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Frauenbefreiung und Sozialismus

19. Damit die Frauen die vollständige politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Gleichheit mit den Männern erreichen, muss die gesellschaftliche und wirtschaftliche Basis ihrer Unterdrückung zerstört werden. Die Existenz der Familie als eine privatisierte Sphäre der Arbeit muss beendet werden. Dies kann nur durch die völlige Vergesellschaftung von Kindererziehung und Hausarbeit erreicht werden. Deshalb lehnen wir die Idealisierung der 'proletarischen Familie' durch den Stalinismus ab, der in Wirklichkeit eine Kopie der bürgerlichen Familie ist, in der die privatisierte Hausarbeit - in diesem Fall im Interesse der Bürokratie - erhalten bleibt. Die Aufgaben, das für Reproduktion notwendige Essen, Unterkunft und Annehmlichkeiten bereitzustellen, müssen von der Gesellschaft kollektiv übernommen werden, um so die individuelle Verantwortung jeder einzelnen Familie, damit zurechtzukommen, zu beenden. Nur wenn die Frauen von dieser häuslichen Sklaverei erlöst sind, können sie voll und gleichwertig neben den Männern in die vergesellschaftete Produktion einbezogen werden.

Diese Vergesellschaftung jedoch wird nur dann einen tatsächlich sozialistischen Charakter tragen, wenn sie von der Zerstörung der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung (und der entsprechenden Rollenbilder) auch in der sozialisierten Produktion begleitet wird. Historisches Subjekt für diese spezielle Umwälzung, die gezielte Aufhebung der bürgerlichen Familie und die Überwindung der geschlechtsspezifischen Zwänge, sind nicht nur die Frauen, obwohl sie der vorwärtstreibendste Teil der Arbeiterklasse in dieser Angelegenheit sein werden.

Sicher werden Frauen als undifferenzierte Masse in diesem Kampf nicht einheitlich agieren, um die männliche Dominanz und die bürgerliche Familie zu zerstören. Das Gegenteil zu glauben würde bedeuten, der spontaneistischen Idee zu verfallen, dass die Tatsache der Unterdrückung automatisch eine einheitliche Form des Widerstandes unter den Unterdrückten schaffe. Wie in jedem anderen Kampf wird hier die Avantgarde eine entscheidende Rolle spielen. Die revolutionäre Partei selbst, und im wesentlichen die weiblichen Mitglieder der Partei, werden an der Vorderfront dieses Kampfes sein. Kommunistische Frauen werden die fortschrittlichsten Schichten der ArbeiterInnenklasse, einschließlich derjenigen KlassenkämpferInnen, die nicht Parteimitglieder sind, und insbesondere Frauen organisieren, um den Sexismus zu bekämpfen, für Gleichheit zu kämpfen und die ganze Masse der ArbeiterInnen zu mobilisieren, um ihre Rolle als historisches Subjekt der sozialistischen Umwandlung und der Frauenemanzipation zu spielen.

Diese Aufgaben sind nicht vom Sturz des Privatbesitzes an den Produktionsmitteln zu trennen. Dann, und nur dann erst, wird es möglich sein, auf der Grundlage einer Planwirtschaft systematisch alle Aspekte der Frauenunterdrückung - gesetzliche, wirtschaftlich, gesellschaftliche und politische - auszumerzen. Um diesen Prozess einzuleiten, ist die Übernahme der Staatsmacht durch die ArbeiterInnenklasse, bewaffnet und organisiert in ArbeiterInnenräten und ArbeiterInnenmilizen, und die Unterdrückung des Widerstandes der AusbeuterInnen notwendig.

Die Unterordnung der Frauen und der zentrale Platz der Familie im Alltagsleben waren die Wesenszüge aller früheren Klassengesellschaften. Die wirkliche Befreiung der Frauen und Kinder von ihrer Unterdrückung, ebenso wie die Änderung der Lebensweise aller im Sozialismus, wird einen langen und schwierigen Kampf gegen die Ideen und Normen der Vergangenheit erfordern. Die Umwandlung der Persönlichkeit, der Psyche, was für die Leute notwendig sein wird, um kollektiv und kooperativ zu leben, wird Generationen brauchen, bis sie vollkommen erreicht sein wird. Die tiefen psychischen Wunden, die das Aufwachsen und Arbeiten in einer Gesellschaft bedeuten, die auf Profit, Gier und Kampf gründet, werden nicht über Nacht verschwinden. Ein bewusster Kampf für eine Veränderung wird viele Jahre hindurch erforderlich sein. Aber mit der materiellen Basis für Kollektivität, ermöglicht durch die Schaffung eines ArbeiterInnenstaates, Planung nach Bedürfnis und nicht nach Profit, die Zerstörung der Einzelhaft des Privathaushaltes, wird der "Kampf" für eine neue Psyche, für ein neues, menschliches Wesen und wirklich befreite sexuelle Beziehungen möglich sein.

1848 erhoben Marx und Engels die Forderung nach Abschaffung der bürgerlichen Familie. In Russland nach dem Oktober 1917 wurde jedoch klar, dass die durch den Kapitalismus aufgebauten Familienbeziehungen nicht mit einem Schlag abgeschafft werden konnten. Der ArbeiterInnenstaat schuf die wirtschaftliche Grundlage, auf der die Hausarbeit vergesellschaftet werden konnte (auch wenn der Stalinismus die Verwirklichung der Errungenschaft - wie in so vielen anderen Fällen - vereitelt hat).

Durch die Vergesellschaftung vieler Aspekte der Hausarbeit schafft der ArbeiterInnenstaat die bürgerliche Familie nicht ab, aber stellt die Mittel bereit, durch die sich die Frauen vom familiären Gefängnis und von der privatisierten Arbeit lösen können.

In dem Ausmaß, als dieser Prozess der Vergesellschaftung (durch gemeinsame Kinderbetreuung, Wasch- und Essenseinrichtungen) erfolgreich ist, wird die Grundlage der "alten", vom Kapitalismus geerbten Familie ausgelöscht. In diesem Sinn wird die "alte" Familie, wie der Staat selbst, mit dem Fortschritt in Richtung Kommunismus absterben. Ebenso wenig jedoch, wie wir uns dazu verleiten lassen, das Wesen der Geschlechterbeziehungen im Kommunismus auf eine utopische Weise vorauszusagen, werden wir uns dazu verleiten lassen, ein Bild dessen zu malen, wie die "Familie" im Kommunismus aussehen wird.

Die bürgerliche Familie wird verschwinden. Was sie ersetzen wird, ist etwas, das die Menschen der Zukunft entscheiden werden, frei von materiellen und ideologischen Fesseln, die die Familienbeziehungen im Kapitalismus charakterisieren (und quälen). So werden die Bedingungen für eine wirkliche sexuelle Befreiung, bei der die Menschen frei ihre Sexualität bestimmen, geschaffen werden.

 

20. Die Rolle der Frauen beim Sturz des Kapitalismus und beim Aufbau des Sozialismus ist wesentlich. Als Teil der ArbeiterInnenklasse müssen die Frauen in den Kampf um die Macht einbezogen sein. Frauen in der ganzen Welt haben ihre Fähigkeit zum Kampf entschlossen gezeigt. Tatsächlich ist es oft der Fall, dass Arbeiterinnen, angesichts der schweren Probleme, die Familie zu führen und zu arbeiten, eine explosive Kraft im Klassenkampf darstellen (zum Beispiel in Russland im Februar 1917). Mehr noch, da Frauen oft unorganisiert oder erst frisch organisiert sind, können sie eine Zeitlang eine explosive Kampfbereitschaft mit der Freiheit von bürokratischer Herrschaft und Regeln, die die "normale" Gewerkschaftsroutine charakterisieren, verbinden. Gerade aufgrund der mit der Hausarbeit und Kindererziehung verbundenen Belastungen und Aufgaben spielen eigenständige Organe der Frauen, wie (Haus- )Frauenkomitees zur Preiskontrolle und Nahrungsmittelverteilung, in vor- und revolutionären Perioden als Teile einer proletarischen Frauenbewegung eine entscheidende Rolle für die Errichtung von Organen der ArbeiterInnenmacht. Ein Versagen dabei, die Arbeiterinnen wirklich für den Kampf zu gewinnen, kann sie zur Beute der Argumente der herrschenden Klasse werden lassen und sie als eine rückständige Kraft innerhalb der ArbeiterInnenklasse wirken lassen. Als diejenigen, die am direktesten in die Kinderbetreuung, die Versorgung mit Alltagsbedürfnissen und die grundlegendsten "Haushaltsverrichtungen" involviert sind, werden die Erfahrung und der Beitrag der Frauen lebensnotwendig bei der Planung einer gesellschaftlichen Vorsorge für diese Aufgaben sein.

Die Arbeiterinnen sind zentral im Kampf für die Emanzipation sowohl der ArbeiterInnenklasse als auch der Frauen - sie sind die am meisten unterdrückte Sektion ihres Geschlechtes. Unter den Frauen haben sie das radikalste Interesse am Sturz ihrer Unterdrückung im Kapitalismus. Die Erlangung gleicher Rechte und Möglichkeiten oder utopische Schemata für individuelle sexuelle und psychische Befreiung werden nicht die grundlegenden Bedürfnisse der proletarischen Frauen befriedigen. Und innerhalb der ArbeiterInnenklasse haben sie keine aristokratischen Privilegien (und einen vergleichsweise geringeren Status an beruflicher Qualifikation) und keine hohen Löhne, die sie mit dem Kapitalismus versöhnen könnten.

Jedoch nur allzu oft werden die am besten organisierten Arbeiterinnen von reformistischen GewerkschaftsführerInnen, die ihrerseits Frieden mit dem Kapitalismus geschlossen haben, in die Irre geführt. Dies und zusätzlich noch die traditionelle Rückständigkeit vieler Frauen aufgrund ihrer Isolation daheim, als Beute der Ideen der Massenmedien und der Kirche, zeigen auf, dass intensive Unterdrückung und Ausbeutung für sich allein nicht ausreichend sind, um Frauen an die Führung des Befreiungskampfes zu bringen. Dies gilt auch in den Halbkolonien, wo die Unterdrückung der Arbeiterinnen und Bäuerinnen sogar noch schärfer ist als in den imperialistischen Ländern.

Die ArbeiterInnenklasse ist die erste ausgebeutete Klasse, die imstande ist, jegliche Ausbeutung zu beenden. Nicht einfach deswegen, weil sie die am meisten ausgebeutete und unterdrückte Klasse ist, sondern weil der Kapitalismus selbst sie im Zentrum der gesellschaftlichen Produktion organisierte und sie damit befähigte, sich ihrer selbst als Klasse bewusst zu werden, sich gegen die KapitalistInnen zu organisieren, sie zu stürzen und die Produktion zu reorganisieren. Die Frauen bilden einen Teil der ArbeiterInnenklasse mit genau diesem Potential. Obwohl der Kapitalismus niemals imstande war, alle proletarischen Frauen in die Produktion einzubeziehen, stellen die Frauen einen zentralen Bestandteil der menschlichen Arbeitskraft dar, und es sind gerade die in Lohnarbeit stehenden Frauen, die - teilweise von den verdummenden Auswirkungen der häuslichen Isolation erlöst - als Avantgarde aller proletarischen Frauen handeln kann.

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