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BRD-Konjunktur

Trendwende oder Eintagsfliege?

Jürgen Roth, Neue Internationale 117, Februar 2007

Zum Jahreswechsel sprach Kanzlerin Angela Merkel vollmundig von einem Aufschwung, der „so stabil wie selten zuvor“ sei. Die Unternehmerverbände karteten mit dem Begriff „Trendwende“ nach. Doch das Großkapital muss diese Euphorie verbreiten - schließlich will es die seit diesem Jahr neuesten Sozialabbau-Regelungen einigermaßen lautlos über die Bühne bekommen.

Tatsache ist, dass das deutsche Bruttoinlandsprodukt (BIP) 2006 um 2,5 bis 3 Prozent gewachsen ist. Die Kapazitätsauslastung liegt mit 87% auf Rekordniveau. Außerdem ist Deutschland zum vierten Mal hintereinander Exportweltmeister mit einem Rekordausfuhrvolumen von über einer Billion US-Dollar.

Auch der Höhenflug des Euro wird so nicht als hinderlich, sondern als Anzeichen der Währungsstabilität gewertet.

Zwei Aspekte werden an diesem Aufschwung besonders betont: 1. der Anteil der Binnenwirtschaft daran, 2. seine Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt. Das Statistische Bundesamt bewertete den Binnenanteil am BIP-Wachstum des zweiten Vorjahresquartals im Vergleich zum Vorquartal auf 0,8 von 0,9 Prozent.

Die inländischen Wachstumsimpulse beschränkten sich allerdings auf Investitionen und Vorratsaufstockungen. Sowohl der private (- 0,4 Prozent) wie auch der Staatskonsum (- 0,2) waren im Vergleich zum Jahresanfang rückläufig. Die Bruttoanlageinvestitionen (Bau, Ausrüstungen) legten im 2. Quartal um 3,5 Prozent zu. Das muss jedoch im Kontext der vorhergegangen vier Jahren betrachtet werden, wo sie jeweils um 10 Prozent unter der Marke von 2000 lagen!

Zum Nachholbedarf hinzu kommt bis zur Unternehmensteuerreform 2008 quasi als Überbrückung die Erhöhung der Abschreibungssätze, gleichbedeutend mit dem Verzicht auf vier Mrd. Euro Gewinnsteuern.

Besonders kräftig nahmen die Bauinvestitionen zu (+ 4,6 Prozent). Auch sie waren allerdings seit 10 Jahren kontinuierlich rückläufig (außer 1999). Außer der Witterung (extrem milder Winter) dürften die Abschaffung der Eigenheimzulage und die Mehrwertsteuererhöhung ab 1. Januar das hohe Branchenplus im 2. Quartal erklären.

Mythen

Im August wies die Statistik 426.000 registrierte Arbeitslose weniger aus als im Vorjahresmonat. Doch auch Analysten sind sich unsicher darüber, ob auch die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätze zugenommen hat.

Einig sind sich wiederum alle Arbeitsmarkteinschätzungen, dass ein Großteil des Beschäftigungsaufbaus auf den prekären Sektor fällt (bis zur Hälfte in Zeitarbeitsfirmen) und ganze Regionen vom Aufschwung abgekoppelt bleiben (Brandenburg). Bei den Zahlen vom August 2006 zählen 281.000 Ein-Euro-Jobber schlicht nicht mehr als arbeitslos.

Von den tatsächlich nur 185.000 zusätzlich Beschäftigten im 2. Quartal 2006 im Verhältnis zum Vorjahresquartal entfällt ein Drittel auf zusätzliche Ein-Euro-Jobs. Weitere Zehntausende dürften aus der Aufspaltung von Normalarbeitsverhältnissen in Mini- oder Teilzeitbeschäftigungsverhältnisse resultieren. Das ist auch daraus ersichtlich, dass bei zunehmender Erwerbstätigkeit die Zahl der geleisteten Arbeitsstunden nahezu konstant blieb.

Der jahrelange Abbau sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung kam denn auch gerade zum Stillstand. Im Mai registrierte die Sozialversicherung lediglich 129.000 mehr BeitragszahlerInnen als 2005. Von einer Wende auf dem Arbeitsmarkt zu sprechen, ist somit nichts weiter als ein Mythos.

Wie aber steht es um die Nachhaltigkeit des Aufschwungs? Im 2. Quartal war der private Konsum noch rückläufig. Das dürfte sich in der 2. Jahreshälfte geändert haben. Wegen der drastisch steigenden Mehrwertsteuer werden sicher gegen Jahresende vorgezogene Anschaffungen getätigt worden sein. Dieser Schub an privatem Konsum dürfte 2007 ausbleiben. Zur Mehrwertsteuererhöhung hinzu gesellt sich die bei der Versicherungssteuer. Für Autotreibstoff muss eine Zwangsabgabe zur Subvention des beimischungspflichtigen Biodiesels entrichtet werden. Zudem sieht das in Kraft getretene Steueränderungsgesetz den Wegfall von Steuervergünstigungen für Verbraucher und Arbeit„nehmer“haushalte vor: Kappung der Pendlerpauschale, Wegfall der Eigenheimförderung, Halbierung des Sparerfreibetrags, Kürzung der Anspruchsdauer auf Bezug von Kindergeld auf 25 Jahre.

Um das Maß voll zu machen: Die Erhöhung der Krankenkassenbeiträge übersteigt die Senkung der Rentenbeiträge (allerdings auch für die Arbeit„geber“). Die Energiekosten (Gas, Strom, Öl) stiegen gerade zu Jahresbeginn weiter.

Zudem werden z.B. in Nordrhein-Westfalen Studiengebühren eingeführt. Ein Wirtschaftsexperte beim Bundesverband der Verbraucherzentralen schätzte im August die jährlichen Mehrbelastungen pro Kopf (ohne Berücksichtigung der Energiekosten), die aus o.a. Maßnahmen resultieren, auf 300 Euro! Damit dürfte sich schnell das Gerede von einem stabilen Wirtschaftsaufschwung, gestützt auf eine anziehende Binnenkonjunktur, erledigen. Es ist nur ein weiterer Mythos!

Konjunkturzyklus im Vergleich

Deutlich wie nie zuvor enthüllt sich der Klassencharakter des aktuellen Booms: die Steuerlast der Großkonzerne und -banken lag nie so niedrig wie 2006. Gleichzeitig gab es noch nie so hohe Profite bei den Konzernen. Die Dividendenzahlungen der DAX-Firmen werden für 2006 dreimal so hoch ausfallen wie vor drei Jahren und um 18 Prozent höher als im Rekordjahr 2005 (Winfried Wolf in jw 29.12.06). Die Einkommen aus nichtselbstständiger Arbeit werden dagegen 2006 wieder stagnieren.

Lt. Statistischem Bundesamt sank das durchschnittliche Haushaltseinkommen seit 1991 inflationsbereinigt um 2%. Hohe Arbeitslosigkeit und Sozialabbau sind keine Entgleisungen, sondern ursächlich fürs Profitwachstum. Mit anderen Worten: sie gehören zusehends mehr zum kapitalistischen System der Jagd nach Maximalprofiten!

Im Vergleich der Konjunkturzyklen erscheint das Jahr 2006 eher wie eine Eintagsfliege. Im letzten abgeschlossenen Zyklus (1993-2000) gab es immerhin zwei Jahre mit Wachstumsraten über 2,5 Prozent und vier Jahre mit rund 2. Davor (1983-92) gab es sogar vier Jahre mit Wachstumsraten über 3,5 Prozent. Doch im laufenden Geschäftszyklus lauten die ernüchternden Zahlen: 2001: 1,2 Prozent;  2002: 0,1; 2003: - 0,2; 2004: 1,6; 2005: 0,9. (W. Wolf a.a.O.) Das vergangene Jahr kann also nur so hoch gelobt werden, weil es die einzige Ausnahme eines praktischen Nullwachstums darstellte!

Auswirkungen der Weltwirtschaft

Wie steht es aber um den anderen Pfeiler des aktuellen Booms, den Export? In den vergangenen Jahren betrug sein Wachstum ein Vielfaches der Binnenkonjunktur. Damit ist der BRD-Kapitalismus aber auch mehr denn je vom Schicksal der Weltwirtschaft abhängig.

In wichtigen EU-Ländern stotterte der Konjunkturmotor bereits 2006. Italien erreichte ein Wachstum von nur knapp über 0,0 Prozent. Seine Staatsverschuldung summiert sich schon auf 108 Prozent seines BIP. Maastricht „erlaubt“ aber nur bis zu 60 Prozent (zum Vergleich: BRD 65). In Frankreich brach die Konjunktur im 3. Quartal auf ein Wachstum nahe Null ein. Entscheidend für die weitere weltwirtschaftliche Entwicklung ist aber das Geschehen in der US-Wirtschaft, der mit Abstand weltgrößten Ökonomie.

Für einen Abschwung der Weltkonjunktur 2007 sprechen zunächst die Indizes der Konjunkturerwartungen. Das Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) sowie der ifo-Weltwirtschaftsklima-Index erwarten insbesondere für Nordamerika und Asien, aber auch für den Euro-Raum Einbrüche. Die US-Konjunktur steht auf der Kippe. Das BIP-Wachstum hat sich mit einer Jahresrate von 2,5 Prozent gegenüber dem Vorquartal halbiert. Dem Privatkonsum geht die Luft aus.

Ein Grund dafür ist der Kollaps der Immobilienspekulation. Durch steigende Hauspreise und extrem niedrige Zinsen konnten Hypotheken günstig umfinanziert werden. Die Preissteigerung der Immobilien erweiterte außerdem den Rahmen für Verbraucherkredite. Nun fallen Wohnungsbau und privater Endverbrauch als Konjunkturlokomotiven aus. Zudem belief sich die Inflationsrate (steigende Energiepreise) im 3. Quartal auf 4,1 Prozent. Die Notenbank (Federal Reserve Bank, kurz: Fed) musste mit Erhöhungen der Leitzinsen gegensteuern (siehe auch: isw-Konjunkturbericht 3/06).

Seit Juni 2004 hat die Fed die Leitzinsen in Trippelschritten auf 5,25 Prozent erhöht. Die Gewissheit, dass geldpolitische Maßnahmen mit einer Verzögerung von 6 bis 18 Monaten wirken, lässt Schlimmes für 2007 erwarten. Auch dies deutet eher auf ein Platzen der Immobilienblase hin, als dass ihr langsam die Luft ausginge. In dieselbe Richtung weisen auch die Prognosen namhafter Analysefirmen (Tomasz Konicz, jw 9.12.06). Ein Platzen hätte wegen der hohen Schulden und des Zinsanstiegs auf die US-KonsumentInnen fatale Auswirkungen.

Namhafte bürgerliche US-Volkswirtschaftler prognostizieren auch einen Kollaps des Dollar in Folge des außergewöhnlich hohen Leistungsbilanzdefizits. Anfang Dezember pendelte der US-Dollar um 1,33 Euro, also nur knapp über seinem Rekordtief. Was das angesichts der globalen Ungleichgewichte für die Weltwirtschaft bedeuten könnte, ist wohl nur mit einer gigantischen Naturkatastrophe gleichzusetzen. Anders als 2001 stecken Fiskal- und Geldpolitik in der Zwickmühle.

Bush jr. konnte damals eine größere Rezession nach dem Verfall der Aktienkurse aufgrund des Platzens der New-Economy-Spekulationsblase verhindern, weil die Clinton-Regierung ihm einen Haushaltsüberschuss hinterlassen hatte, der für Steuergeschenke, Ausgaben und Zinssenkungen verwendet werden konnte.

Mittlerweile beziffert sich das jährliche Staatsdefizit auf 5 Prozent des BIP. Zusätzlich verbieten zwei Faktoren eine Ankurbelung der Geschäftstätigkeit mittels Zinssenkungen: die hohe Inflation sowie die Finanzierung von Leistungsbilanz und Staatsschulden durch ausländische, v.a. asiatische Kreditgeber.

Am 24.11.06 warnte der stellvertretende Vorsitzende der chinesischen Zentralbank vor dem steigenden Risiko einer massiven Dollarabwertung, aber auch der Gefahr einer weltweiten Massenflucht institutioneller Anleger aus dem Dollar für den Fall, dass die Fed mittels Leitzinssenkungen das amerikanische Handelsdefizit verringern und den Schwund der Weltleitwährung aufhalten sollte. Eine US-Rezession würde das „Schwarze Loch“ der Weltwirtschaft, den Importstaubsauger par excellence abschalten und die restliche Weltwirtschaft wie ein Blitz treffen. Dann wäre es vorbei mit dem Boom in Asien und dem Mini-Aufschwung in Westeuropa.

Das reale Dilemma des US-Kapitalismus führt uns näher denn je an den Abgrund einer fundamentalen Erschütterung nicht nur der Weltkonjunktur, sondern auch eines Strukturbruches im Weltfinanzsystem.

Diese Probleme müssen vor dem Hintergrund einer vertieften und seit langem ungelösten Verwertungskrise des Kapitalismus insgesamt gesehen werden. Immer mehr überschüssiges Kapital steht immer weniger wirklich profitablen Anlagemöglichkeiten gegenüber. Deshalb auch der Run in spekulative Bereiche. Deshalb auch der Run in neue Sphären von Billigarbeit und Überausbeutung wie China. Diese Globalisierung ist kein Zeichen eines prosperierenden Kapitalismus, sondern Ausdruck seiner Krise.

Auch wenn durch neoliberale Maßnahmen, durch permanente Angriffe auf Löhne und Sozialstandards sowie den Boom in China die Tendenz des Falls der Profitrate etwas gebremst werden konnte - die grundlegende Strukturkrise und v.a. deren Ursachen bleiben ungelöst, ja verschärfen sich auch in der Expansion. Die Risiken und Verwerfungen der kapitalistischen Weltwirtschaft haben zugenommen.

Es sind genau diese grundlegenden Probleme der Kapitalverwertung, die die imperialistischen Bourgeoisien dazu treiben, den permanenten Angriff auf die Arbeiterklasse, den permanenten Krieg gegen die „Dritte Welt“ fortzuführen und zu verschärfen und dabei auf immer barbarischere Methoden zurückzugreifen.

In dieser Situation kann es keinen mittel- oder langfristigen „sozial abgefederten“ „Dritten Weg“ weg. Die Alternative Sozialismus oder Barbarei steht mehr und mehr auf der Tagesordnung.

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Nr. 117, Februar 2007
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