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Anti-G8-Mobilisierung

Klüngelei oder Kampf?

Martin Suchanek, Neue Internationale 116, Dezember 2006/Januar 2007

Etwa 400 Aktive aus zahlreichen Spektren der Anti-G8-Mobilisierung tagten vom 10.-12. November in Rostock.

Nach einer anti-rassistischen Demonstration gegen das Lagersystem, Abschiebungen und die verschärfte Repression von MigrantInnen, begann die Tagung mit einer „allgemeinen Aussprache.“

Während es am Freitag um Ziele, Absichten und „ganz persönliche Wünsche“ ging, war am Samstagvormittag die „Choreografie der Proteste“ Gegenstand der Plenardebatte.

Wie so oft bei diesem „Format“ blieben die Beiträge nebeneinander stehen, ohne in eine inhaltliche politische Diskussion zu münden. Vor allem dienten sie nicht dazu, eine politische Entscheidung der Konferenz vorzubereiten und die strategischen und taktischen Fragen und Differenzen sichtbar zu machen.

Die gesamte Diskussion, ja die „Choreographie“ der Aktionskonferenz war von Beginn an so angelegt, dass am Ende die schon im Voraus geplante politische und zeitliche Choreographie dabei heraus kam.

Nach einer „Aussprache“ gab es eine Reihe von Arbeitsgruppen zur Planung und zur „Vernetzung“. Zweifellos haben einige Arbeitsgruppen für die TeilnehmerInnen neue Informationen und neue Kontakte gebracht. Sicher haben sie auch ein besseres Bild über den Stand der Mobilisierung ergeben.

Auch wo Arbeitsgruppen, wie z.B. jene zu „Krieg und Frieden“, eine radikalere inhaltliche Ausrichtung diskutierten und forderten, dass z.B. der Kampf gegen imperialistischen Krieg und Besatzung eine zentrale Rolle in der Gegenmobilisierung spielen müsse, blieb diese Auseinandersetzung nur Teil der Arbeitsgruppen und wurde nicht im Plenum weitergeführt.

Auch wo - wie z.B. im Netzwerk zur „Internationalen Mobilisierung“ - eine Diskussion über die inhaltliche Ausrichtung der Mobilisierung eingefordert wurde, blieb das weitgehend folgenlos - obwohl es in der Diskussion von mehreren Leuten aufgegriffen wurde. So forderten VertreterInnen des „Anti-G8-Bündnisses für eine revolutionären Perspektive“ und von Arbeitermacht, dass sich die internationale Mobilisierung klar gegen imperialistische Kriege und Besatzung, gegen den Generalangriff des Kapitals in Europa und international, gegen Rassismus und für die Solidarität mit dem Widerstand der ArbeiterInnen und Unterdrückten aussprechen und das auch inhaltlich ins Zentrum der Aktionen zum Gipfel gestellt werden müsse.

Andere, wie der Vertreter der französischen LCR, griffen das auf und ergänzten es um eigene Vorschläge (EU-Verfassung, Gewerkschaften). Auch der Vorschlag, um diese Punkte einen internationalen Aufruf für eine Kampagne zu entwickeln, wurde „zur Kenntnis“ genommen, um dann im allgemeinen Wust der Diskussion technischer und organisatorische Fragen unterzugehen.

Zu einer politischen Debatte darüber, ob die Konferenz insgesamt oder mehrheitlich eine bestimmte inhaltliche Ausrichtung der Kampagne oder Aktionsvorstellungen teilt und eine dementsprechende Ausrichtung beschließt, kam es nicht!

Im Gegenteil: Das wurde bewusst verhindert! Die Aktionskonferenz war ganz offenbar nicht dafür vorgesehen, Entscheidungen zu fällen, sondern nur dazu, die schon von der „offenen“ Vorbereitungsgruppe getroffenen am Ende abzusegnen und „Anregungen“ aus den Arbeitsgruppen „mitzunehmen.“

Beispiel Gegengipfel

Deutlich wurde das im Plenum am Samstag bei der Frage des „Gegengipfels.“ Schon in der Arbeitsgruppe war klar geworden, dass attac und andere NGOs sowie die Gewerkschaftsbürokratie einen Gegengipfel zum politischen Lobbying haben und von diesem Konzept auf keinen Fall abrücken wollen. So bestand attac-Chef Peter Wahl darauf, dass der Gegengipfel unbedingt am Mittwochvormittag, also zur Zeit der zentralen Blockadeaktionen stattfinden müsse. Außerdem stellte er in der Arbeitsgruppe auf der Konferenz klar, dass sich die „Vorbereitungsgruppe zum Gegengipfel“ an Entscheidungen der Konferenz nicht halten werde, dass man Organisationen wie der IG Metall, die 2,5 Millionen Mitglieder repräsentiert, ja eine demokratische Beschlussfassung von 400 Leuten nicht „zumuten“ könne. Wahl ignorierte zudem auch, dass die erste Aktionskonferenz der Arbeitsgruppe die Vorgabe gab, den Gegengipfel nicht parallel zu den Aktionen gegen den G-8-Gipfel zu planen.

Im Plenum wurde diese Ignoranz und die Planung der NGOs noch einmal scharf kritisiert und eine Beschlussfassung eingefordert. Hier zeigte nun attac mit Pedram Shahyar und Sabine Leidig sein „Bewegungsgesicht“ - um zu erklären, dass ein Gegengipfel am Mittwoch „natürlich“ überhaupt keine Alternative zu den Blockaden sei und die Teilnahme an einem Gipfel schließlich auch eine „Aktionsform“ sei, die man nicht gegen direkte Aktionen ausspielen dürfe.

Bei dieser Debatte zeigte sich auch beispielhaft, welche Rolle die „radikale Linke“ aus der „Interventionistischen Linken“ (IL) oder ein großer Teil des „Dissent“-Sprektrums politisch spielen.

Obwohl es eine lange Debatte in der Arbeitsgruppe und im Plenum gab, entschied die Moderation, ohne überhaupt eine Diskussion über den eigenen Vorschlag zuzulassen, dass die Frage noch einmal in der Arbeitsgruppe mit der „Suche nach einem Kompromiss“ in die Arbeitsgruppe zurückgehen solle, gewissermaßen in den Vermittlungsausschuss.

Ein Genosse des „Anti-G8-Bündnisses für eine revolutionäre Perspektive“ durfte diese Machenschaften immerhin noch als das darstellen, was sie sind: eine Verzögerungstaktik. Im Plenum hatte sich eine Mehrheit dafür abgezeichnet, dass der Gipfel nicht am Mittwochvormittag und nicht am frühen Nachmittag stattfinden und stattdessen am Sonntag beginnen solle. Einige RednerInnen hatten dafür gesprochen, dass er überhaupt nicht während des Gipfels, sondern davor stattfinden solle.

Statt jedoch diese einfachen Vorschläge zur Abstimmung zu bringen, endete alles wie das Hornberger Schießen. Die attac- und NGO-gesteuerte Arbeitsgruppe nimmt die Vorschläge unter freudiger Mithilfe von PDS und Gewerkschaftsführungen „zur Kenntnis“ - und dann zieht die Lobbyisten-Karawane weiter. Der „Kompromiss“ sieht so aus, dass am Sonntag eine „große Auftaktveranstaltung“ stattfinden soll, der Gegengipfel auch am Mittwochvormittag stattfindet und dass sich einige Prominente auch zu den Blockaden begeben würden, um dort ihre Reden zu halten.

Natürlich hätte eine Abstimmung die Manöver von attac und Co. keineswegs „endgültig“ beseitigt, aber es hätte dazu wenigstens den Beschluss einer Konferenz mit 400 AktivistInnen und VertreterInnen verschiedenster Bündnisse und Organisationen, die gegen die G8 mobilisieren, gegeben. Attac und die anderen NGOs hätten sich dann überlegen müssen, ob sie einen solchen Beschluss offen mit Füßen treten wollen.

So kam es aber nicht. Die „radikale Linke“ hat sich durch ihre eigene Weigerung, einen Beschluss zu dieser Frage durchzufechten und der Mehrheit zu ihrem Recht zu verhelfen, zum Hampelmann von attac, PDS und anderen Reformisten gemacht.

Das ist leider kein Einzelfall, sondern fast ein Markenzeichen zahlreicher „Linker“ geworden. Dahinter steht u.a. auch die illusorische Vorstellung, durch ewige Zugeständnisse die Reformisten und die NGOs ihrerseits zu „Zugeständnissen“ zu bewegen. Insofern gab die Konferenz von Rostock einen trüben, aber offenen Einblick in die aktuelle politische Physiognomie der Anti-G8-Proteste.

Beispiel Demonstration

Ähnlich lief es der Debatte um die internationale Großdemonstration am 2. Juni. Das „Anti-G8-Bündnis für eine revolutionäre Perspektive“ drängte darauf, eine gemeinsame Demo mit einem Auftakt und einer gemeinsamen Abschlusskundgebung, möglichst in oder an der Innenstadt zu machen.

Erstens, um bessere Möglichkeiten zu haben, anti-kapitalistische, klassenkämpferische und anti-imperialistische Inhalte unter allen TeilnehmerInnen der Manifestation zu verbreiten. Zweitens, um die Gemeinsamkeit in der Aktion hervorzuheben. Drittens, um der Staatsgewalt das Vorgehen gegen militantere DemonstrantInnen zu erschweren.

In der Arbeitsgruppe zum Thema wurde das möglichst ignoriert. Die Frage von Auflagen wie das Verbot von Seitentransparenten wurde zum „Nebenkriegsschauplatz“ erklärt.

Kurz: eine betont defensive und willfährige Haltung gegenüber dem Staatsapparat wurde gepuscht. Ein solches Nachgeben wird die Polizei natürlich zu mehr und nicht zu weniger Auflagen ermutigen - doch genau das scheint auch das Ziel von PDS und Co. zu sein: Unter Verweis auf behördliche Auflagen eine große, aber möglichst kontrollierte symbolische Manifestation durchzuziehen, die dann in einem Konzert weit ab vom Stadtzentrum endet.

Eine Begründung, die von Seiten des PDS-dominierten Rostocker Vorbereitungsbündnisses für ihre Ausrichtung auch ins Spiel gebracht wurde, war, dass „den Rostockern“ eine solche Massenansammlung im Zentrum der Stadt nicht zuzumuten sei. Diese Haltung zeigt auch, dass viel zu wenig unternommen wird, die Bevölkerung selbst gegen den Gipfel zu mobilisieren. Dabei müsste genau das eine Aufgabe sein, deutlich zu machen, dass die Politik und die Kapitalinteressen, die hinter den G8 stehen, ihren Niederschlag auch in Massenarbeitslosigkeit, Privatisierung, Verarmung und Verödung in Mecklenburg-Vorpommern finden.

Beispiel Camp

Auch bei der AG Camp kam es zu Disputen. So wollten Teile der Vorbereitungsgruppe durchdrücken, dass die Versammlung erkläre, dass „vom Camp keine Gewalt ausgehen“ solle, um sich so präventiv von Widerstandsaktionen und AktivistInnen zu distanzieren, die sich gegen staatliche Gewalt - die viel eher zu befürchten ist - verteidigen. Doch dieses Vorhaben ging nicht auf.

Es zeigt aber, dass diverse NGOs, attac, PDS und die Gewerkschaftsführungen den Protesten ihren politischen Stempel aufdrücken wollen und dafür auch eine etwaige Spaltung in „gute“ und „böse“ ProtestiererInnen zumindest billigend in Kauf nehmen.

Was zeigte Rostock?

Die „offene Vorbereitung“ und Koordinierung ist alles andere als „offen.“ Sie wird von einem Block dominiert, der vom politischen und gewerkschaftlichen Reformismus (PDS, linke Gewerkschaftsbürokratie), über Kirchen und NGOs bis zu attac reicht. Die Bedeutung von attac liegt darin, dass es die Fassade der „Bewegungsorganisation“ spielen kann, auch in der IL u.ä. mitmacht, keine Partei oder Gewerkschaft ist und damit mit biederem Reformismus auch noch als „links“, „kritisch“ und „offen“ daherkommt. Attac bietet darüber hinaus den „Vorteil“, dass es den verschiedenen reformistischen und bürgerlichen Gruppierungen als Plattform dient, um unterschiedliche Positionen auszuhandeln und Kompromisse zu finden.

Diesem Block angelagert ist die Interventionstische Linke (IL), die selbst keine eigene inhaltliche Ausrichtung einbringt, kein eigenes politisches Profil gegenüber dem führenden Block vertritt und im Austausch dafür Teilbereiche „mit“kontrollieren darf (Blockaden, Aktionstag gegen Migration). Eine ähnliche Rolle spielen Linksruck und die isl.

Dissent spielt überhaupt keine eigenständige Rolle. Ein Teil des Spektrums ist in der IL und macht dieselbe Politik wie diese. Andere wollen der Dominanz von attac und den Reformisten zwar etwas entgegensetzen, weigern sich aber, politische Beschlüsse herbeizuführen. Hier wird das unsägliche Konsensprinzip in diesem Spektrum zu einer direkten politischen Waffe der Reformisten, die einmütig mit den Kräften aus dem Dissent-Spektrum jede Abstimmung, jede Mehrheitsentscheidung mit dem zynischen Verweis auf „die undemokratische Dominanz“ der Mehrheit blockieren. So wird sichergestellt, dass keine „falschen Beschlüsse“ gefällt werden, die der ohnehin schon bekannten Ausrichtung durch attac, PDS, NGOs etc. im Wege stehen könnten.

Mit dieser politischen Mechanik verknüpft ist freilich auch eine gemeinsame neo-reformistische Ideologie, die von attac, NGOs, VertreterInnen der PDS wie Katja Kipping bis hin zu Gruppen wie „NoLager“ vertreten wird. Im Kampf um „globale soziale Rechte“ (globales Mindesteinkommen, globale Bewegungsfreiheit) sehen sie das eigentliche politische Ziel der Bewegung und auch einen Weg für die Gewerkschaften, aus ihrer Sackgasse der Standortkonkurrenz zu kommen. Ziel sei es, die Anti-G8-Kampagne zur Schaffung eines „historischen Blocks“ (Kipping) oder eines „zivilisatorisches Projekts“ (Wahl) um diese Forderungen zu nutzen - eines Blocks, welcher der kapitalistischen Globalisierung und der imperialistischen Barbarei nicht den Befreiungskampf, den Widerstand, die sozialistische Revolution, sondern einen neuen Reformweg, die Bändigung des Bestehenden mittels „globaler Rechte“ entgegenstellt.

Die Rostocker Aktionskonferenz brachte eine politische Konstellation zum Ausdruck, wie sie in der BRD - und in modifizierter Form - auch international, bei Aktionskonferenzen, in den sozialen Bewegungen, beim Sozialforum zu beobachten ist.

Für die klassenkämpferischen, anti-imperialistischen, anti-kapitalistischen und internationalistischen Kräfte ist es notwendig, diesem Block organisiert entgegenzutreten, um ihn politisch zu bekämpfen und seine Einheit aufzubrechen. Natürlich schließt das auch die Einheit in der Aktion mit Gewerkschaften, attac etc. ein, wo es möglich ist, sich auf gemeinsame Ziele und Aktionen zu verständigen. Ja, es ist notwendig, diese gemeinsame Mobilisierung gegen Kapitalisten und Regierungen einzufordern. Doch es geht auch darum, selbst politisch mobilisierungsfähig zu sein.

Ein wichtiger, zentraler Schritt dafür ist, dass jene Kräfte, die sich im „Anti-Imperialistischen Netzwerk“ des Europäischen Sozialforums zusammengefunden haben sowie jene, die in Deutschland im Rahmen des „Anti-G8-Bündnisses für eine revolutionäre Perspektive“ oder in anderen anti-imperialistischen Bündnissen mobilisieren, eine gemeinsame Kampagne zur Aktion gegen den Gipfel durchführen. Ziel muss dabei sein, einen gemeinsamen internationalistischen, anti-imperialistischen und anti-kapitalistischen Block auf der Großdemo, einen eigenen Raum im Rahmen des Camps sowie eigenständige Teile des Gegengipfels zu organisieren.

Perspektive

Die Art der Vorbereitung der Mobilisierung und die politische Dominanz der reformistischen Organisationen darin belegt, wie notwendig es ist, dass sich jene Kräfte mit eigenen Inhalten und Forderungen und mit eigenen Strukturen einbringen, denen die politisch „zahme“ Orientierung und die undemokratische Art der Vorbereitung nicht genügen.

Das „Anti-G8-Bündnis für eine revolutionäre Perspektive“ bietet dafür eine Struktur. Es steht dafür, dass sich die Aktionen und die Mobilisierung sowie Anti-G8-Gipfel-Veranstaltungen wirklich gegen die G 8 und die Ausbeuterordnung richtet,  die sie absichern und durchsetzen.

Daneben tritt das Bündnis dafür ein, dass die Aktionen gegen den Gipfel möglichst große Teile der Bevölkerung erreiche, die Imperialisten und ihre Instituionen treffen und nicht auf der „grünen Wiese“ stattfinden.

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Nr. 116, Dez. 2006/Jan. 2007

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