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Europäisches Sozialforum

Auf nach Paris!

Martin Mittler, Neue Internationale, Oktober 2003

Das zweite Europäische Sozialforum findet vom 12. bis zum 16. November in Paris/St. Denis statt.

Zehntausende werden aus ganz Europa an den Diskussionen, Foren, Seminaren, Workshops teilnehmen. Im Zentrum der Debatten werden der Kampf gegen die Angriffe auf die europäische Arbeiterklasse - auf die Beschäftigten wie Erwerbslosen -, der "permanente Krieg" des Imperialismus und die Rolle der EU stehen.

Gleichzeitig wird über die strategischen Konzepten für die "Anti-Globalisierungsbewegung" diskutiert. In den letzten Monaten wurden viele Programme für die Bewegung produziert. In vielen Ländern steht die Frage, wohin sie sich weiter entwickeln soll.

Das ist kein Zufall. Die anti-kapitalistische Bewegung war immer politisch und sozial heterogen. Sie wird einerseits von hunderttausenden, wenn nicht Millionen AktivistInnen auf der ganzen Welt getragen. Sie reicht hinein in die Arbeiterbewegung, sie umfasst große militante Bauern- und Landlosenorganisationen wie die MST in Brasilien. Sie stützt sich auf SchülerInnen und StudentInnen.

Gleichzeitig versuchten von Beginn an verschiedene reformistische, kleinbürgerliche, im Endeffekt aber prokapitalistische Kräfte, die Bewegung zu kontrollieren und ihr radikales, antikapitalistisches Potential ins Leere laufen zu lassen.

Diese Rolle spielten von Beginn an eine Reihe von NGOs (Nichtregierungsorganisationen), neo-reformistische Gruppierungen wie attac oder die Führungen reformistischer Parteien und Gewerkschaftsverbände.

Die "radikale" Linke erwies sich gegenüber diesen Vereinnahmungsversuchen als schlecht gerüstet. Die in den ersten Jahren der Bewegung recht starken anarchistischen und autonomistischen Strömungen haben an Einfluss verloren, weil sie von Beginn ablehnten, dass die Bewegung zu einem handelnden Subjekt wird. JedeR sollte "sein Ding" machen.

Aber angesichts der zentralisierten Macht des bürgerlichen Staats, des koordinierten Agierens des Kapitals und seiner Institutionen wie IWF, Weltbank, WTO auf internationaler Ebene musste sich eine solche "Strategie" als wirkungslos erweisen.

Immer mehr AktivistInnen erkennen, dass ein Mindestmaß an Organisierung notwendig ist, um eigene Aktionen zu schützen, und dass die Bewegung gemeinsame politische Ziele braucht.

Die linken Reformisten oder scheinbar "unbescholtene", aber reformerische NGOs und attac konnten sich daher als vermeintliche Lösung des Problems ausgeben: eine andere Welt ist möglich, wurde zu einer verbreiteten Losung der Bewegung. Erstens, weil damit reformistische und radikale Inhalte verbunden werden konnten. Zweitens aber, weil die Konzepte (wie Tobin-Steuer, "andere" Regulierung des Kapitalismus) eine verwirklichbare Perspektive zu versprechen schienen.

Gleichzeitig wurde unter Jugendlichen, aber auch unter ArbeiterInnen der Ruf nach "sozialistischen" Lösungen laut. Das zeigte sich auch beim letzten Sozialforum in Florenz, als RednerInnen, die von der Notwendigkeit der Revolution oder anti-kapitalistischer Parteien und Organisationen sprachen, den größten Applaus erhielten.

Aber was genau ist "Sozialismus"? Was ist "Anti-Kapitalismus"? Welche Revolution meinen wir? Wie kann eine solche Zeilerichtung in der Bewegung verankert werden?

Wenn die Bewegung so bleibt, wie sie jetzt ist, wird sie nicht bleiben. Es droht vielmehr, dass das ESF, dass regionale und lokale Sozialforen (oder ähnliche Foren und Organe der Bewegung) zu reinen Diskussionsrunden werden oder in einigen Ländern überhaupt nicht erst aus den "Startlöchern" kommen.

Daher ist es notwendig, dass RevolutionärInnen, dass Anti-KapitalistInnen in der Bewegung eingreifen, um sie voran zu bringen:

a) Zu einer aktionsfähigen, internationalen Koordinierung, der sich Sozialforen, Bündnisse gegen Sozialabbau, Krieg, Parteien, Gewerkschaften, Immigrantenorganisationen anschließen und gemeinsam Kampagnen und Kämpfe gegen Kapital und Regierungen führen.

Dazu ist es unerlässlich, dass das ESF und die lokalen Sozialforen zu Aktionszentren des Widerstandes werden, alle Kräfte der Arbeiterbewegung und der Linken einzubeziehen trachten, die dieses Ziel teilen - und sich auch verbindliche Entscheidungsstrukturen zur Durchführung von Aktionen geben. Nur so werden sie europaweit, landesweit und vor Ort attraktiv und zu Formen von "Gegenmacht". Ansonsten werden sie nur Leute anziehen, die beim unverbindlichen Diskutieren stehen bleiben wollen.

b) Aktionsfähig sein heißt aber auch, über die Perspektiven und Ziele der Bewegung zu streiten. Gerade weil es von kleinbürgerlichen, über reformistische, anarchistische, utopisch-sozialistische bis hin zu revolutionären Positionen und Strategien so ziemlich alles gibt, was je an wirklichen oder vermeintlichen emanzipatorischen Programmen entwickelt wurde, ist es notwendig, dass diese auch diskutiert werden.

Der Ruf nach Debatte in der Bewegung spiegelt ein wirkliches Bedürfnis nach einer politischen Alternative zum Bestehenden wider. Wie soll die aber aussehen? Soll es dabei nur um die illusionäre Hoffnung auf einen "gezähmten" Kapitalismus mit Tobin-Steuer gehen - oder um eine grundsätzlich andere, klassenlose Gesellschaft? Wie soll diese aussehen? Wie kommen wir dahin? Durch eine Reihe von Reformen - oder durch eine internationale Arbeiterrevolution? Wer soll das Subjekt eine Revolution sein? Welche Organisation brauchen wir dafür?

Die anti-kapitalistische Bewegung hat diese Fragen aufgeworfen. Sie zeigt, dass die Frage internationaler Kampagnen, eines internationalen politischen Zusammenschlusses, einer neuen Arbeiterinternationale eine aktuelle Frage ist, eine Frage, die für Hunderttausende, für Millionen steht.

Aber die Bewegung hat "aus sich heraus" keine Antwort gegeben. Genauer, jede politische Kraft gibt darauf ihre eigene. Reformisten eine - reformistische. Revolutionäre müssen darauf eine revolutionäre Antwort geben.

Daher treten wir für den Aufbau einer neuen, der Fünften Internationale ein. Wir treten dafür ein, dass diese von Beginn an auf revolutionärer Grundlage, auf Basis eines Programms von Übergangsforderungen aufgebaut ist, das zur Machteroberung der Arbeiterklasse und der Unterdrückten auf der ganzen Welt führt, zur Zerschlagung des bürgerlichen Staatsapparates und seiner Ersetzung durch die eine Rätedemokratie.

Nur so kann eine "andere Welt" im wahrsten Sinn des Wortes, eine Welt jenseits von Ausbeutung und Unterdrückung aufgebaut werden.

 

Das Europäische Sozialforum muss zu einer demokratischen Kampforganisation werden!
Vorwärts zur Fünften Internationale!

Resolutionsentwurf der Liga für die 5. Internationale

Unsere Bewegung spielt heute eine zentrale Rolle im Widerstand gegen kapitalistische Globalisierung und imperialistischen Krieg. Wir haben am 15. Februar 2003 bewiesen, dass die hier versammelten Kräfte Millionen auf die Straße bringen können. Aber das reicht nicht. Die Herrscher dieser Welt führen einen Krieg: gegen ArbeiterInnen, Bauern, gegen alle unterdrückten Nationen.

Wir brauchen eine klare Perspektive, um vorwärts zu kommen. Dazu ist eine umfassende demokratische Debatte in unserer Bewegung notwendig. Dazu müssen wir den Willen der AktivistInnen in Aktionen umsetzen. Kurzum: wir brauchen Demokratie in der Bewegung.

Demokratie bedeutet nicht nur die Kenntnisnahme von Differenzen - selbst der bürgerlich-demokratische Staat gestattet für gewisse Perioden abweichende Meinungen, sondern auch, dass Entscheidungen getroffen und in Handlungen umgesetzt werden. Demokratie bedeutet Diskussion und Entscheidung. Natürlich ist dafür eine größtmögliche, überzeugte Mehrheit notwendig, um Aktionen effektiv umsetzen zu können. Doch es widerspricht jeder Demokratie, dass die Aktionen und Ziele der Mehrheit nach einer umfassenden und fairen Debatte durch eine Minderheit blockiert werden können.

Die momentane Verfahrensweise - das Konsensprinzip - ist in Wirklichkeit undemokratisch. Außerdem ist es nicht transparent. Es bedeutet, dass Entscheidungen in Wirklichkeit im kleinen Kreis hinter den Kulissen getroffen werden. De facto gibt es eine Führung - aber die ist gegenüber nichts und niemandem verantwortlich.

Das Europäische Sozialforum (ESF) sollte daher auf allen jährlichen Treffen eine eintägige Versammlung abhalten, die sich aus Delegierten der nationalen und lokalen Sozialforen aller Organisationen zusammensetzt, die den Kampf gegen Krieg und Neoliberalismus unterstützen. Diese Versammlung sollte über die wichtigsten Kampagnen, Ziele und politischen Positionen entscheiden. Sie sollte ein Koordinationskomitee wählen, das Stellungnahmen und Aufrufe zwischen den Jahrestreffen im Namen des ESF veröffentlichen darf.

Ein unerlässlicher Schritt, um Entscheidungen transparent zu machen, ist die Aufhebung des Verbots gegenüber der Teilnahme politischer Parteien beim ESF. Dieses Verbot ist erstens komplett verlogen, weil politische Parteien real nicht nur daran teilnehmen, sondern auch eine führende Rolle spielen. Viele der OrganisatorInnen und SprecherInnen des ESF sind Mitglied politischer Parteien mit spezifischen Zielen. Das ist auch nicht problematisch - vorausgesetzt, dass das offen und transparent geschieht. JedeR AktivistIn der Sozialforumsbewegung hat das Recht zu wissen, welche Parteien an der Bewegung teilnehmen und wer Mitglieder welcher Partei ist.

Wird das zu einer Dominanz von bürokratischen und konservativen reformistischen Parteien, von Parlamentsabgeordneten, Funktionären usw., die das System selbst gar nicht bekämpfen wollen, über die Bewegung führen? Diese Gefahr besteht. Aber das Verbot von Parteien hilft überhaupt nicht, um das zu verhindern. Es gibt nur zwei Dinge, die eine solche Entwicklung stoppen können.

Erstens die offene, echte Demokratie in der Bewegung selbst. Wenn wir lokale, regionale und landesweite Sozialforen unter der Kontrolle hunderttausender BasisaktivistInnen aufbauen, werden wir in der Lage sein, die politische Richtung und die Aktionen der Bewegung selbst zu bestimmen und jene Leute zu wählen, die dem entsprechen und jene abzuwählen, die ihre eigenen Ziele gegen uns verfolgen. Die Basis der Bewegung wird dann bestimmen, ob und welche VertreterInnen politischer Parteien sie repräsentieren.

Das zweite Mittel, um eine Anpassung unserer Bewegung an den Kapitalismus zu verhindern, besteht darin, von diesen Parteien den Bruch aller Allianzen mit kapitalistischen PolitikerInnen zu fordern. Ein konsequenter Kampf gegen den Kapitalismus erfordert, dass die Parteien klarstellen, dass sie in keiner Koalition mit den Kapitalisten oder in ihrem Interesse regieren werden, sondern für den Sturz des Kapitalismus kämpfen.

Auf diese Weise können wir das ESF (und auch das Weltsozialforum) nicht nur zu einem demokratischen Forum zur Koordination unserer Aktionen vereinen - sondern auch zu einer neuen Weltpartei, zu einer Fünften Internationale, die für den Sturz der Herrschaft des globalen Kapitalismus und für die Herrschaft der Arbeiterklasse, der großen Mehrheit auf der ganzen Welt kämpft.

 

Nach dem 15. Februar 2003: Für einen europäischen Generalstreik gegen die neoliberalen Angriffe!

Resolutionsentwurf der Liga für die 5. Internationale

Die Regierungen und zentralen Institutionen der EU haben eine konzertierte Offensive gegen soziale und öffentliche Dienstleistungen, auf Arbeitsplätze und Renten gestartet. Diese wird von den Interessen des globalen Kapitals, der großen Industrie, Finanz- und Handelsunternehmen diktiert. Sie fordern, dass der öffentliche Verkehr, das Gesundheitswesen, die Sozialversicherung, die Renten und das Bildungssystem privatisiert und den "Gesetzen des Marktes" untergeordnet werden.

Wir, die ProduzentInnen und KonsumentInnen dieser Sozialleistungen und öffentlichen Dienste lehnen diese Logik vollständig ab, welche die Bedürfnisse der Mehrheit zugunsten der Profite einer Minderheit ignoriert. Diese Logik führt nur zu noch größerer Ausbeutung, Arbeitslosigkeit, Ungleichheit und Unsicherheit. Wir sagen daher: Genug ist genug!

In diesem Jahr haben viele, ArbeiterInnen und Jugendliche, mit Massendemonstrationen und Streiks gegen diese Angriffe protestiert. Wir müssen das fortsetzen und die Aktionen ausweiten. Die ArbeiterInnen, die sozialen Bewegungen in ganz Europa müssen dafür mobilisieren.

"Tous ensemble!" (Alle gemeinsam!)

Wir erklären der Politik der Privatisierung, Sparmaßnahmen und Kürzungen den Krieg! Wir mobilisieren, um unsere sozialen Errungenschaften zu verteidigen und zu verbessern. Wenn der Kapitalismus ein menschenwürdiges Leben für alle nicht gewährleisten kann - dann können wir uns den Kapitalismus nicht länger leisten. Die riesigen Anti-Kriegsdemos am 15. Februar 2003 und die internationalen Mobilisierungen gegen die Renten"reform" im Juni und Juli beweisen, dass wir eine solche Bewegung aufbauen können. Dazu brauchen wir vor allem Einheit in der Aktion.

Die Versammlung der Europäischen Sozialen Bewegung ruft daher zu einem europäischen Aktionstag auf und fordert die sofortige Beendigung all dieser Angriffe. Diese Aktion sollte einen Generalstreik und Massendemonstrationen einschließen. Sie sollte an einem Arbeitstag stattfinden, der von den RepräsentInnen der sozialen Bewegungen in Paris festgelegt wird, spätestens aber bis zum nächsten EU-Gipfel im Juni durchgeführt werden soll.

Wir rufen dazu auf, in jeder Stadt Sozialforen zu bilden: zur Mobilisierung für diesen Aktionstag und zur Fortführung dieser Kampagne bis zum Sieg! Diese Foren sollen VertreterInnen der Gewerkschaften, der Erwerbslosenorganisationen, der Kleinbauern, der ImmigrantInnen, der Frauen, der SchülerInnen und Studierenden, antiimperialistischer Kampagnen und der Anti-Kriegsbewegung sowie jener politischen Parteien einschließen, die gegen den Neoliberalismus kämpfen.

Diese Sozialforen sollten zur gleichen Zeit die Solidarität mit allen Kämpfen und Kampagnen gegen neue Kriege fördern, Kampagnen gegen die Besatzung Afghanistans, des Irak und Palästinas initiieren oder unterstützen sowie alle Aktionen gegen die Ausplünderung der "Dritten Welt".

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Nr. 84, Oktober 2003

*  Demo am 1. November: Heißer Herbst für Schröder!
*  Gewerkschaften: Kampf oder Friedenspflicht?
*  Heile Welt
*  München: Braune Terroristen, blinder Staat
*  Brasilien: Lulas Weg nach Rechts
*  Volksfront in Brasilien: Vierte Internationale regiert mit
*  30. Jahrestag des Pinochet-Putsches: Vom Traum zum Trauma
*  Palästina: Verteidigt die Intifada-AktivistInnen!
*  27. September: Aktionstag ohne Action
*  Die SAV und der Antikapitalismus: Global daneben
*  WTO-Gipfel in Cancún: No pasarán!
*  Europäisches Sozialforum: Auf nach Paris!