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Ver.di-Kampagne im Gesundheitswesen

Der Deckel muss weg!

Anne Moll, Neue Internationale 131, Juli/August 2008

Die Gesundheitsministerkonferenz der Länder in Plön am 2./3. Juli war auch der Beginn der Kampagne von ver.di „Der Deckel muss weg“ in der Öffentlichkeit. So wurde die Konferenz in Plön von ca. 3.000 Krankenhausbeschäftigten mit einer Kundgebung und den Forderungen „Mehr Geld für Krankenhäuser, mehr Personal und Erhalt der Solidarsysteme“ begleitet. Dazu gab es Aktionen und Kundgebungen in verschiedenen Städten, z.B. in Bremen und Stuttgart.

Bemerkenswert an dieser Kampagne ist der Schulterschluss der Gewerkschaft mit den fälschlich so genannten „Arbeitgebern“, dem Städtetag, den Krankenhausträgern, dem deutschen Pflegerat sowie verschiedenen Berufsverbänden der Pflege und der ÄrztInnen.

Gemeinsam wurde ein Bündnis gegründet und die Kampagne entwickelt, die ihren Höhepunkt am 25. September 2008 mit einer bundesweiten Demonstration in Berlin haben soll. Die „Arbeitgeber“ selbst wollen für Fahrt und Freistellung der Beschäftigten in den Krankenhäusern sorgen, damit endlich mehr Geld ins Gesundheitssystem fließt!

Nach dem Motto „Wir sitzen alle in einem Boot“ unterstützt so auch der Stuttgarter Oberbürgermeister die Protestkundgebung der Beschäftigten und fordert mehr Geld für Krankenhäuser, weil Energiekosten, Nahrungsmittel für die Versorgung der PatientInnen und Löhne der Beschäftigten sonst nicht mehr bezahlbar sind.

Beim Personalratsvorsitzenden der Städtischen Kliniken Stuttgart hört sich das nur wenig anders an: „Nach jahrelangem Sparzwang sind die Kliniken jetzt kurz vor dem Ausbluten und das noch übrig gebliebene Personal kurz vor dem Zusammenbruch.“ Tatsächlich haben die Überlastung der Beschäftigten, die Unterbesetzung wie die Sparmaßnahmen der letzten Jahre teils erschreckende Ausmaße angenommen. Diese Situation zu ändern und mehr Pflegekräfte einzustellen und diese besser zu bezahlen ist das vordringlichste Ziel der Beschäftigtenvertretungen und von ver.di.

Alle in einem Boot?

Als erstes gehen bei diesem „Schulterschluss“ von Beschäftigten und „Arbeitgebern“ alle Forderungen nach einem Gesundheitssystem, das nach den Bedürfnissen der Bevölkerung ausgerichtet ist, über Bord. Baden gehen so auch die „paritätische Finanzierung“ und die  Übernahme der Investitionskosten durch Bund und Länder.

Mit keinem Wort erwähnt die Kampagne auch die unsinnige, nur auf Profit ausgerichtete Bezahlung nach Fallpauschalen (DRG). Diese wurden 2003 als das Allheilmittel der effizienten Versorgung der Patienten eingeführt. Damals im Rahmen der Agenda 2010 von ver.di noch bekämpft, werden sie jetzt als unabänderlich akzeptiert. Dass dadurch ein Drittel der Krankenhäuser Pleite geht, wussten alle und war von der damaligen Regierung (Rot/Grün) gewollt! Schließlich wurde argumentiert, es stünden zu viele Krankenhausbetten leer und könnten also abgebaut werden.

Auch über die Machenschaften der Pharmaindustrie und der Medizintechnik-Unternehmen, die skrupellos PatientInnen und Krankenkassen aus Profitgründen das Geld aus der Tasche ziehen, wird bei dieser Kampagne nicht geredet. Bei der kleinsten öffentlichen Kritik droht die Pharmaindustrie mit Verlagerung ihrer Produktionsstätten und mit Entlassungen.

Kein Wort fällt auch über den Verbleib der Profite jener zahlreichen Krankenhäuser, die Gewinne einfahren. Nicht erwähnt werden auch die unsäglichen Privatisierungen von Krankenhäusern und die Teilprivatisierungen von Reinigung, Küche, Hol- und Bringediensten und Therapiebereichen, die den Einsparungen zum Opfer gefallen sind. Gerade dort haben Beschäftigte oft noch schlechtere Arbeitsbedingungen und niedrigere Löhne als früher.

Vor allem aber wird überhaupt kein Gedanke daran verschwendet, woher das Geld denn kommen soll, da ein höheres Budget doch zwangsläufig steigende Krankenkassenbeiträge nach sich ziehen wird! Damit zahlen dann die Beschäftigten selbst die bessere finanzielle Ausstattung der Krankenhäuser.

Und wer entscheidet dann über die Finanzspritze? Natürlich nicht die Beschäftigten, das übernehmen dann die Krankenhausträger! Und damit sitzen dann nur noch sie allein im Boot, während alle Gewerkschaftsmitglieder und Beschäftigte, die für eine bessere Finanzierung auf die Strasse gegangen sind, baden gehen - und drauf zahlen!

Welche Haltung?

Trotz aller Schwächen muss diese Kampagne genutzt werden! Der „Budgetdeckel“ soll weg! Diese Forderung unterstützen wir voll und ganz.

Gleichzeitig werden wir aber jede Gelegenheit nutzen, unsere Kritik zu äußern und weitere Forderungen einzubringen - mit dem Ziel, am 25. September auf der Demonstration in Berlin möglichst viele kämpferische und oppositionelle GewerkschafterInnen und Beschäftigte zu versammeln und zu zeigen, dass wir gegen eine gemeinsame Kampagne mit der „Arbeitgeberseite“ sind udn nicht deren, sondern die Interessen der Beschäftigten und PatientInnen vertreten!

Ein Bündnis mit der Unternehmerseite und der Krankenhausverwaltung führt dazu, dass die Interessen der Beschäftigten, aber auch der großen Masse der PatientInnen untergebuttert werden.

Vor allem lässt sich auf einer solchen Basis kein politischer Abwehrkampf gegen einen Fronatlangriff der Regierung und der Kapitalisten zur weiteren neoliberalen Unstrukturierung des Gesundheitssystems führen. Das lehrt auch die Erfahrung.

Schließlich ist es nicht die erste Kampagne dieser Art. Schon vor fünf Jahren hat ver.di den Unmut der Beschäftigten bezüglich der Krankenhausfinanzierung in eine gemeinsame Demonstration mit der Unternehmensseite in Berlin kanalisiert. Die Folge? Es gab nicht mehr Geld für die Kliniken, die Krankenhausträger erwiesen sich auf ihre Art dankbar - und rationalisierten 10.000e Stellen weg!

Das ist eben die böse Fälle bei einem solchen Volksfrontbündnis: Werden die „Arbeitgeber“wünsche nicht erfüllt, dann halten diese sich an den eigenen Angestellten schadlos. Und eine Gewerkschaft, die vor Ort Arbeitsplatzabbau, Verschlechterung der Patientenbetreuung und Zunahme der Arbeitsverdichtung mitträgt, gibt dazu indirekt „grünes Licht. Bleibt das Geld von Bund, Land oder Gemeinde aus - Pech! Da kann man dann nichts machen außer Stationen oder Kliniken zu schließen und das Personal vor die Tür zu setzen ...

Wir fordern:

Stopp aller Entlassungen!

Bereitstellung und Finanzierung von Krankenhäusern nach Bedarf, der von der Arbeiterbewegung, Versicherten und Beschäftigten ermittelt wird!

Weg mit den Fallpauschalen!

Rücknahme aller Privatisierungen, Teilprivatisierungen und Auslagerungen einzelner Betriebsteile im Gesundheitswesen!

Kontrolle der Bilanzen durch die Beschäftigten!

Entschädigungslose Enteignung der Pharma- und Medizintechnikindustrie sowie der Klinikkonzerne!

Entwicklung und Forschung unter Kontrolle der Arbeiterbewegung, Versicherten und Beschäftigten!

Arbeiterkontrolle über Arzneimittel und Heilmethoden! Widerruf der Zulassung für gefährliche und/oder unwirksame Medikamente und Therapieansätze! Beschleunigte Zulassung für Therapeutika bei Schwerstkranken! Kontrollierte Erprobung von alternativen Heilmethoden!

Deutlich bessere Bezahlung für alle nichtwissenschaftlichen Angestellten und ArbeiterInnen im Gesundheitswesen! Entschädigungslose Enteignung sowie Konfiskation des Vermögens von Firmen, die Tarif- bzw. gesetzlichen Mindestlohn unterschreiten!

Sofortige Abschaffung der Zuzahlungen und Eigenbeteiligungen!

Kontrolle über das Gesundheitswesen durch unabhängige Organe der Arbeiterbewegung, Versicherte und Beschäftigte!

Für einen am Interesse von NutzerInnen, Versicherten und Beschäftigten ausgerichteten Plan für Gesundheitswesen und Forschung!

Für ein paritätisch finanziertes Gesundheitssystem und einheitliche Versicherungspflicht für alle! Die Beiträge der Arbeit„geber“ gehören zum zweckbestimmten indirekten Kollektivlohnfonds aller sozialversicherungspflichtig Beschäftigten. Einstellung oder Kürzung der Arbeitgeberbeiträge sind deshalb Lohneinbußen!

Für einen Investitionsplan, finanziert durch eine Progressivsteuer auf Einkommen, Vermögen und Gewinne unter Kontrolle der Arbeiterklasse! Ausstattungs-, Reparatur- und Baufirmen müssen mindestens Tariflöhne bzw. einen von den Organen der Arbeiterbewegung festgelegten Mindestlohn bezahlen!

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Nr. 131, Juli/Aug. 2008
*  EU-Reformvertrag: Rote Karte von der Grünen Insel
*  Inflation in Europa: Kapitalismus kommt teuer
*  Ver.di-Kampagne im Gesundheitswesen: Der Deckel muss weg!
*  Sri Lanka: Solidarität mit internationalistischen Gewerkschaften
*  Altersteilzeit: Streik vorbereiten!
*  Bayrisches Versammlungsrecht: Politischer Streik für Demonstrationsrecht!
*  Heile Welt
*  "Klimaschutzpaket" der Bundesregierung: Neue Mogelpackung
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*  Iran: Imperialismus verstärkt Drohungen