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Bernie Sanders

Die “politische Revolution” geht weiter - aber eine Revolution braucht eine Partei

Tobi Hansen, Neue International 208, April 2016

Die Tatsache, dass es bei den Demokraten tatsächlich ein „Rennen“, einen wirklichen Wahlkampf um die Präsidentschaftskandidatur gibt, dürfte beide, Senatorin Clinton und Senator Sanders, gleichermaßen überrascht haben. Bislang hat Sanders (Stand 27.3.) 14 Bundesstaaten für sich entscheiden können. Seine Slogans „Feel the Bern“ und „The political Revolution goes on“ begeistern viele zehntausende WählerInnen. Dies führt auch dazu, dass Senator Sanders rein rhetorisch immer mehr nach links rückt.

Am Anfang seines Wahlkampfes erklärte er seinen „Sozialismus“ am Vorbild der skandinavischen und anderer europäischer Staaten. Die Sozial- und Krankenversicherungssysteme dieser Länder galten als Inbegriff seines “Sozialismus”. Zwar drückt dies weiterhin seine reformistische und keynesianische Grundhaltung aus, Sanders will eine Neuauflage der Roosevelt-Politik aus den 30iger Jahren, eine staatlich organisierte Umverteilung per Steuern, erreichen. Allerdings hat seine Kampagne inzwischen Züge einer Bewegung angenommen. Sanders agitiert offen gegen die Freihandelsabkommen NAFTA, TTIP, TTP, die Wall Street und die Milliardäre und gibt freimütig zu, dass ein US-Präsident an diesem System nichts ändern kann, dafür bräuchte es eine Bewegung der Millionen - wie auch ein Slogan der Kampagne „this is your movement“ ausdrücken soll. Natürlich scheut Sanders weiterhin jegliche Aussage, die seinen „Sozialismus“ als eine soziale Revolution dastehen lassen könnte: Weder die Enteignung der Konzerne noch die Verstaatlichung der Wall Street finden wir in seinem Programm, wie im Artikel vom Dezember beschrieben (http://fifthinternational.org/content/us-primaries-bernie-sanders-president).

Inzwischen betreibt Sanders einen linken reformerischen Populismus, womit das Clinton-Lager sicherlich nicht gerechnet hat, weil dadurch tatsächlich ein Wahlkampf zustande kommt. Besonders der Sieg in Michigan, einem ehemaligen Industriestaat, der u.a. durch die Filme von Michael Moore auch dem deutschen Publikum bekannt sein könnte, war eine herbe Niederlage für die Favoritin Clinton. Hier konnte Sanders die ArbeiterInnenklasse, welche seit Jahrzehnten in Michigan mit Arbeitslosigkeit und Sozialkürzungen konfrontiert ist, zur Wahlurne bringen und ähnlich wie auf der Gegenseite Donald Trump viele ehemalige NichtwählerInnen mobilisieren. Michigan gehört zu den sog. „Swing States“, also zu den Staaten, wo es wechselnde Wahlerfolge bei den Präsidentschaftswahlen gibt und welche auch 2016 darüber entscheiden könnten, wer die Wahlen gewinnt.

Dementsprechend reagiert das Clinton-Lager geschockt, da es sogar die eigenen Vorwahlen in einem „Swing State“ verlor. Senatorin Clinton hat sich inzwischen als gute Christin und Retterin der Nächstenliebe in diesem Wahlkampf neu entdeckt. Ihre Rhetorik gleicht inzwischen mehr einem Martin Luther King als der Ex-US-Außenministerin, die munter die Interessen des US-Imperialismus durchsetzte.

Am Sieg von Clinton bei den Demokraten, welche fast alle Stimmen der sog. „Superdelegierten“ (von an das Vorwahlvotum nicht gebundenen Delegierten aus dem Partei- und Funktionärsapparat) gewinnen dürfte, wird das voraussichtlich nicht viel ändern. Allerdings geht Clinton durch die überraschend häufigen Siege von Sanders geschwächt und nicht gestärkt aus diesem Vorwahlkampf heraus, ganz im Gegensatz zu Trump, dem möglichen Kandidaten der Republikaner.

Was machen die US-Linke und die ArbeiterInnenbewegung?

Wir wollen hier die beiden größeren zentristischen Organisationen betrachten, die Socialist Alternative (Schwestersektion der SAV/CWI-KAI) und die International Socialist Organization (ISO - sympathisierende Schwester von Marx 21), aber auch die Haltung der US-Gewerkschaftsverbände AFL-CIO und SEIU.

Beide zentristischen Organisationen stellen fest, dass durch die Wahlkampagne von Sanders viele ArbeiterInnen mobilisiert werden und jetzt viel eher über Sozialismus und Klassenkampf gesprochen werden kann als sonst üblich in den USA.

Die ISO analysiert richtig den Fehler von Sanders, für die Demokraten zu kandidieren und dass dies in die Sackgasse für die ArbeiterInnen und Linken führen muss, wie schon so oft in der Geschichte. In einem Interview in der Jungen Welt gibt die Genossin Elizabeth Schulte von der ISO-Zeitung Socialist Worker folgendes Statement:

„Sanders verspricht, die Demokratische Partei zu verändern, und darauf hoffen viele seiner Anhänger. Die Erfahrung zeigt jedoch: Die Demokratische Partei verändert die Aktivisten, nicht umgekehrt. Diese Partei bekommt immer die Stimmen der Arbeiter und Unterdrückten, besonders von der Bürgerrechtsbewegung und den Gewerkschaften, aber gibt ihnen sehr wenig zurück.“ (http://www.jungewelt.de/2016/03-05/038.php?sstr=Bernie|Sanders)

Damit wird sicherlich eine der Kardinalfragen des US-Klassenkampfes angerissen: die Bindung der Gewerkschaften an die Demokraten und die damit einhergehende politische Abhängigkeit der organisierten ArbeiterInnenklasse von einer offen bürgerlichen Partei. So verzichtet die ISO richtigerweise auf eine offene Unterstützung für Sanders und stellt fest, dass diese Kampagne vor allem für den Aufbau einer sozialistischen Partei genutzt werden soll. Warum aber dafür auch eine Zusammenarbeit mit der Green Party nötig ist oder was die ISO für den Aufbau einer ArbeiterInnenpartei tut, ist schwieriger herauszufinden. Die ISO hat Posten in den Gewerkschaften, agiert oftmals als der linke Flügel der Bürokratie. Wie dort gegen die Abhängigkeit von den Demokraten gekämpft wird, erfahren wir leider nicht.

Die Socialist Alternative (SA) macht es sich etwas einfacher: Zwar wird eine unabhängige Kandidatur von Sanders gefordert, er soll mit den Demokraten brechen und am besten gleich mit dem Aufbau der „Partei der 99%“ beginnen. In der Zwischenzeit gibt es die Vorfeldstruktur „Movement4Bernie“, welche von der SA organisiert wird. Hier sollen die UnterstützerInnen von Sanders gesammelt werden und die Socialist Alternative zeigt dann mal, wie Sozialismus richtig funktioniert. Diese Kampagne ist eine alleinige Vorfeldstruktur, keine Einheitsfront für den Aufbau einer Partei oder Bruch der Gewerkschaften mit den Demokraten. Hier geht's allein darum, Teil einer Kampagne zu sein. Damit wird indirekt unkritisch ein Kandidat der demokratischen Partei unterstützt. Natürlich ist es richtig, Forderungen an Sanders zu stellen, ihn aufzufordern, mit der bürgerlichen Politik und deren Parteien zu brechen und eine ArbeiterInnenpartei aufzubauen. Bei der SA gerät dies jedoch zu einer politischen Unterstützung für den Kandidaten einer offen bürgerlichen Partei.

Hier ein Auszug der GenossInnen aus ihrer Kampagne:

„Seit ihrer Gründung Anfang Januar hat die Bewegung M4B überall in den USA Aktionen organisiert und zu Versammlungen eingeladen. Das reicht von Diskussionsrunden zwischen AnhängerInnen von Clinton und denen von Sanders an der ‚Northeastern University' in Boston über Strategiedebatten zur ‚politischen Revolution' von Sanders in Philadelphia bis hin zu Public Viewing - Abenden, an denen wir in verschiedenen Städten gemeinsam die Diskussionsrunden der Kandidaten der ‚Demokraten' verfolgt haben. All diese Veranstaltungen haben die M4B-Initiative in die Lage versetzt, mit einer Schicht von Sanders - AnhängerInnen, jungen Leuten, Gewerkschaftsmitgliedern, AktivistInnen, die sich an anderen Kämpfen beteiligt haben, und vielen Menschen, die sich allgemein zum ersten Mal mit linker Politik befassen, in Kontakt zu treten und sozialistische Politikansätze zu diskutieren.“ (https://www.sozialismus.info/2016/03/usa-wie-weiter-im-praesidentschaftswahlkampf/)

Gleichzeitig wird auf die Erfolge der Politik von Socialist Alternative hingewiesen: dass Kshama Sawant mit ihrem Wahlerfolg im Seattler Stadtrat und mit der Kampagne „15 $ now“ (Mindestlohnkampagne) das generell gestiegene Interesse am „Sozialismus“ zeigen kann und die „Partei der 99%“ am besten durch den unabhängigen Kandidaten Sanders aufgebaut werden sollte. Wenig finden wir darüber, ob die „Partei der 99%“ eine ArbeiterInnenpartei sein soll. Diesen Begriff schmähen auch die GenossInnen der ISO, obwohl deren Aufbau die Hauptaufgabe heutiger und künftiger Kämpfe in den USA sein muss. Wie dazu z.B. die AktivistInnen der Mindestlohnkampagne („Fight for 15 $“) der SEIU oder gegen Rassismus und Polizeigewalt („Black Lives Matter“) oder die noch vorhandenen Occupy-AktivistInnen zusammengebracht werden sollen, erwähnen die GenossInnen dann doch noch: Bernie Sanders soll eine bundesweite Konferenz einberufen und dann sehen wir weiter. Warum das nicht Aufgabe der SozialistInnen sein soll, erfahren wir wiederum nicht.

Risse in den Gewerkschaften

Bei der Socialist Alternative finden wir auch Interessantes über die politische Zuspitzung in den Gewerkschaften beim Vorwahlkampf der Demokraten:

In der Frage, welcher der Kandidaten bei den US-amerikanischen Vorwahlen unterstützt werden soll, stehen sich große Teile der Gewerkschaftsmitglieder auf der einen und die Führungen etlicher Einzelgewerkschaften auf der anderen Seite gegenüber. Knapp 100 örtliche und regionale Gewerkschaftsgliederungen sowie auf nationaler Ebene die „National Nurses Union“ (Pflegekräfte), die „American Postal Workers Union“ (Postbeschäftigte) wie auch die eine halbe Million Mitglieder zählende „Communication Workers of America“ haben zur Wahl von Bernie Sanders aufgerufen.

Während die Führung der SEIU (Dienstleistungsgewerkschaft) mit den LehrerInnengewerkschaften AFT und NEA konsequent das Clinton-Lager unterstützt, haben Einzelgewerkschaften mit dieser Disziplin gebrochen und offen für Sanders Wahlkampf gemacht wie auch der zweite große Gewerkschaftsverband AFL-CIO aufgrund der inneren Auseinandersetzungen sich zur „Neutralität“ verpflichtet hat.

Diese Lage müsste für eine sozialistische Linke die Möglichkeit geben, in dem Terrain der ArbeiterInnenbewegung, ihrer organisierten Avantgarde für den Bruch mit den Demokraten und für den Aufbau einer US-ArbeiterInnenpartei zu agitieren. Dabei können Forderungen von der Sanders-Kampagne aufgenommen werden, allerdings muss der Bruch mit der Demokratischen Partei das eigentliche politische Ziel dieser Kampagne bilden.

Dies stünde dann auch im Gegensatz zur Taktik, welche die SA z.B. bei der Mindestlohnkampagne gefahren hat. Dort wird jetzt auf die parlamentarische Durchsetzung des Mindestlohns in der öffentlichen Beschäftigung gesetzt, die „linken“ bzw. gewerkschaftlich orientierten DemokratInnen sollen den Mindestlohn lokal/regional durchsetzen. Eine Mobilisierung findet nicht mehr statt, stattdessen wird Vertrauen in die linke Bürokratie der US-Gewerkschaften und der Demokraten gesetzt, ein Kardinalfehler im US-Klassenkampf und nicht nur da.

Für eine revolutionäre Politik, für den Aufbau einer US-ArbeiterInnenpartei dürfen die organisierten AktivistInnen nicht auf die Initiative von Senator Sanders warten. Mehr als einen populistischen, reformerischen Wahlkampf wird dieser nicht führen, erst recht falls ihm das Clinton-Lager einen guten Posten anbietet. Andererseits wird es auch nicht reichen, Diskussionen am Rande der Kampagne zu führen und darauf hinzuweisen, dass eine sozialistische Partei nötig sei - diese beiden opportunistischen und sektiererischen taktischen Varianten können nichts am grundsätzlichen Dilemma ändern. Es braucht eine sozialistische Linke, die als Avantgarde leninistisch handelt, ein Programm für die US-ArbeiterInnenklasse vorlegt und eine Einheitsfront der Ausgebeuteten und Unterdrückten propagiert, welche sowohl die Verteidigung gegen Rechtspopulisten à la Trump organisiert, aber gleichzeitig die bürgerliche Hörigkeit der Gewerkschaften und vieler Bürgerrechtsgruppen bricht. Dazu braucht es den Aufruf für eine ArbeiterInnenpartei in den USA, das wäre das beste Angebot für alle Sanders-UnterstützerInnen, für alle, die sich durch Sanders wieder der Politik zuwenden.

Perspektive

Unmittelbar mag eine solche Politik in der Bewegung um Sanders auf viele Fragen, Vorbehalte, ja Ablehnung stoßen. Schließlich wurden diese Menschen von seiner Wahlkampagne in Bewegung gebracht. Aber zugleich gibt es auch eine Zeit nach den Vorwahlen. Sollte Sanders verlieren (was immer noch die wahrscheinlichere Variante darstellt), würde er seine WählerInnen wohl zur Wahl von Clinton aufrufen. Viele mögen - nachdem sie sich schon in die Vorwahl einer der beiden Parteien des US-Kapitals eingemischt haben - diesen Weg mitgehen, weil so das „größere Übel“ (Trump) verhindert oder gar Teile der „Revolution“ von Sanders gerettet werden könnten. Das könnte erst recht eine Dynamik gewinnen, wenn es Clinton gelänge, Sanders in ihre Wahlkampfmaschinerie einzubeziehen, um so seine UnterstützerInnen doch an Land zu ziehen. Damit wären Verrat, Illusionsmacherei sowie Desillusionierung und Frustration vorbereitet. Ein Organisation, die während der Wahlkampagne selbst eine „kritische Unterstützung“ von Sanders betrieben hat, wäre dann, unabhängig von sonstigen politischen Forderungen, selbst Opfer ihrer Politik. Zu Recht würden enttäuschte Sanders-AnhängerInnen fragen, warum die „SozialistInnen“ sie nicht davor gewarnt und nicht auf den Charakter der Kampagne, ihr eigentliches Wesen, aufmerksam gemacht hätten. Diese SozialistInnen würden unwillkürlich selbst nur als „linkerer“ Ausdruck von Verwirrung und Unklarheit erscheinen - und zwar verdientermaßen.

Eine Organisation, die schon von Beginn an vor dieser Entwicklung gewarnt hat, ohne der Bewegung der Sanders-AnhängerInnen den Rücken zu kehren, könnte dann jedoch zu einer Alternative für diese Menschen werden - gerade weil sie Rückgrat und politische Weitsicht bewiesen hätte.

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Nr. 208, April 2016

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