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Venezuela

Abstimmungsniederlage gefährdet Chavez Projekt

Tim West, Neue Internationale 126, Januar/Februar 2008

Am 2.12.2007 erlitt der venezolanische Präsident Hugo Chávez die erste Abstimmungsniederlage seit seiner Wahl 1998. Zur Abstimmung standen Reformen der bolivarischen Verfassung von 1999. Chávez hatte versprochen, die Änderungen würden „die Wurzeln der Revolution vertiefen“ und die „Volksmacht“ stärken.

Seine Vorschläge wurden mit 50,7% Gegenstimmen bei 45%iger Wahlenthaltung abgelehnt.

Diese Niederlage ist mit Unbehagen von weiten Teilen der venezolanischen Massen, die hinter Chávez und seiner ‚bolivarischen Revolution' stehen, aufgenommen worden und ermutigt die Rechten, die schon auf den Straßen feiern. Auch das Weiße Haus in den USA begrüßte dieses Ergebnis. Es könnte zum Ausgangspunkt für eine Destabilisierung Venezuela werden.

Ursachen der Niederlage

Auf den ersten Blick könnte man davon ausgehen, dass die Massen gegen Chávez und den revolutionären Prozess insgesamt gestimmt hätten. Doch ein genauerer Blick auf die Wahlergebnisse  zeigt ein anderes Bild: wenn man die Wahlergebnisse mit den Ergebnissen der Präsidentschaftswahlen vor einem Jahr vergleicht, stellt man fest, dass die Opposition nur ca. 200 000 Stimmen dazu gewonnen , während Chávez fast 3 Millionen Stimmen verloren hat. Das zeigt deutlich, dass die Mehrheit der VenezolanerInnen nicht für die Opposition gestimmt hat, sondern vielmehr  nicht bereit war, für die Verfassungsreform zu stimmen.

Die Niederlage ist im wesentlichen auf Chávez eigenes Verhalten zurück zu führen und auf die inneren Widersprüche seines populistischen Regimes.

Das zeigt eine Betrachtung der Inhalte der Verfassungsreformen, die zur Abstimmung standen. Chávez hat einige durchaus positive und unterstützenswerte, wenn auch begrenzte, Reformen zusammengebündelt. Demokratischen Maßnahmen, die den immer  noch kapitalistischen venezolanischen Staat gestärkt hätten, verdienen deshalb noch keinen Rückhalt.

Was stand im Verfassungsentwurf?

Die positiven Maßnahmen versprachen den im informellen  Sektor soziale Sicherheit  tätigen Menschen (die Hälfte der venezolanischen Beschäftigten), verboten geschlechtliche Diskriminierung, kündigten die Festigung von Landreformen und die ‚Abschaffung des Großgrundbesitzes' an, erhoben die 36 Stunden-Woche zum Gesetz und erklärten freien Universitätszugang zum Recht für alle. Das Wahlalter sollte auf 16 herabgesetzt werden. Die Bildung von kommunalen Räten sollte anerkannt und  5% des Staatshaushalts diesen Basisorganisationen zu Gute kommen.

All dem könnten Revolutionäre kritisch beipflichten. Unsere Kritik wendet sich gegen die Beschränktheit der Maßnahmen. Sie waren nicht geeignet, den Schutz des Privateigentums an Land, Fabriken, Banken, Medien usw. aus der Verfassung von 1999 anzugreifen.

Aber das Antragspaket war auch darauf ausgerichtet, die Macht des Präsidenten und die Befugnisse des Präsidialamtes zu stärken. Die Amtszeit sollte von 6 auf 7 Jahre verlängert werden und im Fall eines Ausnahmezustandes sollte er mit zusätzlich weitreichenden Vollmachten ausgestattet sein. Dem können wir nicht zustimmen und dem haben offenkundig auch viele AnhängerInnen der venezolanischen Revolution nicht zugestimmt. Das Recht auf einen Prozess für Untersuchungsgefangene binnen 180 Tagen sollte  ebenso beseitigt werden wie die Rechtsgarantie auf freien Zugang zu Informationen.

Diese Änderungen hätten die jetzt schon beträchtliche Macht des Präsidentenamts noch mehr erweitert. Zwar argumentierten Chávez und seine Anhänger, dies würde sich nur gegen die Rechten richten, gegen Putschversuche der alten Oligarchie, die vom US-Imperialismus gefördert werden. Aber was geschähe, wenn Chávez einem Attentat zum Opfer fiele, er von einem General wie Isaias Baduel ersetzt würde, sein früherer Verteidigungsminister, der  maßgeblich  den Staatsstreich von 2002 vereitelte, sich mittlerweile aber auf die Seite der Rechten geschlagen  hat? Oder wenn sich Chávez selbst nach rechts bewegte? Dann könnten diese drakonischen Befugnisse sämtlich gegen die Arbeiterklasse eingesetzt werden.

Leo Trotzki, den Chávez gelobt und zitiert hat, sagte einmal in Hinblick auf die Forderung nach einem ‚starken Staat' gegen den Faschismus:

„Wir müssen gegen alle Maßnahmen stimmen, die den kapitalistisch-bonapartistischen Staat festigen, selbst wenn sie den Faschisten gegenwärtig  Unannehmlichkeiten bereiten.“

Die Präsidentschaft, gleichgültig  wer sie innehat, bleibt eine Einrichtung des bürgerlichen Staates, der der revolutionären Lehre gemäß  völlig abgeschafft  gehört und nie gestärkt werden darf.

Enthaltung

Viele Linke, auch die Mehrheit des unabhängigen und militanten Gewerkschaftsverbandes UNT, ließen sich von Chávez populistischer Rhetorik blenden und stimmten mit Ja. Eine Ausnahme bildete Orlando Chirino, einer der Organisatoren der UNT und der klassenkämpferischen C-CURA-Strömung. Er rief zur Wahlenthaltung auf. Dies war unserem Erachten nach eine korrekte Haltung.

Den radikalen Worten Chávez zum Trotz haben sich die schwerwiegenden wirtschaftlichen Ungleichheiten in der venezolanischen Gesellschaft erhalten. Auf dem Lande bietet sich ein ähnliches Bild. Trotz Versprechen, das Land neu zu verteilen, haben sich die Reformen darin erschöpft, nicht bebautes Land zu enteignen. Unterdessen ist Landarbeitern, die Land ohne Genehmigung der Regierung  besetzt haben, Haftstrafe angedroht worden.

Außerdem hat die Regierung zwar vorgeschlagen, das Militär zu politisieren, jedoch ohne seinen bürgerlichen  Charakter grundlegend  zu ändern. Das Oberkommando der Armee ist letztlich dem Kapitalismus ergeben, auch wenn es Chávez dem Bolivarismus  nach dem Munde redet. Die Militärführung wurde nicht geschwächt, geschweige denn aufgebrochen. Das wäre aber notwendig, damit Arbeiter und Bauern die Macht übernehmen und eine wahrhaft sozialistische Gesellschaft aufbauen können.

Die Widersprüche vertiefen sich

Ereignisse wie die Abkehr von General Baduel beleuchten die Widersprüche innerhalb des Chávez-Lagers. Sie haben einen Klassencharakter in der Massenbasis der bolivarischen sozialistischen Bewegung und deuten die Möglichkeit eines Bruchs zwischen chavistischen Führern und der Basis an. Diesen muss die Arbeiterbewegung vertiefen, anstatt den „bolivarischen Sozialismus“ als einheitlich und statisch aufzufassen, an den keine Forderungen gestellt werden dürfen. Ein anderer gefährlicher  Fehler wäre die Auffassung, die Entwicklung zu einem revolutionären Sozialismus vollzöge sich als unabänderliches Produkt eines objektiven Geschichtsprozesses.

Die Arbeiterklasse muss ihr Recht verteidigen, sich unabhängig zu organisieren, wie sie es in der UNT bereits getan hat, und muss zugleich die soziale Niederlage der Bourgeoisie und ihrer imperialistischen Drahtzieher für die ‚Nein'-Kampagne auf den Straßen und in den Betrieben anstreben. Dies kann nur geschehen, indem die Reaktionäre all ihrer verbleibenden Bastionen, ihrer Kontrolle über die Medien, die Ökonomie und die Armee beraubt werden.

Durch den Kampf für die Niederlage dieser  reaktionären Sektoren kann die venezolanische Arbeiterklasse ihre bisherigen Errungenschaften untermauern und jene einfordern, die ihr versprochen worden sind. Dies erfordert die Bildung von Delegiertenräten  unter der Arbeiterschaft, städtischen Armut, den Bauern und Mannschaftsdienstgraden in der Armee. Eine demokratisch kontrollierte Miliz muss aufgebaut werden. Vor allem aber ist eine revolutionäre Partei nötig, für die gegenwärtig innerhalb der chavistischen PSUV und den Gewerkschaften gestritten werden sollte. Doch angesichts dessen, dass die Kräfte der Reaktion durch die von Chávez selbst verschuldete Niederlage erstarkt sind, ist der Zeitkorridor eng, um diese dringenden Aufgaben zu erfüllen.

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