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Syrien

Widerstand wächst

Marcus Halaby, Neue Internationale 161, Juli/August 2011

Der Aufstand in Syrien begann am 15. März 2011 und ist zu einer der blutigsten arabischen Revolutionen geworden. Bislang sind 2000 Todesopfer zu beklagen. 10000 wurden verhaftet trotz der formalen Aufhebung des seit 1963 bestehenden Notstands. Aber das Regime ist noch nicht gefallen.

Das liegt teils daran, dass die Arbeiterklasse noch nicht an der Spitze der Erhebung steht. Laut Hassan Chaled Schatila von der Syrischen Kommunistischen Aktionspartei vollzieht sich der Aufstand als eine ‚Reihe von nachbarschaftlichen Erhebungen', bei denen die Masse der Leute auf den Straßen Arbeitslose, solche ohne feste Arbeitsstelle, StudentInnen und SchulabgängerInnen sind.

Von Daraa aus, einem äußerst verarmten ländlichen Gebiet entlang der jordanischen Grenze, breitete sich der Aufstand rasch quer durchs Land in alle syrischen Städte aus.

In der Hauptstadt Damaskus und Aleppo jedoch, dem Zentrum der syrischen Industriearbeiterklasse, beschränkten sich die Proteste bisher auf die Universitäten und Vorstädte, obwohl ein Aufruf zum Generalstreik am 23.6.2011 auch in einigen Teilen von Aleppo befolgt wurde.

Assads Taktik

Die Rede von Präsident Baschar-al-Assad am 20.6.2011 gab sich den Anschein von Versöhnlichkeit, erkannte an, dass ‚BürgerInnen' wie Soldaten und Sicherheitskräfte ‚Märtyrer' seien, und bot einen ‚nationalen Dialog' an, der zu einer neuen Verfassung führen ‚könnte' Aber die Versprechen waren nicht neu und wie Ägyptens Mubarak vor ihm, bestand Assad auf der Durchführung des Übergangs unter seiner Führung und behauptete, dass das Regime ‚eher die Zukunft sichern könne als die jetzigen Ereignisse'.

Er unterschied zwischen ‚BürgerInnen', die ‚legitime Anliegen' an den Staat hätten, und ‚Terroristen', rief  ‚Bevölkerung und den Staat' auf, zusammen zu kommen, schrieb die ‚Gewaltausbrüche' Saboteuren zu, die durch extremistische islamistische Ideologie beeinflusst sind, und ‚radikalen und blasphemischen Intellektuellen, die im Namen von Freiheit Unruhe stiften'.

Von Anfang an hat das Baath-Regime die Revolution als Erhebung von rückständigen, konservativen und religiösen Elementen darzustellen versucht, sich selbst wiederum als einzige Kraft, die in der Lage sei, den ‚Säkularismus' zu verteidigen und einen spalterischen Bürgerkrieg verhindern könne. Die Proteste wurden als von ‚bewaffneten Sektenbanden' manipuliert hingestellt, in denen einfache Soldaten getötet wurden. Das ist eine Verleumdung der Revolution, die die Massen in allen Teilen und Gemeinschaften Syriens erfasst hat. Vielmehr waren es die Aktionen der Regierung selbst, die der größte Motor der sektiererischen Spannungen gewesen sind.

Insbesondere hat das Regime bewaffnete Mitglieder der früher marginalisierten alawitschen Minderheit, zu der Assad und andere Personen der herrschenden Elite gehören, in inoffiziellen Kampfverbänden unter dem Namen Schabiha (‚Geister') und schickt sie aus, um Protestierende zu attackieren, wenn die Armee und offizielle Sicherheitskräfte nicht zuverlässig genug erscheinen. Das hat die Gefahr erhöht, dass die Mehrheit der Bevölkerung die Alawiten sämtlich mit dem Regime identifizieren.

In Dschisr-asch-Schugur, einer ländlichen Stadt mit 40000 EinwohnerInnen, wurden etwa 120 Soldaten von ihren Offizieren erschossen, als sie sich weigerten, auf ZivilistInnen zu feuern, die eine Gruppe der Shabihas im zentralen Postamt eingeschlossen hatten. Aus Furcht vor der Rache des Regimes floh ungefähr ein Viertel der Einwohnerschaft über die Grenze in die Türkei. Dadurch entstand ein Flüchtlingsproblem und die Möglichkeit einer türkischen Militärintervention.

Andere haben sich zu Gunsten eines gewaltfreien Protests entschieden, um den Versuchen des Regimes zu begegnen, den Konflikt auf Sektenebene abzulenken, tun dies aber mit schwer wiegenden Folgen für sich selbst.

Die syrische Revolution muss dringend die gesellschaftliche und wirtschaftliche Kraft der Arbeiterklasse in die Waagschale werfen und Aleppo und Damaskus gewinnen. Der Aufruf zum Generalstreik ist ein viel versprechender Anfang. Aber das heißt auch, über die bisherigen Forderungen nach demokratischen Rechten hinaus zu gehen und die brennendsten gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Bedürfnisser der Massen: Beschäftigung, Maßnahmen gegen Inflation, Sicherheit der Arbeitsplätze und soziale Gleichstellung aufzugreifen. Nur damit können die Pläne der Regierung zerschlagen werden, einen Übergang zu einer ‚reformierten' Diktatur zu ihren Bedingungen durchzuführen.

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Nr. 161, Juli/Aug 2011
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