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VW-Krise

Wer wischt den Schmutz weg?

Lars Keller, Neue Internationale 209, Mai 2016

Der Abgasskandal hat sich mittlerweile auf große Teile der gesamten Autobranche ausgeweitet. Nicht nur die deutschen Autobauer - Hauptträger des Exportkapitals - sind betroffen. Auch andere wie Peugot (Frankreich) und Mitsubishi (Japan) haben bei der Angabe von Abgas- und Verbrauchswerten getrickst. In Deutschland gehören nun auch Daimler und Opel zu den Angeklagten. Als Teil des VW-Konzerns sind zudem Audi und Porsche beschuldigt, ebenso die spanische Tochter Seat und die tschechische Tochter Skoda. Es ist zu erwarten dass noch mehr Fahrzeuge betroffen sein werden. Tausende Autos werden nun zurückgerufen und nachgebessert, die Politik sucht Verantwortliche, die Aktienwerte der Konzerne schmieren ab.

VW machte 2015 den größten Verlust der Firmengeschichte mit einem Minus von 1,6 Mrd. Euro, nachdem man 2014 noch 11 Milliarden Gewinn gemacht hatte. Der Verlust hindert den Vorstand freilich nicht daran, sich weiter die Taschen zu füllen. Lediglich 30 Prozent Boniauszahlung sollen „zurückgehalten“ werden. Das bedeutet: Eine Auszahlung der Boni folgt, wenn sich die Kurse von VW erholt haben. Abgesehen davon werden selbst die 30 % weniger Boni den Bossen nicht im geringsten wehtun.

Von Tricksen und Betrügen

Die Reichweite des Abgasskandals legt die grundlegenden Gesetze des Kapitalismus und seiner Konkurrenz frei. Laut einem VW-Techniker war im Oktober bekannt geworden, dass die Grenzwerte für Stickoxide durchaus technisch einhaltbar wären mit einer Harnstoffzugabe - diese ist aber zu teuer.

Die Autohersteller erkennen den grünen Trend der Zeit und werben mit immer weniger Verbrauch und sauberen Abgasen - nicht zuletzt VW drang mit dieser Methode in den US-Markt ein, auf welchem dann der Betrug aufflog. Gleichzeitig drängen die Lobbyisten der Branche die Politik dazu, in die vermeintlich „grünen Gesetze“ möglichst viele und großzügige Schlupflöcher einzubauen, damit  die vorgegebenen Abgasgrenzwerte umgangen werden können. Das legt auch offen zu Tage, wie gut die Konzernspitzen und der kapitalistische Staat Hand in Hand gehen. Schließlich gilt es einer internationalen Konkurrenz standzuhalten.

Umweltschutz steht in einem unversöhnlichen Widerspruch zum Profitzwang des Kapitalismus. „Grüne“ technische Lösungen sind möglich, aber zu teuer. Während mit Umweltschutz geworben wird, sucht man nach Tricks, um selbigen zu umgehen. Die Trickserei geht freilich hauptsächlich zu Lasten der arbeitenden Klasse, die die manipulierten Produkte kauft.

Im Übrigen trifft diese Art des Betrugs nicht nur die Autobranche, sondern letztlich die gesamte Produktion. Solange es den Profit ausweitet, werden in Maschinen gezielt Sollbruchstellen verbaut, wird Software so programmiert, dass sie nach einer bestimmten Laufzeit fehlerhaft wird, und die miserable Qualität vieler Lebensmittel wird schon allein an der zunehmenden Fettleibigkeit in den ärmeren Teilen der Gesellschaft sichtbar.

Wer zahlt?

Die Bosse der Branche sind schon jetzt gewillt, die ArbeiterInnen für ihren Verlust zahlen zu lassen. Bei VW werden bereits Überlegungen angestellt, wie vielen LeiharbeiterInnen die Axt ans Bein gelegt wird. Die IG Metall-Bürokratie, die durch ihren Ex-Vorsitzenden Berthold Huber selbst knietief mit im Skandal steckt, wird das gewiss mittragen - Hauptsache, die Stammbelegschaft ist gesichert. Zur Debatte stehen laut HZA bis zu 10000 Jobs.

Zudem schrieben wir bereits in der NI 204 vom vergangenen November: „Der ‚VW-Skandal' ist nur Ausdruck verschärfter Konkurrenz in einer der monopolisiertesten Branchen des Kapitalismus. Um die immer weniger verbliebenen anderen Anbieter aus dem Feld zu schlagen, müssen die Kosten drastisch gesenkt werden durch immer neue ‚Produktivitätsprogramme'. Die Beschäftigten spüren das durch mehr und mehr Arbeitsintensität und Rationalisierung und enormen Druck, der durch ein ganzes System von Zulieferfirmen, durch Leiharbeit usw. noch verschärft und ‚abgestuft' wird. Zum anderen wird natürlich betrogen und gespart. Dass sich in den letzten Jahren die Rückholaktionen häufen, ist auch so ein Resultat verschärfter Konkurrenz und enormer Überkapazitäten."

Wie und wofür kämpfen?

Gegen die Bestrebungen, die ArbeiterInnen für die Krise zahlen zu lassen, brauchen wir eine kämpferische Basisbewegung in der IG Metall. Es braucht die Solidarität mit LeiharbeiterInnen und nicht mit dem Konzern. Im Ernstfall von Entlassungen braucht es klassenkämpferische Maßnahmen wie Streiks anstatt Gerede, dass bei VW alle eine Familie seien. Es braucht Vollversammlungen, auf denen das klar gemacht wird und auf denen konkrete Aktionen beschlossen werden. Das trifft nicht nur auf VW, sondern sämtliche Autohersteller und Zulieferer zu. Angesichts dessen liegt die Organisierung aller Beschäftigten entlang der Wertschöpfungskette auf der Hand. Das ist auch ein notwendiger Schritt, wenn es darum geht, die von der IG Metall-Bürokratie ausverkauften LeiharbeiterInnen zu reorganisieren.

Auch die Aufklärung des Skandals muss in den Händen der ArbeiterInnen liegen. Schließlich war es das Kraftfahrtbundesamt, dass die Falschwerte durchgehen ließ, schließlich marschieren bei Verkehrsminister Dobrint täglich die Lobbyisten der Branche ein und aus.

Doch hinter der Krise steht noch mehr als die Untersuchung der Frage, wer den Dreck wegwischt und zum stellvertretenden Sündenbock für die gesamte Branche wird. Der Skandal wird sich in anderer Form wiederholen, solange die gesellschaftliche Produktion nach Profiten und nicht nach den Bedürfnissen der Menschen ausgerichtet ist. Damit stellt sich direkt die Frage, wer die Produktion kontrolliert und entscheidet, was hergestellt wird. Die Profiteure, Vorstände und BürokratInnen oder die arbeitende Bevölkerung?

Hier wird die politische Dimension klar: Deswegen ist das ganze nicht nur eine Frage des gewerkschaftlichen Kampfes gegen eventuelle Entlassungen, sondern auch eine des politischen - um die Reorganisation der gesamten Volkswirtschaft! Es braucht eine Bewegung, die nicht nur die ArbeiterInnen der Autoindustrie umfasst, sondern auch die des Transportsektors insgesamt. Die Überproduktion treibt die Sinnlosigkeit des Individualverkehrs auf die Spitze, seine Umweltschädlichkeit und Ressourcenverschwendung.

Deswegen stellen wir folgendes Forderungspaket auf:

Keine Entlassungen! Lasst die Bosse für ihre Krise zahlen!

Entschädigungslose Verstaatlichung der Automobilindustrie unter ArbeiterInnenkontrolle - überall!

Testen und Prüfen von Verbrauch, Abgas, Sicherheit usw. durch rechenschaftspflichtige, wähl - und abwählbare Kontrollkommissionen aus IngenieurInnen, ArbeiterInnen und KonsumentInnen!

Offenlegung der Geschäftsbücher der Autoindustrie! Einsicht in alle Testprotokolle, technische Daten und Zeichnungen der Fahrzeuge und ihrer Entwicklung! Untersuchung des Skandals durch wähl - und abwählbare Untersuchungsausschüsse!

Für eine hohe Besteuerung von Spritfressern!

Für eine gesellschaftliche Planung des Verkehrs- und Transportwesens durch Planungskomitees aus ArbeiterInnen, Reisenden und KonsumentInnen! Weg vom Individualverkehr!

Für einen kostenlosen ÖPNV und Berufsverkehr!

Bezahlen wir das Ganze durch die, die sich durch Tricksen und Betrügen bereichert haben!

Angesichts der verkrusteten bürokratischen Strukturen in den Gewerkschaften ist es klar, dass eine solche Bewegung schwer aufzubauen ist - sie ist aber notwendig.

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Nr. 209, Mai 2016
*  Erster Mai: Klassenkampf. Befreiung. Revolution
*  Drohende Entlassungen: Schatten der kommenden Krise
*  VW-Krise: Wer wischt den Schmutz weg?
*  GewerkschafterInnenaufruf: Für eine anti-rassistische Kampagne in den Betrieben
*  Jugend gegen Rassismus: Wie weiter nach dem Aktionstag?
*  Schulstreik: Wie geht's weiter an deiner Schule?
*  China vor 50 Jahren: Die sogenannte "Kulturrevolution"
*  Britannien: Großdemos gegen Tory-Politik
*  Kampf gegen Frauenunterdrückung: Abtreibungsverbot in Polen
*  Brasilien: Wir haben eine Schlacht verloren, aber nicht den Krieg - der Kampf geht weiter!
*  Präsidentschaftswahlen in Österreich: Politisches Erdbeben mit Ansage