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WASG-Parteitag

Point of no return

Markus Lehner, Neue Internationale 116, Dezember 2006/Januar 2007

Mit dem Parteitag vom 18./19.11. hat die WASG-Führung alle Weichen Richtung Fusion der WASG mit der Linkspartei.PDS gestellt - in Richtung einer weiteren systemtragenden, sozialdemokratischen Apparatpartei.

Wer noch Illusionen hatte, dass es in der Mitgliedschaft der WASG genügend Widerstand geben würde, um diese Weichenstellung zu verhindern, muss jetzt klar Position beziehen: Der Aufbau der dringend notwendigen Kampfpartei gegen den Klassenkampf von oben ist nur in klarer Abgrenzung zur sozial-reformerischen neu-fusionierten Linkspartei möglich!

Daran ändern auch die „Linksverschiebungen“ die am Ende des WASG-Parteitags beschlossen wurden, so wenig wie die zwei Feigenblatt-Linken, die in den Bundesvorstand gewählt wurden.

„Mindestbedingungen“, die keine sind

Schon am ersten Tag waren die wesentlichen Entscheidungen gefallen. Es wurde deutlich, dass es eine eindeutige Mehrheit der Delegierten gab, die die Fusion mit der PDS um buchstäblich jeden Preis wollte. Sie wollten die Bedeutung irgendwelcher „Mindestbedingungen“ nur als Verhandlungspositionen verstanden wissen, um die es - bei Nicht-Erfüllung - dann eben in der neuen Partei, nachdem alle wichtigen Entscheidungen gefallen sind, weitere Diskussionen geben könne.

So wurden die Mehrheitsverhältnisse an einem Initiativantrag des Bundesvorstandes zum Berliner Koalitionsvertrag von SDP und PDS deutlich. Dieser Antrag enthält scheinbar eine Verurteilung der Fortführung der Sozialabbaupolitik des Senats und damit auch eine Kritik an der Berliner PDS, doch gleichzeitig hält er am Ende fest:

„Zugleich weisen wir Forderungen aus den eigenen Reihen zurück, die Parteibildung vom Ausstieg der Linkspartei.PDS aus der Koalition abhängig zu machen. Zu einer Vereinigung der Linken im Juni 2007 gibt es keine politisch sinnvolle Alternative.“

Um diesen Absatz kam es zu einer Kampfabstimmung. Nur etwa 60 Delegierte, also etwa 20% lehnten ihn ab. Dieses Verhältnis sollte sich bei vielen ähnlichen Positionsbestimmungen wiederholen.

Daher sollte sich auch niemand von den Wortradikalismen, etwa von Oskar Lafontaine gegenüber der Berliner Koalition, täuschen lassen. Aus ihnen erwachsen nämlich nie irgendwelche Konsequenzen. Sie dienen nur zur Beruhigung und der Einbindung leichgläubiger Linker.

Mit dieser Vorgangsweise konnten natürlich die verschiedenen Anträge zu „Mindestanforderungen“ oder „roten Linien“, in welch scharfer inhaltlicher Ausprägung auch immer, angenommen werden. Der PDS wird ja gleichzeitig signalisiert: Dies ist zwar unsere Verhandlungsposition, doch scheitern lassen wir die Verhandlungen daran sicher nicht.

Nicht verwunderlich, dass dieser Parteitag von einem hohen Maß an bürokratischen Manipulationen, Manövern, langweiligen Endlos-Satzungs-Debatten und kaum durch eine ernsthafte politisch-inhaltliche Debatte geprägt war. Diese Partei erweist sich als lebloser bürokratischer Leichnam, noch bevor er endgültig von der PDS verdaut wird.

Ein frappierendes Beispiel für das bürokratische Regime des Parteitags stellte die Nachbehandlung der Absetzung des Berliner Landesvorstandes durch den Bundesvorstand im Vorfeld der Abgeordnetenhauswahlen dar. Hier hatte der Bundesvorstand auf dem Parteitag seine einzige ernsthafte Niederlage erlitten - um sie dann mit Tricks doch noch abzuwenden. Der Bundesvorstand wollte seine damalige Absetzung des Landesvorstands als „rechtmäßig“ absegnen lassen - begründet durch parteirechtliche Notwendigkeiten, da ansonsten Probleme für die Aufrechterhaltung der gemeinsamen Bundestagsfraktion bestünden. Die Mehrheit der Delegierten wollte dann diese Legitimationsorgie des Vorstandes doch nicht mitmachen und stimmte mehrheitlich für - „Nichtbefassung.“

Da wurde es im Podium unruhig, und ein „Satzungsspezialist“ fand heraus, dass nicht alle den Antrag erhalten hätten, daher müsse der Antrag am nächsten Tag erneut behandelt werden. Nach heftiger Intervention seitens des Bundesvorstands wurde dieser Geschäftsordnungsantrag dann mit einer Stimme Mehrheit angenommen. Am folgenden Tag präsentierte Klaus Ernst dann den Antrag als „rein juristische“ Angelegenheit. Der Berliner Landesvorstand werde sowieso „gleich wieder ins Amt gesetzt“. Eine Aussprache über den politischen Skandal der Absetzung des Vorstandes eines souveränen Landesverbandes wurde per Geschäftsordnungsantrag unterbunden. Die eingeschüchterten Delegierten stimmten zugleich der Reinwaschung des Vorstandes mit großer Mehrheit zu (auch hier stimmten nur etwa 20% der Delegierten dagegen).

Verschiebung zur Gewerkschaftsbürokratie

Möglich geworden ist dieses Verlaufsmuster des Parteitags durch eine eindeutige Verschiebung in der Zusammensetzung der Delegierten. Prägen bei der aktiven Mitgliedschaft der WASG in vielen Kreisverbänden ALG II-EmpfängerInnen, einfache ArbeiterInnen und linke AktivistInnen das Bild, so glichen gewisse Delegierten-Blöcke des Parteitags ganz verdächtig jenen von Gewerkschaftstagen. Die Dichte von hauptamtlichen Gewerkschaftsfunktionären in der WASG-Spitze und den sie tragenden Parteitagsblöcken hat derart zugenommen, dass ihnen die Parteitagsregie nicht mehr aus den Händen zu nehmen ist. Auch der neu gewählte Vorstand zählt nunmehr zu etwa 2/3 hauptamtliche Gewerkschaftsfunktionäre.

Diese soziale Zusammensetzung wurde in makaberer Weise am Ende des Parteitags allzu deutlich. Ein Antrag, der den zum Parteitag angereisten ALG II-EmpfängerInnen die Reisekosten erstatten sollte, rief die Parteispitze (Ernst, Händel) auf den Plan, die solchen „finanziellen Irrsinn“ um jeden Preis abwenden wollte. Da wurde von Leuten die „Existenzkrise der Partei“ beschworen, die selbst in teuren Dienstwagen (Lafontaine und Gysi waren gar von Berlin nach Paderborn geflogen worden) angereist waren, aber nicht für die problemlose Anreise ihrer mittellosen Aktiven sorgen wollten! An dieser Stelle brach bei vielen Delegierten endgültig die lange zurückgehaltene Wut hervor.

Schon am Anfang des Parteitags trat die soziale Neuzusammensetzung der Delegierten offen zu Tage. Auf den Parteitagen zuvor war eine der Ikonen der WASG als „Partei neuen Typs“ die Hervorhebung besonderer demokratischer Prinzipien, wie der Trennung von Amt und Mandat. Gleichzeitig hatte man aber schon damals „angesichts der besonderen Situation im Parteibildungsprozess“ der bestehenden Parteispitze eine „Übergangsregelung“ zugestanden, also die Möglichkeit, gleichzeitig im Bundesvorstand und im Parlament zu sitzen.

Der Vorstand bleibt

Gleich zu Beginn des Parteitags sollte geklärt werden, ob diese Übergangsregelung bis zum Juni 2007 (dem geplanten Fusionsdatum) verlängert werden solle. Ohne diese Regelung wurde der Fusionsprozess natürlich als gefährdet angesehen, wenn die bewährten Verhandlungspartner der PDS-Spitze jetzt ausgewechselt würden. Prompt wurde die Übergangsregelung mit 139 zu 129 Stimmen verlängert. Nachdem selbst bei dieser Frage die Mehrheit stand, hätte man als linker Delegierter eigentlich schon abreisen können. Die folgenden Abstimmungen machten das Mehrheitsverhältnis noch deutlicher.

Darüber kann auch nicht hinwegtäuschen, dass es dann eine Reihe „linker“ Beschlüsse gab: In Abänderungsanträgen zum Leitantrag (zu dem übrigens auch per Geschäftsordnungsantrag jede inhaltliche Gesamtdebatte verhindert wurde), wurden einige Verhandlungspositionen gegenüber der PDS verschärft. So fordert die WASG nun von der PDS, dass nur in Regierungen eingetreten wird, wenn diese nicht Sozialabbau und Privatisierungen betreiben (aber darüber kann dann im Einzelfall natürlich wieder verhandelt werden). So fordert die WASG, dass es keine Auslandseinsätze der Bundeswehr, ob mit oder ohne UN-Mandat gibt. Die WASG will nun auch die Verstaatlichung der Schlüsselindustrien ins Programm aufnehmen. Es gibt es jetzt als WASG-Position (anders als bei der PDS) ein klares „Weg mit Hartz IV“. Schließlich wurde auch eine sehr weitgehende Form der Trennung von Amt und Mandat für die neu-fusionierte Partei gefordert.

Sozialisten gegen Sozialismus

Damit waren mehr oder weniger alle „roten Linien“ (die z.B. anti-kapitalistische Linke und das Netzwerk Linke Opposition aufgestellt haben) erfüllt - aber eben ohne jede praktische Konsequenz als tatsächliche Mindestbedingung für eine neue Linkspartei.

Schließlich kam es noch zu einem makaberen Kasperle-Theater um die Frage des Sozialismus. Einer der Anträge zu den Verhandlungspositionen sollte das Ziel des „demokratischen Sozialismus“ und einer „sozialistischen Gesellschaftsordnung“ als WASG-Positionen formulieren.

Hierzu meinte Vorstandsmitglied Axel Trost, vor den Gefahren eines nicht-ausdiskutierten Linksrucks der WASG warnen zu müssen, der einige Teile der Anhängerschaft verschrecken könnte. Danach stimmte die Abstimmungsmaschinerie diesen Antrag mit 10-Stimmenmehrheit weg. Schändlicherweise stimmten dabei auch sämtliche Delegierte des (angeblich „revolutionär sozialistischen“) „Linksruck“ gegen den „Sozialismus“.

Dabei muss bemerkt werden, dass die VertreterInnen dieser Strömung (die mit Christine Buchholz auch weiter im Vorstand sitzt) überhaupt zu den Bluthunden des Vorstands auf dem Parteitag zählten. So waren es vornehmlich Linksruck-RednerInnen, welche die Vertreter anderer linker Strömungen denunzierten.

Auch der „demokratische Sozialismus“ wird als Nebelkerze sicherlich wiederauferstehen. So kündigte Lafontaine schon an, dass er sich mit Gysi und Bisky dafür stark machen werde, dass derselbe ins Programm der neuen Partei kommt. In einer der wenigen inhaltlichen Reden des Parteitags hatte eine Berliner Delegierte klar gemacht, dass die Worthülse „demokratischer Sozialismus“ ohne eine klare Position zur Frage der Eigentumsverhältnisse und des Marktes nur blendendes Beiwerk bleibt. Längst herrscht in der PDS ein Verständnis dieses Begriffs vor, der auf eine Entgegensetzung von „sozialer Marktwirtschaft“ zu „Neoliberalismus“ hinausläuft.

Auch in der einzigen diskutierten praktischen Kampagne, der Beteiligung an den Anti-G8-Mobilisierungen, betonten die dabei federführenden Linksruck-AktivistInnen vor allem die „immense Bedeutung“ der Zusammenarbeit mit der PDS. Wütend wurden daher Bedenken eines Delegierten aus Mecklenburg-Vorpommern zurück gewiesen, dass die dortige SPD/PDS-Koalition sich damals um die Austragung des Gipfels in Heiligendamm sogar beworben hatte.

Nicht erwähnt wurde natürlich die demobilisierende, legalistische Funktion der PDS in der Anti-G8-Vorbereitung. Es wird also davon auszugehen sein, dass auch die WASG Teil des braven Bürgerprotestes werden wird, der sich selbst gegen alle radikaleren Formen des Widerstandes stellen wird.

Die Rolle der Linken

Dass schließlich noch zwei VertreterInnen der Linken - Thies Gleiss (isl) und Lucy Redler (SAV) - in den erweiterten Vorstand gewählt wurden, ist sicher kein Ausdruck der „Stärke“ eines linken Flügels in der WASG. Die tragenden Strömungen an der Spitze (etwa die „sozialistische Linke“) wollen so die Linken in die Fusion integrieren. Eine vorzeitige Ausgrenzung eines linken Flügels könnte die Position und Ausstrahlungskraft der WASG im Fusionsprozess weiter schwächen. Die Wutausbrüche gegen Ende des Parteitags machten einigen Funktionären wohl klar, dass sehr wohl eine Gefahr der Implosion vieler Kreisverbände besteht.

Tatsächlich dürften dort die Mehrheitsverhältnisse anders sein als auf dem Parteitag. Vor allem unter den eher aus der ALG II-Protestbewegung stammenden WASG-Mitgliedern scheint sich immer mehr resignative Wut und Enttäuschung über die Partei breit zu machen.

Umso fataler ist die Nachtrabpolitik der führenden „linken“ Strömungen in der WASG-Opposition. SAV und große Teile der isl (in der „anti-kapitalistischen Linken“ bzw. in der Minderheit des „Netzwerks linke Opposition“) scheinen weiterhin auf „Kampf um die WASG bis zum Letzten“ als Übergang zum Weg in die „innerparteiliche Opposition“ in der fusionierten „Linken“ zu setzen.

Damit verpassen sie immer mehr die Gelegenheit, die jetzt noch aktiven, linken oppositionellen Kräfte in den vielen Basisorganisationen der WASG, aber auch engagierte AktivistInnen aus den sozialen Bewegungen, klassenkämpferische ArbeiterInnen und radikale Jugendliche, die bisher der WASG fern geblieben sind, für das Projekt einer neuen, wirklichen Klassenkampfpartei zu sammeln. Nur vor dem Hintergrund einer solchen politischen Ausrichtung macht der Kampf in der WASG noch Sinn.

Stattdessen arbeiten sie sich an der geübten Apparatbürokratie in sinnlosen Rückzugsgefechten zu Tode, machen sich zu medial gut präsentierbaren linken Schreckgespenstern, um letztlich als zahme Kläffer im Vorstandskäfig zu enden.

Der Berliner Landesverband, auf dem Parteitag von bestimmten Blöcken wie der Hort der Aussätzigkeit behandelt, stellt einen Sonderfall dar. Angesichts der PDS-Senatspolitik ist hier eine Fusion von WASG und PDS so gut wie ausgeschlossen. Hier muss und wird sich in den nächsten Monaten ein Bruch mit der Bundespartei ergeben.

Um die Berliner Organisation und die bundesweite Vernetzung, die sich seit einigen Monaten um das „Netzwerk linke Opposition“ herausbildet, aufzubauen, muss jetzt - nachdem die Weichen eindeutig gestellt sind - so schnell wie möglich zur Tat geschritten werden. In praktischen Kampagnen (z.B. einer konsequenten Anti-G8-Mobilisierung), in klarer inhaltlicher Positionierung (z.B. Programmdebatte) und im Aufbau dezidiert basisdemokratischer Strukturen muss jetzt für Linke inner- und außerhalb der WASG das Projekt einer kämpferischen Klassenpartei als Alternative zu den beiden sozialdemokratischen Parteien deutlich sichtbar werden!

Wie weiter?

Anstatt wie die SAV der illusionären Hoffnung anzuhängen, dass es in der neuen, fusionierten Linkspartei einen realen Spielraum für AntikapitalistInnen gäbe, müssen all jene Kräfte innerhalb und außerhalb der WASG gesammelt und formiert werden, die an der Perspektive des Aufbaus einer wirklich neuen, klassenkämpferischen Arbeiterpartei festhalten. Mit dem Netzwerk Linke Opposition (NLO) gibt es dazu einen realen Ansatz. Das Agieren der SAV in den letzten Wochen hat klar gezeigt, dass sie kein Netzwerk als kämpfende Alternativstruktur will und vor allem dessen Offenheit für die Perspektive des Aufbaus einer neuen Arbeiterpartei ablehnt - und sich de facto daraus verabschiedet hat.

Sie tritt stattdessen für ein unverbindliches, passives Sammelsurium verschiedener Kräfte ein, das von Fusionsgegnern bis zu Fusionsbefürwortern reicht. Parallel zu diesem Projekt will sie SAV aber auch in der Linkspartei mitarbeiten. Doch: wer auf allen Hochzeiten tanzt, kriegt am Ende gar keine Braut ab.

Entgegen dieser Kleinkariertheit muss in den nächsten Wochen und Monaten der positive Trend des NLO fortgesetzt werden. D.h. handlungsfähige Strukturen aufzubauen, die Programmdebatte wirklich offen und ernsthaft weiterzuführen und praktisch in Kämpfe, v.a. in die Mobilisierung gegen den G8-Gipfel, einzugreifen.

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Nr. 116, Dez. 2006/Jan. 2007

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*  Rente mit 67: Massenstreiks gegen Renten-Demontage!
*  Stuttgart: Erfolgreiche Aktionen gegen Rentenreform
*  WASG-Parteitag: Point of no return
*  Perspektive: Netzwerk Linke Opposition aufbauen!
*  Deutsche EU-Präsidentschaft: Der Hindukusch ist nicht genug
*  Anti-G8-Mobilisierung: Klüngelei oder Kampf?
*  Landwirtschaft: Grüne Gentechnik - kapitaler Blindflug
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