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Tarifrunde Druck und Verlage

Generalangriff auf Arbeitszeit und Löhne

Helga Müller, Neue Internationale 160, Juni 2011

Bisher haben sich mehrere tausend Beschäftigte aus über 60 Druckbetrieben, tausende RedakteurInnen aus 50 Zeitungsverlagen und Verlagsangestellte, die sich wie in Bayern in Tarifverhandlungen befinden, bundesweit an Warnstreiks beteiligt - mehr als in vergangenen Tarifrunden.

Das wundert nicht, haben die Arbeitgeberverbände der Druckindustrie und Zeitungsverlage einen Generalangriff auf die in den 80er Jahren - v.a. in Druckindustrie - lang und hart erkämpften Errungenschaften gestartet, mit dem sie Kostensenkungen von bis zu 25 % im Personalbereich durchsetzen wollen:

In den Verlagen und in der Druckindustrie sollen die Arbeitszeiten verlängert und die Löhne und Gehälter massiv abgesenkt werden;

bei den RedakteurInnen soll sogar für NeueinsteigerInnen und KollegInnen, die den Verlag wechseln, ein “Tarifwerk 2” durchgesetzt werden, das Einkomemnsverluste von bis zu 25 % vorsieht.

Dass die Arbeitgeberverbände fest dazu entschlossen sind, hat der Verband der Druckindustrie (bvdm) durch seinen Verhandlungsführer Dr. Pütz bei den letzten Tarifverhandlungen am 17. Mai deutlich zum Ausdruck gebracht, als er sagte: „Wir sind angetreten, um Kosten aus dem Tarifvertrag rauszunehmen“.

Hintergrund

Es geht in dieser Tarifrunde um viel: Sowohl die Druckindustrie als auch die Zeitungsverlage befinden sich in einem Verdrängungswettbewerb bzw. in einem Konzentrationsprozess, in dem nur einige wenige große überleben werden. Die Druckunternehmen werden von der ökonomischen Notwendigkeit getrieben, massiv „Überkapazitäten“, die sie in den Boomjahren geschaffen haben,  abzubauen. Allein im letzten Jahr wurden mehr als 10.000 Arbeitsplätze in der Druckindustrie vernichtet. Auf der anderen Seite stecken die Zeitungsverlage seit Jahren in einer massiven Strukturkrise, die Anzeigenerlöse, die ihnen ihre Profite sicherten, brechen immer weiter weg. Nun wollen sie ihre Krise auf die Beschäftigten abwälzen. Arbeitsplatzabbau, Schließung von Druckbetrieben, das Sterben von traditionellen Zeitungen - eine „Marktbereinigung“ -, drastische Kostensenkungen im Personalbereich für den Rest der Belegschaften sind nach Logik der Unternehmer unabdingbare Voraussetzung, um als gesamte Branche wieder profitabel arbeiten zu können.

Um dies zu erreichen, brauchen sie v.a. in dem noch relativ kampfstarken Bereich der Druckindustrie eine grundsätzliche Veränderung des Kräfteverhältnisses zu ihren Gunsten. Insgesamt wollen die Unternehmerverbände mit ihrem Angriff auf die Flächentarifverträge, die Möglichkeit schaffen, weiter massiv Arbeitsplätze abbauen und beim Rest der Beschäftigten, massive Lohnabsenkungen durchsetzen zu können.

Dazu gehört auch - was seit einigen Monaten zu beobachten ist - eine systematische Tarifflucht bei den Zeitungsverlagen und ein verstärkter Einsatz von LeiharbeiterInnen in den Druckbetrieben. Auch im Redakteursbereich gibt es diese Entwicklung. Auch hier wurden massiv Arbeitsplätze abgebaut und viele feste Arbeitsstellen durch „feste freie“ RedakteurInnen ersetzt. Sie sind wiederum die ersten, die gehen müssen.

Das Vorgehen von ver.di

Es ist zu begrüßen, dass ver.di in verschiedenen Verlagen, die gesamte Belegschaft - Beschäftigte der Druckindustrie, RedakteurInnen, Verlagsangestellte und ZeitungszustellerInnen wie z.B. beim Süddeutschen Verlag oder bei den Stuttgarter Nachrichten und der Stuttgarter Zeitung (beide gehören zur Südwestdeutschen Medienholding (SWMH) - einer der größten Medienkonzerne in der Bundesrepublik) und auch Tiefdruck- und Rollenoffsetbetriebe („Akzidenzdruckereien“, die nicht zu größeren Verlagen gehören) - zu gemeinsamen Warnstreiks und tariflose Druckbetriebe zu Solidaritätsstreik aufruft.

Das wird aber nicht ausreichen, um die Angriffe der Arbeit“geber“verbände und die Wende, die sie in diesem noch kampfstarken Bereich durchsetzen wollen, abzuwehren und den Manteltarifvertrag, insbesondere die 35-Stundenwoche zu verteidigen. Ein erfolgreicher Kampf erfordert mehr!

Die gesamte Branche muss einbezogen werden: Neben den „Akzidenzdruckereien“ auch die Zeitschriftenverlage, die sich im Moment auch in Tarifverhandlungen befinden, sowie Buchverlage und Rundfunk, momentan in der „Friedenspflicht“ sind und nicht über langjährige Kampferfahrung verfügen. Solidaritätsstreik sind prinzipiell möglich. Es ist bekannt, dass die Druckindustrie immer eine Vorreiterrolle für die gesamte Medienbranche gespielt hat - was hier von Seiten der Unternehmer durchgesetzt wird, betrifft bald die gesamte Branche.

Warnstreiks sind erste Signale an die Unternehmer, dass die Beschäftigten sich zur Wehr setzen wollen und können, aber Urabstimmung über unbefristete Streiks müssen sofort von den Verantwortlichen eingeleitet werden, um geschlossen gegen die Attacke des Kapitals vorgehen zu können.

Nicht zuletzt hat der Kampf um die Verteidigung der 35-Stundenwoche und zur Verteidigung des  in dieser Branche hohen Lohn- und Gehaltsniveaus große Bedeutung über die Branche hinaus! Im Metallbereich z.B. ist die 35-Stundenwoche durch Öffnungsklauseln schon längst ausgehöhlt worden. Hier haben alle Gewerkschaften und politischen Kräfte, die sich auf die Interessen der Lohnabhängigen berufen, die Verantwortung, Solidaritätsaktionen bis hin zu Solidaritätsstreiks zu organisieren! Deswegen ist der Aufbau von Solidaritätskomitees mit den Streiks der Beschäftigten der Verlags- und Druckindustrie notwendig! Als ersten Schritt dazu müssen die Streiks, die derzeit im Groß- und Einzelhandel mit den Streiks in der Druckindustrie und bei den Zeitungsverlagen koordiniert und gemeinsame Streiks organisiert werden!

Wie kämpfen?

Bisher haben nur wenige Gewerkschafts- und Betriebsfunktionäre es in der Hand, wann, wer und wie lange gestreikt wird. Die Belegschaften selbst brauchen aber Klarheit und die Kontrolle darüber, wie und mit welcher Taktik der Kampf zum Erhalt des Manteltarifvertrages und für höhere Löhne und Gehälter geführt wird. Deswegen ist es notwendig, Streikleitungen in den Betrieben zu wählen, die den Beschäftigten direkt rechenschaftspflichtig sind, die mit den Belegschaften diskutieren, wie der Kampf erfolgreich geführt werden kann, bis die Forderungen der Unternehmerverbände vom Tisch sind.

Aber die Belegschaften brauchen auch Klarheit über die Bedingungen ihres Kampfes! Appelle und die Beschwörung „gemeinsamer“ Interessen von Unternehmern und Beschäftigten, wie es einige Gewerkschaftsverantwortliche tun, führen nicht weiter. Es nützt auch nichts, an die Unternehmer zu appellieren, dass Flächentarifverträge auch in ihrem Interesse seien, um gleiche Konkurrenzbedingungen zu konservieren, wie das jahrzehntelang der Fall war. Sie wollen und brauchen eine „Marktbereinigung“, um ihre Krise zu überwinden. In dieser Tarifrunde werden die Klassengegensätze und die gegensätzlichen Interessen von Unternehmern und lohnabhängig Beschäftigten so deutlich wie noch nie. Das muss den KollegInnen klar sein, um den Kampf mit aller Entschlossenheit zu Ende führen zu können.

Gerade bei den Zeitungsverlagen wird dieser Widerspruch sehr deutlich. Zeitungen haben formell den gesellschaftlichen Auftrag, zur politischen Willens- und Meinungsbildung beizutragen. Tatsächlich wird dieser „Auftrag“ jedoch den Profit- und Machtinteressen der Medien-Konzerne und der Gesamt-Bourgeoisie untergeordnet. Gerade vor dem Hintergrund der Forderungen des Verlegerverbandes in dieser Tarifrunde wird deutlich, dass den Kapitalisten und Gesellschaftern nicht länger die Geschäfte überlassen werden dürfen! Diese müssen entschädigungslos enteignet, die Verlage verstaatlicht werden - unter der Bedingung, dass diese von den Beschäftigten selbst fortgeführt und kontrolliert werden! Nur so ist es möglich, den Mediensektor sowohl inhaltlich als auch wirtschaftlich - unabhängig von Anzeigenerlösen - im gesellschaftlichen Interesse neu zu strukturieren. Die Kontrolle durch die Beschäftigten wiederum ist nicht nur notwendig, um ihre Interessen zu wahren, sondern um zugleich auch staatliche Bevormundung zu verhindern.

Für gemeinsame Streiks von Druckindustrie und Zeitungsverlagen für den Erhalt der 35-Stundenwoche und gegen die Absenkung der Löhne und Gehälter!

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Nr. 160, Juni 2011
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*  Heile Welt
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