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Ausbildungsplatzabgabe

Wer nicht ausbildet, zahlt!

Helga Müller, Neue Internationale 85, November 2003

Im März 2003 fehlten laut Bundesanstalt für Arbeit etwa 140.000 betriebliche Ausbildungsplätze. Aktuell sind es immer noch 35.000.

Die Situation ist sogar noch drastischer, da viele Jugendliche in staatlich finanzierten, außerbetrieblichen Ausbildungszentren oder in berufsvorbereitenden Lehrgängen u.ä. "versteckt" wurden und damit aus der Statistik herausfallen. Laut Bundesanstalt für Arbeit werden in diesem Jahr etwa 40 % der Jugendlichen, die einen Ausbildungsplatz suchen, leer ausgehen!

Lehrstellenmangel

Das liegt daran, dass nur noch ca. 23 % der Betriebe tatsächlich Ausbildungsplätze anbieten - obwohl in den neuen Bundesländern 50 und in den alten Bundesländern sogar 60 Prozent der Betriebe dazu in der Lage wären. 1993 hatten immerhin noch 30 % der Betriebe ausgebildet. Insbesondere die westdeutsche Wirtschaft bildet immer weniger aus: Die Zahl der Ausbildungsplätze ist im März 2003 gegenüber dem März des Vorjahres um rund 52.000 gesunken. Im Osten gibt es im März 2003 rund 7.000 Ausbildungsplätze weniger als im selben Monat im Jahr 2002.

Der Bundeskanzler hatte in seiner Regierungserklärung vom 14. März noch angekündigt, dass staatliche Maßnahmen erfolgen würden, wenn sich die Wirtschaft nicht an ihre Zusage halte und zu wenig Lehrstellen zur Verfügung stelle. Gemeint war damit eine Ausbildungsplatzabgabe jener Betriebe, die nicht ausbilden. Im Leitantrag zum Sonderparteitag der SPD war noch von einer Umlagefinanzierung die Rede.

Seitdem läuft die Wirtschaft dagegen Sturm, redet von staatlichen Zwangsmaßnahmen, von Verstaatlichung der Ausbildung, Strafsteuer u.ä. Damit würde angeblich kein einziger neuer Ausbildungsplatz geschaffen, sondern weitere Unternehmen würden sich dann aus der Ausbildung zurückziehen. Stattdessen ginge es darum, die Rahmenbedingungen zu verbessern und vor allem die Kosten der Ausbildung - d.h. die Ausbildungsvergütung für die Auszubildenden - zu senken.

Seitdem präsentiert die Bundesregierung ein Trauerspiel und lässt sich von den Unternehmerverbänden erpressen: die aufgestellte Forderung nach einer Umlagefinanzierung wird relativiert. Wirtschaftsminister Clement als auch Bildungsministerin Buhlman machen Rückzieher und appellieren an die Wirtschaft, den Ausbildungskonsens einzuhalten.

Aber auch sie wissen genau, dass die einzige Chance, eine qualifizierte Ausbildung für alle möglich zu machen und zu finanzieren, ist, dass die Unternehmen, die nicht ausbilden wollen, eine Abgabe zahlen müssen.

Mit reinen Appellen an die Ausbildungszusage aus dem Ausbildungskonsens wird nichts passieren. Der stellvertretende Vorsitzende von ver.di, Frank Werneke, stellte dazu in einem Interview fest: "Schon in der Vergangenheit haben die Unternehmen ihre Zusagen aus dem Ausbildungskonsens nicht eingehalten."

Arbeitgeberpräsident Hundt hatte ja bereits auf dem Ausbildungsgipfel am 29. April diesen Jahres beim Bundeskanzler jegliche Zusage, die es im Bündnis für Arbeit dazu gab, zurückgezogen - mit dem Argument, es gebe keine Ausbildungsgarantie. Die Ausbildungslücke sei lediglich zu minimieren, nicht zu schließen.

Die Gewerkschaftsführungen selbst fordern die Umlagefinanzierung, hoffen dabei trotz aller negativen Erfahrungen immer noch auf Konsensgespräche mit der Wirtschaft, anstatt ihre Mitgliedschaft dagegen in insgesamt gegen die Angriffe auf die sozialen Errungenschaften in Gestalt der Agenda 2010 zu mobilisieren.

Gewerkschaftsführung

Daran hindert sie aber nicht nur ihre utopische Strategie, um (beinahe) jeden Preis einen "sozialpartnerschaftlichen" Kompromiss mit dem Kapital zu erreichen. Das liegt auch an der Inkonsequenz der Gewerkschaftsspitze gegenüber der SPD-Regierung.

Obwohl man mit deren Politik unzufrieden ist, scheut man davor zurück, diese allzu streng zu kritisieren oder gar mittels Mobilisierungen in Bedrängnis zu bringen. Sieht man Schröder doch als kleineres Übel gegenüber einer CDU/CSU/FDP-Regierung an. Zudem scheut man einen offenen Bruch mit der SPD, weil man damit gleichzeitig auch die eigene sozialdemokratische Politik in Frage stellen würde.

Die ver.di-Jugend hat einen Schritt in diese Richtung gemacht, der zu begrüßen ist: sie hat unter ihren Forderungen u.a. für eine Arbeitsplatzabgabe zur bundesweiten Demonstration am 1. November in Berlin aufgerufen und wirbt dort für einen Block von Jugendlichen.

Das ist ein Anfang. Dem muss die weitere Mobilisierung der Azubis, der Jugendlichen ohne Lehrstelle und Arbeitslosen folgen. An der betrieblichen und gewerkschaftlichen Basis müssen das Problem diskutiert und Aktionen beschlossen werden.

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neue internationale
Nr. 85, November 2003

*  Von der Demo zum Massenstreik: Agenda kippen!
*  Nach dem Gewerkschaftstag der IG Metall: Waffenstillstand
*  Bildung: Leere statt Lehre
*  Ausbildungsplatzabgabe: Wer nicht ausbildet, zahlt!
*  Die Union und die Sozialreformen: Pest oder Cholera
*  Klassenkampf in Europa: Das Kapital schlägt zu
*  Europäische Antikapitalistische Linke: Weg aus der Sackgasse?
*  Bolivien: Arbeiter und Bauern an die Macht!
*  Palästina: Solidarität mit der Intifada!
*  Heile Welt
*  Europäisches Sozialforum: Paris, wir kommen!