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Ökonomie

Weltwirtschaft vor neuem Crash?

Martin Suchanek, Neue Internationale 162, September 2011

Fieberhafte Aktivitäten zwischen Berlin, Paris und Washington konnten die Talfahrt an den Börsen im August nicht verhindern. In Asien purzelten alle Indices. Die europäischen Märkte zogen nach. Der deutsche DAX verlor zeitweise 5%, insgesamt rund 25 Prozent im August 2011. Die anderen europäischen Börsen erlebten ebenfalls eine massive Talfahrt.

Auch die US-Märkte konnten sich dieser Welle nicht entziehen. Am 5. August verkündete Standard und Poors die erstmalige Herabstufung der US-Wirtschaft von einem dreifachen A auf AA+. Trotz Obamas Fernsehansprache, in der er versicherte, dass die USA „immer eine Dreifach-A-Nation“ sein werde, gab die Wall Street um 5,6% nach.

Noch am selben Tag gerieten Italien und Spanien ins Kreuzfeuer der Finanzmärkte, als die Zinsen für deren Staatspapiere auf über 6% stiegen. Italien als drittgrößte Ökonomie der Eurozone ist mit 1,9 Billionen Euro Schulden belastet. Jetzt drohen diese Länder in den Sog von Griechenland und Portugal hineingezogen zu werden, für die dann selbst die „Rettungsschirme“ zu klein wären.

Es ist nur eine Frage der Zeit, wann die europäische „Finanzstabilität“ sich als nicht mehr haltbar erweist. Ein Teil der Staatsschulden von Griechenland, Irland, Portugal, ja sogar Spanien und Italien wird wohl in absehbarer Zeit abgeschrieben werden müssen.

Die Märkte geben „der Politik“ die Schuld

Die Finanzpresse schiebt dem US-Präsidenten, dem US-Kongress, den europäischen Spitzen und der EU-Kommission den Schwarzen Peter zu. Auch China meint, Obama, Merkel und Sarkozy würden die Weltwirtschaft durch „kleinliches Gezänk“ aufs Spiel setzen und hätten sich als unfähig erwiesen.

Aber Merkel und Co. treten nicht „den Willen des Marktes“ mit Füßen, ganz im Gegenteil: sie unterwerfen sich fast sklavisch den Zwängen des Kapitalismus. Sie haben nicht nur die Megabanken und Milliardäre gerettet, sie haben Abermillionen Menschen von Athen bis Seattle, von Kairo bis Rejkjavik die Kosten für das Wohlergehen dieser privilegierten Parasiten aufgehalst. ArbeiterInnen, Jugendliche, Arme und Mittelschichten leiden überall unter den Auswirkungen der kapitalistischen Krise, glücklicherweise verharren sie nicht mehr in Schweigen.

Jetzt bedroht ein neuer Crash an den Aktienmärkten die Weltwirtschaft mit einer neuen Rezession. Nicht nur die aktuellen Wirtschaftsdaten aus den USA und Frankreich sind alarmierend für die Kapitalisten. Die OECD rechnet damit, dass der Höhepunkt der „weltweiten Erholung“ schon überschritten sein könnte. Dieser Aufschwung fand ohnedies nur in den BRIC-Staaten (China, Russland, Indien, Brasilien) statt sowie in Deutschland und einigen europäischen Ökonomien.

Seit der Weltrezession 2007 treten große Teile der Weltwirtschaft (USA, Japan, West- und Südeuropa) auf der Stelle. Obwohl Billionen aufgewendet worden sind (Rettungspakete, Nullzinspolitik) ist keine Stabilität eingekehrt. Zwar wurde der völlige Zusammenbruch des internationalen Finanzsystems verhindert, die Weltwirtschaft leidet jedoch weiter an den selben Symptomen, die sich schon bei Krisenausbruch gezeigt haben.

Der Kapitalismus selbst ist Ursache der Krise

Die Ursache für die globale Krise liegt eben nicht in „verfehlter Politik“ oder „spekulativer Gier“, welche die Krise allenfalls beschleunigt haben, sondern in der Überakkumulation des Kapitals selbst. Der Kapitalismus ist das erste System, dessen Krisen als ein Resultat von „Überfluss“ erscheinen: von zuviel Produktion, zu vielen ArbeiterInnen, zu vielen Waren, zu viel Anlagekapital. Inmitten einer Spekulations- und Investitionshysterie platzt plötzlich die  Krisenbombe.

Das ist kein Zufall. Immer mehr Kapital wird in den Kapitalstock (Maschinerie, Gebäude usw.) gesteckt, um die Profitmasse zu erhöhen. Das treibt den Investitionswettlauf weiter an. Aber der ständige Anstieg dieses (konstanten) Kapitalbestandteils zu Ungunsten des (variablen) Anteils an menschlicher Arbeit hat unvermeidliche Folgen. Investitionen werden mit immer geringeren Profitaussichten und weniger realisiertem Profit getätigt. Die Rate für den Profit, den Antriebsmotor für Investitionen, sinkt. Was tun Kapitalisten nun? Sie verlagern ihr Kapital immer stärker in vielverprechendere Sphären der Ökonomie; auf der Suche nach kurzfristigeren und besseren Wertmargen investieren sie v.a. an den Finanzmärkten.

Das kann für gewisse Zeit funktionieren, aber dann muss diese Blase platzen, und eine Krise, eine Lähmung des ganzen Systems tritt ein. Diese Krise lässt sich nur lösen, d.h. die Wiederherstellung eines zeitweiligen, dynamischen Gleichgewichts für eine neue Ausdehnung kann nur eintreten, wenn genügend Kapital in der Krise vernichtet wird, wenn ein veralteter Maschinenpark und Produktionsmittel ersetzt, wenn genug Arbeitskräfte entlassen worden sind, wenn überschüssiges, fiktives Kapital, das wie „aus dem Nichts“ an den Finanzmärkten erzeugt wurde, vernichtet und abgeschrieben worden ist.

Kapitalvernichtung

Aber obwohl Millionen ArbeiterInnen ihre Jobs verloren haben und viele Klein- und Mittelbetriebe bankrott gegangen sind, fand immer noch zu wenig Vernichtung von Kapital statt, um das kapitalistische System als ganzes neu zu beleben. Die Regierungen der großen imperialistischen Staaten Deutschland, Frankreich und USA retteten ihre Riesenkonzerne mit staatlichen Geldern, oder wie im Fall von General Motors durch vorübergehende Nationalisierung, um die Karre auf Kosten der Steuerzahler wieder flott zu machen.

Aber der eklatanteste Skandal bestand darin, dass die Regierungen nicht nur die größten Banken und Investmenthäuser die von ihnen selbst ausgelöste Krise überleben ließen, sondern ihnen auch noch die Spekulationsgewinne daraus sicherten. Im Jahrzehnt vor dem Kreditkrach floss das Kapital in den Händen dieser Institute in Immobilienspekulationen und danach in schuldenträchtige Staatsanleihen.

Für die Rückzahlung des Geldes, das z.B. die Deutsche Bank dem griechischen Staat hochverzinslich lieh, haftet nun der EU-Finanzstabilitätsfonds. Es ist also nicht die griechische Ökonomie, die „gerettet“ wird, sondern vielmehr das deutsche und französische Finanzkapital und dessen Spekulationsgewinne. Zugleich verschlechtern sich durch die Bedingungen, die an die neuen Kredite geknüpft sind, die Lebensbedingungen der griechischen ArbeiterInnen, BäuerInnen, dem Kleinbürgertum und der Jugend.

Ungleichzeitige Entwicklung und imperialistische Konkurrenz

Seit der weltweiten Rezession hat sich die Schere der ungleichzeitigen Entwicklung in der Weltwirtschaft weiter geöffnet. Während Länder wie China, Deutschland oder Indien sich verhältnismäßig schnell erholt haben, zumal ihre Kapitalisten auf dem Weltmarkt größere Anteile erwerben konnten, sind andere deutlich zurück gefallen.

Aber diese scheinbaren Erfolge sind großteils auf dieselben Mechanismen und Antriebe zurück zu führen, die auch die Aufwärtsspirale, das plötzliche Scheitern und die schwerfällige Stagnation der anderen bewegen. So belastet der Euro die Konkurrenzfähigkeit der südeuropäischen Ökonomien, weil er ihre Exporte verteuert; zugleich aber begünstigt er die deutsche Exportwirtschaft.

Deutschland

Der kurzzeitige Vorsprung für die deutschen Kapitalisten muss vor dem Hintergrund der längerfristigen strategischen Orientierung des deutschen Imperialismus als führender Macht in der Eurozone gesehen werden. Derzeit ist er in seinen Bestrebungen noch durch verfassungsmäßige Beschränkungen innerhalb der EU als Bündnis von Nationalstaaten behindert.

Für den deutschen Imperialismus ist die gegenwärtige Schuldenkrise in der EU trotz der Gefahr für das gesamte EU-Projekt und den Euro eine Chance, anderen europäischen Staaten die Anerkennung eines deutlichen Schrittes zu einer festeren politischen Union mit einer klareren Dominanz Deutschlands abzunötigen. Frankreich, das Deutschlands wirtschaftliche Überlegenheit eingesehen hat, soll Juniorpartner sein. Für das deutsche Finanzkapital und seine Regierung ist die derzeitige Krise also keine rein wirtschaftliche Angelegenheit, sondern auch ein Schlachtfeld, auf dem die eigene Macht in der EU, deren Charakter grundlegend verändert werden soll, ausgebaut werden kann.

Fast noch bedeutsamer ist der Umstand, dass die riesigen Dollarreserven Chinas die USA noch abhängiger von Peking werden lassen.

Die Rolle Chinas

War zur Jahrhundertwende die Anhäufung der US-Währung noch ein Mittel, den US-Markt für chinesische Waren zu öffnen, so nutzt China dies heute immer offener als Druckmittel gegen die USA.

Nach dem grotesken Tauziehen in Washington um die US-Schuldenobergrenze forderte China, dass die USA „verantwortungsbewusst in Hinsicht auf die Weltwirtschaft handeln“ müssten. China erwartet von den USA eine „entschlossene Politik“, um ihre chronischen Schulden durch massive Kürzungen bei Sozial- und Rüstungsausgaben zu senken.

Pekings Befürchtungen sind auch Folge der deutlichen Drohung, dass die Abwertung des Dollars und des Euro die Wareninflation weiter anheizen würde, wie das schon mit verheerenden Auswirkungen auf die Ökonomien und Bevölkerungen ärmerer Länder der Fall war.

China selbst kämpft aber auch selbst gegen wachsende Inflation und das Gespenst der Krise im Innern. Das wiederum verheißt eine Zunahme der Instabilität und eine neue Abwärtsspirale der Weltwirtschaft.

Explosiver Charakter

Diese Beispiele verweisen auf zwei bedeutsame Umstände, die die gegenwärtige Finanz- und Wirtschaftskrise so explosiv machen:

Die Uneinigkeit und Unentschlossenheit zwischen und innerhalb von Regierungen und Parlamenten sind nicht nur kleinliches Gezänk; sie spiegeln reale Spaltungen zwischen konkurrierenden Kapitalen und Fraktionen der herrschenden Klasse wider.

Die gegenwärtige Periode ist gekennzeichnet von einer tiefen Strukturkrise des Kapitalismus, die Risse zwischen den kapitalistischen Hauptmächten verbreitern sich. Sie lässt die internationale Konkurrenz wachsen und geht Hand in Hand mit einem sich anbahnenden Kampf um die Neuaufteilung der Welt zwischen diesen Mächten.

Gemeinsam ist allen Fraktionen der Bourgeosie jedoch die Entschlossenheit, die Arbeiterklasse und die Armen für die fortschreitende Schuldenkrise zahlen zu lassen. Die USA habe ihr Kürzungsprogramm mit 2,4 Billionen Dollar Einsparungen an öffentlichen Ausgaben in den nächsten 10 Jahren verkündet. Die Speerspitze der Attacken richtet sich gegen das Gesundheitswesen. In Italien hat das Parlament einen Burgfrieden mit dem reaktionären Ministerpräsidenten Berlusconi geschlossen und ermöglichen so, dass weitere  Attacken auf die Massen durchchgeführt werden können.

Angesichts der Krise, der wachsenden Konkurrenz sowie der ungezügelten Offensive gegen die Arbeiterklasse werden die Kommentatoren der herrschenden Klasse nervös und unzufrieden mit ihren PolitikerInnen. Sind Obama und der US-Kongress der Situation gewachsen?

Reformistische Politik und Illusionen

Andererseits kann die herrschende Klasse beruhigt sein, dass die Führungen der Labour- und sozialdemokratischen Parteien und der Gewerkschaften ihnen eilig und eifrig bei der Rettung des Systems helfen. Während Reformisten an der Regierung wie Zapatero in Spanien selbst die Attacken vortragen, entdecken die Reformisten in der Opposition auf einmal „radikalere“ Lösungen.

Gordon Brown, der britische Ex-Premier, rät zur Rückkehr zum Keynesianismus. Er befürwortet Steuererhöhungen für die reicheren Teile der Gesellschaft und höhere Staatsausgaben. Ähnliche Erklärungen kommen vom SPD-Vorsitzenden Gabriel. Er fordert ein „europäisches Konjunkturprogramm“. Diese Vorschläge würden die EU, den Euro, die Profite der Bosse und zugleich den Lebensstandard der ArbeiterInnen, wenigstens der europäischen, retten.

Man wundert sich nur, warum diese Helden, als sie in der Regierung saßen, ihre keynesianische Politik zur Rettung von Banken oder die Steuerentlastung von Reichen unterstützt haben?!

Es ist seit fast 100 Jahren dieselbe sozialdemokratische Leier. An der Regierung behaupten sie, sie seien „gezwungen“ die Zwänge der kapitalistischen Ökonomie zu akzeptieren, in der Opposition träumen sie von einer „alternativen Regierungspolitik“.

Führungskrise der Arbeiterklasse

Lenin hat einmal darauf hingewiesen, dass es selbst in der tiefsten Krise des Kapitalismus keine absolut hoffnungslose Lage für die herrschende Klasse gibt, solange sie nicht von der Macht verjagt worden ist. Anscheinend ist bei sozialdemokratischen Führern die Hoffnung auf „Sozial“partnerschaft und Klassenkompromiss unausrottbar, selbst angesichts einer historischen Krise des Kapitalismus.

Solange die Arbeiterklasse solche Führer hat, solange die Gewerkschaften sie unterstützen und ihre reformistischen Ideen die Arbeiterbewegung dominieren, stehen die Aussichten für die herrschende Klasse, ihre Herrschaft zu behalten, gut. Es ist die historische Führungskrise des Proletariats, das Fehlen einer starken internationalen revolutionären Partei, die es Irreführern wie Brown oder Gabriel ermöglichen, den Widerstand der Klasse zu verhindern oder einzudämmen.

Sie sind ein gewaltiges Hindernis, das der Widerstand beseitigen muss, will er erfolgreich die gegenwärtigen Attacken zurückschlagen. Die Arbeiterbürokratie in den reformistischen Parteien und Gewerkschaften verhindert, wo sie kann entschlossene Gegenwehr. Sie sind entschiedene Gegner von Massenprotesten und Demonstrationen, die über gelegentliches Dampfablassen hinausgehen. Sie hassen den bloßen Gedanken an ‚illegale' Besetzungen, politische Massenstreiks oder gar an einen Generalstreik. Sie blockieren den Aufbau von demokratisch koordinierten Kampforganen, von Massenversammlungen am Arbeitsplatz und in Wohngebieten, von demokratischen Aktionsausschüssen.

Deshalb müssen wir uns organisieren, darum müssen wir von den Massenorganisationen der Arbeiterklasse und ihren Führern diese Art von Aktionen fordern, zugleich aber für Lösungen der Schuldenkrise im Sinne der Arbeiterklasse kämpfen, dafür, dass die Bosse, Bänker und Großkapitalisten selbst für ihre Krise zahlen. Wir müssen die Besteuerung der Reichen und Konzerne fordern, die entschädigungslose Verstaatlichung  aller Banken unter Arbeiterkontrolle und ihre Zusammenfassung in einer Staatsbank. Um die Erwerbslosen in gesellschaftlich sinnvoller Beschäftigung aufzufangen, müssen wir einen Plan zur Schaffung von sozialen Wohnungen, eine Wiederherstellung der Versorgungs- und Bildungssysteme fordern.

Deshalb müssen wir den Kampf um unmittelbare Massenaktionen mit dem Eintreten für eine Arbeiterregierung verbinden, die sich auf Massenorgane, Keimformen von Arbeiterräten, die aus solchen Kämpfen hervorgehen, stützt.

Um solche Kämpfe bis zum siegreichen Abschluss, dem Sturz des Kapitalismus selbst, führen zu können, brauchen wir eine politische Alternative zu jeder Art von Reformismus: neue antikapitalistische und revolutionäre Parteien und eine neue, Fünfte Internationale!

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