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Stalinismus und Frauenunterdrückung

17. In der Sowjetunion bleiben die Frauen weiterhin unterdrückt, auch wenn sie ein ArbeiterInnenstaat, der auf nachkapitalistischen Eigentumsverhältnissen beruht, ist. Der zentrale Wesenszug der Frauenunterdrückung - die Existenz einer gesonderten Sphäre der Hausarbeit innerhalb der Familie, für die die Frauen weitgehend verantwortlich sind - gilt in diesem degenerierten ArbeiterInnenstaat weiterhin genauso wie in den imperialistischen Kernländern. Dies ist nicht das Ergebnis irgendeiner "natürlichen" Grundlage für die Frauenunterdrückung, die von der Klassengesellschaft verschieden wäre. Sondern es reflektiert eher die Art und Weise, wie die Sowjetunion von der gesunden nachrevolutionären Periode hin zu ihrer gegenwärtigen stagnierenden Verfassung entartete.

Die bolschewistische Revolution des Oktobers 1917 verfügte als Schlüsselstelle ihres Programms die Verpflichtung zur vollständigen Befreiung der Frauen. Unmittelbar nach der Machtergreifung wurden gesetzliche Veränderungen durchgeführt, die weiter gingen als in jeder bürgerlichen "Demokratie" jemals zuvor oder seither - bei der Abschaffung der Ungleichheiten der Frauen auf der Ebene der politischen, gesetzlichen oder bürgerlichen Rechte. Ab Dezember 1917 wurde die zivile Registration der Eheschließung und eine einfache, freie Scheidung gewährt; die Abtreibung wurde 1920 legalisiert und in den sowjetischen Spitälern frei zugänglich gemacht. Zusätzlich versuchten die Bolschewiki, die grundlegenden Charakterzüge der Frauenunterdrückung im Haushalt zu entfernen. Für die Vergesellschaftung der Kindererziehung, gemeinsame Essensausgaben, Wäschereien etc. und die Ermutigung zu Wohnkommunen wurden Pläne erstellt.

Zusätzlich dazu wurde eine große und aktive Frauenabteilung (der "Zhenotdel") aufgebaut, die Millionen von Arbeiterinnen und Bäuerinnen in die Diskussionen, Entscheidungen und in die praktische Arbeit, das Programm der Befreiung auszuführen, einbezog. Diese Pläne wurden jedoch niemals in ernsthaftem Umfang verwirklicht, da die Verwüstungen des Bürgerkrieges und der Hungersnot das junge Regime unter einen ungeheuren wirtschaftlichen Druck brachten. Gemeinschaftskantinen wurden im Bürgerkrieg eingerichtet, aber nicht mittels irgendwelcher großer Pläne zur Vergesellschaftung und Verbesserung des Lebens, sondern eher, um die spärliche Nahrungsmittelversorgung effizienter zu gestalten. Nach dem Krieg wurde die Periode der "Neuen Ökonomischen Politik" eingeführt, als deren Auswirkung eine Massenarbeitslosigkeit, unter der die Frauen am meisten litten, entstand.

Um die Mitte der 1930er Jahre hatte das Regime alle Überreste des bolschewistischen Programms für die Vergesellschaftung der Hausarbeit aufgegeben. Mit dem Wachstum der Bürokratie inmitten des Mangels - verstärkt durch die ersten Fünfjahrespläne - wurden die schlecht ausgerüsteten und schlecht mit Personal besetzten Einrichtungen für Kinderaufsicht, Verpflegung und Waschen weiter einschränkt und die Betonung wieder einmal auf die privaten Haushaltsmethoden gelegt.

Für die bürokratische Schicht wurden auch Hausdiener und -dienerinnen üblich. Eine intensive, heuchlerische Kampagne für den Aufbau der "neuen Familie" versuchte die Rückkehr zu häuslicher Sklaverei als programmatisches Ziel zu legitimieren. Ansprüche, dass die "sozialistische Familie" auf Liebe allein aufbaue, wurden mit der Einführung von Beschränkungen für Liebe und Scheidung in den Dreck gezogen.

Wie es Trotzki aufzeigte, lief tatsächlich die ganze Logik des Stalinismus darauf hinaus, die Häufigkeit von "Geldheiraten" als Mittel, Zugang zu Privilegien oder spärlichen Ressourcen zu bekommen, zu erhöhen. Das Versagen des Stalinismus, den Bedürfnissen der Frauenmassen nach Verhütung und Abtreibung zu entsprechen, führte zu einer wachsenden Zahl der "Engelmacherinnen" und zu einem Anstieg der Todesfälle durch mangelnde Hygiene bei Abtreibungen. Die Antwort darauf war, die Abtreibung 1936 überhaupt zu illegalisieren, anstatt geeignete Einrichtungen bereitzustellen. Erst nach 1955, inmitten einer Epidemie von Abtreibungsopfern, wurde das Gesetz reformiert.

Der Mangelcharakter der Sowjetwirtschaft brachte mit sich, dass viele der Haushaltsgeräte, die in vielen imperialistischen Ländern die für Hausarbeit und Essenszubereitung nötige Zeit reduziert haben, für sowjetische Frauen nicht verfügbar sind. Dies, zusammen mit häufigen Engpässen an Nahrungsmitteln, kann die Erfahrung der Doppelbelastung für sowjetische Frauen noch drückender machen als für viele Frauen in den imperialistischen Ländern. Die Auswirkung dieses Verrats der bolschewistischen Revolution diskreditierte den Sozialismus in den Augen der ArbeiterInnenklasse der Welt - und insbesondere jener Arbeiterinnen, die sehen, dass diese "kommunistische" Gesellschaft für sie dasselbe bedeutet wie die Unterdrückung innerhalb des kapitalistischen Systems.

Die jüngsten "Reformen" unter Gorbatschow, die weit davon entfernt sind, ein erneuter Versuch zu sein, die Hausarbeit zu vergesellschaften und die Frauen von häuslicher Plackerei zu befreien, wurden teilweise auf der Grundlage befürwortet, dass die Rolle der Familie als gesellschaftliche Einheit noch zu stärken wäre; und auf die sowjetischen Frauen wird zunehmend Druck ausgeübt, dass sie ihre Arbeit aufgeben sollten. Die Bürokratie hat argumentiert, dass es die "Entweiblichung" der Frauen durch ihre extensive Rolle bei der Fabrikarbeit etc. wäre, die zumindest teilweise für viele der "Krankheiten" des Gesellschaftssystems verantwortlich sei. Diese reaktionäre Ideologie bildet den Hintergrund für Berichte über die erschütternden Bedingungen, denen sich Arbeiterinnen gegenübersehen, wobei damit vorgegeben wird, im Interesse der Frauen zu handeln, wenn sie zum Zuhausebleiben ermuntert werden.

18. Auch wenn die herrschenden Bürokratien der degenerierten Arbeiterstaaten der Welt ein lebendiges Interesse gezeigt haben und zeigen, die tatsächliche Emanzipation der Frau zu verhindern, und ihren reaktionären Charakter gerade im Schutz der Familie und der Aufrechterhaltung der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung beweisen, sind die gewaltigen Fortschritte in diesen Gesellschaften (verglichen mit der vorrevolutionären Periode und der heutigen imperialistischen Welt) nicht zu leugnen. In China und Kuba wurden Frauen zum Beispiel gesetzliche Rechte gewährt und eine verbesserte Gesundheitsfürsorge und bessere Sozialleistungen bereitgestellt. Extreme Formen barbarischer Unterdrückung, wie der Handel mit Frauen und Mädchen in China, wurden durch den Staat illegalisiert.

Nichtsdestotrotz bleiben die staatlichen und gesellschaftlichen Führungspositionen in Partei, Gewerkschaft usw. eine Domäne der Männer. Gerade dies zeigt, dass die Einbeziehung der Frau in die öffentliche Produktion zwar die Grundvoraussetzung zu ihrer Befreiung ist, dies allein aber nicht ausreicht. Angesichts der von der Bürokratie verursachten Misswirtschaft geraten die Errungenschaften der Frauen auch wieder in Gefahr, da sie nicht wirklich politisch abgesichert sind.

In den degenerierten ArbeiterInnenstaaten blieb die Rolle der Frauen weiterhin die, dem Staat und der Gesellschaft durch Hausarbeit, kombiniert mit anderer Arbeit, falls für das Regime notwendig, zu dienen. Die Rolle der Kirche in Polen zum Beispiel wurde niemals von den stalinistischen Bürokratien wirksam angegriffen und ist weiterhin vorherrschend bei der ideologischen und sexuellen Unterdrückung der Frauen.

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