Arbeitermacht
Liga für die fünfte Internationale

Nord & Südamerika Europa Asien & Australien


google.de arbeitermacht.de

US-Wahlen

Das Obama-Phänomen

Andy Yorke, Neue Internationale 129, Mai 2008

Barack Obamas Bewerbungskampagne für die US-Präsidentschaftskandidatur der Demokratischen Partei hat die Berechnungen der Experten über den Haufen geworfen. In nur drei Monaten seit seinem Überraschungssieg am 3. Januar 2008 bei den Nominierungswahlen in Iowa ist Obama an die Spitze der Kandidaten gerückt und liegt nach Delegiertenstimmen knapp vor Hillary Clinton, ehe auf dem Konvent der Demokraten im August über die endgültige Nominierung entschieden wird. Darüber hinaus hat er sich als politisches ‚Phänomen' erwiesen, das starke Anhängerschaft unter jungen Wählern hat wie seit den 60er Jahren nicht mehr.

Beide demokratische Kandidaten richten sich zunehmend auch an Arbeiterschichten, um etwas von der Frustration und dem Zorn über den Irakkrieg, stagnierende Löhne und die Wirtschaftskrise für sich zu nutzen. Eine Umfrage der New York Times vom 3.April ergab, dass 81% aller Amerikaner glauben, die USA befinde sich ‚ernsthaft' auf einem falschen Weg. Das ist ein völliger Stimmungsumschwung  gegenüber 2003 (35%) und die höchste Zahl an Zweiflern seit Beginn der Umfagen 1993.

Aber ihre Kampagnen sind höchst unterschiedlich. Hillary Clinton betont ihre Erfahrung im Politikgeschaft als Begleiterin ihres Mannes Bill, der  8 Jahre im Weißen Haus regierte. Diese Kontinuität wird durch ihre Paarkampagne unterstrichen, in der der ehemalige Präsident ihr genauso zur Seite steht wie sie einst ihrem Gatten. Sie versucht, Wähler zurück zu gewinnen, die zu den Republikanern abgewandert sind, indem sie sich als kompetent und hart in Fragen der nationalen Sicherheit darstellt.

Im Gegensatz dazu setzt Obama, der erst seit 2004 Senator ist, auf die Gewinnung neuer, junger Wählerschichten. Seine Themen sind Klimaschutz, Irakkrieg und mehr ökonomische und soziale Gerechtigkeit.

Auf Massenversammlungen hat er mit allgemeinen Versprechungen für einen „Wandel“ die verbreitete Krisenstimmung zum Ausdruck gebracht. Er will ‚die Nation heilen', den derzeitigen Kurs in Washingten ändern, die Einheit zwischen konservativen republikanisch geprägten ‚roten Bundesstaaten' und demokratisch dominierten ‚blauen Bundesstaaten' wieder herstellen und ‚eine Koalition aus Weißen und Schwarzen, Latinos und Asiaten, Arm und Reich, Jung und Alt schmieden'.

Die „Dreiecksstrategie“ der Demokraten versucht, einerseits den Republikanern entgegen zu kommen und sich andererseits der WählerInnen (Arbeiter, Frauen, ethnische Minderheiten) zu bedienen, die nicht die Republikaner wählen wollen und mangels Alternative für den demokratischen Kandidaten stimmten.

Die Demokraten haben sich in manchen Fragen als ‚republikanischer als die Republikaner' erwiesen, so z. B. bei der Reform der öffentlichen Versorgung und der Haushaltsverteilung auf Kosten von Sozialprogrammen, um sich die Unterstützung des Kapitals zu sichern. V.a. Hillary Clinton hat als ‚Frau Dreiecksstrategie' ihre Karriere darauf begründet. Aber der Präsidentschaftskandidat von 2004, John Kerry, fiel damit durch.

Obamas Rhetorik und die Aussicht auf den ersten schwarzen Präsidenten in der Geschichte der USA haben starke Illusionen bei jungen Wählern, Schwarzen und Antikriegsaktivisten hervorgerufen. Ein Heer von freiwilligen Helfern lässt seine Wahlkampagne als Basisbewegung erscheinen und hat ihm genügend Kräfte zugeführt, um Hillary Clinton zu überflügeln, die noch 2007 als ‚unvermeidliche' Kandidatin der Demokratischen Partei gehandelt wurde.

Nach seinem Erdrutschsieg in Iowa hat Obama sich angeschickt, die Mehrheit der Vorwahlen der Demokratischen Partei zu gewinnen und einen Vorsprung von 1.418 Wahlmännern gegen Clintons 1.250 zu erlangen. Am 4.März konnte Clintons Kampagne endlich wieder die Niederlagenserie vom Februar durchbrechen, als sie an einem Tag in Texas, Ohio und Rhode Island siegte. Die nächste Vorentscheidung fällt am 22.April in Pennylvania, einem großen Staat, der 188 Delegierte bringt und daher von eminenter Bedeutung für beide Kandidaten ist.

Obama hat in Clintons angestammtem Revier gewildert und bei Frauen und Latino-Arbeitern gepunktet, muss aber noch beweisen, dass er auch bei weißen ArbeiterInnen in Schlüsselstaaten wie Pennsylvania ankommt und damit auch die Präsidentschaftswahlen im November gewinnen kann. Weiße Akademiker bevorzugen Obama, die übrigen männlichen weißen Amerikaner hingegen eher Clinton.und bringen ihr einen Vorteil in den alten Industriestaaten wie Pennsylvania oder Ohio.

Umfragen besagen, dass der 15%-Vorsprung vor Obama Anfang März auf 5% eingedampft ist. Die Spenden für Obama bis März beziffern sich auf 40 Millionen $ und sind damit doppelt so hoch wie die für Clinton. Ein Teil davon stammt aus kleineren Beträgen, die über Internet in den Wahlfonds fließen, aber er erhält in Wahrheit auch doppelt so viele Zuwendungen wie Clinton vom Großkapital. Hinter dem freiwilligen Helferheer steckt ein ausgeklügelter gut geschmierter Apparat, der eine pausenlose Berieselung durch Radio- und Fernsehspots erst möglich macht.

Der wahre Obama

Was steckt also hinter der Wahlkampfrhetorik des ‚Wandels'? Wird er die Träume seiner meist jugendlichen Kampagnenaktivisten erfüllen?

Im letzten Jahr hat sich die Hauptdebatte am Irakkrieg entzündet als Prüfstein für angeblich verschiedene Methoden der Außenpolitik. 2002 sprach sich Obama als Mitglied des Senats von Illinois gegen den Irakkrieg aus, während Hillary Clinton dafür stimmte und Bush einen Blankoscheck für die Kriegsführung ausstellte. Doch Obama räumte in Interviews ein, dass er in Kenntnis von Geheimdienstberichten seine Meinung zur Invasion geändert haben könnte - also kaum eine konsequente Oppositionshaltung zum ‚Krieg gegen den Terror' von ihm zu erwarten ist.

Kandidat des Kapitals

Obama war ähnlich schnell bei der Hand, Schecks für Bushs Ersuchen zur Finanzierung der Besetzung zu unterschreiben, so wie er sich auch genau wie Clinton bei der Abstimmung zur nationalen Sicherheit verhalten hat. Er steigert seine Rhetorik im Wetteifer mit Clinton, versichert seine Unterstützung für Israel gegen ‚die perverse und hasserfüllte Ideologie des radikalen Islam', tritt für den Verbleib von US-Truppen im Irak und die Verschärfung des Krieges in Afghanistan ein.

Er will damit der US-Kapitalistenklasse signalisieren, dass er die imperialistischen Außeninteressen der USA sicher zu wahren weiß. Zudem wollte er auch Bedenken zerstreuen, er wolle durch seine populistische Rhetorik mit der Anti-Kriegsbewegung wie z. B. der MoveOn.org paktieren. Obamas Präsidentschaft brächte keinen wirklichen Rückzug aus den besetzten Gebieten in Nah- und Mittelost.

Seit der Wall Street-Krise Mitte März und angesichts der Vorwahlentscheidung in Pennsylvania haben beide Kandidaten die kommende Rezession zum Thema gemacht. Allein im März wurden 80.000 Arbeitsplätze gestrichen und die Arbeitslosigkeit ist mit 5,1% auf den höchsten Stand seit drei Jahren gestiegen. Hausbesitzwechsel und Hypothekenpfändungen haben gewaltig zugenommen.

Obama und Clinton haben zwar die ‚Bushonomics' gegeißelt, aber die Wirtschaftspolitik der Regierung im wesentlichen mitgetragen. Fast eine Billion $ hat sie den Wall Street-Anlegern an billigen Darlehen oder Direktsubventionen in den Rachen geworfen, wie im Fall der 29 Milliarden $ als Bürgschaft für die abgeschriebenen Bankeinlagen von Bear Sterns, so dass J. P. Morgan die bankrotte Investmentbank übernehmen konnte.

Clinton und Obama haben in populistischen Reden gefordert, dass die Regierung den Millionen Amerikanern, die ihren Arbeitsplatz und ihr Haus verloren haben, helfen solle. Obama sagte: „Wenn wir den Banken an der Wall Street die Hand reichen, können wir auch den Amerikanern beispringen, die ohne eigenes Verschulden ums Überleben kämpfen.“

Aber keiner von beiden hat eine gangbare Lösung aus der Krise gewiesen. Clinton regt einen Rückzahlungsaufschub für verschuldete Hausbesitzer und einen Regierungsfonds zum Aufkauf von Hypotheken an, um die Banken abzufinden. Obamas Politik ist sogar noch kapitalfreundlicher. Er plädiert für eine Regelung durch den Markt, allerdings mit strengeren Auflagen für den Finanzsektor, ohne die ökonomische ‚Innovation' zu behindern.

Diese Politik weicht dem Ausmaß der tatsächlichen Großzügigkeit gegenüber der Hochfinanz aus und löst weder die Krise noch erleichtert sie das Los der ArbeiterInnen, die das Abschmelzen der Wirtschaft am heftigsten zu spüren bekommen.

Zwickmühle

Obama verspricht Steuersenkungen für arbeitende Familien und für aus dem Arbeitsleben ausgeschiedene Arbeiter, erschwingliche Gesundheitsfürsorge, verbesserte Infrastruktur sowie Schulen und Hochschulen. Wo das Geld dafür herkommen soll, zumal er auch versprochen hat, den US-Finanzhaushalt zu sanieren, bleibt offen.

Obamas Präsidentschaft würde in die Zwickmühle geraten zwischen der Rezession und den 9,4 Billionen Staatsschulden, die sich unter Bush angehäuft haben. Jede Umverteilung zu Gunsten der Arbeiterklasse würde die Profite der Kapitalisten stark beschneiden. Nach 35 Jahren stagnierender Profitraten, in denen der US-Kapitalismus ständig Arbeitsplätze abgebaut, Renten und Gesundheitsversorgung gekürzt, Löhne niedrig gehalten und Steuergeschenke an die Reichen durchgesetzt hat, werden die Kapitalisten nicht ruhig zuschauen, wie diese Politik im Handumdrehen und ohne Widerstand gekippt wird. Aber auf diesen Kampf will sich Obama auch gar nicht einlassen.

Der US-Kapitalismus kann nicht reformiert werden zum Wohle der Mehrheit der amerikanischen Bevölkerung und gleichzeitig zur Zufriedenheit der herrschenden Klasse und ihre Profitrate. Obamas Versprechungen, die Politik zu ändern und in ein neues Zeitalter zu führen, beruhen auf dieser Illusion, doch diese Rechnung geht nicht auf. Seine Appelle zu Toleranz und Einheit klingen hohl, wenn er sich beispielsweise weigert, Interviews für Publikationen von Homosexuellen zu geben, weil er sich fürchtet, damit ein heißes Eisen anzupacken.

Phänomen oder Schwindel?

Auch Obama ist wie Clinton ein ‚Dreieckspolitiker'. Keiner von beiden beißt die Hand, die sie füttert: die Mehrheit der Geldgeschenke des Großkapitals ist in diesem Wahlkampf von den Republikanern auf die demokratischen Kandidaten übergegangen. Die Mittel kommen von Banken, Hedgefonds, privaten Aktiengesellschaften und anderen Finanzinstituten. Für den US-Kapitalismus ist eine Regierung der Demokraten der beste Weg aus der Sackgasse, in die Bush geführt hat.

Obama gewinnt weitere Teile des Establishments der Demokraten, die die mobilisiernde Kraft seines Images brauchen, um zu gewinnen. Sie brauchen sie auch, um die Arbeiterklasse zu verwirren, in die Irre zu leiten und ruhig zu halten und die Illusion zu säen, dass ihr Leben sich bessern wird, wenn sie bereit sind, den schmerzlichen Weg der Rezession auf sich zu nehmen, der den USA bevorsteht.

SozialistInnen müssen 2008 versuchen, den Obama-Schwindel vor den Augen seiner fortschrittlichen Wahlhelfer, den Schwarzen, Hispanoamerikanern, Jugendlichen und Arbeitern zu entlarven. Wir müssen klar machen, warum Obama unseren Rückhalt nicht verdient und uns darauf einstellen, all jene unvermeidlich enttäuschten Anhänger in den kommenden Jahren für einen erneuten Kampf zu mobilisieren und den Aufbau einer neuen Arbeitermassenpartei anzugehen, die eine sozialistische Revolution in den USA führen kann.

Leserbrief schreiben   zur Startseite


Nr. 129, Mai 2008
*  Erster Mai 2008: Gegen kapitalistische Krise, imperialistische Besatzung und Krieg!
*  Nach dem ver.di-Abschluss: Verhinderter Kampf
*  Post: Streik ist nötig!
*  KurdInnen in der BRD: Weg mit dem PKK-Verbot!
*  Bildung im Kapitalismus: Wa(h)re Bildung
*  Weltwirtschaft: Von der Immobilienblase zur Bankenkrise
*  Heile Welt
*  US-Wahlen: Das Obama-Phänomen
*  Frankreich: Die LCR und die neue antikapitalistische Partei
*  Frankreich, Mai 68: Alles war möglich