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Griechenland

Welche Art Antifaschismus?

Tobi Hansen, Neue Internationale 184, November 2013

Der Mord an Pavlos Fyssas am 17. September 2013 in Athen verweist auf die zunehmende faschistische Gewalt in Griechenland. In den vergangenen 12 Monaten gingen mehr als 10 Tote und Schwerverletzte auf das Konto der Banden der „Goldenen Morgenröte“, deren Gewalt sich v.a. gegen MigrantInnen richtet.

Der Mord an Pavlos führte in Griechenland zu Massenprotesten, es gab mehreren Attacken gegen Nazi-Parteibüros. Die Eskalation animierte sogar die ND/Pasok-Regierung, nach Monaten des Nichtstuns endlich gegen die „Goldene Morgenröte“ vorzugehen. Gegen mehrere Spitzenleute der Faschisten laufen Verfahren, auch die Parteienfinanzierung soll den Faschisten gestrichen werden. Das kann aber nicht darüber hinweg täuschen, dass die Regierung mit ihren Sparprogrammen selbst den Boden für soziale Konkurrenz, Frustration und rassistische Hetze bereitet. Die offiziellen Stellen praktizieren tagtäglich Rassismus gegenüber MigrantInnen und Flüchtlingen - soweit diese überhaupt Griechenland lebend erreichen und nicht im Mittelmeer ertrinken.

Vor diesem Hintergrund lagen die Faschisten in den Umfragen zuletzt bei 15-20%. Die Popularität der extremen Rechten erklärt sich auch daraus, dass sich die Linke und die Arbeiterbewegung - trotz  des Aufschwungs von Syriza und vieler Mobilisierungen und  Kämpfe - nicht als erfolgreiche, perspektivische Kräfte gezeigt haben, die in der Lage wäre, auch für die Mittelschichten und frustrierte Teile des Proletariats eine Perspektive zu weisen.

Von der bürgerlichen Austeritätsregierung können wir im antifaschistischen Kampf nichts erwarten, nicht zuletzt, weil die Faschisten gerade in Polizei und Armee besonders viele Anhänger haben, wie die Wahlergebnisse deutlich zeigen. Umso bedeutender ist, wie die Linke und die Arbeiterbewegung in Griechenland und Europa in dieser Frage agieren.

In diesem Artikel wollen wir auf die Frage eingehen, was Antifaschismus derzeit in Griechenland konkret bedeutet und welche Art von Selbstverteidigung notwendig ist.

Ziviler oder militanter Widerstand?

Der griechische Faschismus ist in den vergangenen zwei Jahren stärker geworden. Auf den Trümmern der rechtspopulistischen LAOS, die einst in der Einheitsregierung von Papademos mitwirkte, konnte sich die „Morgenröte“ als originär faschistische Kraft etablieren. Inzwischen mobilisieren sie einige Tausend zu ihren Demos und haben Terrorgruppen aufgebaut, die auf direkte Überfälle und Gewaltakte setzen. Damit haben die Faschisten wichtige Teilziele erreicht: sie konnten Teile des „wild gewordenen Kleinbürgertums“ (Trotzki) einsammeln, sie bekommen finanzielle Unterstützung diverser bürgerlicher Kreise und sind in der Lage, Gewalt gegen Linke und ImmigrantInnen auszuüben.

Einige linke Kräfte meinen nun, es wären aktuell „zivile“ Selbstverteidigungskomitees notwendig, welche Stadtviertel und Schulen gegen Nazis verteidigen. Die Forderung nach einer Arbeitermiliz, wie sie z.B. von Antarsya betont wird, lehnen sie dagegen ab. Hervorgehoben wird auch oft die besondere Bedeutung „politischen“ Widerstands gegen die Nazis, welcher jetzt wichtiger wäre, als ein „ultralinker Ruf“ nach Milizen oder militanten Selbstschutzstrukturen.

Sie weisen auf die Notwendigkeit hin, antifaschistisches Bewusstsein zu entwickeln und den Schutz von migrantischen Stadtvierteln zu organisieren. Das ist richtig - doch auf den Terror der Faschisten braucht die Linke andere, weitergehende Antworten! Die Faschisten kämpfen eben nicht nur um politische Mehrheiten, sie wollen ihre „Hauptgegner“ - MigrantInnen, die Linke und die organisierte Arbeiterbewegung - „zerschmettern“, ihre Organisationen zerstören, sie einschüchtern und demoralisieren. Den „Fasci“-Terror-Trupps lässt sich nicht allein mit Flugblättern und „ziviler Selbstverteidigung“ beikommen, diese Nazis müssen auch physisch bekämpft werden!

Selbstverteidigung

Was bedeutet dabei „zivile Selbstverteidigung“? Können etwa Schulen und Stadtviertel durch Sitzblockaden verteidigt werden?

Wir meinen, das solche „Komitees“ konsequent, d.h. für uns auch bewusst physisch, Stadtviertel und Schulen schützen. Das ist für uns derzeit eine zentrale Aufgabe der Linken in Griechenland. Die Faschisten überzeugen durch Gewalt, durch Einschüchterung und v.a. dadurch, dass es keinen Gegenpart gibt, der ihnen militant die Stirn bietet. Daraus, die Straße zu beherrschen, Angst zu verbreiten und „Respekt“ zu bekommen, erwächst wesentlich das Selbstbewusstsein der Nazis.

Selbstverteidigung heißt unser Ansicht nach niemals Passivität, wie es sich z.B. in Sitzblockaden ausdrückt. Selbstverteidigung soll unserer Meinung nach dazu führen, den Konflikt zu gewinnen - politisch und physisch. Es ist kein „Sieg“, wenn die Polizei uns wegträgt oder wegknüppelt und wir sitzen bleiben. Selbstverteidigung muss die Möglichkeit des Kämpfens enthalten, des Standhaltens, Abwehrens und Zurückschlagens. Dies erwartet wahrscheinlich auch jede(r) AntifaschistIn von den MitstreiterInnen in einer Auseinandersetzung mit Faschisten oder Bullen.

Wenn von manchen Linken ein Widerspruch zur Forderung nach Arbeitermilizen aufgemacht wird, so wird damit das „bewaffnet“ dem politischen Kampf gegenübergestellt. Der „Miliz-Forderung“ wird eine „ultralinke“ Methodik unterstellt, welche eine der Entwicklung „vorauseilende“, isolierte Gewalt zur Folge hätte, die dann „abschreckend“ wirken könnte.

Hier zeigt sich ein Missverständnis dieser Forderung und Methodik. Die wenigsten AntifaschistInnen der Welt würden behaupten, dass Nazis nur friedlich, ohne gewisse „Werkzeuge“ zu besiegen wären. Genauso müssen wir die Frage für Griechenland stellen: Wie verteidigen wir uns am besten? Brauchen wir dazu nur Argumente und/oder auch geeignete Knüppel usw., um den Nazis entgegen treten zu können?! So, wie wir uns auf jeder Demo vor Gasangriffen schützen müssen und Sanitäts-Strukturen einrichten, genauso muss jeder Widerstand gegen Faschismus, Staat und Kapital das benutzen, was zum Sieg erforderlich ist.

Die Arbeitermiliz bzw. „Selbstschutz-Gruppe“ ergibt aus der Methodik der Arbeitereinheitsfront und stellt durchaus keine isolierte Aktion dar, sondern ist ein Mittel, um die Arbeiterklasse, die Linke, MigrantInnen und AntifaschistInnen zum kollektiven Handeln zu bewegen. Es muss  Aufgabe revolutionärer Politik sein, diesen Prozess in der Klasse zu verankern, gerade wenn das bürgerliche Regime zusammen bricht und die Faschisten sich sammeln. Hierbei geht es auch keineswegs nur um Antifaschismus, sondern darum, die Klassenkräfte auch im Kampf gegen die Krise und letztlich den Kapitalismus insgesamt zu einen. Wenn die „Attraktivität“ der Nazis für Jugendliche, Teile des Kleinbürgertums und Teile der sozial an den äußersten Rand gedrängten Proletariats darin besteht, dass sie aktiv sind, dass sie organisiert sind, dass sie entschlossen sind - dann müssen die Linke und die Arbeiterbewegung selbst aktiv, organisiert und entschlossen sein, um die schwankenden Milieus anzuziehen und den braunen Rattenfängern zu entreißen.

Aktionseinheit, „vertiefte Bündnisse“ und Arbeitereinheitsfront

Manche meinen nun, dass angesichts der faschistischen Gefahr eine Bündnispolitik nötig sei, die auch liberal-bürgerliche Kräfte einschließt, sowie eine „vertiefte Bündnispolitik unter den Linken“.

Bei Aktionseinheiten ist für uns klar, dass dort auch jedes antifaschistische Kirchenmitglied mitmachen kann, genau wie Mitglieder von PASOK - nur darf diese „Aktionseinheit“ nicht politisch von diesen Kräften geprägt und geführt werden. Wir wollen auch möglichst viele Teile des  Kleinbürgertums für eine antikapitalistische Perspektive gewinnen, aber dafür dürfen wir keine liberal-bürgerliche Politik unterstützen und tolerieren oder bürgerliche Organisationen aufwerten und sie quasi als „Verbündete“ des Proletariats hinstellen, indem wir mit ihnen „offizielle“ Vereinbarungen treffen. Wir müssen für eine revolutionär-sozialistische Alternative zur absterbenden Demokratie kämpfen und nicht die letzten Illusionen in diese Schein-Demokratie bewahren.

Wir müssen uns zudem auch fragen, was das „liberal-bürgerliche Milieu“ in Griechenland ist. Das griechische Bürgertum diffundiert zwischen der ND, der „Goldenen Morgenröte“ und in gewissen Teilen der PASOK. Ein gewichtiger Teil des Bürgertums steht nicht also nicht nur hinter der Regierung, ein Teil unterstützt eben auch die Faschisten. Deswegen muss das Hauptanliegen der Aufbau einer Arbeitereinheitsfront sein, ein Klassenbündnis, das sich gegen Staat, Kapital und Faschismus zur Wehr setzen kann.

Wenn kritisiert wird, dass die griechischen Linken eben nicht an einer „breiten Front“ bis ins bürgerliche Lager interessiert sind, so unterstützen wir hierbei deutlich die Position der griechischen GenossInnen von Antarsya. Natürlich darf es nicht zu Sektierertum führen, dazu, dass erst gar nicht versucht wird, Gewerkschaften oder die PASOK für Selbstverteidigungskomitees zu gewinnen.

Im Gegensatz zu jeglicher „Volksfront“ (wie wir sie auch bei jeder Antifa-Demo in Deutschland erleben) müssen die griechische Arbeiterklasse, die Jugend, die MigrantInnen eigene militante Selbstverteidigungskomitees gründen, müssen sie diese auf den Kampf gegen Faschismus und Kapitalismus ausrichten und mit der bürgerlichen Demokratie brechen. Dabei kann jedes Komitee die Unterstützung möglichst Vieler gebrauchen - nur jene, die das Komitee zum Schutze ihrer bürgerlichen Demokratie missbrauchen oder Illusionen in diese verbreiten möchten, sind dort fehl am Platz!

Was zuweilen als „vertieftes Bündnis zwischen den Linken“ beschrieben wird, ist eine Verschleierung der Einheitsfront und deren Aufgabe. Eine Einheitsfront muss sich auf die Klasse der Lohnabhängigen stützen, hier ist aber wichtig, welche Rolle eine revolutionäre Partei oder Strömung dabei einnimmt, inwieweit sie die reformistischen und/oder anarchistischen Kräfte zurückdrängt und diese Einheitsfront auch zu einem Instrument der Revolution macht. Nur durch „Vertiefung“ ist noch kein Bündnis und keine Aktionseinheit in der Lage, die Massen zu erreichen.

Eine solche Einheitsfront hätte eben weitergehende Aufgaben, als nur Selbstverteidigung und Kampf gegen Faschismus. Die Einheitsfront in einer (vor)revolutionären Periode, wie sie in Griechenland seit einiger Zeit vorhanden ist, muss selbstständige Klassenorgane in den Betrieben, den Gewerkschaften, den Stadtteilen usw. aufbauen. Die Antwort auf eine sterbende bürgerliche Demokratie muss der Kampf für Rätedemokratie sein! Ohne eine revolutionäre Perspektive des antifaschistischen Kampfes ist auch dieser Kampf selbst zum Scheitern verurteilt!

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Nr. 184, November 2013
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