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Nordafrika/Nahost

Permanente Revolution

Hannes Hohn, Neue Internationale 161, Juli/August 2011

Die erste revolutionäre Welle in Nordafrika und Nahost hat einige Diktaturen hinweggefegt und bedroht weitere mit deren Sturz. Doch zugleich ist die Bewegung in all diesen Ländern auch vor eine Alternative gestellt: Fortgang der Revolution oder aber blutige Niederschlagung (Syrien) bzw. Bestimmung der Neuordnung durch den Imperialismus und Teile der alten Machteliten - sei es durch militärische Intervention wie in Libyen, sei es durch einen pseudo-demokratischen Übergang wie in Ägypten.

Denn eines ist klar: Egal, welches Regime an die Macht kommt oder sich zeitweilig an der Macht halten kann - solange die einheimische Oligarchie, die Bourgeoisie und die Feudalaristokratie nicht entmachtet sind, solange der Einfluss des Imperialismus nicht gebrochen ist, werden die grundsätzlichen sozialen und politischen Fragen ungelöst bleiben.

So wie sich die arabischen Revolutionen über Internet und Handys koordiniert und verbreitet haben, so „globalisiert“ sind auch die ökonomischen Beziehungen dieser Staaten. Eine (nachholende) selbstständige kapitalistische Entwicklung ist nicht möglich, selbst nicht für das relativ entwickelte Ägypten. Die Verflechtungen des internationalen Finanzmarktes, die Eruptionen der Börsen, die Krakenarme der Konzerne sind mächtiger als hundert Bataillone Kolonialsoldaten.

Erwies sich schon der „Sozialismus in einem Land“ oder ein unabhängiger nationalistische Weg als Illusion, würde sich umso mehr ein florierendes, demokratisches, kapitalistisches Ägypten oder Syrien als unreal erweisen.

Probleme der Bewegung

Die arabischen revolutionären Bewegungen haben zwei Hauptprobleme. Erstens stützen sie sich kaum (oder nur teilweise wie in Ägypten) auf die Arbeiterklasse, teils wg. deren Marginalität, teils weil diese (noch) nicht massiv eingegriffen hat. Die Bewegungen sind sozial heterogen. Zweitens bestehen die Führungen der Bewegungen deshalb auch überwiegend aus kleinbürgerlichen, teilweise auch aus bürgerlichen Kräften.

Diese aber können bzw. wollen selbst die demokratische Revolution - ganz zu schweigen von den ungelösten sozialen Fragen - nicht so weit treiben, dass es zum konsequenten Sturz des gesamten alten Machtapparats und zur Enteignung des in- und ausländischen Kapitals kommt. Die Zwischenklassen müssen und werden sich letztlich zwischen dem Proletariat und dem Kapital bzw. dem Imperialismus entscheiden müssen.

Nur das Proletariat hat - im Bündnis mit anderen ausgebeuteten Klassen und Schichten - das soziale Interesse und die soziale Kraft, die alten Gesellschaftsstrukturen zu zerschlagen und eine alternative Gesellschaft zu errichten.

Ein zentrales Element der Theorie der permanenten Revolution Trotzkis ist gerade die These, dass die Revolution in der imperialistischen Ära nicht auf einer demokratischen Etappe stehenbleiben kann. Selbst bürgerlich-demokratische Aufgaben wie die Landreform, die nationale Befreiung, die Demokratie usw. können nur gelöst werden, wenn die Arbeiterklasse die Hegemonie über die Revolution erringt und die Staatsmacht ergreift. Diese würde sich auf Mobilisierungen, auf Räte und Milizen stützen und so auch die Gefahr bannen können, dass Führungen unkontrolliert und informell hinter dem Rücken der Massen faule Kompromisse mit der alten Oligarchie oder dem Imperialismus schließen.

Die einheimische, arabische Bourgeoisie ist zu schwach, zu korrupt, zu abhängig vom Imperialismus, als dass sie die Revolution konsequent weiter führen wollte und könnte. Jede politische oder soziale Frage berührt automatisch ihr Eigentum, kollidiert sofort mit deren Klasseninteresse, so z.B. die Einführung eines Mindestlohns.

Internationalisierung

Es ist keine Frage, dass es die reaktionären Regimen in Kooperation mit dem Imperialismus versuchen, die revolutionäre Bewegung eines jeden Landes der Region einzugemeinden, militärisch zu schlagen, auszuhungern oder zu „bestechen“. Und es ist auch keine Frage, dass das gelingen kann, wenn jede Bewegung nur für sich, nicht koordiniert kämpft. Auch eine noch so mutige und radikale Bewegung kann und will nicht ewig kämpfen, hungern und das Nötigste entbehren. Wenn sie auf sich allein gestellt ist, wird sie verzweifeln und scheitern.

Diese Perspektive droht aktuell den Bewegungen in Libyen oder Syrien. Gerade in Libyen besteht die Gefahr, dass die Aufständischen in NATO oder EU, die sie momentan - halbherzig - militärisch gegen Gaddafi unterstützen, ihre Freunde sind. Natürlich braucht der Aufstand, braucht eine revolutionäre Massenbewegung in Libyen Hilfe. Eine konsequent revolutionäre Bewegung in Ägypten würde z.B. militärisch den Aufständischen im Nachbarland und den PalästinenserInnen beistehen. Das wäre für das militärisch starke Ägypten an sich kein Problem und würde zudem die Gefahr einer Intervention des Imperialismus in der Region mindern, weil dieser mit einem solchen militärischen „Flächenbrand“ überfordert wäre.

Die andere - letztlich sogar entscheidende - Seite der Internationalisierung der arabischen Revolution wäre die aktive Solidarität der internationalen Arbeiterklasse, v.a. in den imperialistischen Zentren. Das bedeutete z.B. Organisierung von Hilfslieferungen und Blockaden von NATO-Operationen.

Partei

Politisch heißt das, alle Illusionen in die „demokratischen“ oder „humanitären“ Ambitionen des Imperialismus zu bekämpfen und die Führungen der reformistischen Massenorganisationen zu zwingen, die politische Kumpanei mit ihren Regierungen zu beenden und ihre Organisationen für die Unterstützung der Aufstandsbewegungen zu mobilisieren.

Die Flammen der Revolutionen in Nordafrika und im Nahen Osten ihrerseits könnten auf Europa übergreifen, wo zunehmend mehr Widerstand auflodert.

Die Weltrevolution, die Permanente Revolution - sie sind keine Utopien, sie sind die ungewollten Kinder der kapitalistischen Krise; sie sind eine praktische Aufgabe, hier und heute. Doch ob in allen Ländern erfordert dies zuerst die unabhängige politische Organisierung der Arbeiterklasse selbst, die Schaffung revolutionärer Parteien. Nur unter Führung einer solchen Kraft kann die Strategie der permanenten Revolution, kann das Programm der proletarischen Machtergreifung im Bündnis mit der Bauernschaft und anderen unterdrückten Schichten Wirklichkeit werden.

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Nr. 161, Juli/Aug 2011
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