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Arbeitskampf

Solidarität mit dem Streik bei Neupack!

Rico Rodriguez, Infomail 658, 1. Dezember 2012

Seit dem 1. November läuft beim Verpackungshersteller Neupack, der Werke in Hamburg-Stellingen und Rotenburg (Wümme) hat, ein unbefristeter Streik.

Hintergrund des Streiks ist der Konflikt um einen Haustarifvertrag, der die Löhne der ArbeiterInnen und Angestellten einheitlich regelt. Neupack ist ein Familienbetrieb, in dem der Eigentümer seit Jahrzehnten die Beschäftigten nach Gutsherrenart behandelt. Der Betrieb war nie gewerkschaftlich organisiert, es gab keinen Tarifvertrag. Das System der Eigentümer, der Familie Krüger, war typisch für solche Familienbetriebe: einige wenige ArbeiterInnen (besonders Maschinenführer u.ä.) und Angestellte werden gut bezahlt. Aber die meisten erhalten Niedriglöhne. Viele ArbeiterInnen haben seit über 10 Jahren keine Gehaltserhöhung bekommen und verdienen nur 8,50 Euro pro Stunde, obwohl sie schon ewig dort arbeiten. Urlaubs- u.a. Arbeitsbedingungen werden nach Sympathie verteilt. So haben sich die Krügers ihr eigenes Reich nach dem Prinzip „Teile und Herrsche“ aufgebaut. Durch die gute Bezahlung einiger Weniger haben sie einen Keil in die Belegschaft getrieben, was über Jahrzehnte für Ruhe sorgte. Doch jetzt hat sich das geändert.

Kampf um den Tarifvertrag

Aus dem Betriebsrat heraus hat sich Widerstand entwickelt. Einige KollegInnen begannen, sich gewerkschaftlich zu organisieren und einen Haustarifvertrag zu fordern. Damit stießen sie bei der Belegschaft auf offene Ohren. Seit Anfang 2012 zieht sich die Auseinandersetzung um den Tarifvertrag hin, bis der Streit jetzt endgültig in den unbefristeten Streik eskalierte. Die Geschäftsleitung bot immer wieder Verhandlungen an, bei denen jedoch nichts heraus kam. Mit Beschuldigungen und Lügen wurde versucht, den Betriebsrat zu diffamieren. Die Krügers behaupteten, er sei Schuld am Scheitern der Verhandlungen und störe den „Betriebsfrieden“, der immer gehalten hätte - bis der Betriebsrat Streit angefangen hätte. Alle, die schon einmal in einem (Familien)betrieb gearbeitet haben, kennen solche heuchlerischen Argumente.

Die Geschäftsleitung übt starken persönlichen Druck auf die Betriebsräte aus und zielt darauf ab, deren Durchhaltevermögen zu brechen und die Belegschaft zu spalten. Der „Betriebsfrieden“ ist der Frieden der Unterdrücker, die Herrschaft des Kapitals über die ausgebeutete Arbeit. Die Rechnung der Krügers ging in diesem Fall aber nicht auf: anstatt die Belegschaft zu spalten, wurde sie zusammen geschweißt. Fast alle ArbeiterInnen traten in die Gewerkschaft IG BCE ein. Mit diesem Rückhalt konnten die Verhandlungen um einen Tarifvertrag ganz anders geführt werden, denn jetzt hatten die ArbeiterInnen eine Waffe, die sie aus ihrer Passivität befreien kann: die Organisation. Als die Verhandlungen dann im frühen Herbst erneut scheiterten, riefen der Betriebsrat und die IG BCE zum unbefristeten Streik auf.

Klassenkampf von oben

Was jetzt passiert, krempelt die Verhältnisse bei Neupack natürlich total um. Innerhalb eines Jahres wird eine Belegschaft in einen Kampf geführt, die bisher nie organisiert war und fernab jeglicher kollektiver Erfahrungen lebte und arbeitete. Das entspricht auch nicht gerade dem Alltag der meisten Gewerkschaftssekretäre - auch nicht der IG BCE, die in Hamburg seit Jahrzehnten keinen Streik mehr geführt hat. Seitdem der Streik läuft, sind die Krügers außer Rand und Band. Der Betriebsratsvorsitzende hat mittlerweile seine dritte fristlose Kündigung erhalten. Auch StreikbrecherInnen wurden eingesetzt, um den Streik zu schwächen. Dafür haben sie die Firma „Work Express“ aus Polen angeheuert. Diese schafft polnische ArbeiterInnen her, die jetzt bei Neupack arbeiten. Zwar können sie damit nach Schätzungen von KollegInnen nur bis zu 50 Prozent der Produktion aufrecht erhalten, und auch das nur mit erhöhtem Ausschuss, aber eine Schwächung des Streiks ist das allemal. Das zeigt erneut, wie „Klassenkampf von oben“ aussieht. Die Kapitalisten nutzen die prekäre Situation vieler ArbeiterInnen schamlos aus, um die Klasse zu spalten. Dass die StreikbrecherInnen aus Polen angeheuert werden, gibt der Sache noch eine rassistische Komponente.

Wenn LeiharbeiterInnen als Streikbrecher eingesetzt werden, ist das natürlich doppelt übel. Aber auch LeiharbeiterInnen müssen sich nicht alles gefallen lassen. Nach §11, Abs.5 des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes (AÜG) haben auch LeiharbeiterInnen das Recht, den Einsatz in einem bestreikten Betrieb zu verweigern (http://www.gesetze-im-internet.de/a_g/__11.html).

Nachdem auf die Firma „Work Express“, an der auch die deutsche Leiharbeitsfirma „Piening GmBH“ beteiligt ist, Druck ausgeübt wurde, wurde der Einsatz kurzzeitig abgebrochen. Die Angelegenheit wurde zu heiß, da der Geschäftsführer von Piening auch Verhandlungsführer für den „iGZ“ (Interessenverband deutscher Zeitarbeitsunternehmen) in der Tarifkommission mit dem DGB ist. Doch die Krügers wussten sich zu helfen: kurzerhand haben sie den Einsatz beim Streikbruch zu einem Ausgleich des Weihnachtsgeschäfts umdeklariert und vor dem Arbeitsgericht Hamburg durchgesetzt. Die Klassenjustiz war mal wieder „auf beiden Augen blind“. Dasselbe Gericht hatte auch verfügt, dass die Streikbrecher nicht mehr vor dem Tor „behindert“ werden dürfen. Der Kapitalist darf einen Streik unbestraft brechen, die ArbeiterInnen können sich dagegen juristisch nicht wehren.

Solidarität

Schon vor Beginn des Streiks wurde auf Initiative des „Jour Fixe-Gewerkschaftslinke“ ein Solidaritäts-Komitee organisiert, das bis heute besteht und den Streik unterstützt. Es hat einen guten Beitrag geleistet, den Streik in Hamburg und darüber hinaus bekannt zu machen und Solidarität zu organisieren. Auch als Bündnis „United-Hamburg“ haben wir uns dafür eingesetzt, die Streikenden in den internationalen Aktionstag am 14. November (Generalstreik in Spanien und Portugal)  einzubeziehen.

Als der DGB dann eine Woche vorher noch zu einer (Alibi-) Kundgebung aufgerufen hat, war die Teilnahme der Streikenden natürlich ein Selbstläufer. Deren Erscheinen war auch eine der wenigen Lichtblicke auf der ansonsten absolut schwachen Kundgebung in Hamburg. Leute des „Jour Fixe“ beteuern immer wieder, dass die Unterstützung des Streiks fernab jeglicher (partei-) politischer Interessen sei. Mit der Realität hat das wenig zu tun. Die Linkspartei, die SPD und die Grünen haben die Unterstützung des Streiks längst auf ihre Fahnen geschrieben. Bei den KollegInnen in Rotenburg waren sogar zwei CDU-Abgeordnete! Alle beteuern fleißig, dass die Streikenden im Recht seien.

Die Krügers haben sich mit ihrem Vorgehen selbst innerhalb ihrer eigenen Klasse aufs Glatteis begeben. Johannes Kahrs, SPD-Bundestagsabgeordneter, hat die Streikenden jetzt zu einer Fahrt nach Berlin eingeladen, um den Bundestag zu „besichtigen“. Was ist von der „Unterstützung“ dieser Partei zu halten, die Hartz IV und Agenda 2010 eingeführt und damit den Niedriglohnsektor in Deutschland massiv ausgeweitet hat? Doch bei so viel Umschmeichelung seitens eines Bundestagsabgeordneten hat die IG BCE das natürlich schnell vergessen. „Die Einladung ist mehr als eine Geste. Sie ist Beispiel gebend und beeindruckend“, sagt Jan Eulen, Bezirksleiter der IG BCE. Welch bewusste Irreführung der Streikenden!

Aber sie tun trotzdem gut daran, die Unterstützung aufzugreifen. Der Taktik der SPD kommt man nicht bei, indem man versucht, politische Parteien und Gruppen zu ignorieren, wie das die Politik des „Jour Fixe“ versucht. Johannes Kahrs soll, wenn er die Streikenden wirklich unterstützt, Stellung beziehen. Wie kann es sein, dass solche Verhältnisse in Betrieben in Deutschland existieren, ohne dass die SPD dagegen etwas tut?! Es gibt genug Betriebe, wo es nicht anders läuft als bei Neupack. Was tut die SPD dafür, sie zu organisieren? Wie kann es sein, dass Kapitalisten ungestraft Streikbruch organisieren können? Warum setzt sich die SPD nicht für ein Verbot der Leiharbeit ein? Warum mobilisiert sie nicht für einen gesetzlichen Mindestlohn von 11 Euro netto/Stunde? Ein Ausflug nach Berlin ist offenbar alles, was die SPD zu bieten hat. Bei der nächsten Gelegenheit fällt sie den ArbeiterInnen dann wieder in den Rücken.

Natürlich müssen die Streikenden jetzt jede Unterstützung annehmen, die sie ihrem Ziel, dem Tarifvertrag, näher bringt. Eins ist klar: die Organisierung der Belegschaft und des Streiks ist schon ein riesiger Erfolg! Die Krügers haben jetzt erste Verhandlungen angeboten.

Die Beschäftigten sind entschlossen, bis zum Sieg weiter zu streiken. Das ist gut - doch auch Vorsicht ist hier angebracht. Haben die Krügers bisher jede Verhandlung, jede gewerkschaftliche Organisation energisch bekämpft, so werden sie jetzt versuchen, die Beschäftigten über den Verhandlungstisch zu ziehen. Deshalb dürfen sich die Beschäftigten nicht auf die BürokratInnen und „Verhandlungsprofis“ der IG Chemie verlassen. Jede Geheimverhandlung muss strikt abgelehnt werden, vielmehr müssen die Verhandlungen für alle Beschäftigten offen geführt werden. Es darf kein Tarifvertrag ohne vorherige umfassende Diskussion und Abstimmung der Streikenden abgeschlossen werden. Solange es keinen Erfolg gibt, darf der Streik keinesfalls „ausgesetzt“ werden - es gilt vielmehr, ihn noch solider und geschlossener zu machen und den Druck durch standortübergreifende Aktionen und in der gesamten Branche weiter zu erhöhen.

In diesem Sinn hat dieser Kampf auch Modellcharakter für andere Belegschaften, die unter derselben Situation leiden. Die ArbeiterInnen bei Neupack demonstrieren, dass man sich nicht alles gefallen lassen muss!

Rücknahme der Kündigungen gegen Aktive und aller sonstigen Repressionen!

Für volle Solidarität mit den Streikenden bei Neupack und ihrer Forderung nach einem Haustarifvertrag!

Offene Tarifverhandlungen, Wahl- und Abwählbarkeit der Verhandlungskommission durch die Streikenden!

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Nr. 175, Dez. 2012/Jan. 2013
*  Nach dem europäischen Aktionstag vom 14. November: Was nun?
*  Firenze 10+10: Treffen der Totengräber?
*  Generalstreik in Spanien: Ein Signal an Europa
*  Heile Welt
*  Flüchtlingscamp am Berliner Oranienplatz: Ein zweites Leben
*  Streik bei Neupack: Gemeinsam gegen Krüger
*  IT-Industrie: Neue Entlassungen
*  Warnstreik Buchhandel und Verlage: Ein guter Anfang
*  Bombardier in Aachen: Gegen die Schließung!
*  Syrien: Sieg der Revolution! Nein zur US-Intervention!
*  Palästina: Brüchiger Waffenstillstand
*  Ägypten: Der 18. Brumaire des Mohammed Mursi







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