU-Imperialismus einnimmt.

Perspektive

Gegen diese Politik der europäischen Bourgeoisie gab es in den letzten Jahren immer wieder Massenproteste - mehrere Generalstreiks in Italien gegen Sozialabbau, Krieg und Berlusconi, der breite Widerstand von Jugend und Arbeiterklasse in Frankreich gegen das CPE, den andauernden Widerstand in Griechenland von StudentenInnen/SchülerInnen und ArbeiterInnen gegen Sozialabbau, Privatisierung und Krieg. Gegen den Irakkrieg waren im Februar 2003 Millionen auf den Straßen. Die antiimperialistischen und klassenkämpferischen Kräfte in Europa müssen diesen breiten Widerstand unterstützen, mit aufbauen und programmatisch führen. Dazu brauchen wir zunächst eine Koordinierung unserer Kämpfe, Debatten und Analysen - nicht nur in jedem Land, sondern europaweit!

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Nr. 122, Juli/Aug. 2007
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