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Palästina

Brüchiger Waffenstillstand

Martin Suchanek, Neue Internationale 175, Dezember 2012/Januar 2013

Die zionistische Aggression gegen Gaza endete - vorerst - mit einer befristeten Feuerpause, die von den USA und Ägypten ausgehandelt worden war.

Die Bevölkerung Gazas und PalästinenserInnen auf der ganzen Welt feierten diesen Waffenstillstand nach Wochen des Bomben- und Artillerieterrors durch Israel, nach Monaten, in denen die israelische Regierung mehr und mehr Provokationen gegen die Bevölkerung der besetzen Gebiete gestartet hatte, als Sieg.

Der Kampf Davids gegen Goliath endet mit diesem Waffenstillstand natürlich nicht, die Feuerpause ist fragil. Doch zweifellos war sie politisch ein Erfolg der PalästinenserInnen. Der militärisch übermächtige zionistische Staat musste zurückstecken und konnte seine eigentlichen politischen Ziele - den Sturz der Hamas-Regierung in Gaza, die weitere Erniedrigung und Demoralisierung der PalästinenserInnen - nicht erreichen.

Dafür sind zwei Faktoren hauptverantwortlich. Erstens der heroische Widerstand des palästinensischen Volkes selbst, das sich durch Jahre der Blockade, der Abriegelung in einem Bantustan von Israels Gnaden nicht brechen ließ. Zweitens die arabische, v.a. die ägyptische Revolution. Der neue Machthaber Mursi kann sich nicht, oder jedenfalls noch nicht, offen auf die Seite Israels stellen wie dereinst Mubarak - was wiederum von Seiten der USA erfordert, „mäßigend“ auf ihren Vorposten in der Region, auf die Regierung Netanjahu/Liberman einzuwirken.

Da auch in der Nahostpolitik der Hund mit dem Schwanz wedelt und nicht umgekehrt, musste Israel in den „Waffenstillstand“ einwilligen. Natürlich stellen auch Netanjahu, Barak und Liberman die Sache als Erfolg dar, weil die „Terrorgefahr“ durch die Hamas und der Beschuss israelischer BürgerInnen jetzt massiv geschwächt sei. Dabei stellen sie natürlich wissentlich die Tatsachen auf den Kopf, nämlich dass den Raketen aus Gaza Wochen zionistischer Provokationen und gezielter Tötungen palästinensischer Funktionäre vorangingen. Doch solche Akte des zionistischen Terrors gelten in der westlichen Presse als „Selbstverteidigung“, die allenfalls im Rahmen des Völkerrechts zu erfolgen habe.

Linke Chorknaben

Natürlich stimmte auch die Bundesregierung in diesen Chor ein. Die Unterstützung Israels und dessen Existenzrechts ist im deutschen Imperialismus Staatsräson. Leider gilt das nicht nur für die Regierungsparteien, für SPD und Grüne, sondern auch für DIE LINKE. Dieser Kniefall vor den Imperativen deutscher Außenpolitik machte sich nicht nur vor Jahren in der berühmt-berüchtigten Gysi-Rede Luft, als er erklärte, dass das „Existenzrecht Israels“ auch von den Linken als unverbrüchlicher Teil einer Staatsräson zu akzeptieren wäre.

So weit wie Gysi wollen zwar nicht alle in der Linksfraktion gehen, die Mehrheit aber schon. So heißt es in einem „Appell an alle Seiten“ von Wolfgang Gehrke vom 21. November: „Mein Appell an alle Seiten bleibt: Verzicht auf Gewalt, Waffenruhe und ernsthafte Verhandlungen für einen dauerhaften Waffenstillstand als ersten und einzigen Schritt zu Friedensverhandlungen. Es ist doch auffällig, dass immer, wenn am Horizont ein schwacher Schimmer von Hoffnung für Frieden auftaucht, ein Anschlag oder eine gezielte Tötung erfolgt. Immer stärker wird der Eindruck, dass islamistische Gruppen und israelische Hardliner Brüder im Geiste sind.“

Mit dieser scheinbar kritischen Stellungnahme verwischt Gehrke das Wesentliche, indem jeder Waffengang nur auf die Geisteshaltung zweier „Brüder im Geiste“ reduziert wird. Er verschleiert, dass es zwischen der Gewalt Israels und der PalästinenserInnen einen grundlegenden Unterschied gibt. Das eine ist die Gewalt eines Unterdrückerstaates, der auf der Vertreibung und Entrechtung der PalästinenserInnen beruht, dessen Existenz an eine rassistische Staatsverfassung, auf der Verweigerung einfachster demokratischer Rechter wie das Rückkehrrecht der Vertriebenen beruht.

Das andere ist die Gewalt von Unterdrückten, die sich gegen ihre Unterjochung wehren, ob nun in Gaza, der Westbank oder in Israel selbst. Dieser Widerstand ist unabhängig von der aktuellen Führung legitim und muss gegen den Unterdrückter verteidigt werden. Das mag durchaus die Kritik oder auch Ablehnung bestimmter Aktionsformen einschließen. Grundsätzlich sprechen wir aber dem israelischen Staat - und ebenso den USA, der Bundesregierung o.a. imperialistischen Institutionen - das Recht ab, über den palästinensischen Widerstand zu richten.

Letztlich lässt sich der „Konflikt“, also die nationale Unterdrückung der PalästinenserInnen - und damit die Ursache der Gewalt - nur beseitigen, wenn ihre Ursache, die zionistische Besatzung und Unterdrückung beseitigt wird.

Dass die israelische Regierung dazu keineswegs freiwillig einwilligen wird, verdeutlicht die jüngste Entwicklung. Ende November entschied die UN-Vollversammlung, der Palästinensischen Autonomiebehörde Beobachterstaatus bei den Vereinten Nationen zu gewähren und sie damit völkerrechtlich aufzuwerten.

Die USA u.a. westliche Mächte konnten diesen symbolischen Akt nicht mehr im „Weltsicherheitsrat“ blockieren, stimmten aber mit Israel gegen die Anerkennung der PalästinenserInnen. Deutschland und einige andere westliche Staaten enthielten sich der Stimme und brachten „Skepsis“ und „Sorgen“ zum Ausdruck. Man fürchte, dass damit Verhandlungen erschwert würden - als ob diese bisher an der Palästinensischen Autonomiebehörde gescheitert wären.

Handfester regierte auf den UN-Beschluss die Regierung Netanjahu. Der Siedlungsbau in der West-Bank wurde wieder angeheizt. Dagegen hagelt es jetzt papierene Resolutionen von Seiten der Freunde Israels - doch Papier ist bekanntlich geduldig.

Für einen einheitlichen,multi-nationalen Arbeiterstaat Palästina!

Aus den Kämpfen der letzten Jahrzehnte wie aus den jüngsten Ereignissen lassen sich folgende politische Schlussfolgerungen ziehen:

1. Eine Lösung der nationalen Unterdrückung, eine Befreiung des palästinensischen Volkes ist unmöglich, ohne den Unterdrückerstaat Israel selbst in Frage zu stellen und zu stürzen.

2. Die „Zweistaatenlösung“ hat sich als Sackgasse erwiesen. Sie hat dazu geführt, dass die soziale Unterdrückung, die Entrechtung und Verelendungen der Massen in Palästina noch größer geworden ist. Auch wenn die Anerkennung in der UN ein diplomatischer Sieg der Palästinenser war, so ändert das nichts daran, dass die strategische Ausrichtung von Abbas, aber auch von Hamas, die beide auf eine Zweistaatenlösung hinauslaufen, ein Weg in die Sackgasse sind. Solange Israel als kapitalistischer und vom Imperialismus hochgerüsteter und subventionierter Vorposten existiert, wird jeder palästinensische Staat unter permanenter Überwachung, politischer, militärischer und wirtschaftlicher Kontrolle Israels stehen, also nicht mehr sein können als ein Bantustan wie die „unabhängigen“ Staaten im Apartheidsystem Südafrikas.

3. Es ist ein zionistischer und imperialistischer Mythos, dass der Kampf gegen den zionistischen Staat und für einen einheitlichen, sekulären Staat Palästina, in dem JüdInnen, PalästinenserInnen u.a. auf gleichberechtigter Basis leben, eine Utopie wäre. Diese Behauptung läuft im Grunde nur darauf hinaus zu behaupten, dass zwei Nationalitäten, die miteinander im Kampf lagen, von denen die eine die andere unterdrückt hat, nie zu einer Aussöhnung kommen können, die ein Leben in einem gemeinsamen Staat ermöglicht.

4. In Wirklichkeit liegt der Kampf gegen den zionistischen Staat auch im Interesse der Mehrheit der Israelis und auch des jüdischen Proletariats. Gerade die Massenbewegungen gegen die Sparprogramme, die in den letzten Jahren Israel erschütterten, zeigen das. Solange die herrschende Klasse, ihre Regierung und Militärs darauf verweisen können, dass „alle Israelis“ gegen den „Terror“ der Hamas oder gegen die PalästinenserInnen überhaupt zusammenstehen müssten, kann und wird jede soziale Bewegung gegen die Regierung durch Nationalismus, Chauvinismus und Rassismus desorientiert, gespalten und gebrochen.

5. Wir verteidigten den palästinensischen Widerstand gegen Zionismus und Imperialismus. Aber es ist auch offenkundig, dass weder Fatah noch Hamas noch irgendeine andere bürgerliche oder islamistische Kraft eine Strategie hat, die zur Befreiung der palästinensischen Massen führen kann, geschweige denn eine, die die israelischen ArbeiterInnen von ihren zionistischen Unterdrückern und der zionistischen Ideologie brechen kann.

6. Der Grund dafür ist, dass beide ein bürgerliches, auf dem Privateigentum an Produktionsmitteln basierendes Regime errichten wollen. Unter Befreiung bestehen sie also v.a. die Befreiung der palästinensischen Unternehmerschaft - ob „sekular“ oder religiös verbrämt. Die Lohnabhängigen sollen „natürlich“ weiter LohnsklavInnen bleiben, die landlosen und armen Bauern weiter arm bleiben. Auf einer solchen Grundlage ist ein wirklich gleichberechtigtes und harmonisches Zusammenleben der Nationen unmöglich. Dazu braucht es der Verbindung des Kampfes um demokratische Rechte für die PalästinenserInnen, der Zerschlagung des zionistischen Staates mit dem Kampf um eine sozialistische Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft, kurzum einen Arbeiterstaat, der auf dem Gemeineigentum an Produktionsmitteln basiert.

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Nr. 175, Dez. 2012/Jan. 2013
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