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SPD

Beck to the roots?

Rex Rotmann, Neue Internationale 125, November/Dezember 2007

Lange hatte die SPD nicht mehr so gute Schlagzeilen. Ihr Hamburger Parteitag wurde „Harmonieparteitag“ genannt. Becks Querelen mit Ex-Arbeitsminister Müntefering sind vorbei. Auch die Umfragewerte gingen um ein paar Prozent nach oben.

In der bürgerlichen Presse werden die Ergebnisse des Hamburger Parteitages und das neue „Hamburger Programm“ der SPD als „Linkswende“ und als „Rückbesinnung auf sozialdemokratische Wurzeln“ gesehen. Doch: Ist die SPD wirklich „linker“ geworden?

Revision der Agenda?

Der Streit zwischen Parteichef Beck und Vize-Kanzler Müntefering drehte sich darum, ob das Arbeitslosengeld I wieder länger als bisher gezahlt wird, nachdem die Bezugsdauer mit den Hartz-Gesetzen deutlich gekürzt worden war. Während Müntefering Schröders Agenda grundsätzlich verteidigte, wollte Beck „Korrekturen.“

Nun hat sich Beck am Parteitag durchgesetzt. Doch von einer Abkehr vom Agenda-Kurs kann keine Rede sein. Die Gesamtheit der Hartz-Gesetze - also die Kürzung von Leistungen, der erhöhte Zwang auf und stärkere Repressionen gegen Arbeitslose und die Schaffung eines Riesenheeres flexibler Billigarbeitskräfte als Druckpotential auf die Beschäftigten - all das lässt der „Linkstrend“ der SPD unangetastet.

Die Änderung beim ALG I geht zwar in die richtige Richtung, berührt aber das zentrale Problem der Arbeitslosigkeit - Hartz IV, ALG II und fehlende Jobs - nicht. Es ist v.a. ein Zugeständnis an die Arbeiteraristokratie und die Gewerkschaftsbürokratie, welche sich auf diese Schichten stützt.

Wie auch andere Beschlüsse des Parteitages wie z.B. zur „Softvariante“ der Bahn-Privatisierung per Ausgabe von „Volksaktien“ muss das natürlich noch mit dem Koalitionspartner verhandelt werden. Es ist also absehbar, dass selbst diesen Nadelstichen der SPD noch die Spitze genommen wird.

Wie immer hat der Parteitag keine Bedingungen gestellt wie etwa „Stimmt die Union nicht zu, kündigen wir die Regierung auf“ oder gar „Wir werden auf der Strasse und in den Betrieben solange mobilisieren, bis unsere Ziele erreicht sind“.

Hier besinnt sich die SPD tatsächlich auf ihre alten, reformistischen Wurzeln: Unverbindliche Absichtserklärungen, die das System nicht antasten und für die auch kein Kampf geführt wird.

Demokratischer Sozialismus?

In ihrem neuen „Hamburger Programm“ bekennt sich nun auch die SPD zum „demokratischen Sozialismus“. Damit hat sie ihre Sammlung linker Phrasen um eine mehr bereichert. Denn mehr als eine Phrase ist es nicht. Das können wir schon daran ersehen,  dass es keine Aussagen darüber gibt, was „demokratischer Sozialismus“ bedeutet.

MarxistInnen benutzen diesen Begriff schon deshalb nicht, weil der Sozialismus als erste Phase des Kommunismus keine Klassen und keinen Staat mehr kennt und insofern auch „Demokratie“, also die Herrschaft einer Mehrheit über die Minderheit - d.h. die Herrschaft von Menschen über Menschen - nicht mehr stattfinden kann.

Für MarxistInnen bedeutet Sozialismus Gemeineigentum statt Privateigentum, Wirtschaftplanung auf Basis demokratischer Organe der Massen statt Konkurrenz, Aufhebung der alten Arbeitsteilung und Verkürzung der notwendigen Arbeitszeit. Davon - also von einer wirklich alternativen Gesellschaft - steht nicht nur nichts im Programm der SPD, davon ist auch im Denken von Sozialdemokraten nach fast hundert Jahren bürgerlicher Systemtreue nichts zu spüren. Da merkt man, dass nicht nur ganz allgemein beim Älterwerden Hirnzellen absterben; bei der Sozialdemokratie werden bestimmte Synapsen gar nicht mehr ausgebildet.

Noch bezeichnender für das „Sozialismusverständnis“ der SPD - und auch der Linkspartei - ist, dass der Sozialismus als Ziel in keiner Verbindung zur aktuellen Tagespolitik und den kurzfristigen politischen Zielen steht. Die Politik des Reformismus präsentiert sich als „Realpolitik“, also dem meist illusorischen Versuch, den Kapitalismus besser zu modeln, während der Sozialismus lediglich in Sonntagreden oder als Slogan benutzt wird, um Linke bei der Stange zu halten.

Wer sich noch nicht einmal dazu durchringen kann, für die Abschaffung von Hartz IV einzutreten, sollte von Emanzipation und Sozialismus besser schweigen!

Bezeichnend ist weiter, dass der SPD-Parteitag auch zu einem wichtigen aktuellen Klassenkampfereignis wie dem Streik der GDL keinen Beschluss für nötig hält, geschweige denn diesen Kampf unterstützt. Nach über 130 Jahren Sozialdemokratie kann sich diese Partei allenfalls noch zu einem Tempolimit von 130 Km/h durchringen.

Fazit

Der Hamburger Parteitag der SPD markiert keine Kurskorrektur, schon gar keinen Kurswechsel. Davon kann wirklich nicht gesprochen werden, denn die strategische Ausrichtung der SPD-Politik wird weitergeführt. Das heißt: weiterer Ausbau der imperialistischen EU unter deutsch-französischer Führung, Fortführung der imperialen Außenpolitik mit deutschen Militäreinsätzen in Afghanistan und anderswo, Aushebelung der Demokratie unter dem Slogan des „Anti-Terror-Kampfes“ im Inneren und Weiterführung der gegen die Arbeiterklasse und die Massen gerichteten „Reformpolitik“ und des „Umbaus des Sozialstaates.“

Doch die Beschlüsse des Parteitages und der Ausgang des Konflikts Beck-Müntefering verweisen darauf, dass man sich genötigt sieht, in einigen Fragen (ALG I, Programm)  zumindest polemisch und rhetorisch einige Millimeter nach links zu rücken.

Abgesehen von der Momentaufnahme des Parteitages spiegeln diese Ergebnisse jedoch viel tiefer liegende Probleme der Partei - und des Reformismus insgesamt - wider.

Unter Druck

Die SPD sieht sich auf parlamentarischer Ebene aktuell zwischen zwei Blöcken eingeklemmt: einerseits der LINKEN, die ihr mit ihrem linkeren Reformismus permanent WählerInnen abspenstig macht und allein durch ihre Existenz anzeigt: Es gibt noch eine andere reformistische Politik links von der SPD. Das spricht die Erwartungen vieler Menschen an, die von der SPD als Partei enttäuscht sind, aber deshalb noch lange nicht mit dem Reformismus selbst gebrochen haben. Sie projizieren ihre reformistischen Illusionen lediglich auf die LINKE, die sich durch Mitregieren und die damit verbundenen Angriffe auf die Massen noch nicht so stark diskreditiert hat wie die SPD.

Mehr noch als die Erwartungen und Schwankungen einer Wählerklientel fürchtet die SPD jedoch, dass die LINKE zu einem politischen Organ eines substantiellen Teils der Gewerkschafts- und Betriebsratsbürokratie werden könnte und so ihr nach dem Zweiten Weltkrieg etabliertes politisches Monopol in den Gewerkschaften weiter aufbrechen, ja endgültig beendet werden könnte.

Auf der anderen Seite gräbt die Union der SPD das Wasser ab - nicht etwa dadurch, dass diese „besser“ bürgerliche Politik machen oder medial verkaufen würde, sondern weil CDU/CSU rein bürgerliche Parteien sind und sich nicht wie die SPD sozial substantiell auf die Arbeiterklasse stützen. Dadurch haben sie weniger Probleme, mit ihrer Politik die eigene Klientel zu verprellen.

Hinzu kommt, dass die SPD mit dem Kurs der „Neuen Mitte“ versucht hat, eine stärkere Basis unter lohnabhängigen Mittelschichten aufzubauen, wo sie mit den Grünen einer harten Konkurrenz ausgesetzt ist.

In dieser Situation bleibt der SPD nichts anderes übrig, als etwas nach links zu rücken oder zumindest diesen Eindruck zu erwecken. Diese leichte Akzentverschiebung soll zum einen WählerInnen von der LINKEN oder ehemalige SPD-AnhängerInnen aus dem Nichtwählerbereich zurückgewinnen.

Andererseits will und kann man aber nicht so weit nach links gehen, dass die Weiterführung der Koalition - und damit die Umsetzung strategischer Ziele des deutschen Kapitals - gefährdet werden.

Doch der aktuelle leichte Linkstrend der SPD lässt sich allein aus diesen wahltaktischen und parteitaktischen Gründen nicht erklären. Das grundlegende Problem, mit dem die Sozialdemokratie konfrontiert ist, hat vielmehr historische Dimension.

Historische Krise

Schaut man sich die Geschichte der SPD seit 1945 an, so wird ein langfristiger Trend sichtbar. Mit dem Anstieg bei Mitgliedern und Wählerstimmen während des langen Nachkriegsbooms und kurz danach kam es zu den Kanzlerschaften von Brandt und Schmidt. Doch schon von da ab ging es bergab, die lange Ära Kohl begann.

Als dieser sich verschlissen hatte, kam Schröder - v.a. mithilfe des „linkeren“ Lafontaine - 1998 an die Regierung. Doch schon lange davor bröckelte die proletarische soziale Basis der SPD immer mehr ab. 1990 hatte die SPD aber noch etwa eine Million Mitglieder. Nun zählt sie noch knapp 600.000 und leidet unter extremer Überalterung.

Weit dramatischer als diese Zahlen ist aber, dass die soziale Verankerung der SPD immer weniger über lebendige Ortsvereine und über die gewerkschaftliche Basis funktioniert. Die strukturelle Verbindung der SPD mit der Arbeiterklasse ist lockerer als sie je war und reduziert sich heute fast nur auf ihren Einfluss im Apparat der Gewerkschaften und bei Betriebsräten. Durch die Stabilisierung der LINKEN ist sie nun jedoch auch hier mit Konkurrenz konfrontiert.

Die massiven Angriffe unter SPD-Kanzler Schröder haben den Erosionsprozess der SPD noch verschärft. Hunderttausende traten aus, Millionen wählen sie nicht mehr. Was in den Medien als „Politik- und Parteiverdrossenheit“ konstatiert wird, ist vor allem eine Verdrossenheit der Arbeiterklasse mit „ihrer“ SPD.

Mit der WASG hatten zum ersten Mal seit 1945 Kräfte aus dem Gewerkschaftsapparat eine Partei „gegen“ die SPD initiiert, wenngleich auch wieder nur eine reformistische. Bemerkenswert war dabei, dass sich Zehntausende nicht einfach ins Privatleben zurückzogen, sondern nach einer Organisations-Alternative suchten - zur SPD, aber auch zur PDS.

Wir wissen, dass Lafontaine, Ernst und Co. diesen Aufbruch letztlich in den reformistischen Sumpf der LINKEN geführt haben. Doch damit ist das Problem des Niedergangs des Reformismus nicht gelöst.

Das lässt sich schon daran ablesen, dass die Fusion zur LINKEN weder zu einem größeren Mitgliederaufschwung der LINKEN geführt hat, noch hat sich ihr eine relevante Schicht von AktivistInnen angeschlossen. Allerdings wird die LINKE kurzfristig bei Wahlen stärker sein als früher und größere Teile des Gewerkschaftsapparates könnten sich ihr zuwenden - und wenn auch nur, um die SPD unter Druck zu setzen.

Revolutionäre Arbeiterpartei

Die weitere Perspektive des Reformismus wird maßgeblich dadurch bestimmt, dass die Krise des Kapitalismus sich weiter verschärft und die Zwänge der „Globalisierung“ zunehmen. Unter diesen Bedingungen ist das Kapital zu weiteren, schärferen Angriffen auf die Massen gezwungen, die Verteilungsspielräume für Reformen und keynesianische Maßnahmen werden weiter schrumpfen.

Aktuell ist das an den relativ niedrigen Wachstumsraten des viel beschworenen „Aufschwungs“ und den trotz der Konjunktur nicht nachlassenden Attacken ablesbar.

Der Reformismus steckt auch in anderen Ländern in der Krise. In Britannien etwa wenden sich Teile der Gewerkschaften von Labour ab, in Frankreich dümpeln SP und KP seit Jahren dahin, während die radikale Linke an Einfluss gewinnt - ohne dass sie bisher aus diesem Potential eine neue Arbeiterpartei aufzubauen imstande gewesen wäre.

Auch hierzulande wird es in den nächsten Jahren neue Möglichkeiten geben, ganze Schichten, die vom Reformismus enttäuscht sind, für den Aufbau einer neuen, revolutionären Arbeiterpartei zu gewinnen.

Dann wird es auch darauf ankommen, ob die „radikale“ Linke in diesen Prozess aktiv eingreift, anstatt nur zu kommentieren; und wenn sie eingreift, geht es darum, dass sie sich nicht dem linken Reformismus anpasst wie aktuell die SAV, Linksruck oder die isl, sondern organisatorisch wie programmatisch für eine revolutionäre Alternative kämpft.

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Nr. 125, Nov./Dez. 2007
*  Bahn: Sieg dem GDL-Streik!
*  Börsengang: Was steckt hinter der Privatisierung?
*  IG Metall Gewerkschaftstag: Durchmarsch der Rechten
*  SPD: Beck to the roots?
*  Kopftuchverbot: Die große Scheinheiligkeit
*  Sozialforum: Wie weiter?
*  Heile Welt
*  NLO: Am Scheideweg
*  Linke Zeitung: Antikommunistische Märchenstunden der Minderheit
*  Linksruck: Selbstliquidation als Erfolgsstory
*  Neue Großmacht? Wohin geht China?
*  Pakistan: Nieder mit dem Ausnahmezustand
*  Solidarität mit den KurdInnen!