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Tarifrunde Öffentlicher Dienst

Ver.di reduziert Forderungen

Helga Müller, Neue Internationale 126, Januar/Februar 2008

In der Öffentlichkeit verkaufen Bsirske, der verdi-Vorstand und selbst der Beamtenbund die Tarifforderungen 2008 als Rückholoffensive nach Jahren von Lohnverlust, Arbeitszeitverdichtung und Personalabbau.

Zweifellos sind die Forderungen ein Ausdruck größeren Kampfwillens wie auch einer Verschärfung der Einkommenssituation infolge von Inflation und Steuererhöhungen. Die Vorstände geben sich daher „entschlossen.“ Doch diese Rhetorik darf nicht blind machen gegenüber den Problemen, die ver.di nicht angehen will.

Das beginnt schon damit, dass der ver.di-Vorstand die Tarifrunde 2008 auf Gehaltsforderungen beschränken will. Kein Wort zu den Forderungen der kommunalen Arbeitgeber nach Arbeitszeitverlängerung und Ausbau der leistungsorientierten Bezahlung!

Die ver.di-Bundestarifkommission fordert für die Beschäftigten bei Bund und Kommunen eine lineare Erhöhung der Einkommen um 8 Prozent, mind. 200 Euro und eine Laufzeit von 12 Monaten.

Forderungen der Arbeitgeberverbände

Die kommunalen Arbeitgeber (KAV) haben bereits im November 2007 ihre Forderungen auf den Tisch gelegt, diese stehen unter dem Motto “Den Weg der Modernisierung weitergehen - für attraktive und sichere Arbeitsplätze.” Ihre Hauptforderungen in dieser Tarifrunde bestehen darin:

die Entgelte dürfen nur maßvoll steigen.

Begründet wird das damit, dass die “hohen Abschlüsse in der Privatwirtschaft kein Maßstab sein [können]”, da “die kommunalen Einrichtungen weit überwiegend unter strukturellen Defiziten [leiden], die nur beschränkte Spielräume für Einkommensverbesserungen eröffnen”, um ja bei den Beschäftigten des öffentlichen Dienstes keine “falsche” Erwartungshaltung zu erzeugen, auch etwas vom konjunkturellen Aufschwung abzukriegen.

Die Arbeitszeit bei den Kommunen soll verlängert und vereinheitlicht werden.

D.h. sie sollen an die Arbeitszeit bei den Ländern angeglichen werden, die bei bis zu 40 Stunden in der Woche liegt - wie es die Meistbegünstigungsklausel erlaubt, die unter Zustimmung von ver.di im TVöD festgelegt wurde.

Die Bezahlung nach Leistung soll ausgebaut werden.

Bisher liegt der Leistungsbezug, der im Gehalt eingearbeitet ist, “nur” bei einem Prozent. Für die KAV zu wenig, dieser soll auf acht Prozent erweitert werden.

Wie beim Streik der Lokführer wird hier nun auch noch die “Tarifeinheit” von Seiten des Arbeitgeberverbandes eingefordert, die schon lange nicht mehr existiert. Gerade mit dem neuen TVöD, der im Einklang von ver.di, Bund und Kommunen im Jahr 2005 ausgehandelt wurde, wurde der Flächentarifvertrag in mehrere Spartentarifverträge zersplittert. Begründet wird das Ganze noch damit, dass “der soziale Friede in den Verwaltungen und Betrieben ... nicht durch Tarifauseinandersetzungen der verschiedenen Beschäftigtengruppen um eigenständige Tarifregelungen gefährdet werden” darf. Das Deutsche Bahn AG-Personalvorstandsmitglied Suckale lässt grüßen!!

Keine Streiks!

Als Höhepunkt wird von der KAV noch eingefordert, dass das Ergebnis in Verhandlungen erreicht werden soll, da Streiks allen schaden. Ein Appell an die ver.di Bundestarifkommission doch wieder zu den für die Arbeitgeber “optimalen” Verhandlungsbedingungen der Jahre 2003 - 2005 zurückzukehren, wo ver.di ohne nur einmal zu Streiks aufzurufen, den neuen TVöD mit Bund (am Anfang noch die Bundesländer) und Kommunen ausgehandelt hatte.

Zwar ist die relativ hohe Gehaltsforderung zu begrüßen, aber mit keinem Wort geht die Bundestarifkommission auf den Frontalangriff des KAV nach Arbeitszeitverlängerung und Erhöhung des Anteils des Leistungsbezuges bei der Bezahlung ein!

Gerechtfertigt wird dies, wie es der Tarifkoordinator für Bayern Norbert Flach auf der Münchner Aktionskonferenz zur Festlegung der Forderungen am 20.11.07 getan hatte: Man solle doch den Arbeitgebern nicht auf den Leim gehen, Forderungen aus dem Gehaltstarifvertrag mit Forderungen aus dem Manteltarifvertrag (Arbeitszeitverlängerung; leistungsbezogener Gehalt) zu vermischen. Es ginge jetzt nur um den Gehaltstarifvertrag nicht um den Manteltarifvertrag, dieser sei noch nicht gekündigt. Deswegen sei es jetzt nötig, die Tarifverhandlungen auf reine Gehaltsforderungen zu reduzieren, ansonsten würde man nichts durchkriegen!

Illusionen der Bürokratie

Dahinter steckt die Illusion, man könne die öffentlichen Arbeitgeber argumentativ davon überzeugen, doch die anderen Forderungen wie Arbeitszeitverlängerung jetzt erst einmal fallen zu lassen, da dies nichts mit dem Gehalt zu tun habe und dass auch die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes das Recht hätten, vom konjunkturellen Aufschwung zu profitieren - wie auch in dem zentralen Flugblatt für die Tarifrunde 2008 im öffentlichen Dienst argumentiert wird.

Des weiteren wird in dem Flugblatt mit der Stärkung der Binnenkonjunktur argumentiert. Ein weiterer Appell an die öffentlichen “Arbeitgeber” doch einzusehen, dass wenn die Gehälter erhöht werden, der Konsum steigt und damit die Konjunktur angeheizt wird. Kein Wort dazu, dass durch die Steuer”reformen” der letzten Jahre, die öffentlichen Haushalte ausgeblutet wurden zugunsten einer gigantischen steuerlichen Entlastung der großen Unternehmen! Dies ist auch der eigentliche Grund, dass die öffentlichen “Arbeitgeber” zu den erneuten Angriffen auf die Beschäftigten im öffentlichen Dienst ausholen.

Gleichzeitig bedeutet dies einen Schlag ins Gesicht der Beschäftigten und ver.di-KollegInnen, die auf Konferenzen wie z.B. auf der Münchner Aktionskonferenz weiter gehende Forderungen aufgestellt hatten:

6 - 15 %  Gehaltserhöhung und/oder einen Festgeldbetrag von mindestens 250,-- Euro bis 450,-- Euro (damit die unteren Einkommen verhältnismäßig höher steigen als die oberen Einkommensbereiche). Keine Einmalzahlungen.

Abschaffung der Entgeltgruppe 1.

Weg mit dem Niedriglohnsektor, den ver.di bei der “Reform” des BAT in den TVöD neueingeführt hatte, um die Auslagerung von bestimmten Dienstleistungen an private Anbieter zu verhindern!

Keine Verlängerung der Arbeitszeit; die 38,5 Wochenstunden soll unangetastet bleiben

Nach einer kleineren Diskussion wurde sich darauf geeinigt, die 35 Stundenwoche zu fordern, um zumindest die 38,5 Wochenstunde halten zu können

Abschaffung des leistungsbezogenen Gehalts (§ 18 des TVöD). Dieser wurde bei den Verhandlungen zum TVöD neu eingeführt.

Damit haben die Kollegen/innen deutlich gemacht, dass sie keine weiteren Verschlechterungen, die einmal im TVöD mit Zustimmung von ver.di ausgehandelt wurden, akzeptieren können und wollen.

Die Stimmung, über die die Delegierten aus 16 Bereichen des öffentlichen Dienstes - angefangen bei den Städtischen Klliniken über den Flughafen, die Abfallwirtschaft, den städtischen Bibliotheken bis hin zur ver.di-Jugend - berichteten, war einhellig: Die Erwartungshaltung der Gewerkschaftsmitglieder und Beschäftigten für die kommende Gehaltstarifrunde ist hoch.

Aus den Bereichen Ver-/Entsorgung und Abfallwirtschaft (kampfstarke Bereiche) wurde berichtet, dass die KollegInnen äußerst sauer und kurz davor sind, ihre Gewerkschaftsbücher hinzuschmeißen, wenn es keine substantiellen Verbesserungen gibt. Gerade die KollegInnen in den unteren Lohngruppen können von ihren Gehältern kaum noch leben und müssen schon Nebenjobs annehmen, um ihre Existenz noch sichern zu können. Der Kollege aus der Abfallwirtschaft machte deutlich, dass bei dem privaten Konkurrenzunternehmen Remondis mittlerweile mehr verdient wird als im öffentlichen Dienst und die Folge davon ist, dass die KollegInnen in die Privatwirtschaft abwandern. Die Einführung der Niedriglohngruppe (Entgeltgruppe1)  - die von der ver.di-Tarifkommission, den Mitgliedern nach Abschluss des TVöD im Frühjahr 2005 damit schmackhaft gemacht wurde, dass damit Auslagerungen und Privatisierungen verhindert würden! - hat also wie von den Kritikern befürchtet, einen Abwärtstrend der Gehälter im öffentlichen Dienst gebracht, sonst gar nichts!

Berechtigte Vorbehalte

Die KollegInnen haben recht, wenn sie gegen die Forderungen der Arbeitgeberseite ihre Forderungen nach Gehaltserhöhung, Arbeitszeitverkürzung, Abschaffung des leistungsbezogenen Gehalts und der Niedriglohngruppe aufrecht erhalten. Nur so können sie den Forderungen des Arbeitgeberverbandes, die Spirale noch weiter nach unten zu drehen, klare Forderungen entgegenstellen, nur in dieser Kombination können die KollegInnen des öffentlichen Dienstes eine höhere Einkommen durchsetzen - spätestens bei den Verhandlungen zum Manteltarifvertrag werden die öffentlichen “Arbeitgeber” versuchen, die höheren Einkommen mit Arbeitszeitverlängerung und einem höheren Leistungsbezug bei den Einkommen zu verrechnen! - und nur so können sie letztendlich die Öffentlichkeit von ihren berechtigten Anliegen überzeugen.

Die KollegenInnen haben recht, weil sich die öffentlichen “Arbeitgeber” nicht an die Beschwichtigungstaktik der ver.di Tarifkommission halten werden - wie sie es schon nicht in den Verhandlungen zum TVöD getan hatten -, sie haben ihre Forderungen klar dargelegt: Sie wollen die Arbeitszeitverlängerung, um keine neue MitarbeiterInnen einstellen zu müssen und letztendlich Personal abbauen zu können und sie wollen einen immer größeren Anteil des Gehalts leistungsbezogen auszahlen, um Kosten zu sparen und die Sanierungspolitik der Haushalte weiterführen zu können und um die Bedingungen zu schaffen noch mehr Bereiche der öffentlichen Versorgung zu privatisieren und den Profitinteressen von Privatinvestoren auszuliefern.

Es wird Anfang Januar noch mehrere Veranstaltungen zur Vorbereitung der Tarifrunde geben, auf denen die KollegInnen ihre Forderungen, einbringen werden, die falsche Taktik der ver.di Führung gegenüber den öffentlichen Arbeitgebern aufzeigen und versuchen müssen den Kampf unter ihre Kontrolle zu bekommen.

Die letzten Jahre haben gezeigt und die Entscheidung der Bundestarifkommission, die Forderung auf eine reine Gehaltsforderung zu reduzieren zeigt erneut, dass die Führung nicht in der Lage und nicht willens ist, den Kampf gegen die ständigen Verschlechterungen, die die Beschäftigten in den letzten Jahren hinnehmen mussten, in einem koordinierten Kampf zurückzuschlagen.

Notwendig ist es

in den Betrieben, in den Dienststellen, in den Verwaltungen mit den KollegInnen, die Forderungen der Bundestarifkommission zu diskutieren und einer Kritik zu unterwerfen und ihre Forderungen dem entgegenzustellen;

in den einzelnen Betrieben, Dienststellen und Verwaltungen Streikkomitees der Gewerkschaftsmitglieder und aller Beschäftigten aufzubauen, die die Streikleitung wählen und die die Taktik im Kampf um die Forderungen diskutieren und beschließen. Diese müssen während eines Streiks in Streikversammlungen vor Ort zusammengefasst werden, die lokal den Kampf führen. Daraus müssen Delegierte für eine bundesweite Streikleitung gewählt werden, die den Streik führen und gegenüber den Mitgliedern und Beschäftigten rechenschaftspflichtig sind.

Nur so können die Gewerkschaftsmitglieder und Beschäftigen den Kampf unter ihre Kontrolle bekommen und die falschen Taktiken der bisherigen Führung durchbrechen und einen Schritt zu Schaffungen einer klassenkämpferischen Basisbewegung legen, die nicht nur bei den Tarifrunden, sondern permanent eine politische Alternative zur Bürokratie, also letztlich den Keim einer neuen Kampfführung, darstellt.

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Nr. 126, Jan./Feb. 2008
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