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Druckerstreik

Ein Manteltarifvertrag - zu welchem Preis?

Helga Müller, Neue Internationale 161, Juli/August 2011

Nach langen und massiven Warnstreiks der Beschäftigten der Druckindustrie und den Zeitungsverlagen wurde in der 6. Verhandlungsrunde in der Nacht zum Mittwoch, dem 2. Juni ein Ergebnis erzielt.

Der Manteltarifvertrag (MTV) wurde in seiner bisherigen Form für alle Druckbetriebe (Zeitungsverlags- und Akzidenzdruckereien) für die kommenden drei Jahre (bis 31.03.14) verteidigt.

Vor dem Hintergrund dessen, was der Unternehmerverband bvdm aufgrund des in der Druckindustrie herrschenden Verdrängungswettbewerbs durchsetzen wollte, ist dies ein großer Erfolg. Er ist allein den gemeinsamen massiven Streiks von Beschäftigten aus der Druckindustrie, der RedakteurInnen und Verlagsangestellten, die von ver.di zu gemeinsamen Warnstreiks aufgerufen worden waren, zu verdanken. Über 10.000 Beschäftigte aus 120 Druckbetrieben und mehrere tausend RedakteurInnen und Verlagsangestellte aus mehr als 50 Zeitungsverlagen haben in den letzten Wochen oft mehrere Tage hintereinander die Arbeit niedergelegt.

Dieses Vorgehen zeigt: gemeinsames Handeln kann die Angriffe der Unternehmer zurückschlagen. Darauf können die Belegschaften, die gestreikt haben, stolz sein.

Teuer erkauft

Aber der Abschluss beim Gehalt und die lange Laufzeit des Gehaltstarifvertrages bedeuten gleichzeitig einen Gehalts- und Lohnverlust auf Seiten der Belegschaften, zugleich gilt für die Belegschaften entsprechend lange die „Friedenspflicht“. Streiks sind so nur unter erschwerten Bedingungen möglich. Die lange Laufzeit von 33 Monaten (2 Jahre und 9 Monate) und eine Lohnerhöhung von 150 Euro erst ab 1. August 2012 und zwei Einmalzahlungen von 280 Euro im September 2010 und von 150 Euro im Juli 2013 bedeuten, dass sich die Kapitalisten in wichtigen Fragen durchsetzen konnten, auch wenn die grundsätzliche Wende auf dem Arbeitszeitsektor dank der Kampfkraft der DruckerInnen verhindert wurde.

Für die nächsten 3 Jahre haben die Unternehmen Planungssicherheit und müssen nicht mit Streiks rechnen. Der Gehaltstarifvertrag hat Kosteneinsparungen für die Druckunternehmer möglich gemacht - insbesondere, weil für LeiharbeiterInnen die Forderung nach gleichem Lohn für gleiche Arbeit nicht durchgesetzt werden konnte.

Warum diese Zugeständnisse?

Trotz massiver gemeinsamer Warnstreiks wurden bei einigen Betriebs- und GewerkschaftsfunktionärInnen Stimmen laut, entweder den Manteltarifvertrag nur noch für Zeitungsdruckverlage zu halten und nicht mehr für die Akzidenzdruckereien (Druckereien, die nicht zu Zeitungsverlagen gehören) oder Tarifverträge nur noch regional zu halten. Beide „Lösungen“ - Spartentarifvertrag, wie wir sie aus dem Öffentlichen Dienst, und landesweit geltende Tarifverträge, wie wir sie aus dem Handel kennen - hätten zu einer noch tieferen Spaltung der Druckbelegschaften geführt. Eine gemeinsame Front für zukünftige Auseinandersetzungen wäre nicht mehr zustande gekommen. Dieser Weg hätte zu einer weiteren Schwächung der Gewerkschaften geführt.

Manche Betriebsfunktionäre fürchteten um „ihren“ Standort, sie hätten den für die gesamte Branche geltenden Tarifvertrag für den Erhalt „ihres“ Druckbetriebes und für eine entsprechende „Verhandlungsfreiheit“ mit „ihrer“ Geschäftsführung geopfert. Begründet wurde dies mit der schlechten Streiksituation - angeblich v.a. bei den Akzidenzdruckereien, von denen sich tatsächlich viele in sog. OT-Mitgliedschaft (die Unternehmer befinden sich zwar noch im Arbeitgeberverband, um noch mitdiskutieren zu können, die Belegschaft ist aber nicht mehr tarifgebunden) befinden. In Wahrheit gingen die meisten von diesen trotz Tariflosigkeit, trotz Gefahr der Insolvenz in mehrtägige Warnstreiks - auch hier stand die Streikfront.

Diesen Weg konnten und wollten selbst Teile des Gewerkschaftsapparates nicht mitgehen, da dies tatsächlich zu einer weiteren Schwächung der Gewerkschaften und mit Sicherheit auch zu Konflikten mit den betroffenen streikenden Belegschaften der Akzidenzdruckereien geführt hätte.  Insofern war ein Kompromiss im Bereich der Lohn- und Gehaltsforderungen durchaus einkalkuliert.

Auf der anderen Seite haben die Druckunternehmer mit diesem verschärften und harten Widerstand der Belegschaften nicht gerechnet. Es war für sie nicht absehbar, ob der Streik nicht doch noch Monate weitergegangen wäre und für sie somit nicht mehr kontrollierbar war, wie das Tarifergebnis zum Schluss aussehen wird. Insofern waren auch sie gezwungen, einen Kompromiss in der Frage des Gehaltstarifvertrags und der Laufzeit anzubieten, der ihnen eine gewisse Planungssicherheit, d.h. Kostensenkungen und für eine gewisse Zeit „Ruhe“ beim weiteren Abbau von Arbeitsplätzen bringt.

In diesem Gemisch aus verschiedenen innerorganisatorischen Interessenskonflikten ist aber auch nicht zu übersehen, dass auch die ver.di-Verhandlungskommission bereit war, einen Kompromiss zu finden, durch den die Druckunternehmer einen Spielraum für Kostensenkungen erhalten, um in den nächsten Jahren einen „Marktbereinigungs“prozess durchführen zu können.

Hier zeigt sich die grundlegende Unfähigkeit von ver.di, insgesamt gegen Arbeitsplatzabbau vorzugehen. Die zuständige Tarifkommission für den Medienbereich hatte in diesem Sinn eine Gegenforderung: Einstieg in eine weitere Arbeitszeitverkürzung nur bei einem Teillohnausgleich für über 55jährige. Aber es wurde versäumt, um den Kampf für den Erhalt der 35-Stundenwoche, die ja in der Druckindustrie am konsequentesten durchgesetzt wurde, eine Kampagne für weitere Arbeitszeitverkürzung innerhalb von ver.di zu führen, die alle Fachbereiche - ob im Tarifkampf befindliche Branchen wie z.B. der Einzel- und Großhandel - mit einbezogen hätte.

Verlagsangestellte müssen allein weiter kämpfen

Einen Tag nach dem Abschluss für die Beschäftigten der Druckindustrie fanden die Tarifverhandlungen für die RedakteurInnen statt. Der Zeitungsverlegerverband BDZV machte ein Gehaltsangebot, das sich noch unter dem der Druckindustrie befand, ansonsten hielt er an seiner Forderung nach einem Tarifwerk II fest, das für neu eingestellte RedakteurInnen, und für RedakteurInnen, die den Verlag wechseln, bis zu 25 % weniger Gehalt bedeuten würde. Auch hier soll die Arbeitszeit verlängert werden.

Ein Problem des Abschlusses in der Druckindustrie ist auch, dass die einmalige Chance, die Streiks über die einzelnen Branchen hinweg gemeinsam führen zu können, aus der Hand gegeben wurde. Die RedakteurInnen und Verlagsangestellten sollen den Angriff auf den MTV und auf ihr Gehalt ohne die gemeinsamen Streiks mit den DruckerInnen durchsetzen.

Diese mangelhafte Kampf-Koordination durch die ver.di-Führung verhinderte nicht nur einen größeren Erfolg, er lässt die Verlagsangestellten auch im Regen stehen und verschlechtert ihre Erfolgsaussichten.

Wie weiter?

Zugegebenermaßen war für die ver.di-Verhandlungskommission schwer zu entscheiden, ob, nach der Zusage des Erhalts des MTV für 3 Jahre, die Streikbereitschaft der Belegschaften trotz des Gehaltsverlustes noch vorhanden ist. In einer ersten Reaktion auf den Abschluss haben viele KollegInnen den Erhalt des MTV für alle Druckbetriebe zu Recht als ihren Erfolg begrüßt und den Gehaltsabschluss deshalb nicht weiter beachtet.

Doch statt eine offene Diskussion in den Belegschaften auf Grundlage aller Fakten zu organisieren, entschied die Tarifkommission mit großer Mehrheit für den Abschluss.

Wir haben es hier also wieder einmal mit einem Lehrstück bürokratischer Gewerkschaftspolitik zu tun. Eine günstige Situation wurde vertan. Statt die geballte Kampfkraft aller Betriebe und KollegInnen - von den DruckerInnen bis zu Verlagsangestellten und RedakteurInnen - einzusetzen und neben dem MTV auch Gehaltererhöhungen und verbesserte Bedingungen aller zu erzwingen, bläst die Bürokratie den Kampf auf halbem Wege ab.

So verkehrt sich eine mögliche, flächendeckende Niederlage für die Unternehmer in einen faulen Kompromiss. Dieser wurde durch die Kampfkraft der Streikenden erzwungen. Als zu „befürchten“ war, dass der Konflikt weiter eskaliert, eventuell Monate dauern würde, zogen Arbeitgeberverband und ver.di-Bürokratie die Reißleine. Einen unkalkulierbaren Arbeitskampf, der zu einer Radikalisierung und Politisierung ganzer Belegschaften hätte führen können, wollte keine Seite.

Jetzt sind die Verlagsangestellten und RedakteurInnen, die ohnedies schlechter organisiert sind, in der Defensive. Der Tarifabschluss für den Druck sieht 3 Jahre Friedenspflicht und damit nicht nur „Planungssicherheit“ für die Unternehmer, sondern auch die Möglichkeit, Betrieb für Betrieb die von der Konkurrenz erzwungene Umstrukturierung der Branche voranzutreiben.

Dagegen rufen wir auf:

Für sofortige Belegschafts- und Abteilungsversammlungen in allen Betrieben, um eine umfassende Diskussion und Bewertung des gesamten Tarifkompromisses zu gewährleisten!

Lehnt den Tarifkompromiss ab! Fordert eine Urabstimmung ein!

Macht aus dem Erhalt des MTV einen Sieg, indem auch für mehr Gehalt und für die Rechte der Verlagsangestellten und RedakteurInnen gemeinsam gekämpft und gestreikt wird!

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Nr. 161, Juli/Aug 2011
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