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Corbyns zweiter Wahlsieg

Ergebnisse und Perspektiven

Dave Stockton, Neue Internationale 214, November 2016

Zum zweiten Mal innerhalb eines Jahres hat Jeremy Corbyn die Wahl zum Vorsitzenden der Labour Party mit einem Erdrutschsieg gewonnen. Sein Stimmenanteil wuchs sogar von 59,2 auf 61,8%, das macht 313.209 Wahlberechtigte. Sein Erfolg war die Krönung eines durchschlagenden Ergebnisses der linken KandidatInnen, die alle 6 Plätze für die Bezirksvertretungen im Nationalen Exekutivkomitee der Partei eroberten, und verschaffte dem linken Flügel eine knappe Mehrheit.

Der Ausgang der Wahl zum Vorsitzenden, der am 28. September verkündet wurde, am Tag vor der Labour-Jahreskonferenz in Liverpool, unterstrich den Rückhalt, den Corbyn in allen drei von Labours Stimmenabteilungen genießt, unter Einzelmitgliedern, eingetragenen SympathisantInnen und angeschlossenen AnhängerInnen. Als weiterer Gewinn kann der Eintritt von 15000 Neumitgliedern 24 Stunden nach Bekanntgabe von Corbyns Sieg verbucht werden.

Linke Mitglieder - rechter Apparat

Die Konferenz hingegen spiegelte keineswegs die Ansichten jener Mitglieder wider. Im Gegenteil, sie enthüllte den fortgesetzten Kontrollgriff des rechten Flügels der Partei. Tom Watson, stellvertretender Parteivorsitzender und Anführer der Anti-Corbyn-Fraktion, schlug in letzter Minute eine Regeländerung vor, wonach die schottische und walisische Labour Party jeweils ein Führungsmitglied mehr ernennen durfte. Da beide Parteien immer noch vom rechten Flügel dominiert werden, bedeutete das zwei zusätzliche rechte Entscheidungsbefugte und missachtet praktisch den Wahlausgang für das Nationale Exekutivkomitee. Der Antrag wurde von einer ausreichenden Mehrheit durchgebracht. Wie konnte das geschehen?

Die Abgeordneten für die Konferenz wurden von ihren Ortsgruppen spätestens ein halbes Jahr im Voraus gewählt und mussten zu dem Zeitpunkt bereits mindestens ein Jahr Mitgliedschaft nachweisen. Neue Mitglieder, die in die Partei seit Juni 2015 geströmt waren, wurden folglich nicht berücksichtigt und vertreten. Ferner votierten die meisten Gewerkschaftsdelegationen für den rechten Antrag ohne Rücksprache mit den Mitgliedern jener Gewerkschaften, die klar für Corbyn in der Vorstandswahl gestimmt hatten. Selbst Unite, die verlässlichste unter den für Corbyn eintretenden Großgewerkschaften, enthielt sich der Stimme.

Die andauernde Macht der Rechten zeigte sich auch in der undemokratischen Geschäftsordnung der Konferenz. Sie garantierte, dass Anträge von Ortsgruppen nicht behandelt wurden, die eine Untersuchung der verbreiteten Praxis der Aussetzung des Stimmrechts während der Urabstimmung forderten. Das wiederum bedeutet, dass Watson und der Generalsekretär der Partei, Iain McNicol, nicht ernsthaft daran gehindert werden, auch weiterhin die Rechte lokaler Gliederungen und von Einzelmitgliedern auszusetzen.

Allgemeiner noch wurden strittige Anträge und politische Entschließungen von der Tagesordnung genommen. Damit war klar, dass es auf der Konferenz praktisch keine Debatten über Kernelemente des aktuellen politischen Kurses wie die Erneuerung des Trident-Kernwaffensystems, die Wiederwahl von Parlamentsabgeordneten oder den Sozialkürzungskurs von Labour-Verwaltungen gab.

In seiner Antrittsrede betonte Jeremy Corbyn die Bedeutung der Ablehnung von Kürzungsprogrammen und versprach u. a. den Bau von gemeindeeigenen Wohnungen, ein landesweites Bildungssystem und die Demokratisierung der Partei. Weil u. a. rechte Delegierte die Schlusssitzung boykottierten, darunter auch die gesamte Delegation der Gewerkschaft der städtischen Verwaltungsangestellten GMB, dominierten Corbyns AnhängerInnen in der ZuhörerInnenschaft und spendeten ihm stehende Ovationen. Die Fernsehkameras waren indessen auf das versteinerte Gesicht des rechten Parlamentsabgeordneten und Londoner Bürgermeisters Sadiq Khan gerichtet.

Bedeutung

Daraus ergibt sich die klare Schlussfolgerung: Die Doppelmachtsituation in der Partei zwischen Mitgliedern, die in überwältigender Mehrheit Corbyn zuneigen und den Parlamentsabgeordneten, Stadträten und Funktionären, die überwiegend gegen ihn sind, wird anhalten. Trotz aller Appelle für die Einheit scheint es fast sicher, dass die Rechten nicht davon ablassen werden bei dem Versuch, Corbyns Position zu untergraben. Dabei werden sie ihren bürokratischen Würgegriff nutzen, um seine AnhängerInnen an der Basis zu bekämpfen.

Es wäre pure Heuchelei oder Selbsttäuschung für die Linke zu glauben, dass ihr irgendetwas anderes als ein hartes Ringen übrig bleibt, um die Parteiorgane im kommenden Jahr kontrollieren zu können. Das ist jedoch nur die eine Seite. Der Sieg der Rechten auf der Konferenz war im Wesentlichen ein Rückzugsgefecht. Angesichts der Deutlichkeit von Corbyns Erfolg wäre die Niederlage der Rechten noch weit demütigender ausgefallen, wenn die 130000 neuen Mitglieder hätten abstimmen dürfen. Aber im nächsten Jahr können sie das.

Ebenso werden die Tausend, deren Mitgliedschaft aus kleinkarierten Gründen ausgesetzt wurde, weil nach Umzügen ihre neue Anschriften nicht registriert worden waren, kaum vergessen, wie bürokratisch sie behandelt wurden. Der gewaltige Mitgliederzuwachs hat auch ein langwieriges Problem für Labour, die Geldknappheit, gelöst. Selbst Generalsekretär McNicol hat eingeräumt, dass sich die Partei nun in der stärksten finanziellen Position „seit Generationen“ befindet.

All dies ist sicher Corbyns Charakterstärke zu verdanken, mit der er einer nie da gewesenen Woge von Schmähung und Treuebruch seitens der Parlamentsabgeordneten und Funktionäre widerstand, aber es ist auch ein Sieg der massenhaften Bewegung von freiwilligen HelferInnen, die im Sommer unermüdlich gearbeitet haben, um das alte Parteiregiment daran zu hindern, die „Corbyn-Revolution“ zu kippen.

Das Problem für die Labour-Rechte besteht darin, dass die Masse der Mitgliedschaft ihre Sabotage, die sie seit Corbyns Wahl verübt hat, gründlich satt hat. Sie ist besonders erbost darüber, dass ihre Feindschaft gegen Corbyn sie sogar die Tories verschonen ließ, als diese nach dem Brexit-Referendum zerstritten und am Taumeln waren.

Der rechte Flügel bleibt mit all der Politik verbunden, die die Parteimitglieder ablehnen wollen. Ihre Botschaft ist jene von Tony Blair: Um die Macht zu erringen müsse Labour WählerInnen der Tories und Liberaldemokraten gewinnen, indem die Partei deren Politik übernimmt. Zugleich müsse sie der rassistischen Agitation der Boulevardpresse gegen die Einwanderung nachgeben. Sie übersehen jedoch den unangenehmen kleinen Umstand, dass Gordon Brown und Ed Miliband dies 2010 und 2015 versucht haben und dabei gescheitert sind. Auch deswegen regiert nun Theresa May.

Von noch grundlegenderer Bedeutung ist, dass die Rechte den bloßen Gedanken an eine Partei verabscheut, die nicht nur in Wahlkampagnen, sondern auch in der Mobilisierung von militantem Widerstand gegen die Tories in den Betrieben, Gemeinden und auf den Straßen tätig ist. Sie hassen den Gedanken einer Partei des Klassenkampfs.

Sie verhöhnen Klassenkampf als bloßen „Protest“ und stellen dem ihre „realistische'“ Strategie einer „Partei der Macht“ gegenüber. Sie vergessen dabei, dass wir nur durch Aufbau von massenhaftem Widerstand gegen jegliche reaktionäre Aktion der Konservativen deren wahre Ziele entlarven und immer weitere Kreise der ArbeiterInnenklasse und der Mittelschichten anziehen können.

Sie vergessen dabei, dass nur solche Massenproteste Margaret Thatchers Kopfsteuer verhindert und die härteste Führerin der Tories seit langem zu Fall gebracht haben, nachdem alle feinen Parlamentsreden von Labourabgeordneten zu nichts geführt hatten. Sie fürchten eine Situation wie die Pest, in der die Mitglieder die Parteipolitik bestimmen und die Parlamentsabgeordneten und Gemeinderäte gezwungen sind, sie durchzuführen. Vor allem jedoch ist ihnen die Idee zuwider, dass die Partei offen und stolz verkünden soll, was ihr Name aussagt, nämlich die Partei der Arbeit zu sein, genauer gesagt: die Partei der ArbeiterInnenklasse.

Die Rechte schlägt zurück

Ermutigt durch die Kontrolle des rechten Flügels auf der Konferenz machte Tom Watson deutlich, auf welcher Seite seine Sympathien liegen: „In der Vergangenheit wurden die Großunternehmen allzu leichtfertig als Räuber hingestellt. Wir wollten damit sagen, dass wir gegen die missbräuchliche Macht von Konzernen auftreten wollten, was die Tories niemals tun werden. Aber wir klangen am Ende so, als wären wir gegen die Wirtschaft, gegen Wachstum, gegen Leistung. Das sind wir jedoch nicht und waren es auch nie. Kapitalismus, GenossInnen, ist nicht der Feind. Geld ist nicht das Problem. Das Geschäftswesen ist nicht böse. Die wirkliche Welt ist komplizierter als das, wie Euch jede/r GewerkschafterIn aus der Praxis sagen kann. Die Wirtschaft ist, wo Menschen arbeiten. Die Privatwirtschaft erwirtschaftet das Geld, mit dem unsere Schulen und Krankenhäuser bezahlt werden.“

Als wenn dies nicht genug gewesen wäre, um die Entschlossenheit des rechten Flügels zu dokumentieren, sich gegen jeden Wandel in der Partei zu wenden, fuhr er fort, das Vermächtnis Tony Blairs zu preisen: „Ich weiß nicht, warum wir uns daran festbeißen, was an Blairs und Browns Regierungen in ihren letzten 6 Jahren falsch war, denn unsere eigene Vergangenheit schlecht zu machen, ist nicht der Weg, unser Markenzeichen aufzuwerten. Wir werden auf die Weise keine Wahlen gewinnen, wir müssen aber Wahlen gewinnen.“ Selbstredend waren die Rechten sehr erfreut über diese Rede und brachten ihm wiederholt stehende Ovationen dar.

Was die Hauptanliegen der Politik in der Partei wären, sollten die Rechten die Wahlkampagne kontrollieren, wurde sehr klar durch die Aussagen mehrerer HauptrednerInnen. Chuka Umunna, der frühere Wirtschaftsminister für das Schattenkabinett, betonte: „...die Wichtigkeit, uns als patriotisch wie jedermann darzustellen. Und deswegen sollten wir Dinge wie unsere Nationalhymne, Unterstützung für die Streitkräfte und all diese Sachen niemals ausschließlich den Konservativen überlassen.“

Noch gefährlicher waren die Forderungen nach Einwanderungskontrollen und die Kritik an ethnischen Minderheiten. Andy Burnham, der scheidende Innenminister im Schattenkabinett, sagte deutlich, wenn von “Wandel“ bei der Einwanderungskontrolle die Rede sei, wäre damit „die Beendigung der Bewegungsfreiheit von Arbeitskräften“ gemeint. Dies bleibt eine der Kernforderungen des gesamten rechten Flügels der britischen Politik und war die zentrale Aussage der Brexit-Kampagne.

Nicht vergessen werden soll auch Chuka Umunna, der auf das Thema der „blauen“ Labour-Fraktion zurückkam (blau ist die Farbe der konservativen Tories!), dass die Partei in der Frage der Einwanderung hart bleiben solle. Auf einer Veranstaltung der Fabier-Gesellschaft am Rande der Konferenz in Liverpool trat er dafür ein, dass die ImmigrantInnen gezwungen werden sollten aufzuhören, „Parallelleben“ zu führen, und „nicht in die Gemeinschaft integriert zu sein, ist keine Option. Es sollte erwartet werden, dass Ihr Teil der Gemeinschaft werdet.“

Völlig zu Recht nahm Jeremy Corbyn diese reaktionären Ideen in seiner Antrittsrede am Schluss der Konferenz aufs Korn: „Nicht die MigrantInnen senken die Löhne, sondern die ausbeuterischen Arbeit,geber' und Politiker deregulieren den Arbeitsmarkt und machen Gewerkschaftsrechte zunichte. Nicht die MigrantInnen belasten unser Gesundheitswesen, es besteht nur deshalb fort, weil die eingewanderten KrankenpflegerInnen und ÄrztInnen die Lücken gefüllt haben, die die Politiker gerissen haben durch ihre mangelnde Investition in Ausbildung auf dem Gebiet.“

In Wirklichkeit werden sich diejenigen, die mit Patriotismus, englischem Nationalismus und Einwanderungsstopp hantieren, daran die Finger verbrennen - und zwar gründlich. Diese Ideen spalten die ArbeiterInnenklasse und erleichtern den Bossen und der Tory-Regierung, ihre Kürzungsprogramme, Privatisierungen und Steuervergünstigungen für die Reichen durchzusetzen. Das ist die Politik, die ganze Landstriche verarmen und arbeitslos ließ und den Aufstieg der rechtspopulistischen UKIP-Partei beflügelte. Als Wahlstrategie sind diese Zugeständnisse katastrophal und prinzipienlos. Sie befördern nicht nur den Rassismus in den eigenen Reihen, sie führen unweigerlich auch dazu, dass die WählerInnen gleich das rechte Orginal statt der Labour-Kopie wählen.

Blick nach vorn

Sofort nach seiner Wiederwahl äußerte Jeremy Corbyn gegenüber der BBC: „Ich wünsche eine offenere Partei, und wir müssen auf Demokratie und Teilhabe von Mitgliedern an allen Aspekten der Entscheidungsfindung achten. Es gibt einen gewaltigen ungestillten Durst nach Wandel in der Bevölkerung. Ich wünsche mir mehr Macht für die Mitglieder, mehr Macht für die AnhängerInnen, so dass wir eine Politik mit Rückhalt in der gesamten Partei haben.“

Das ist eine gute Zusammenfassung dessen, was notwendig ist in der Labour Party trotz Corbyns Sieg. Der einzige Weg, jenen Wandel herbeizuführen, ist nicht nur der weitere Zuwachs von Mitgliedern, sondern auch die Gewährleistung ihrer aktiven Teilnahme an den Kampagnen für die politischen Grundlagen, auf denen Corbyn gewählt worden ist. Eine politisch wache und bewusste Massenmitgliedschaft ist eine Kraft, mit der es die Rechten nicht aufnehmen können.

Wenn es den Rechten dennoch irgendwie gelingen sollte, Corbyn zu stürzen, wäre dies natürlich ein Rückschlag für die gesamte ArbeiterInnenbewegung. Andererseits ist eine Figur wie Corbyn auch von links nicht unantastbar. Sein Kompromisskurs mit den Rechten und die Beschwörung der Einheit der Partei sind auch ein Hindernis für eine Weiterentwicklung. Sollte sich nämlich der rechte Flügel abspalten, so würde dies den Wandel zu einer klassenkämpferischeren Organisation zwar begünstigen, dem Charakter nach wäre die Labour Party aber immer noch eine reformistische Partei, wenn auch mit zentristischer Färbung - wie die SFIO in Frankreich Mitte der 1930er Jahre nach der Abspaltung ihres rechten Flügels, der NeosozialistInnen.

Ohne einen entschiedenen politischen und organisatorischen Bruch mit den Rechten ist eine „Transformation“ der Partei unmöglich. Dies würde jedoch nicht nur eine strukturelle Veränderung, sondern v. a. einen vollständigen Bruch mit dem rechten Apparat und eine starke revolutionär-kommunistische Strömung erfordern, die nicht nur die Rechte entschieden bekämpft, sondern auch eine Alternative zum Links-Reformismus eines Corbyn bietet.

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Nr. 214, November 2016

*  Antirassismus: Stellt Euch vor, der Rassismus bereitet sich auf und die Linke verdrückt sich ...
*  Interview: Afghanistan ist nicht sicher!
*  Rassistische Abkommen: Abschiebungen haben System
*  Rot-Rot-Grün: Alternative für nächste Bundesregierung?
*  Solidarität mit Antifaschisten: Gefangene unserer Freund und Genossen Pat
*  Houellebeq: Geister Brandstifter für das Bildungsbürgertum
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*  Kaschmir: Indien und Pakistan mobilisieren
*  CETA: Mutiges Nein in Wallonien?
*  USA: Endspurt im Wahlkampf
*  Corbyns zweiter Wahlsieg: Ergebnisse und Perspektiven
*  Brasilien nach dem Putsch: Regionalwahlen und neue Klassenkämpfe